© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 068/14 Amtsenthebung des Präsidenten der Ukraine Verfassungsrechtliche und tatsächliche Fragen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/14 Seite 2 Amtsenthebung des Präsidenten der Ukraine Verfassungsrechtliche und tatsächliche Fragen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 068/14 Abschluss der Arbeit: 25. März 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/14 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Am 22. Februar 2014 hat das ukrainische Parlament den Termin für die Neuwahl des Präsidenten der Ukraine auf den 25. Mai 2014 festgesetzt. Am Folgetag, dem 23. Februar 2014, hat das Parlament beschlossen, die Befugnisse des Präsidenten übergangsweise dem Parlamentspräsidenten zu übertragen. Im Folgenden werden die entsprechenden Beschlüsse des ukrainischen Parlaments einschließlich der Stimmverhältnisse sowie die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten eines vorzeitigen Amtsverlusts des ukrainischen Präsidenten dargestellt.1 Grundlage der verfassungsrechtlichen Darstellung ist der Wortlaut der ukrainischen Verfassung, wie er sich in deutscher Übersetzung auf der Website eines Internetprojekts zu internationalen Verfassungsdokumenten findet.2 Dabei wird davon ausgegangen, dass Beschlüsse des ukrainischen Parlaments vom 22. Februar 2014, mit denen eine Nichtigkeitsentscheidung des ukrainischen Verfassungsgerichts von 2010 aufgehoben und die bis dahin geltenden Verfassungsbestimmungen von 2004 wieder in Kraft gesetzt worden sind, wirksam sind. 2. Beschlüsse des ukrainischen Parlaments vom 22. und 23. Februar 2014 im Bezug auf den Präsidenten Das Parlament der Ukraine (Werchowna Rada) hat am 22. Februar 2014 unter Nr. 757-VII3 beschlossen , dass 1. der Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, von der Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Vollmachten in nichtverfassungsgemäßer Weise zurückgetreten ist und seinen Pflichten nicht nachkommt, und dass 2. gemäß Art. 85 Abs. 7 der Verfassung der Ukraine Neuwahlen für das Amt des Präsidenten für den 25. Mai 2014 angesetzt werden. Nach dem offiziellen Plenarprotokoll4 wurde dieser Beschluss mit den Stimmen von 328 Abgeordneten gefasst. Enthaltungen oder Nein-Stimmen sind nicht aufgeführt. Nach Auskunft einer Zeitung5 seien 334 Abgeordnete bei der Abstimmung anwesend gewesen. Die verfassungsmäßige 1 Zu verfassungsrechtlichen Aspekten des Machtwechsels in der Ukraine vgl. auch Janssen/Teichert, Putin und der legitime Präsident der Ukraine, Spiegel online vom 6. März 2014, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-faktencheck-putin-und-der-legitime-praesident-a-957238.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014), sowie Gysi, BT-PlProt. 18/20, S. 1524 (A). 2 Verfassung der Ukraine, abrufbar unter: http://www.verfassungen.net/ua/verf96-i.htm (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). 3 Beschluss Nr. 757-VII, abrufbar unter: http://iportal.rada.gov.ua/news/Novyny/Povidomlennya/87969.html (ukrainisch), englische Übersetzung abrufbar unter: http://iportal.rada.gov.ua/en/news/News/News/88138.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). 4 In ukrainischer Sprache abrufbar unter http://iportal.rada.gov.ua/meeting/stenogr/show/5168.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). Der Beschluss wurde zwischen 17.09 Uhr und 17.11 Uhr gefasst. 5 Abrufbar unter http://www.unian.net/politics/888346-rada-ustranila-yanukovicha-i-naznachila-prezidentskievyiboryi -na-25-maya.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/14 Seite 4 Mitgliederzahl des ukrainischen Parlaments beträgt 450 Abgeordnete (Art. 76 Verfassung der Ukraine ); nach der Internet-Seite des ukrainischen Parlaments gab es am 21. März 2014 jedoch nur 439 Abgeordnete. Nach Art. 91 Verfassung der Ukraine ist für eine Beschlussfassung des Parlaments die Mehrheit der durch die Verfassung bestimmten Anzahl seiner Mitglieder erforderlich. Am 23. Februar 20146 hat das ukrainische Parlament unter Berufung auf Art. 112 Verfassung der Ukraine mit 285 Stimmen beschlossen,7 dem Parlamentspräsidenten übergangsweise die Vollmachten des Präsidenten der Ukraine zu übertragen. 3. Verfassungsrechtliche Möglichkeiten eines Amtsverlusts des Präsidenten der Ukraine Die Verfassung der Ukraine sieht in Art. 108 vier Möglichkeiten des vorzeitigen Amtsverlustes des Präsidenten vor: 1. Rücktritt; 2. Amtsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen; 3. Amtsenthebung im Wege der Präsidentenanklage; 4. Tod. Die Fälle 1 bis 3 werden durch die Artikel 109 bis 111 Verfassung der Ukraine konkretisiert. Art. 109 Verfassung der Ukraine bestimmt, dass der Rücktritt des Präsidenten der Ukraine erst durch persönliches Verlesen des Rücktrittsgesuches in einer Sitzung des Parlaments der Ukraine wirksam wird. Die Feststellung der Amtsunfähigkeit des Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen bedarf nach Art. 110 Verfassung der Ukraine eines ärztlichen Gutachtens sowie der Mitwirkung des Verfassungsgerichts . Die Amtsenthebung im Wege einer Präsidentenanklage (Impeachment-Verfahren) erfolgt gemäß Art. 111 Verfassung der Ukraine in einem mehrstufigen Verfahren. Dieses kann auf Antrag der Mehrheit der verfassungsmäßigen Mitglieder des Parlaments wegen des Vorwurfs des Hochverrats oder eines anderen Verbrechens eingeleitet werden. Das Parlament hat daraufhin eine besondere nichtständige Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe einzurichten, der ein Sonderstaatsanwalt und ein Sonderermittler angehören. Die Ergebnisse dieser Untersuchungskommission werden sodann im Parlament behandelt, das bei Vorliegen zureichender Beweise mit der Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner verfassungsmäßigen Mitglieder die Entscheidung treffen kann, Anklage gegen den Präsidenten zu erheben. Der Anklageerhebung schließt sich ein 6 Beschluss Nr. 764-VII, in englischer Sprache abrufbar unter: http://www.president.gov.ua/en/news/30130.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). 7 Plenarprotokoll in ukrainischer Sprache abrufbar unter: http://iportal.rada.gov.ua/news/Novyny/ Plenarni_zasidannya/88084.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/14 Seite 5 Prüfungsverfahren vor dem Verfassungsgericht an. Bestätigt dies den Tatbestand des Hochverrats oder eines anderen Verbrechens sowie den verfassungsmäßigen Verfahrensablauf, kann das Parlament schließlich mit der Mehrheit von drei Vierteln der verfassungsgemäßen Mitglieder über die Amtsenthebung des Präsidenten entscheiden. Für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Amtes des Präsidenten aus einem der vier genannten Gründe sieht Art. 112 Verfassung der Ukraine vor, dass die Befugnisse des Präsidenten der Ukraine für die Zeit bis zum Amtsantritt eines neugewählten Präsidenten der Ukraine dem Parlamentspräsidenten übertragen werden.8 Im Rahmen der geschäftsführenden Präsidentschaft darf dieser jedoch nicht von sämtlichen präsidialen Befugnissen Gebrauch machen. Gemäß Art. 85 Punkt 7 Verfassung der Ukraine bestimmt das Parlament den Termin für die Neuwahl des Präsidenten. 8 Demgegenüber war nach der zwischenzeitlich (bis 2004 sowie zwischen der Nichtigkeitsentscheidung des Verfassungsgerichts im Jahr 2010 und dessen Aufhebung am 22. Februar 2014) geltenden Fassung des Art. 112 Verfassung der Ukraine nicht der Parlamentspräsident, sondern der Ministerpräsident Inhaber der Übergangsvollmachten .