© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 066/17 Amtshaftungsansprüche nach einem Terroranschlag Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 066/17 Seite 2 Amtshaftungsansprüche nach einem Terroranschlag Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 066/17 Abschluss der Arbeit: 29.03.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 066/17 Seite 3 1. Vorbemerkungen Vor dem Hintergrund des Terroranschlags am 19.12.2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz wird nach möglichen Amtshaftungsansprüchen gegen Behörden des Bundes bzw. der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen gefragt. Die nachfolgenden Ausführungen können nur abstrakt möglicherweise in Betracht kommende Amtshaftungsansprüche aufzeigen. Eine Haftung im konkreten Einzelfall wird nicht geprüft. Als mögliche Anspruchsgrundlage für einen Amtshaftungsanspruch kommt zunächst die allgemeine Haftung bei Amtspflichtverletzungen nach § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG in Betracht. Daneben bestehen für die Landesebene auch spezielle Haftungsvorschriften in den jeweiligen Polizei- bzw. Ordnungsgesetzen.1 2. Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches im Rahmen der Gefahrenabwehr Nach § 839 Abs. 1 BGB führt ein durch einen Beamten verursachter Schaden, der auf einer Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht beruht, zu einem Schadensersatzanspruch . Dieser Anspruch gegen den Beamten wird über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet. Die Amtshaftungsansprüche bestehen demnach direkt gegenüber den jeweiligen Anstellungskörperschaften .2 2.1. Beamter im haftungsrechtlichen Sinne Die Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist nicht auf Beamte im wörtliche Sinne beschränkt . Die Haftung wird über Art. 34 GG vielmehr auf alle haftungsrelevanten Handlungen von Inhabern eines öffentlichen Amtes ausgedehnt. Zu diesen zählen neben den Beamten auch die in einem sonstigen Dienstverhältnis stehenden Personen, wie Richter oder Soldaten, sowie die privatrechtlich Beschäftigten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.3 Unproblematisch können die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder diesem Kreis der amtshaftungsrechtlich Verantwortlichen zugeordnet werden. 2.2. Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht Unter den Amtspflichten ist jede persönliche Verhaltenspflicht des Amtsträgers bezüglich seiner Amtsführung zu verstehen. Eine Verletzung kann dabei sowohl in einem Handeln als auch in einem Unterlassen einer gebotenen Amtshandlung liegen.4 Im Rahmen einer allgemeinen Amtspflicht ist jeder Amtsträger verpflichtet, seine Aufgaben und Befugnisse im Einklang mit dem geltenden Recht 1 Vgl. etwa: § 59 des Allgemeines Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG); § 39 Ordnungsbehördengesetz NRW (OBG). 2 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 360 ff. 3 Vgl. Bonk/Detterbeck, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 34 GG Rn. 55. 4 Reinert, in: Bamberger/Roth, 41. Edt. 2016, § 839 BGB Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 066/17 Seite 4 wahrzunehmen.5 Den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder obliegt damit die allgemeine Amtspflicht zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer frühen Entscheidung die Pflicht der Polizei zur Verhütung strafbarer Handlungen betont und diese als Amtspflicht angesehen.6 Eine rechtsfehlerhaft unterlassene Abwehr von Straftaten kann daher grundsätzlich als mögliche Amtspflichtverletzung von Sicherheitsbehörden eingeordnet werden. Zur Begründung eines Amtshaftungsanspruches genügt eine bloße Amtspflichtverletzung allein noch nicht. Nach § 839 Abs. 1 BGB muss diese vielmehr auch einem Dritten gegenüber bestehen, also drittgerichet sein. Dabei ist maßgeblich auf den Schutzzweck der verletzten Vorschriften abzustellen . Diese dürfen nicht bloß im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, sondern müssen gerade auch den Schutz des Einzelnen bezwecken.7 Für das Polizei- und Ordnungsrecht ist dabei allgemein anerkannt, dass die Vorschriften zur Gefahrenabwehr gerade auch dem Schutz möglicher Betroffener dienen sollen.8 Die Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden dient damit auch dem individuellen Rechtsgüterschutz von möglichen Verletzten. Bei der Abwehr von Gefahren durch Terroranschläge sind insbesondere zwei Konstellationen denkbar, in denen eine Verletzung drittgerichteter Amtspflichten in Betracht kommt: Einerseits können die jeweils für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden drittgerichtete Amtspflichten verletzen, indem sie auf eine bestehende konkrete Gefahrenlage nicht reagieren. Dies setzt voraus, dass nach den Regeln des jeweils anzuwendenden Polizeirechts eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht und es den Sicherheitsbehörde auch möglich ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Bloße Verdachtslagen reichen zur Begründung einer konkreten Gefahrenlage noch nicht aus, begründen aber unter Umständen die Pflicht zu weiteren Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung. Im Einzelfall ist die Feststellung einer konkreten Gefahrenlage ein umfassender Wertungsvorgang, der den Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung Handlungsspielräume belässt. Um den Sicherheitsbehörden in einer solchen Konstellation nachträglich eine Amtspflichtverletzung nachzuweisen, müsste eine verdichtete Gefahrenlage belegt werden. Die zuständigen Behörden müssten trotz des ihnen konkret bekannten bevorstehenden Anschlags untätig bleiben. Eine andere denkbare Verletzung von drittgerichteten Amtspflichten könnte sich aus einer Verletzung von Schutzpflichten ergeben. Die zuständigen Behörden müssten in diesem Fall Kenntnis von einer erhöhten Gefahrenlage haben und entsprechende vorbeugende Maßnahmen, etwa das Aufstellen von Betonsperren, unterlassen. Zu beachten ist dabei, dass den handelnden Behörden über die zu wählenden Mittel ein erheblicher Entscheidungsspielraum zukommt.9 Auch bei der 5 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 193. 6 BGH, Urt. v. 30.04.1953 – III ZR 204/52 –, juris; OLG München, Beschl. v. 03.08.2004 – 1 U 3245/04 –, juris Rn. 21. 7 Papier/Shirvani, MüKo 7. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 227. 8 Zimmerling, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK, 8. Aufl. 2017, § 839 BGB Rn. 396. 9 BVerfG, NJW 1992, 964. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 066/17 Seite 5 Beurteilung der Gefahrenlage ist von einem Prognosespielraum auszugehen, da sich Gefahrenbewertungen nie mit letzter Sicherheit vornehmen lassen.10 Um eine Schutzpflichtenverletzung zu begründen, müsste den zuständigen Behörden daher bekannt sein, dass entsprechende Anschlagspläne existieren. Lediglich die zeitliche und örtliche Konkretisierung der Anschlagspläne wäre in dieser Konstellation aus Behördensicht offen. Ob eine dieser Konstellationen beim Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin vorlag, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Dies obliegt einer Würdigung im Einzelfall unter Zugrundelegung einer umfassenden Bewertung der vorhandenen Tatsachengrundlage. 2.3. Kausalität/Verschulden Die Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht müsste für den konkreten Schadenseintritt ursächlich geworden sein. Den handelnden Amtsträgern müsste zudem ein Verschulden nachgewiesen werden können. Hierfür müssten diese vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Gerade hinsichtlich der oben aufgezeigten anzustellenden Gefahrenprognosen dürfte sich der Nachweis von Fahrlässigkeit schwierig gestalten. 3. Haftung von Bundesbehörden Da die Gefahrenabwehr vorrangig im Zuständigkeitsbereich der Länder zu verorten ist, kommt eine Haftung des Bundes von vornherein nur begrenzt in Betracht. Gefahrenabwehrrechtlich wäre für die Verhinderung terroristischer Anschläge in bestimmten Konstellationen das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig. Dem BKA kommt nach § 4a des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zu, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Zu den möglichen Befugnissen des BKA zählt nach § 20p BKAG auch, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat zu verhindern. Ob eine dieser Konstellationen und damit eine Zuständigkeit des BKA vorlag, kann hier nicht beurteilt werden. Eine Haftung käme darüber hinaus nur bei Vorliegen einer der oben genannten Konstellationen in Betracht. 4. Haftung von Landesbehörden Auf der Landesebene sind die jeweiligen Polizei- und Ordnungsbehörden für die Gefahrenabwehr zuständig. Bei einer schuldhaften Verletzung drittgerichteter Amtspflichten durch diese Behörden würde daher das jeweilige Land nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder den spezialgesetzlichen Regelungen in den Landespolizei- bzw. in den Ordnungsgesetzen haften. *** 10 Vgl. zu den Anforderungen an das Bestehen einer Gefahr: Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes 2014, § 14 BPolG Rn. 19 ff.