Deutscher Bundestag Die rechtliche Stellung jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 068/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 2 Die rechtliche Stellung jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 068/13 Abschluss der Arbeit: 18.04.2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 3 1. Einleitung Zwischen 1993 und 2011 sind insgesamt 205.216 jüdische Zuwanderer einschließlich ihrer Familienangehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland zugewandert.1 Die rechtlichen Grundlagen für den Aufenthalt und die Einbürgerung jüdischer Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion waren in den vergangenen Jahren Gegenstand mehrerer Gesetzesänderungen. Im Folgenden wird zunächst die aufenthaltsrechtliche Stellung jüdischer Immigranten nach alter und neuer Rechtslage dargestellt (2.), bevor auf die Frage der Mehrstaatigkeit nach alter und neuer Rechtslage eingegangen wird (3.). Schwerpunkt der Ausarbeitung ist die Frage, ob die Schlechterstellung derjenigen Immigranten, die unter Geltung des Privilegs der doppelten Staatsangehörigkeit nach Deutschland eingereist waren, aber bis zur Gesetzesänderung noch keinen Einbürgerungsantrag gestellt hatten, verfassungsgemäß ist (4.). 2. Aufenthaltsrechtliche Stellung jüdischer Immigranten 2.1. Rechtslage von 1990 - 2004 Die Aufnahme jüdischer Immigranten beruhte bis zum Jahr 2005 auf der entsprechenden Anwendung des „Gesetzes über Maßnahmen für die im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge“ (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) vom 22. Juli 1980.2 Nach dessen § 1 Abs. 1 genossen Ausländer die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention ). Gemäß § 1 Abs. 3 des HumHAG wurde den Ausländern eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Der Hauptanwendungsfall des HumHAG war die Aufnahme von ca. 35.000 vietnamesischen „boat people“ Anfang der 80er Jahre; in einigen Fällen wurden darüber hinaus Personen aus Chile , Argentinien, Kuba und dem Irak übernommen.3 Die Aufnahme jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion erfolgte bis 2005 in analoger Anwendung des HumHAG auf der Basis einer Übereinkunft zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder vom 9. Januar 1991.4 Die Bundesregierung führte zur analo- 1 Migrationsbericht 2011 des BAMF, S. 109, abrufbar unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht- 2011.pdf;jsessionid=77A0980D4E181B4282A23EE251B67142.1_cid294?__blob=publicationFile (letzter Abruf aller Internetseiten: 16.04.2013). 2 BGBl. I S. 1057. 3 BT-Drs. 15/420, S. 78. 4 Göbel-Zimmermann, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 23 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 4 gen Anwendung aus, dass es ihr nicht um den Schutz vor politischer Verfolgung gehe, zumal die sowjetische Führung inzwischen aktiv gegen antisemitische Übergriffe vorgehe.5 Bestimmendes Motiv für die Aufnahmeregelung sei vielmehr die Stärkung der jüdischen Gemeinden und die Hoffnung auf eine Renaissance des jüdischen Kultur- und Geisteslebens in Deutschland.6 Die Bundesregierung betonte insoweit die historische Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus. 2.2. Rechtslage seit 2005 Das HumHAG trat durch Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 20047 am 1. Januar 2005 außer Kraft. Nunmehr bildet § 23 Abs. 2 AufenthG8 die Rechtsgrundlage für die weitere Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. In § 23 Abs. 2 AufenthG heißt es: „Das Bundesministerium des Innern kann zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Ein Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung findet nicht statt. Den betroffenen Ausländern ist entsprechend der Aufnahmezusage eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Niederlassungserlaubnis kann mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen werden. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.“ In der Gesetzesbegründung führte der Gesetzgeber aus, dass aufgrund der nunmehrigen Gewährung einer Niederlassungserlaubnis die in § 1 Abs. 1 HumHAG vorgesehene Gewährung der Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) nicht mehr erforderlich sei.9 Auch sei eine Reihe der sich aus der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen der Stellung aufgenommener jüdischer Immigranten nicht angemessen, z.B. das Erlöschen der Rechtsstellung gem. § 2a Abs. 1 Nr. 1 HumHAG.10 Die Aufnahmevoraussetzungen und Verfahrensregeln betreffend jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten regelt eine Anordnung des Bun- 5 BT-Drs. 11/8439, S. 2. 6 BT-Drs. 11/8439, S. 3 f. 7 BGBl. I S. 1950. 8 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30.07.2004, BGBl. I 1950. 9 BT-Drs. 15/420, S. 78. 10 BT-Drs. 15/420, S. 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 5 desministeriums des Innern auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 75 Nr. 8 Aufenth G.11 In § 101 AufenthG ist die Fortgeltung bisheriger Aufenthaltsrechte vorgesehen. In § 101 Abs. 1 S. 2 AufenthG heißt es: „Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 1 Abs. 3 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (BGBl. I S. 1057) oder in entsprechender Anwendung des vorgenannten Gesetzes erteilt worden ist, und eine anschließend erteilte Aufenthaltsberechtigung gelten fort als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2.“ Der Gesetzgeber wollte damit den Verlust bestehender Rechtspositionen vermeiden.12 Der Übergang vom alten zum neuen Recht erfolgt kraft Gesetzes, sodass jede behördliche „Umschreibung “ lediglich Rechtsanwendung ohne jeden Ermessensspielraum darstellt.13 Ab dem 1. Januar 2005 konnten die Inhaber eines übergeleiteten Titels sofort und unmittelbar die sich aus der neuen Rechtsstellung ggf. ergebenden Verbesserungen geltend machen, auch ohne dass die Überleitung durch die Behörde dokumentiert ist.14 Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eindeutig klargestellt, dass die Rechtsstellung , die jüdische Immigranten in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1 HumHAG erworben haben, mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 erloschen ist.15 Aus der Begründung zum Aufenthaltsgesetz ergebe sich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG die zukünftige Rechtsstellung auch der vor dem 1. Januar 2005 aufgenommenen jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion abschließend neu ausgestaltet habe.16 Der Gesetzgeber habe die Rechtsstellung dieser Personen von den sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen abkoppeln und in Zukunft rein aufenthaltsrechtlich ausgestalten wollen.17 Die darin liegende unechte Rückwirkung der Neuregelung sei mit Blick auf die bisherigen rechtlichen Unsicherheiten der Behandlung dieser Personengruppe verfassungsrechtlich unbedenklich .18 Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Betroffenen ihr Daueraufenthaltsrecht behalten und die Möglichkeit hätten, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylan- 11 Abrufbar unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/JuedischeZuwanderer/anordnung-bmi.html. 12 BT-Drs. 15/420, S. 100. 13 Hofmann, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Auflage 2008, § 101 Rn.5; Dienelt, in: Renner, Aufenthaltsrecht, 9. Auflage 2011, § 101 Rn. 4; Hailbronner, AuslR, 80. Aktualisierung, Februar 2013, § 101 Rn. 3. 14 Hofmann, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR (Fn. 13), § 101 Rn.5. 15 BVerwG, Urteil vom 04.10.2012, Az. 1 C 12.11, BeckRS 2012, 60250; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, Az. 1 C 3/11, NVwZ-RR 2012, 529. 16 BVerwG vom 04.10.2012 (Fn. 15), Rn. 13. 17 BVerwG vom 04.10.2012 (Fn. 15), Rn. 14. 18 BVerwG vom 22.03.2012 (Fn. 15), Rn. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 6 trag zu stellen. Schließlich sei bei dem Personenkreis der jüdischen Immigranten, die nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden seien, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich.19 Konkret bedeutete dies z.B. in einem der vom BVerwG entschiedenen Fälle, dass sich jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr allein auf Grund ihrer Aufnahme nach dem HumHAG auf das in Art. 33 Abs. 1 Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegte Refoulement-Verbot berufen können.20 3. Mehrstaatigkeit 3.1. Alte Rechtslage Bis 2004 sah § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AuslG21 vor, dass ein Ausländer, der wie ein Flüchtling nach dem HumHAG behandelt wird, unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden kann. Mit dem Zuwanderungsgesetz22 wurde dieses Privileg in § 12 StAG übernommen. An die jetzige Fassung des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StAG, der die Fälle regelt, in denen ein Ausländer trotz Fortbestands der bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden kann, schloss sich bis August 2007 folgender Wortlaut an: „oder eine nach Maßgabe des § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilte Niederlassungserlaubnis besitzt“. Nach der damaligen Rechtslage konnten jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion demnach unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden. 3.2. Aktuelle Rechtslage Seit einer Gesetzesänderung im August 200723 ist eine Einbürgerung jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion unter Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit hingegen gesetzlich nicht mehr vorgesehen. Eine Ausnahme gilt nur für Einbürgerungsanträge, die bis zum 30. März 2007 gestellt worden sind, auf die gemäß § 40c StAG das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung Anwendung findet. 19 BVerwG vom 22.03.2012 (Fn. 15), Rn. 32. 20 BVerwG vom 22.03.2012 (Fn. 15), Rn. 17. 21 Ausländergesetz vom 28.04.1965, BGBl. I S. 353. 22 Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.07.2004, BGBl. I S. 1950. 23 Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BGBl. I S. 1970. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 7 Zur Begründung verwies der Gesetzgeber auf die geänderten Aufnahmeverfahren für die von dieser Vorschrift betroffenen Personen.24 Der Wegfall der Privilegierung dürfte sich vor allem in den stark zurückgehenden Einbürgerungszahlen russischer (–40,1 %) und ukrainischer (–56,2 %) Staatsangehöriger widerspiegeln.25 Eine Sonderregelung für die bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung eingereisten jüdischen Immigranten, die bisher noch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen, hat der Gesetzgeber nicht geschaffen. Eine Einbürgerung unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit ist daher, abgesehen von dem besonderen Ausnahmefall des Art. 116 Abs. 2 GG, nunmehr in diesen Fällen nur unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 12 StAG möglich, also etwa wenn eine Entlassung aus der alten Staatsangehörigkeit nicht möglich oder zumutbar ist. Daneben besteht der allgemeine Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einbürgerung gemäß § 8 StAG. Dieser ermöglicht zwar eine Einbürgerung auch unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Die Behörde darf sich bei der Ausübung ihres Einbürgerungsermessens allerdings grundsätzlich von dem Ziel leiten lassen, Mehrstaatigkeit zu vermeiden.26 Als Ausnahmefall für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit war in 8.1.2.6.3.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) vom 13. Dezember 200027 noch der Fall vorgesehen, dass der Einbürgerungsbewerber „wie ein Flüchtling nach dem Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge behandelt wird“. Die StAR-VwV bezieht sich allerdings nur noch auf die bis zum 31. Dezember 2004 geltende Fassung des StAG. Im Übrigen orientieren sich die Behörden der Bundesländer überwiegend an den (nicht verbindlichen) Vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministerium des Innern (BMI) zum StAG vom 17. April 2009.28 In diesen Hinweisen fehlt die o.g. Ausnahmeregelung . Somit dürfte allein noch 8.1.2.6.3.6 der Anwendungshinweise des BMI in Betracht kommen, wonach Mehrstaatigkeit hingenommen werden kann, wenn ein „öffentliches Interesse“ an der Einbürgerung besteht. Ob ein solches vorliegt, ist von der Einbürgerungsbehörde in eigener Zuständigkeit selbstständig festzustellen.29 In der Verwaltungspraxis wird die Vorschrift insbesondere 24 BT-Drs. 16/5065, S. 229. 25 Lämmermann, ZAR 2009, 289 (293). 26 Oberhäuser, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR (Fn. 13), § 8 Rn. 34; vgl. 8.1.2.6 der Anwendungshinweise des BMI zum StAG vom 17. April 2009, abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/MigrationIntegration/Staatsangehoerigkeit/Anwen dungshinweise_05_2009.pdf?__blob=publicationFile. 27 BAnz. 2001 S. 1418. 28 Siehe Fn. 26. 29 Marx, in: GK-StAR, Stand Juli 2012, § 8 Rn. 415. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 8 bei Wissenschaftlern angewandt, die für eine Tätigkeit im Bundesgebiet gewonnen oder erhalten werden sollen.30 Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber die frühere Privilegierung für jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in § 12 StAG explizit aufgehoben hat und auch die Anwendungshinweise diesen Fall nicht mehr aufgreifen, erscheint es jedoch zweifelhaft, ob die Behörden in der Praxis die Fälle der jüdischen Immigranten generell darunter fassen. Andererseits hat der Gesetzgeber keine inhaltliche Begründung für die Streichung der Privilegierung geliefert. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich von der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber jüdischen Zuwanderern, die Beweggrund für die analoge Anwendung des HumHAG war, distanzieren wollte. Von daher erscheint auch eine Bejahung des öffentlichen Interesses durch die Einwanderungsbehörden nicht ausgeschlossen . Allerdings würde dann gleich eine ganze Personengruppe von dieser Privilegierung erfasst und die Verwaltung könnte nicht mehr nach Einzelfall-Gesichtspunkten entscheiden. Ob dies gewollt ist, darf bezweifelt werden. 4. Verfassungsmäßigkeit der Neufassung des § 12 StAG In der Literatur wird die Änderung der § 12 StAG, die eine Einbürgerung unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit für jüdische Immigranten nicht mehr vorsieht, nicht nur vom Ergebnis her bedauert.31 Ausdrücklich wird kritisiert, dass der Gesetzgeber keine offene und vernünftige Begründung hierfür geliefert, sondern stattdessen die materielle Verschlechterung als technische Anpassung verkleidet habe.32 Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestünden jedoch nicht.33 Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Fallkonstellation noch nicht ausdrücklich geäußert; allerdings dürften die Argumente der Rechtsprechung des BVerwG34 zur Verfassungskonformität der Neuregelung in § 23 Abs. 2 AufenthG auf die hier aufgeworfene Frage übertragbar sein. Bei der Änderung des § 12 StAG handelt es sich ebenfalls um eine unechte Rückwirkung. Eine solche liegt vor, wenn ein Gesetz nicht nachträglich ändernd in vor seinem Inkrafttreten bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, sondern gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft berührt.35 Durch den Wegfall der Privilegierung betreffend die doppelte Staatsangehörigkeit werden keine in der Vergangenheit bereits abgeschlossenen Tatbestände geregelt, weil sie für die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens zum 28. August 2007 bereits Eingebürgerte keine nachteiligen rückwirkenden 30 Marx, in: GK-StAR (Fn. 29), § 8 Rn. 414. 31 Geyer, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR (Fn. 13), § 12 Rn. 27. 32 Geyer, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR (Fn. 13), § 12 Rn. 27. 33 Berlit, in: GK-StAR (Fn. 29), § 12 Rn. 242. 34 Siehe dazu oben unter 2.2. 35 BVerfGE 31, 222 (226). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 9 Regelungen mehr entfalten. Sie gelten vielmehr allein für diejenigen Antragsteller, die ihren Antrag erst nach dem 30. März 2007 stellen und über den erst nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung entschieden wird. Auch die Fälle, in denen der Einbürgerungsantrag nach dem 30. März 2007 und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wurde, stellen keine abgeschlossenen Tatbestände dar, solange der Einbürgerungsantrag noch nicht positiv beschieden wurde. Derartige Gesetze sind grundsätzlich zulässig. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes kann allerdings im Einzelfall der Regelungsbefugnis Schranken setzen.36 Dies ist dann der Fall, wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.37 Das Gewicht des Vertrauensschutzes bemisst sich dabei insbesondere nach den betroffenen Rechtsgütern, der Intensität der Nachteile und dem Maß des Vertrauens.38 Im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung dürfte ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf den Fortbestand der Regelung gegenüber dem öffentliche Interesse an der Neuregelung der Einbürgerungsvorschriften wohl nicht überwiegen. Hierbei ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu berücksichtigen, aus politischen Gründen die Fälle der doppelten Staatsbürgerschaft neu zu regeln. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund , dass das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht generell auf dem Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit beruht.39 Darüber hinaus waren gefestigte und sichere Rechtsgrundlagen für die Behandlung dieser Personengruppe bislang nicht vorhanden. Ferner geht der Vertrauensschutz nicht so weit, den Betroffenen vor jeder Enttäuschung auf den Fortbestand einer für ihn günstigen Rechtslage zu bewahren.40 Für die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spricht insbesondere auch die Schaffung einer Übergangsregelung in § 40c StAG.41 Schließlich erscheint eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei Bejahung eines öffentlichen Interesses durch die Einbürgerungsbehörden in diesen Fällen nicht schlechthin ausgeschlossen.42 5. Ergebnis Seit dem 1. Januar 2005 richtet sich die aufenthaltsrechtliche Stellung jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ausschließlich nach § 23 Abs. 2 AufenthG. Frühere, unter Geltung des HumHAG erworbene Aufenthaltsrechte gelten gem. § 101 AufenthG als Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG fort. 36 BVerfGE 39, 128 (143f.). 37 BVerfGE 95, 64 (86). 38 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 67. Ergänzungslieferung 2013, Art. 20 Rn. 90. 39 Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Auflage 2010, § 8 StAG Rn. 84. 40 BVerfGE 43, 242 (286). 41 Vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 16.03.2011, Az. AN 15 K 10.01899, abrufbar unter: BeckRS 2011, 29953. 42 Siehe dazu unter 3.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 068/13 Seite 10 Mit Änderung des § 12 StAG entfiel im Jahre 2007 die Möglichkeit für diese Personengruppe, unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert zu werden. Dies gilt auch rückwirkend für diejenigen Immigranten, die zwar unter Geltung der alten Rechtslage nach Deutschland eingewandert sind, sich bisher aber noch nicht haben einbürgern lassen. Diese Neuregelung dürfte wohl verfassungsgemäß sein.