WD 3 - 3000 - 061/21 (19. Mai 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Gefragt wurde, ob die sog. Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht nur bestimmte Änderungen des Grundgesetzes verbietet, sondern auch eine tatsächliche Gefährdung der Grundrechte durch ein Zusammenspiel verschiedener staatlicher Maßnahmen. Art. 79 Abs. 3 GG besagt: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Die Regelungen des Art. 79 Abs. 3 GG beziehen sich ausschließlich auf das verfassungsändernde Gesetzgebungsverfahren.1 Die Ewigkeitsgarantie setzt dem verfassungsändernden Gesetzgeber Grenzen: Gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßende Verfassungsänderungen sind nichtig.2 Die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten und abschließend aufgeführten Inhalte können auch durch einstimmigen Entscheid der zur Verfassungsänderung befugten Organe nicht beseitigt werden und genießen insoweit absoluten Bestand.3 Zu beachten ist, dass Art. 79 Abs. 3 GG nicht den Gesamtbestand der Grundrechte in der gegenwärtigen Ausgestaltung im Katalog der Art. 1 bis 19 GG erfasst, sondern nur „die in Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“. Dazu gehören unter anderem die Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sowie der Status Deutschlands als Demokratie und Republik.4 Einzelne 1 Vgl. Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 46. Edition Stand: 15.02.2021, Art. 79 vor Rn. 1; Sachs, in: derselbe (Hrsg.), GG, 9. Auflage 2021, Art. 79 Rn. 9; Dreier (Hrsg.), in: derselbe, GG, 3. Auflage 2015, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14. 2 BVerfGE 30, 1 (24). 3 Dreier, in: derselbe (Hrsg.), GG, 3. Auflage 2015, Art. 79 Rn. 14. 4 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 79 Rn. 114, 126 f. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Bedeutung der Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 GG Kurzinformation Bedeutung der Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 GG Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Grundrechte aus dem Katalog der Art. 2 bis 19 GG können hingegen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geändert, eingeschränkt oder sogar aufgehoben werden, solange die in Art. 1 GG und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze dadurch nicht berührt werden.5 Das Merkmal des „Berührens“ wird vom Bundesverfassungsgericht restriktiv ausgelegt: Grundsätze seien nicht im Sinne der Vorschrift berührt, „wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden“.6 Art. 79 Abs. 3 GG sei eine Ausnahmevorschrift, die nicht dazu führen dürfe, dass der Gesetzgeber daran gehindert werde, Verfassungsgrundsätze systemimmanent umzugestalten .7 Die Vorschrift verbietet daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur eine „prinzipielle Preisgabe“ der in Art. 1 GG und Art. 20 GG festgelegten Grundsätze.8 Geschützt ist danach nur der unantastbare Kerngehalt der Grundsätze.9 Da die Ewigkeitsgarantie nur den verfassungsändernden Gesetzgeber bindet, ist sie für die anderen staatlichen Akteure nicht von Bedeutung. Für diese gilt Folgendes: Alle Staatsgewalt ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an die Verfassungsnormen gebunden. Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Akte der Exekutive können ebenso wie legislative Akte des einfachen (also nicht verfassungsändernden) Gesetzgebers und Akte der Judikative zwar nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG, aber gegen die jeweiligen Grundrechte verstoßen. Aus der Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt und den korrespondierenden subjektiven Abwehransprüchen der einzelnen Grundrechtsträger folgt eine Rechtspflicht der staatlichen Akteure, Maßnahmen, die ungerechtfertigt in Grundrechte eingreifen, zu unterlassen.10 Diese Pflicht gilt uneingeschränkt auch in Krisenzeiten.11 *** 5 BVerfGE 109, 279 (310). 6 BVerfGE 30, 1 (24). 7 BVerfGE 30, 1 (25). 8 Vgl. BVerfGE 30, 1 (24). 9 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 79 Rn. 110. 10 Vgl. Dreier, in: derselbe (Hrsg.), GG, 3. Auflage 2015, Vorb. vor Art. 1 Rn. 84. 11 Vgl. Dreier, Rechtsstaat, Föderalismus und Demokratie in der Corona-Pandemie, in: DÖV 2021, 229 (229 f.); Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, in: JuS 2020, 507 (507 f.).