AUSARBEITUNG Thema: Auslandseinsätze der Bundespolizei: Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage und Ausweitung der Parlamentsbefugnisse Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 28. März 2006 Reg.-Nr.: WF III - 065/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 3 2. Internationale Aufgaben der Bundespolizei 3 3. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage 4 3.1. Auslandsverwendungen vor Einführung des § 8 BPolG 4 3.2. Gesetzesbegründung 5 3.3. Ansichten in der Literatur 6 4. Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte 6 5. Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei 6 6. Möglichkeiten zur Ausweitung der Parlamentsbefugnisse bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei 7 6.1. Beteiligung des Parlaments gem. Art. 24 Abs. 1 GG 7 6.2. Beteiligung des Parlaments gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG 8 6.3. „Konstitutiver Parlamentsvorbehalt“ nach Vorbild des Blauhelmurteils 9 6.4. Ergebnis 10 - 3 - 1. Zusammenfassung Mit dem Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz wurde zum 1. November 1994 erstmals die internationale Verwendung der Bundespolizei (vormals Bundesgrenzschutz) gesetzlich geregelt. Verwendungen der Bundespolizei im Ausland hat es schon vor Einführung des § 8 BPolG gegeben. Der Gesetzgeber ging in der Gesetzesbegründung davon aus, dass es einer nationalen Rechtsgrundlage für Auslandsverwendungen der Bundespolizei nicht bedürfe. Die Norm sollte lediglich klarstellende Bedeutung haben . Verwendungen seien völkerrechtlich zu legitimieren. Über die Auslandsverwendung der Bundespolizei entscheidet die Bundesregierung. Der Bundestag hat ein Recht auf Unterrichtung und das so genannte Rückholrecht (§ 8 Abs. 1 BPolG). Einer Ausweitung der Befugnisse des Bundestags steht entgegen , dass die Bundespolizei als Polizei traditionell ausschließlich der Exekutive untersteht . Auch das außenpolitische Handeln stellt einen Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortung dar, in den die Legislative grundsätzlich nicht einzugreifen hat, wenn sich eine solche Befugnis nicht aus dem Grundgesetz ergibt. Aus den Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2 GG lässt sich eine Befugnis nach überwiegender Auffassung nicht herleiten. Auch eine Übertragung des für Auslandseinsätze der Bundeswehr geltenden konstitutiven Parlamentsvorbehalts wird abgelehnt. Ein Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundespolizei wird überwiegend für verfassungsrechtlich nicht geboten gehalten und unterliegt im Hinblick auf die Gewaltenteilung auch verfassungsrechtlichen Bedenken. 2. Internationale Aufgaben der Bundespolizei Mit dem Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz wurde zum 1. November 1994 erstmals die internationale Verwendung der Bundespolizei1 gesetzlich geregelt. § 8 Bundespolizeigesetz (BPolG) lautet wie folgt: § 8 Verwendungen im Ausland. (1) Die Bundespolizei kann zur Mitwirkung an polizeilichen oder anderen nichtmilitärischen Aufgaben im Rahmen von internationalen Maßnahmen auf Ersuchen und unter Verantwortung 1. der Vereinten Nationen 2. einer regionalen Abmachung oder Einrichtung gemäß Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen, der die Bundesrepublik Deutschland angehört, 3. der Europäischen Union oder 4. der Westeuropäischen Union 1 Ehemaliger Bundesgrenzschutz, Umbenennung erfolgte zum 1. Juli 2005. - 4 - im Ausland verwendet werden. Die Verwendung der Bundespolizei darf nicht gegen den Willen des Staates erfolgen, auf dessen Hoheitsgebiet die Maßnahme stattfinden soll. Die Entscheidung über die Verwendung nach Satz 1 trifft die Bundesregierung. Der Deutsche Bundestag ist über die beabsichtigte Verwendung zu unterrichten . Er kann durch Beschluss verlangen, dass die Verwendung beendet wird. (2) Die Bundespolizei kann ferner im Einzelfall zur Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben im Ausland verwendet werden. Die Verwendung ist nur für humanitäre Zwecke oder zur Wahrnehmung dringender Interessen der Bundesrepublik Deutschland und im Einvernehmen mit dem Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Maßnahme stattfinden soll, zulässig. Die Entscheidung trifft der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. (3) Die Wahrnehmung der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Aufgaben durch die Bundespolizei richtet sich nach den dafür geltenden völkerrechtlichen Vereinbarungen oder den auf Grund solcher Vereinbarungen getroffenen Regelungen. Die Norm sieht vor, dass die Bundespolizei im Ausland polizeiliche und nichtmilitärische Aufgaben im Rahmen von Maßnahmen der genannten internationalen Organisationen übernehmen kann. Im Einzelfall ist für humanitäre Zwecke oder zur Wahrnehmung dringender Interessen der Bundesrepublik eine Verwendung zur Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben zulässig. Voraussetzung ist in beiden Fällen das Einverständnis des Staates, in dem die Verwendung stattfinden soll. 3. Erforderlichkeit einer Rechtsgrundlage 3.1. Auslandsverwendungen vor Einführung des § 8 BPolG Verwendungen der Bundespolizei im Ausland hat es schon vor Einführung des § 8 BPolG gegeben. Beispielhaft sind zu nennen: - 17. Oktober 1977: Einsatz der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) auf dem Flughafen Mogadischu, Somalia, zur Befreiung von 86 Geiseln aus der Lufthansamaschine Landshut aus der Hand von Terroristen. - August 1989: Bundesgrenzschutz-Beamte werden das erste Mal für UNO- Polizeieinsätze in Namibia eingesetzt. - 1992: Teilnahme an der UN-Friedensmission UNTAC in Kambodscha. - 5 - Angesichts dieser Auslandsentsendungen, die ohne besondere gesetzliche Grundlage durchgeführt wurden, stellt sich die Frage, ob die Auslandsverwendung der Bundespolizei einem Gesetzesvorbehalt unterliegt und die Einführung einer Rechtsgrundlage ins nationale Recht notwendig war. 3.2. Gesetzesbegründung Im Gesetzesentwurf zu Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz heißt es: „Die in §§ 8, 9 und 10 getroffenen Regelungen über die Verwendung des Bundesgrenzschutzes im Ausland und zur Unterstützung anderer Bundesbehörden dienen der Klarstellung. Einer konstitutiven Rechtsgrundlage bedarf es insoweit nicht. Diese Verwendungen unterliegen keinem besonderen Gesetzesvorbehalt, da dabei weder Eingriffsbefugnisse deutscher Hoheitsträger gegenüber dem Bürger, noch Zuständigkeitsabgrenzungen im Verhältnis von Bund und Ländern in Rede stehen. Im Falle der Auslandsverwendung nach § 8 findet die Tätigkeit der Bundesgrenzschutz- Beamten, die dienstrechtlich als Zuweisung gem. § 123 a Beamtenrechtsrahmengesetz ausgestaltet ist, ihre Legitimation im Völkerrecht. […] Gleichwohl haben die genannten Verwendungen in der Vergangenheit gelegentlich Anlass zu Zweifeln an ihrer Zulässigkeit gegeben, da sie im bisherigen Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG) oder in anderen Bundesgesetzen nicht erwähnt sind. Dies betraf vor allem die Entsendung von Bundesgrenzschutz-Beamten zu Friedensmissionen der Vereinten Nationen . Anlässlich der Teilnahme des Bundesgrenzschutz an den polizeilichen Komponenten der VN-Friedensmission in Namibia und Kambodscha ist deshalb vom Innenausschuss des Deutschen Bundestages eine alsbaldige klarstellende Regelung im BGSG gefordert worden.“2 Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass es einer nationalen Rechtsgrundlage für Auslandsverwendungen der Bundespolizei nicht bedürfe. Zur Begründung wird angeführt , dass bei den geregelten Auslandsverwendungen 1. weder Eingriffsbefugnisse deutscher Hoheitsträger gegenüber dem Bürger noch 2. Zuständigkeitsabgrenzungen im Verhältnis Bund – Länder in Rede stünden. Die Verwendungen seien völkerrechtlich zu legitimieren. § 8 BPolG werde lediglich zur Klarstellung und zur Beseitigung bestehender Unsicherheiten über die Zulässigkeit von Auslandsverwendungen eingeführt. 2 Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz, BT-Drucksache 12/7562, S. 29. - 6 - 3.3. Ansichten in der Literatur Diese Ansicht wird von einem großen Teil der Literatur befürwortet. Es wird argumentiert , dass die Auslandsverwendungen der Bundespolizei als Einsätze zu bewerten seien, die „außerhalb des staatsinternen Bereichs“ stattfänden, „in dem nationales Recht nicht zu gelten“ habe. Sie seien nach Inhalt, Umfang und Befugnissen nicht mit innerstaatlichen Kompetenzen und Hoheitsbefugnissen identisch. Auch handele es sich nicht um polizeiliche Präventiv- und Repressivaufgaben, die sich nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes richten müssten.3 Die Auslandsverwendung unterliege damit keinem Gesetzesvorbehalt.4 Sie richte sich in erster Linie nach einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen und nicht nach nationalen Rechtsvorschriften.5 Andere Autoren sind der Auffassung, dass die Bundespolizei bei jedem denkbaren Tätigwerden an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist. Obwohl sie als unterstützendes Organ anderen Rechtsträgern funktionell eingegliedert werde, gelte dies auch für Auslandsverwendungen, die daher einer Rechtsgrundlage im deutschen Recht bedürften.6 4. Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Auslandseinsatz der Bundeswehr den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland einem konstitutiven Parlamentsvorbehalt unterworfen. Eine Gesamtschau der wehrverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes ergebe, dass die Bundeswehr „nicht als Machtpotential allein der Exekutive überlassen, sondern als ‚Parlamentsheer’ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung“ eingefügt sei. Der Bundestag müsse daher jedem Einsatz zustimmen.7 Die Entscheidung wurde im Parlamentsbeteiligungsgesetz umgesetzt . Dort regelt § 1 Abs. 2 das Zustimmungserfordernis des Bundestags. Zu Auslandseinsätzen der Bundespolizei hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang keine Stellung genommen. 5. Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei Einem solchen Parlamentsvorbehalt unterliegen Auslandsverwendungen der Bundespolizei nicht. Die Entscheidung über die Verwendung wird in § 8 Abs. 1 S. 3 BPolG der 3 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, Kommentar zum BPolG, 3. Auflage 2006, § 8 Rn. 5. 4 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, Kommentar zum BPolG, § 8 Rn. 5, 7. 5 Heesen/Hönle/Peilert, Kommentar zum BGSG, 3. Auflage 2000, § 8 Rn. 11; Seifert/Hömig, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2003, Art. 87 Rn. 5; Schreiber, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 521, 525. 6 Fischer-Lescano, Archiv des öffentlichen Rechts 128, 52, 55. 7 BVerfGE 90, 286. - 7 - Bundesregierung überlassen. § 8 Abs. 1 S. 4 und 5 BPolG sehen in Bezug auf den Bundestag aber ein Recht auf Unterrichtung und das so genannte Rückholrecht vor. Bei Verwendungen nach § 8 Abs. 2 BPolG trifft die Entscheidung der Bundesinnenminister im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. 6. Möglichkeiten zur Ausweitung der Parlamentsbefugnisse bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei Möglicherweise können auch Auslandseinsätze der Bundespolizei durch Gesetz von der vorherigen Zustimmung des Bundestags abhängig gemacht werden. Problematisch ist jedoch die Frage, ob eine über das bereits umstrittene Rückholrecht8 hinausgehende Beteiligung des Bundestags verfassungskonform wäre. Einer Verfassungsmäßigkeit steht entgegen, dass die Bundespolizei als Polizei traditionell ausschließlich der Exekutive untersteht.9 Auch das außenpolitische Handeln stellt einen Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortung dar, in den die Legislative grundsätzlich nicht einzugreifen hat, wenn sich eine solche Befugnis nicht aus dem Grundgesetz ergibt.10 Zu untersuchen ist daher, ob die Verfassung eine Parlamentsbeteiligung bei Auslandsverwendungen der Bundespolizei vorsieht. In Rede stehen vor allem die Art. 24 Abs. 1 und 59 Abs. 2 GG. Möglich erscheint auch eine Ableitung aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Auslandseinsatz der Streitkräfte. 6.1. Beteiligung des Parlaments gem. Art. 24 Abs. 1 GG Art. 24 Abs. 1 GG bestimmt, dass die Übertragung von Hoheitsrechten vom Bund auf zwischenstaatliche Einrichtung nur durch Gesetz erfolgen kann. Es kann sich daher für Auslandseinsätze der Bundespolizei ein Parlamentsvorbehalt ergeben, wenn die Eingliederung in multinationale Kontingente, wie sie in § 8 Abs. 1 BPolG vorgesehen ist, mit einer Übertragung von Hoheitsrechten einhergeht.11 Als Hoheitsrecht kommt das Weisungsrecht über die Beamten der Bundespolizei in Betracht.12 Dieses würde i. S. d. Art. 24 Abs. 1 GG übertragen, wenn deutsche Organe auf die ausschließliche Ausübung verzichten, um die Ausübung fremder Hoheitsgewalt 8 Kritisch bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Rückholrechts Wiefelspütz, Die Polizei 2005, 189, 195. 9 Schreiber, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 521, 524. 10 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, Kommentar zum BPolG, § 8 Rn. 6. 11 Diese Meinung vertritt in Bezug auf die Streitkräfte z.B. Hörchens, Angela, Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, 1. Auflage 1994. 12 Ein Hoheitsrecht ist die Befugnis, Rechtsverhältnisse einseitig-hoheitlich im innerstaatlichen Bereich zu regeln (Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 24). Das Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Beamten der Bundespolizei entspringt dem Sonderrechtsverhältnis, in dem die Beamten zum Staat stehen und ihrer gesteigerten Treuepflicht. Es handelt sich daher um staatliche Hoheitsmacht im Bereich der Exekutive (Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 79). - 8 - im innerstaatlichen Bereich zu ermöglichen.13 Für eine Übertragung von Hoheitsgewalt bei der Entsendung der Bundespolizei spricht, dass die Kontingente in einen fremden Organisationsapparat eingegliedert werden, auf den die Befehlsgewalt übergeht. Dagegen spricht, dass die Eingliederung nur auf Zeit stattfindet und widerruflich ist. Zudem wird die Ausübung fremder Hoheitsgewalt nicht im innerstaatlichen Bereich ermöglicht , sondern im Ausland. Im „Nachrüstungsurteil“14 (1984) hat das Bundesverfassungsgericht auch eine widerrufliche Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung als Übertragung von Hoheitsgewalt i. S. d. Art. 24 Abs. 1 GG gewertet. Zudem erfordere die Norm nicht, dass einer zwischenstaatlichen Einrichtung die Befugnis zu einem unmittelbaren Durchgriff auf Einzelne eingeräumt wird. Im späteren „Blauhelmurteil “15 (1994) hat das Gericht jedoch festgestellt: „Zur Friedenswahrung darf die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 24 Abs. 2 GG in eine Beschränkung ihrer Hoheitsrechte einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer internationalen Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte zu übertragen. Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen für eine Einräumung von Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen gem. Art. 24 Abs. 1 GG stellt sich nicht, da die Teilnahme deutscher Streitkräfte an friedenssichernden Operationen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit deren Einordnung in ein solches Organisationssystem zur Folge hat, nicht aber dem System die Kompetenz zuweist, Hoheitsbefugnisse mit unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Bereich auszuüben.“ Die neue Rechtsprechung unterscheidet damit zwischen unwiderruflicher Übertragung (Art. 24 Abs. 1 GG) und widerruflicher Beschränkung von Hoheitsrechten (Art. 24 Abs. 2 GG). Ist die Einräumung von Weisungsbefugnissen zugunsten einer internationalen Organisation rechtlich und faktisch widerruflich, liegt darin keine Übertragung, sondern lediglich eine Beschränkung von Hoheitsrechten, so dass Art. 24 Abs. 1 GG nicht einschlägig ist.16 6.2. Beteiligung des Parlaments gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG Möglich ist, dass die Entsendeentscheidung einen Vertrag darstellt, der die politischen Beziehungen des Bundes regelt, und daher ein Vertragsgesetz 13 BVerfGE 59, 63, 90. 14 BVerfGE 68, 1. 15 BVerfGE 90, 286, 246. 16 Selbst wenn mit einer Mindermeinung davon ausgegangen werden soll, dass eine Entsendung dem Art. 24 Abs. 1 GG unterliegt, müsste untersucht werden, ob § 8 BPolG eine antizipierte Zustimmung des Bundestags darstellt und damit kein weiteres Gesetz erforderlich wäre. - 9 - gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG erfordert.17 In diesem Fall müsste jedoch weiter untersucht werden, ob der Bundestag durch die gesetzliche Regelung in § 8 BPolG seine Zustimmung zu jeder einzelnen Entsendeentscheidung möglicherweise bereits vorweggenommen hat. Die Bereitstellung der Kontingente könnte dann durch Verwaltungsabkommen erfolgen und eine weitere Beteiligung des Parlaments wäre nicht erforderlich. Eine vorweggenommene Zustimmung ist möglich durch ein Gesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der künftigen Entscheidung i. S. v. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hinreichend bestimmt.18 Aufgrund der genauen Bestimmungen in § 8 BPolG wird die Norm als zulässige vorweggenommene Zustimmung zur Entsendeentscheidung der Bundesregierung betrachtet, so dass kein unzulässiger Verzicht auf Mitwirkungsbefugnisse des Parlaments vorliegt.19 6.3. „Konstitutiver Parlamentsvorbehalt“ nach Vorbild des Blauhelmurteils In der so genannten Blauhelm-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz die Verpflichtung der Bundesregierung hergeleitet, für einen Auslandseinsatz der Streitkräfte die Zustimmung des Bundestags einzuholen („konstitutiver Parlamentsvorbehalt “). Es leitet dies aus einer Gesamtschau der wehrverfassungsrechtlichen Normen ab, aus denen sich der Wille des Verfassungsgebers zu einem „Parlamentsheer “ ergebe.20 Nach ganz herrschender Meinung in der Literatur handelt es sich bei der Bundespolizei nicht um eine Streitkraft i. S. d. Grundgesetzes.21 Möglich wäre jedoch zum einen, dass sich aus den Vorschriften des Grundgesetzes zur Bundespolizei ähnlich wie aus der Wehrverfassung ein Parlamentsvorbehalt ergibt; zum anderen kann an eine analoge Anwendung des Rechtsinstituts gedacht werden. In Bezug auf die Bundespolizei/den früheren Bundesgrenzschutz lässt sich im Unterschied zu den Streitkräften keine historische Tradition einer Parlamentsbeteiligung feststellen.22 Aus den für die Bundespolizei einschlägigen grundgesetzlichen Normen (Art. 12 a, 87 Abs. 1 S. 2, 35, 91 und 115 f GG) leitet die überwiegende Auffassung in der Literatur keinen verfassungsgeberischen Willen zum Parlamentsvorbehalt her.23 Auch eine Herleitung aus Art. 115 f i. V. m. 115 a Abs. 1 S. 1 GG, der den Einsatz der Bundespolizei während des Verteidigungsfalls regelt und eine Parlamentsbeteiligung vorsieht, wird abgelehnt. Der Verteidigungsfall habe aufgrund seiner weit reichenden 17 Dagegen Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, Kommentar zum BPolG, § 8 Rn. 6. 18 Von Münch/Kunig, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage 2001, Art. 59 Rn. 42 a. 19 Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 82 f. 20 BVerfGE 90, 286, 381 f. 21 Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Auflage 2006, Art. 87 a Rn. 4. 22 Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 86; Schultz, Marcus, Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, 1. Auflage 1998, S. 450 f. 23 Vgl. Schultz, Auslandsentsendung, S. 462; Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 86. - 10 - innerstaatlichen Folgen einer speziellen Regelung bedurft, die nicht verallgemeinerungsfähig sei.24 Eine analoge Anwendung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts setzt zunächst voraus, dass es sich bei diesen um eine Rechtsnorm handelt. Außerdem müssen die Auslandseinsätze der Bundespolizei einen vergleichbaren Sachverhalt darstellen, für den eine planwidrige Regelungslücke besteht. Die Rechtsnormqualität des Parlamentsvorbehalts wird zum Teil mit dem Hinweis verneint, dass es sich um höchstrichterliche Rechtsfortbildung handele.25 Nach überwiegender Auffassung in der Literatur fehlt es jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke. Auch ein vergleichbarer Sachverhalt liege aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben und Befugnisse beider Institutionen nicht vor. 26 Eine analoge Anwendung des vom Bundesverfassungsgericht für Auslandseinsätze der Streitkräfte hergeleiteten Parlamentsvorbehalts wird von der herrschenden Meinung abgelehnt.27 6.4. Ergebnis Ein Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundespolizei wird überwiegend für verfassungsrechtlich nicht geboten gehalten. Im Hinblick auf die Gewaltenteilung würde eine Einführung verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen. Der Eingriff in die Befugnisse der Exekutive ist vom Grundgesetz nicht vorgesehen. 24 Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 86. 25 Vgl. Schultz, Auslandsentsendung, S. 448. 26 Fischer-Lescano, AöR 128, 52, 88; Schultz, Auslandsentsendung, S. 448 ff.; Blumenwitz, in: Bayrisches Verwaltungsblatt 1994, 678, 679; Gröpl, Deutsches Verwaltungsblatt 1995, 333. 27 Vgl. Blumenwitz, BayVBl. 1994, 678, 679; Schreiber, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 521, 524.