Deutscher Bundestag Entwurf eines Gesetzes zum Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (BT-Drs. 17/12354) Zustimmung des Bundesrates Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 066/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 066/13 Seite 2 Entwurf eines Gesetzes zum Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (BT-Drs. 17/12354) Zustimmung des Bundesrates Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 066/13 Abschluss der Arbeit: 11. April 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 066/13 Seite 3 1. Einleitung Das Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union (EU) und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (nachfolgend: Handelsübereinkommen ) soll dem Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Kolumbien und Peru dienen sowie einen umfassenden Beitrag zum Abbau von Marktzugangshindernissen leisten.1 Die Bundesrepublik Deutschland hat das Handelsübereinkommen am 31. Mai 2012 unterzeichnet. Es bedarf nunmehr zu dessen nationaler Umsetzung in Deutschland eines Zustimmungsgesetzes zu einem völkerrechtlichen Vertrag gemäß Art. 59 Absatz 2 S.1 Grundgesetz (GG), soweit das Handelsabkommen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der EU fällt und sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.2 Hierzu hat die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, welcher eine Zustimmung des Bundesrates zu dem Vertragsgesetz vorsieht. Laut Begründung zu Art. 1 des Gesetzes ergibt sich dieses Erfordernis aus dem Zustimmungstatbestand des Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG. Gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG regeln die Länder die Einrichtung des Behörden und das Verwaltungsverfahren , wenn die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. Nach S. 2 der Vorschrift besitzen sie ein Abweichungsrecht, wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen , d.h. Vorgaben zu Behördenorganisation und/oder Verwaltungsverfahren enthalten. In Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG ist der Fall der verbindlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens ohne Abweichungsmöglichkeit durch Bundesgesetz geregelt. Die Vorschriften lauten: „In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“ Nachfolgend ist zu klären, 1. ob die Regelung des Zugriffrechts der Länder auf organisations- und verwaltungsrechtliche Regelungen des Bundes (Art. 84 Abs. 1, S. 2 2. Hs. GG) die Handlungsfähigkeit der Länderexekutive einschränkt, 2. welche Bedeutung die Regelung der „Sperrklausel“ des Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG grundsätzlich besitzt, und 3. ob die Handlungsfähigkeit der Länder durch den im Falle des Vertragsgesetzes zum o.g. Handelsübereinkommen von der Bundesregierung angenommenen Fall des Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG in unzulässiger Weise beschränkt wird, weil das Vertragsgesetz nicht als Zustimmungsgesetz, sondern nur als Einspruchsgesetz im Sinne von Art. 77 Abs. 3 und 4 GG zu qualifizieren ist. 1 Entwurf eines Gesetzes zum Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits, Bundestagsdrucksache (BT-Drs). 17/12354, Begründung zum Vertragsgesetz, S. 8. 2 BT-Drs. 17/12354, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 066/13 Seite 4 2. Zu 1.: Regelung des Zugriffrechts der Länder auf organisations- und verwaltungsrechtliche Regelungen des Bundes (Art. 84 Abs. 1, S. 2, 2. Hs. GG) Grundregel ist Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG: Als eine Ausprägung des im Grundgesetz verankerten föderalen Modells liegt die Organisationsgewalt in Bezug auf die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit bei den Ländern.3 Der Bund hat hier nur beschränkte Einwirkungsmöglichkeiten (Ingerenzrechte).4 Vor der Föderalismusreform I von 2006 bedurften nach Art. 84 Abs. 1 a. F. Bundesgesetze, die die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungsverfahren regelten, ausnahmslos der Zustimmung des Bundesrates. Dies hat zu einer hohen Zahl zustimmungsbedürftiger Gesetze geführt , deren Reduzierung durch die Reform angestrebt werden sollte. Mit der Neuregelung des Art. 84 Abs. 1 GG von 2006 wurde das alte ausschließliche Zustimmungsmodell durch zwei Varianten der Ländermitwirkung ersetzt, erstens das Abweichungsrecht der Länder bei bundesgesetzlicher Regelung der Einrichtung der Behörden oder des Verwaltungsverfahrens (Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG), und zweitens die Zustimmung des Bundesrates bei in Ausnahmefällen abweichungsfester Regelung des Verwaltungsverfahrens durch Bundesgesetz wegen eines besonderen Bedürfnisses (Art. 84 Abs. 5 und 6 GG).5 Es ist zwar zutreffend, dass der Fall, dass Bundesgesetze, die Regelungen der Einrichtung der Behörden oder des Verwaltungsverfahrens treffen, grundsätzlich eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Länderexekutive bedeuten. Mit dem Abweichungsrecht des Art. 84 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG können die Länder die Einschränkung aber wieder aufheben. Allerdings geschieht dies seit der Föderalismusreform I in diesem Fall nicht mehr durch institutionelle Zustimmungsrechte der Länder über den Bundesrat, sondern durch legislative Kompetenzen der Landesparlamente , die die Abweichungsgesetzgebung verabschieden.6 Die Landesparlamente gehen also gestärkt aus der Reform von 2006 hervor. 3. Zu 2.: Bedeutung der „Sperrklausel“ nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG Die grundsätzlich bestehende Organisationsgewalt der Länder im Bereich ihrer eigenen Verwaltung bei der Ausführung von Bundesgesetzen darf unter den in Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG genannten Voraussetzungen bundesgesetzlich beschränkt werden. Das Abweichungsrecht kann aber nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden. Zudem ist ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung Voraussetzung. Die Möglichkeit, das Abweichungsrecht auszuschließen , hat damit vor allem in den Konstellationen Bedeutung, in denen das materielle Normprogramm eines Bundesgesetzes so eng mit den Verfahrensregelungen verbunden ist, dass es oh- 3 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl., 2010, Art. 84 Rn. 2. 4 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 84 Rn. 2 und 7. 5 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 84 Rn. 4. 6 Vgl. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 84 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 066/13 Seite 5 ne die gleichzeitige bundesgesetzliche Regelung nicht ausreichend verwirklicht werden könnte.7 Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen wird z. B. regelmäßig im Umweltverfahrensrecht angenommen.8 Das Zustimmungserfordernis dient dazu, die Grundentscheidung der Verfassung über die Verwaltungszuständigkeit der Länder zugunsten des föderativen Staatsaufbaus abzusichern.9 Der Bundesrat hat im Rahmen seiner Zustimmungspflicht nach Art. 84 Abs. 1 S. 6 GG die Aufgabe, die Einhaltung der genannten Anforderungen zu überprüfen.10 4. Zu Frage 3: Zustimmungspflichtigkeit des Vertragsgesetzes zum Handelseinkommen Bei dem Handelsübereinkommen handelt es sich um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, bei dem neben der EU auch ihre Mitgliedstaaten Vertragspartei von Kolumbien und Peru sind. Es besteht ein völkerrechtlicher Vertrag, der sich auf die Bundesgesetzgebung bezieht und daher der Beteiligung der für die Gesetzgebung zuständigen Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bedarf. Denn eine entsprechende innerstaatliche Maßnahme (hier: z. B. Regelungen zum Warenverkehr , Zoll, öffentlichen Beschaffungswesen, geistigen Eigentum) könnte nur durch förmliches Gesetz geregelt werden.11 Da eine bundesgesetzliche Regelung somit erforderlich ist, bedarf es eines sog. völkerrechtlichen Zustimmungsgesetzes zum Abkommen. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob dieses Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrates (Art. 77 Abs. 2a GG) bedarf oder ein Einspruchsgesetz (Art. 77 Abs. 3 u. 4 GG) ausreichend ist. Dies entscheidet sich danach, ob im Vertrag (mindestens) eine Bestimmung enthalten ist, die die Zustimmungsbedürftigkeit auslöst, d.h. wenn bei entsprechender innerstaatlicher Regelung die Zustimmung des Bundesrates erforderlich wäre.12 Der völkerrechtliche Vertrag enthält unter Titel X in Art. 291 Vorgaben zum Verwaltungsverfahren sowie in Art. 292 die Vorgabe zur Überprüfung abschließender Verwaltungsmaßnahmen , die handelsbezogene Angelegenheiten im Rahmen des Übereinkommens betreffen. Damit dürften durch das Völkerrecht bindend und ohne nationalen Umsetzungsspielraum Verfahrensregelungen vorgegeben sein. Eine Abweichungsmöglichkeit der Länder wird in einem solchen Fall für ausgeschlossen gehalten. Innerstaatlich wäre der Zustimmungstatbestand des Art. 84 Abs. 1 S. 5und 6 GG einschlägig. Doch des ausdrücklichen Ausschlusses des Abweichungsrechts bedarf es nicht. 13 Es ist vielmehr in der Gesetzge- 7 Henneke, in: Schmidt/Bleibtreu, GG, Kommentar, 12. Aufl., 2011, Art. 84 Rn. 9. 8 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c), BT-Drs. 16/813, S. 15; Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, GG, Kommentar, 2009, Art. 84 Rn. 41. 9 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 105, 331,331; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 12. Aufl., Art. 84 Rn. 12. 10 Henneke, in: Schmidt/Bleibtreu, Art. 84 Rn. 9. 11 Siehe zu dieser Voraussetzung: Jarass, in: Jarass/Pieroth, 2012, Art. 59 Rn. 13a. 12 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 59 Rn. 31. 13 Dittmann, in: Sachs, Art. 84 Rn. 26a; Kahl, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen nach Art. 84 I GG unter besonderer Berücksichtigung des Umweltverfahrensrechts, NVwZ 2008, S. 710 ff,, S. 715; Pieroth, in: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 066/13 Seite 6 bungspraxis üblich, dass der Bundesgesetzgeber in diesem Fall die in Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben ergehenden Verfahrensbestimmungen ohne Zustimmung des Bundesrates bundgesetzlich regelt.14 Nur das Bundesgesetz, also hier das Gesetz zu dem Handelsübereinkommen mit Kolumbien und Peru, bedarf der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. Der Hinweis auf Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG hat lediglich in der Begründung zum völkerrechtlichen Vertragsgesetz zu erfolgen. Dies ist – wie bereits erwähnt – im Falle des hier zu prüfenden Handelsübereinkommens in der Begründung zu Art. 1 des Vertragsgesetzes auch erfolgt. Im Ergebnis ist nach alledem festzuhalten, dass das Vertragsgesetz zum Handelsübereinkommen ein Gesetz ist, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Jarass/Pieroth, Art. 84 Rn. 12; a. A. wohl Broß/Mayer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 84 Rn. 21 Fn. 104, die jedenfalls einen automatischen Ausschluss des Abweichungsrecht durch gemeinschafts- und völkerrechtliche Vorgaben verneinten. 14 Siehe hierzu insbesondere: Unterrichtung der Bundesregierung, Bericht über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Vorbereitung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und das Gesetzgebungsverfahren, Bundesratsdrucksache (BR-Drs.) 651/06, S. 11.