© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 062/16 Neuregelungen des sog. Asylpakets II zum Familiennachzug Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 062/16 Seite 2 Neuregelungen des sog. Asylpakets II zum Familiennachzug Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 062/16 Abschluss der Arbeit: 01.03.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 062/16 Seite 3 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund des vom Bundestag jüngst beschlossenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren1 (sog. Asylpaket II) wird darum gebeten, die Auswirkungen der Neuregelungen auf den Familiennachzug zu erläutern. Die Erläuterung soll dabei das Beispiel von Syrern und Irakern umfassen, die in Deutschland als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anerkannt wurden und den Nachzug ihrer engen Familienangehörigen (Frau und Kinder) beantragt haben. Ferner ist auf die Frage einzugehen, ob die Neuregelungen ggf. eine neue Antragstellung auf Familiennachzug erforderlich machen. 2. Einschränkungen des Familiennachzugs Das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren sieht vor, dass der Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten2 für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgesetzt wird. Regelungstechnisch erfolgt die Aussetzung des Familiennachzugs nicht in den Familiennachzugsvorschriften der §§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG) selbst, sondern in der gesonderten Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. Zur Einordnung der Neuregelung ist zunächst kurz auf die geltende Rechtslage zum Familiennachzug einzugehen. Dabei beschränkt sich die Darstellung auf die hier relevanten Gruppen der Asylberechtigten, Flüchtlinge und international subsidiär Schutzberechtigten. 2.1. Geltende Rechtslage Nach § 29 Abs. 1 und 2 AufenthG besteht ein Anspruch auf privilegierte Familienzusammenführung , wenn der Stammberechtigte, d.h. der Ausländer, zu dem nachgezogen wird, als anerkannter Asylberechtigter, Flüchtling oder international subsidiär Schutzberechtigter unanfechtbar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1, 2 AufenthG erhalten hat. Die Privilegierung der Familienzusammenführung besteht darin, dass von den Erfordernissen des ausreichenden Wohnraums und der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen ist, § 29 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Antrag auf Familiennachzug innerhalb von drei Monaten nach der Anerkennung als Asylberechtigter, Flüchtling oder international subsidiär Schutzberechtigter gestellt wird (§ 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AufenthG3) und die Familienzusammenführung in einem Drittstaat, zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, 1 Zum Gesetzentwurf siehe BT-Drs. 18/7538. 2 Zu den asylrechtlichen Schutzkategorien vgl. Wissenschaftliche Dienste, Kategorien des asylrechtlichen Schutzes in Deutschland, Aktueller Begriff vom 15.12.2015, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/ButagVerw/W/Ausarbeitungen /Einzelpublikationen/Ablage/2015/Kategorien_des_a_1450169075.pdf. 3 Nach § 29 Abs. 2 S. 3 AufenthG wird die in § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AufenthG genannte Frist auch durch die rechtzeitige Antragstellung des zusammenführenden Ausländers (des Stammberechtigten) gewahrt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 062/16 Seite 4 nicht möglich ist (§ 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AufenthG). Der privilegierte Familiennachzug zu international subsidiär Schutzberechtigten ist erst am 01.08.2015 mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in Kraft getreten.4 Nachzugsberechtigt ist grundsätzlich nur die Kernfamilie. Hierzu zählen Ehegatten5 und minderjährige ledige Kinder (§ 30 und § 32 AufenthG). Auch der Nachzug von Eltern minderjähriger Ausländer ist zu gewähren, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält und der minderjährige Ausländer als Asylberechtigter, Flüchtling oder international subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG erhalten hat, § 36 Abs. 1 AufenthG. Eine zahlenmäßige Beschränkung der nachzugsberechtigen Familienangehörigen gibt es nicht. Sonstigen Familienangehörigen6 kann der Nachzug nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte gewährt werden (§ 36 Abs. 2 AufenthG). 2.2. Aussetzung des Familiennachzugs Nach § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. wird ein Familiennachzug zu Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. AufenthG erhalten haben, für einen Zeitraum von zwei Jahren seit Inkrafttreten der Vorschrift nicht gewährt. Konkret lautet die Entwurfsfassung des § 104 Abs. 13 AufenthG wie folgt: „Bis zum … [einsetzen: Datum des Tages und Monats der Verkündung dieses Gesetzes sowie die Jahreszahl des zweiten auf die Verkündung folgenden Kalenderjahres] wird ein Familiennachzug zu Personen, denen nach dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach Artikel 4] eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt worden ist, nicht gewährt. Für Ausländer, denen nach dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach Artikel 4] eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt wurde, beginnt die Frist des § 29 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 ab dem … [einsetzen: Datum des Tages und Monats der Verkündung dieses Gesetzes sowie die Jahreszahl des zweiten auf die Verkündung folgenden Kalenderjahres] zu laufen. Die §§ 22, 23 bleiben unberührt.“7 Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. AufenthG bezieht sich auf die Gruppe der international subsidiär Schutzberechtigten. Die Aussetzung des Familiennachzugs trifft damit allein die international subsidiär Schutzberechtigten, nicht hingegen Asylberechtigte und Flüchtlinge. Die Aussetzung des Familiennachzugs zu international subsidiär Schutzberechtigten enthält keine weiteren Einschränkungen und umfasst damit auch den Nachzug der Eltern 4 BGBl. I 2015, 1386; siehe auch Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht (2. Aufl., 2016), Rn. 9 zu § 29 AufenthG. 5 Die entsprechende Anwendung auf lebenspartnerschaftliche Gemeinschaften im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes folgt aus § 27 Abs. 2 AufenthG. 6 Zu den sonstigen Familienangehörigen zählen z.B. volljährige ledige und verheiratete Kinder, Pflegekinder, Eltern volljähriger Kinder, Großeltern, Schwager/Schwägerinnen, Onkel/Tanten und Neffen/Nichten, siehe Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (10. Aufl., 2013) Rn. 15 zu § 36 AufenthG. 7 Vgl. BT-Drs. 18/7538, 9 (Hervorhebung nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 062/16 Seite 5 zu minderjährigen unbegleiteten Ausländern, denen die international subsidiäre Schutzberechtigung gewährt wurde. Durch den Hinweis auf die Geltung der §§ 22, 23 AufenthG in § 104 Abs. 13 S. 3 AufenthG n.F. soll klargestellt werden, dass unabhängig von der Aussetzung des Familiennachzugs humanitäre Aufnahmen von Familienangehörigen nach den §§ 22, 23 AufenthG im Rahmen von Ermessensentscheidungen gleichwohl möglich sind.8 3. Auswirkungen auf irakische und syrische Asylsuchende? Die Auswirkungen der Neureglungen zum Familiennachzug auf irakische und syrische Asylsuchende lassen sich nicht abstrakt vorhersagen. Entscheidend ist insofern nicht die Herkunft der Asylsuchenden, sondern der ihnen zuerkannte Schutzstatus. Die Zuerkennung des Schutzstatus richtet sich danach, ob die Voraussetzungen der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG, der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG oder der international subsidiären Schutzberechtigung nach § 4 AsylG vorliegen.9 Von Bedeutung ist ferner die Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Hinblick auf die Durchführung der persönlichen Anhörung im Asylverfahren. Die Bundesregierung erklärte hierzu, dass ab dem 01.01.2016 für Asylsuchende aus Syrien, Irak und Eritrea wieder eine Einzelfallprüfung mit mündlicher Anhörung stattfinde.10 Als Konsequenz würden voraussichtlich nicht alle Asylbewerber aus Syrien als Flüchtlinge anzuerkennen sein.11 Für irakische und syrische Asylsuchende, die als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anerkannt wurden oder anerkannt werden und dementsprechend nach § 25 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1, 1. Alt. AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben oder erhalten werden, gilt die Aussetzung des Familiennachzugs nicht. Für sie besteht weiterhin die oben dargestellte Rechtslage zum Nachzug der Kernfamilie. Für die von der Aussetzung des Familiennachzugs nicht betroffenen anerkannten Asylberechtigten und Flüchtlinge ergeben sich auch keine Änderungen zur Antragstellung nach § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, S. 3 AufenthG, so dass in dem angegebenen Beispielsfall eines im Sinne des § 3 AsylG anerkannten syrischen Flüchtlings, der den Nachzug seiner Frau und seiner Kinder beantragt hat, eine erneute Antragstellung nicht erforderlich wäre. Ende der Bearbeitung 8 Vgl. BT-Drs. 18/7538, 20. 9 Ausführlich zu den Voraussetzungen dieser Schutzkategorien Wissenschaftliche Dienste, Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren (WD 3 - 3000 - 220/15). 10 Vgl. BT-Drs. 18/7323, 4. Kritisch zu dieser Verfahrenspraxis Thym, Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am Montag, den 22. Februar 2016, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/409436/b38534c0b99439fe72cf9c72bfbd0c6d/18-4-511-d-data.pdf, 9. 11 Vgl. BT-Drs. 18/7323, 3.