© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 063/18 Zur Beobachtung der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder durch den Verfassungsschutz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 2 Zur Beobachtung der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder durch den Verfassungsschutz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 063/18 Abschluss der Arbeit: 23. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung und Einleitung 4 2. Allgemeine Beobachtungsvoraussetzungen 4 2.1. Verfassungsschutzrelevante Bestrebungen 5 2.2. Tatsächliche Anhaltspunkte 6 2.3. Zwischenergebnis 7 3. Rechtsprechung zur Beobachtung von Abgeordneten durch Verfassungsschutzbehörden 7 4. Berücksichtigung der Einschätzung anderer Kontrollinstanzen 8 5. Besondere Problemkreise einer Beobachtung von Regierungsmitgliedern 9 5.1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz als Informationsdienstleister der Bundesregierung 9 5.2. Verwaltungsorganisationsrechtliche Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 4 1. Fragestellung und Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung thematisiert die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder durch den Verfassungsschutz aufgrund von Verstößen der Bundesregierung gegen Verfassungsrecht oder einfaches Recht. Der Fokus soll dabei auf der Bundesebene, das heißt auf einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz liegen. Die Frage des rechtlichen Rahmens für eine Beobachtung von Regierungsmitgliedern durch den Verfassungsschutz wird soweit ersichtlich weder in der Rechtsprechung noch in der rechtswissenschaftlichen Literatur thematisiert. Die vorliegende Arbeit kann vor diesem Hintergrund nicht als abschließende Darstellung der Voraussetzungen für eine Beobachtung von Mitgliedern der Bundesregierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz verstanden werden. Im Folgenden sollen jedoch die allgemeinen Voraussetzungen für Beobachtungsmaßnahmen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie die von der Rechtsprechung statuierten Voraussetzungen für die Beobachtung von Abgeordneten dargestellt und die besonderen Problemkreise einer Beobachtung von Regierungsmitgliedern herausgearbeitet werden. Die Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Beobachtung von Abgeordneten erscheint im vorliegenden Fall geboten, da in der Vergangenheit stets der überwiegende Teil von Mitgliedern der Bundesregierung zugleich auch Mitglied des Bundestages war1 und im Rahmen der Beobachtung eine klare Trennung zwischen exekutiver und parlamentarischer Tätigkeit nur schwer vorstellbar ist. 2. Allgemeine Beobachtungsvoraussetzungen Besondere Vorschriften für die Zulässigkeit von Beobachtungsmaßnahmen gegenüber der Bundesregierung enthält das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) nicht. Als Rechtsgrundlagen für entsprechende Beobachtungsmaßnahmen kommen daher allein die allgemeinen Befugnisnormen des Bundesverfassungsschutzgesetzes in Betracht.2 Die konkret einschlägigen Rechtsgrundlagen richten sich nach den beabsichtigten Beobachtungsmaßnahmen . Soll die Beobachtung allein durch Sammlung und Auswertung allgemein zugänglicher Quellen erfolgen, ist für das Bundesamt für Verfassungsschutz § 8 Abs. 1 BVerfSchG maßgeblich. Nach § 8 Abs. 1 BVerfSchG darf das Bundesamt die „zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht besondere Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen“. Andere Befugnisnormen regeln die heimliche Informationsbeschaffung (§ 8 Abs. 2 BVerfSchG) oder den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern (§ 9a BVerfSchG) und Vertrauensleuten (§ 9b BVerfSchG). Vorliegend steht nicht die Anwendung konkreter Beobachtungsmittel in Frage, sondern die grundsätzliche Zulässigkeit von Beobachtungsmaßnahmen. Insoweit reicht es aus, auf diejenigen Voraussetzungen einzugehen, die für die Anwendbarkeit der verschiedenen Befugnisnormen 1 Siehe hierzu die tabellarische Übersicht im Datenhandbuch des Bundestages, Kapitel 6.8, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/196258/371013990bae70f16f569fe5faf7200f/kapitel_06_08_regierungsmitglieder _ohne_bundestagsmandat-data.pdf (alle Online-Quellen dieser Arbeit zuletzt abgerufen am 19. März 2018). 2 Die folgenden Ausführungen stammen aus der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste „Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz“, WD 3 - 3000 - 072/16, S. 6 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 5 stets vorliegen müssen. Neben dem Gebot der Verhältnismäßigkeit sind dabei insbesondere die allgemeinen Beobachtungsvoraussetzungen aus den § 3 und § 4 BVerfSchG zu nennen, die sich aus den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden und den dazugehörigen Legaldefinitionen ergeben. 2.1. Verfassungsschutzrelevante Bestrebungen Eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz setzt das Vorliegen verfassungsschutzrelevanter Bestrebungen oder Tätigkeiten voraus, zu deren Beobachtung die Verfassungsschutzbehörden berufen sind. Für die vorliegende Fragestellung der Beobachtung infolge von Verstößen gegen das Grundgesetz oder die einfache Rechtsordnung dürfte dabei insbesondere die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG der Sammlung und Auswertung von Informationen über „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“ von Bedeutung sein. Die einzelnen verfassungsschutzrelevanten Bestrebungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG werden durch die Legaldefinitionen des § 4 Abs. 1 BVerfSchG konkretisiert. Hier ist näher auf den Begriff der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG einzugehen. Hierunter versteht der Gesetzgeber „solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.“ In § 4 Abs. 2 BVerfSchG finden sich dabei die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wobei der Gesetzgeber sich an dieser Stelle an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert hat.3 Hierzu zählen: – Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, – die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, – das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, – die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 3 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 60, sowie BVerfGE 2, 1 (13). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 6 – die Unabhängigkeit der Gerichte, – der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und – die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Begriffsbestimmung in § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG zur Konkretisierung der Bestrebungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG knüpft zuvörderst an Personenzusammenschlüsse an, die darauf gerichtet sein müssen, die in Rede stehenden Schutzgüter zu beseitigen, zu beeinträchtigen oder außer Geltung zu setzen. Wann eine solche Zweckrichtung vorliegt, ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seiner Rechtsprechung darauf, dass § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG Verhaltensweisen erfasse, die über rein politische Meinungen hinausgingen und auf Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet seien.4 Die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse – unabhängig von den sonst verfolgten politischen Zielen – nicht nur hingenommen werden, sondern „maßgeblicher Zweck“ sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es notwendig, dass die verantwortlich Handelnden „auf den Erfolg der Rechtsgüterbeeinträchtigung hinarbeiten“.5 In der Literatur ist hingegen auch die Auffassung zu finden, nach der eine bloß objektiv beeinträchtigende Wirkung bzw. eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Nebenzweck ausreicht.6 Durch § 4 Abs. 1 S. 4 BVerfSchG wird die Beobachtung von isoliert handelnden Einzelpersonen, die weder in einem noch für einen der oben beschriebenen Personenzusammenschlüsse handeln, eingeschränkt. Verhaltensweisen solcher Einzelpersonen sind nur dann Bestrebungen im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen.7 2.2. Tatsächliche Anhaltspunkte Eine Sammlung und Auswertung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörden darf nach § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG nur erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die geschützten Rechtsgüter vorliegen. Nach der Rechtsprechung erfordern tatsächliche Anhaltspunkte in diesem Sinne auf der einen Seite mehr als bloße Vermutungen und auf der anderen Seite keine Gewissheit über das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen.8 Eine weitere Konkretisierung gestaltet sich schwierig, da die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte 4 BVerwG, NVwZ 2011, S. 161 (169). 5 BVerwG, NVwZ 2011, S. 161 (169). 6 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 11 ff. 7 Siehe zur Differenzierung zwischen Beobachtungsobjekt und Beobachtungsgegenstand Roth, in: Schenke/Graulich/ Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 94. 8 BVerwG, NVwZ 2011, S. 161 (164). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 7 maßgeblich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt und eine Gesamtbewertung dieser Umstände erfordert.9 2.3. Zwischenergebnis Ungeachtet der Frage, inwieweit eine Bundesregierung bzw. einzelne ihrer Mitglieder überhaupt Gegenstand einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sein können (hierzu unter 5.), ist hinsichtlich der allgemeinen Beobachtungsvoraussetzungen zunächst Folgendes festzuhalten: In § 4 Abs. 2 BVerfSchG wird auch die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht als einer der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angesehen. Hieraus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass ein Verstoß einer Bundesregierung gegen das Grundgesetz oder die einfache Rechtsordnung gleichsam automatisch eine verfassungsfeindliche Bestrebung im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes darstellt. Erforderlich wäre nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr, dass gezielt auf die Beseitigung oder Außer-Geltung- Setzung des Grundsatzes der Rechtsbindung der vollziehenden Gewalt hingearbeitet wird. Die Annahme einer solchen Verhaltensweise bedürfte besonderer Begründung. Der bloße Verweis auf verfassungs- oder rechtswidriges Handeln allein genügt dabei nicht. 3. Rechtsprechung zur Beobachtung von Abgeordneten durch Verfassungsschutzbehörden Wie bereits eingangs ausgeführt, sind aufgrund des Umstandes, dass Mitglieder der Bundesregierung regelmäßig zugleich Mitglied des Bundestages sind und eine Trennung zwischen diesen beiden Funktionen im Rahmen einer verfassungsschutzbehördlichen Beobachtung nur schwer möglich erscheint, bei der vorliegenden Fragestellung auch die von der Rechtsprechung für eine Abgeordnetenbeobachtung aufgestellten Voraussetzungen zu berücksichtigen. Konkret betrifft dies die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2013 zur Beobachtung des Mitglieds des Bundestages Ramelow durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.10 Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung klargestellt, dass Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auch die Freiheit der Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle gewährleiste.11 In der Beobachtung von Abgeordneten durch Verfassungsschutzbehörden liege ein Eingriff in das freie Mandat, der jedoch im Einzelfall im Interesse des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein könne. Das Gericht betont dabei, dass der Eingriff einer Rechtsgrundlage bedürfe, die den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genüge, und strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen unterliege. Die Befugnisnormen des Bundesverfassungsschutzgesetzes stellten, obwohl sie nicht ausdrücklich auf die Rechte der 9 BVerwG, NVwZ 2011, S. 161 (169). 10 BVerfG, NVwZ 2013, S. 1468 ff. 11 BVerfG, NVwZ 2013, S. 1468 (1471). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 8 Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Bezug nähmen, eine dem Vorbehalt des Gesetzes genügende Rechtsgrundlage für die Beobachtung von Mitgliedern des Bundestages dar.12 In Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt das Gericht aus, dass ein Überwiegen des Interesses am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung insbesondere dann in Betracht komme, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbrauche oder diese aktiv und aggressiv bekämpfe.13 Zudem verweist das Gericht auf die Indemnität der Abgeordneten aus Art. 46 Abs. 1 GG, die bei der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sei.14 4. Berücksichtigung der Einschätzung anderer Kontrollinstanzen Die Beobachtung einer Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder durch das Bundesamt für Verfassungsschutz kann nicht isoliert, sondern nur im Kontext der Kontrolle der Exekutive betrachtet werden. So dürfte bei der Entscheidung über eine solche Beobachtung die Einschätzung anderer Kontrollinstanzen nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Als hier relevanter weiterer Kontrollmechanismus kommt etwa die Überprüfung des Handelns der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht in Betracht. So könnten ausgehend von der Fragestellung etwaige Verfassungsverstöße, in denen Anzeichen für verfassungsfeindliche Bestrebungen gesehen werden, mittels der einschlägigen Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 GG überprüft werden. Konkreten Zweifeln an der Verfassungstreue eines Mitglieds der Bundesregierung könnte zudem im Rahmen eines Untersuchungsausschusses im Bundestag nach Art. 44 GG nachgegangen werden. In Betracht kommt schließlich auch die Durchführung eines konstruktiven Misstrauensvotums nach Art. 67 GG, um eine Bundesregierung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen aus dem Amt zu entfernen. Werden all diese Mechanismen nicht genutzt, indiziert dies, dass die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, denen im Rahmen der repräsentativen Demokratie eine besondere Stellung zukommt, an der Verfassungstreue der Bundesregierung und ihrer Mitglieder keine Zweifel hat.15 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach wohl herrschender Ansicht in der Literatur eine Person, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, durch den Bundespräsidenten gar nicht erst als Bundeskanzler oder Bundesminister ernannt werden darf.16 Diese Indizien sowie die Einschätzung der Verfassungstreue durch den Bundespräsidenten wären bei einer Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz über eine Beobachtung einer 12 BVerfG, NVwZ 2013, S. 1468 (1474 f.). 13 BVerfG, NVwZ 2013, S. 1468 (1473). 14 BVerfG, NVwZ 2013, S. 1468 (1475 f.). 15 Siehe zu diesem Gedanken auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages WD 3 - 3000 - 371/11 mit dem Titel „Beobachtung von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums nach § 10a Abs. 2 BHO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“, S. 15 f. 16 Schenke, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 166. EL (März 2014) bzw. 170. EL (Dezember 2014), Art. 63 Rn. 110 ff. und Art. 64 Rn. 75, jeweils m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 9 Bundesregierung oder ihrer Mitglieder zu berücksichtigen, sofern man überhaupt von der Zulässigkeit einer solchen Beobachtung ausgeht (hierzu sogleich unter 5.). 5. Besondere Problemkreise einer Beobachtung von Regierungsmitgliedern Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Regelungen zum Verfassungsschutz nicht die Beobachtung einer Bundesregierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vor Augen. Dies bedeutet, dass spezifische Regelungen für eine solche Beobachtung nicht bestehen und die existierenden Regelungen nicht auf eine solche Beobachtung hin angepasst sind. Hieraus folgt ein Spannungsfeld , das im Folgenden exemplarisch anhand der Funktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dessen Einbindung in die Verwaltungsorganisation erläutert werden soll. 5.1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz als Informationsdienstleister der Bundesregierung Zunächst ist zu erörtern, ob eine Beobachtung einer Bundesregierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz überhaupt mit dessen Aufgabenstellung vereinbar wäre.17 Die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden ergeben sich zuallererst aus der Aufgabenbestimmung des § 3 BVerfSchG. Zusammengefasst gehören hierzu die Beobachtung des politischen Extremismus und Terrorismus, die Spionageabwehr, die Aufklärung des sog. Ausländerextremismus, die Sicherung des Friedens unter den Völkern und Staaten, soweit dieser nicht bereits durch die vorgenannten Varianten erfasst wird, sowie die Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen.18 Die Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird durch § 2 BVerfSchG geregelt. Danach unterhält der Bund für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern ein entsprechendes Bundesamt als Bundesoberbehörde, das dem Bundesministerium des Innern untersteht. Weiter ist herauszuarbeiten, zu welchem weiterführenden Zweck die Informationssammlung und -auswertung erfolgt. Anhaltspunkte bietet insoweit die Regelung zur Zusammenarbeitspflicht aus § 1 BVerfSchG, die in Abs. 1 die Aufgabenbestimmung durch die Vorgabe ergänzt, dass der Verfassungsschutz dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder dient. Der Schutz der genannten Güter setzt jedoch eine Verwendung der von den Verfassungsschutzbehörden erarbeiteten Informationen voraus. Im Detail ist umstritten, wer zum Kreis der potentiellen Informationsempfänger der Verfassungsschutzbehörden gehört. Unumstritten ist jedoch, dass die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden stets der Unterrichtung der Regierung über den Stand verfassungs- oder sicherheitsgefährdender Bestrebungen dienen.19 Die Regierung soll so dazu befähigt werden, rechtliche wie politische Maßnahmen zur Abwehr der beobachteten Bestrebungen zu ergreifen.20 Dies ergibt sich auch aus 17 Siehe zu den Auswirkungen der Aufgabenbestimmung auf die Befugnisse des Verfassungsschutzes Poscher/ Rusteberg, KJ 2015, S. 57 (65 ff.). 18 Vgl. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 92; Poscher/Rusteberg, KJ 2015, S. 57 ff., dort zum Folgenden. 19 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. 2016, § 2 Rn. 18; Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts , 2007, S. 91. 20 Poscher/Rusteberg, KJ 2015, S. 57 (62). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 10 der Rechtsprechung. So stellt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus 2013 zur Antiterrordatei fest: „Unbeschadet näherer Differenzierungen zwischen den verschiedenen Diensten beschränkt sie [die Aufklärung] sich im Wesentlichen darauf, fundamentale Gefährdungen, die das Gemeinwesen als Ganzes destabilisieren können, zu beobachten und hierüber zu berichten, um eine politische Einschätzung der Sicherheitslage zu ermöglichen. Ziel ist nicht die operative Gefahrenabwehr, sondern die politische Information. So ist Aufgabe der Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes nicht die Bekämpfung von Straftaten als solchen, sondern übergreifend die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. In Form von Lageberichten, Analysen und Berichten über Einzelerkenntnisse soll die Bundesregierung in den Stand gesetzt werden, Gefahrenlagen rechtzeitig zu erkennen und ihnen – politisch – zu begegnen […]. Entsprechend zielt auch die Aufklärung der Verfassungsschutzbehörden nicht unmittelbar auf die Verhütung und Verhinderung von konkreten Straftaten oder die Vorbereitung entsprechender operativer Maßnahmen. Auch hier beschränkt sich die Aufgabe der Dienste auf eine Berichtspflicht gegenüber den politisch verantwortlichen Staatsorganen beziehungsweise der Öffentlichkeit […].“21 Für die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Informationsdienstleister könnte außerdem mit der Entstehungsgeschichte des Verfassungsschutzes argumentiert werden. Im sog. Polizeibrief der Westalliierten Militärgouverneure an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates vom 14. April 1949 heißt es: „2. Der Bundesregierung wird ebenfalls gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten . Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben.“22 Geht man davon aus, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz insbesondere als Informationsdienstleister für die Bundesregierung tätig wird, stellt sich jedoch die Frage, inwieweit zu dieser Aufgabe auch die Beobachtung der Bundesregierung selbst oder einzelner ihrer Mitglieder zählen kann. Insbesondere die Beobachtung der Bundesregierung in ihrer Gesamtheit oder die Beobachtung des Bundesministers des Innern, dem das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht, erscheint dabei problematisch. Unklar ist beispielsweise, wie und vor allem wem gegenüber das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner Aufgabe der Information und Unterrichtung nachkommen soll, wenn Beobachtungsobjekt und primärer Informationsadressat identisch sind. Ohne entsprechende Regelungen zur Organisation einer solchen Beobachtung erscheint diese in der Praxis kaum realisierbar. Gleichwohl kann aus diesem Umstand nicht abgeleitet werden, dass eine Bundesregierung oder ihre Mitglieder per se von einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz auszuschließen sind. Zwar dürfte es sich bei der hier diskutierten Konstellation – insbesondere vor dem Hintergrund der oben angesprochenen weiteren Kontrollmechanismen 21 BVerfG, NJW 2013, S. 1499 (1504) – Hervorhebungen nicht im Original. 22 Siehe den Abdruck des Polizeibriefs bei Möllers/van Ooyen, Innere Sicherheit – Politik – Polizei, Band 1: Entwicklungen bis 2009, 2015, S. 113 f., abrufbar unter http://www.hsbund.de/SharedDocs/Downloads/2_Zentralbereich /20_Referat_W/50_Publikationen/25_Schriften_BPOL/band_17.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 11 gegenüber der Exekutive – vornehmlich um eine eher theoretische Frage handeln. Nicht unberücksichtigt bleiben darf jedoch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Prinzip der wehrhaften Demokratie, aus der die Verpflichtung aller staatlichen Einrichtungen und Amtsträger abgeleitet wird, die Ordnung des Grundgesetzes aktiv zu wahren und zu verteidigen.23 Mit Blick hierauf könnte in ganz außergewöhnlichen Umständen die Beobachtung einer Bundesregierung und ihrer Mitglieder durch das Bundesamt für Verfassungsschutz trotz dessen Stellung als Informationsdienstleister der Bundesregierung grundsätzlich als möglich erscheinen. 5.2. Verwaltungsorganisationsrechtliche Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz Ferner stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Stellung des Bundeamtes für Verfassungsschutz als nachgeordnete Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf die Zulässigkeit der Beobachtung einer Bundesregierung oder ihrer Mitglieder durch das Bundesamt hat. Dies gilt wiederum vor allem für die Konstellation, in der die gesamte Bundesregierung oder der Bundesminister des Innern beobachtet werden soll. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist verwaltungsorganisationsrechtlich keine unabhängige, ministerialfreie Verwaltungseinheit; vielmehr handelt es sich um eine in die Verwaltungshierarchie eingegliederte Behörde, die der Fach- und Dienstaufsicht des Bundesministeriums des Innern unterliegt.24 Der Begriff der Fachaufsicht beschreibt dabei die Aufsicht über die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Die Dienstaufsicht bezieht sich auf die Beschäftigten und Organisationseinheiten sowie den Aufbau und die Abläufe in einer Behörde. Zu den klassischen Instrumenten der Aufsicht gehören dabei insbesondere Weisungen und Erlasse. Ein Tätigwerden in der Verwaltungshierarchie gegenüber vorgesetzten Stellen oder Personen ist nicht per se ausgeschlossen. Insbesondere im Bereich der Strafverfolgung gibt es entsprechende Beispiele aus der Praxis.25 Derartige Fälle erfordern in praktischer Hinsicht Vorkehrungen – insbesondere in Bezug auf die Organisation der Verwaltungsabläufe –, um etwaige unzulässige Einflussnahmen zu verhindern und die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung sicherzustellen. Fehlen dabei entsprechende Vorgaben und besteht insoweit auch keine Verwaltungspraxis, wie das bei der vorliegenden Fragestellung der Fall ist, kann dies erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge haben. Die Unzulässigkeit entsprechender Maßnahmen der nachgeordneten Verwaltungseinheit geht damit jedoch nicht zwingend einher. Hinsichtlich zweier Aspekte könnte sich die vorliegende Fragestellung von den angesprochenen Fällen im Bereich der Strafverfolgung unterscheiden. Dies betrifft zum einen die Begrenzbarkeit der Maßnahmen. Während sich Strafermittlungsverfahren in aller Regel auf eingrenzbare Sachverhalte beziehen, dürfte eine verfassungsschutzbehördliche Beobachtung regelmäßig eine umfängliche Beobachtung zur Gewinnung eines vollständigen und aussagekräftigen Bildes über 23 Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII, 1992, § 167 Rn. 39 f.; siehe hierzu auch Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 131 ff. 24 Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 37 ff. 25 Siehe etwa die derzeitigen Ermittlungen gegen die Generalstaatsanwältin von Berlin; hierzu Dinger, „Vize soll gegen eigene Chefin Koppers ermitteln“, Berliner Morgenpost Online vom 16. Februar 2018, abrufbar unter https://www.morgenpost.de/berlin/article213456875/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 063/18 Seite 12 die Verfassungstreue erfordern. Dies wirkt sich umso mehr aus, wenn die Beobachtung sich nicht auf einen einzelnen Minister beschränkt, sondern auf eine gesamte Bundesregierung erstreckt. Zum anderen ist das besondere Kontrollregime zu berücksichtigen, dem Nachrichtendienste in Deutschland unterliegen (siehe etwa die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium über die Tätigkeit ihrer Nachrichtendienste). Dieses Kontrollregime basiert auf der Verantwortlichkeit der Bundesregierung für ihre Nachrichtendienste und setzt damit auch eine Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes durch die Bundesregierung voraus. Soll nun jedoch eine Bundesregierung ihrerseits durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden, wirft dies die Frage auf, ob bei einer solchen Verkehrung des Kontrollzusammenhangs die Kontrolle des Bundesamtes durch die Bundesregierung überhaupt noch wirken kann. Dieser Umstand könnte zum Anlass genommen werden, generell den Ausschluss der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder von der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. ein besonderes Gebot zur Zurückhaltung bei einer entsprechenden Beobachtung zu fordern.26 *** 26 Vgl. zu diesem Gedanken die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages WD 3 - 3000 - 371/11 mit dem Titel „Beobachtung von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums nach § 10a Abs. 2 BHO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“, S. 14 f.