Deutscher Bundestag Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der Entscheidung über die Aufnahme eines Mitgliedstaates der Europäischen Union in die Eurozone Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 060/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 2 Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der Entscheidung über die Aufnahme eines Mitgliedstaates der Europäischen Union in die Eurozone Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 060/13 Abschluss der Arbeit: 8. April 2013 Fachbereich: Verfassung und Verwaltung (WD 3) Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Verfahren der Aufnahme in die Eurozone 5 2.1. Die Konvergenzkriterien und ihre Prüfung 5 2.2. Vorschlag der Kommission und Beschluss des Rates der Europäischen Union 6 2.3. Qualifizierte Mehrheit im Rat der Europäischen Union 6 2.3.1. Zeitraum bis zum 31. Oktober 2014 7 2.3.2. Zeitraum ab dem 1. November 2014 7 2.3.3. Beschlussfassung über die Empfehlung der Ratsmitglieder der Eurozone 7 3. Mitwirkung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen des Rates über die Einführung der gemeinsamen Währung 8 4. Reichweite einer möglichen negativen Stellungnahme des Deutschen Bundestages 9 5. Reichweite nach dem Entwurf der Neufassung des EUZBBG 9 6. Möglichkeit für eine Bestimmung, die ein Veto des Bundestages zulässt 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 4 1. Einleitung Der Deutsche Bundestag hat dem Vertrag von Maastricht, der zum 1. November 1993 in Kraft trat, mit verfassungsändernder Mehrheit (Art. 23 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz - GG - in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG) zugestimmt.1 Von dieser Zustimmung erfasst ist auch die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auf die stufenweise Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, die insbesondere eine stabile einheitliche Währung umfasst. In dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon ist die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, deren gemeinsame Währung der Euro ist, als Zielbestimmung der Europäischen Union kodifiziert worden (Art. 3 Abs. 4 des Vertrages über die Europäische Union - EUV). Die Kernbestimmungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik der EU sind in Titel VIII des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgehalten; dessen Kapitel 4 (Art. 136 bis 138 AEUV) enthält besondere Bestimmungen für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der EU in der WWU umfasst nach Maßgabe des Art. 119 Abs. 1 und 2 AEUV die „Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“, und parallel dazu die Errichtung einer Währungsunion. Die WWU stellt sich als Prozess der Harmonisierung der Wirtschafts- und Währungspolitik der Mitgliedstaaten dar, mit dem die Einführung des Euro als gemeinsame Währung ermöglicht werden soll. Dieser Prozess umfasst drei Stufen: Während der ersten Stufe (Konvergenzstufe), die bis zum 31. Dezember 1993 andauerte, wurde der Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten liberalisiert , die Mitgliedstaaten stimmten ihre Wirtschaftspolitiken enger ab und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten verstärkten ihre Zusammenarbeit. Die nach der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht begann zum 1. Januar 1994 die zweite Stufe (Koordinierungsstufe) diente als Übergangsphase der direkten Vorbereitung auf die Einführung der gemeinsamen Währung. Mit dem Ziel der Sicherung der Preisstabilität und der Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite wurden Kriterien für die Konvergenz2 der nationalen Wirtschafts- und Währungspolitiken entwickelt. Zugleich wurden Mechanismen etabliert, mit denen zunächst die Erfüllung dieser Kriterien erzielt und später ihre dauerhafte Einhaltung überwacht werden konnte: die Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken. Um diese zu garantieren, schlossen die Mitgliedstaaten 1997 den sog. Stabilitäts- und Wachstumspakt, in dem die im EG-Vertrag vorgesehenen Instrumente der Koordinierung präzisiert wurden. Mit Beginn der dritten Stufe der WWU zum 1. Januar 1999 wurden die Wechselkurse der Währungen der zunächst elf Mitgliedstaaten3 unwiderruflich festgelegt , in denen an demselben Tag die gemeinsame Währung (Euro) eingeführt4 wurde. Die Kompetenzen für die gesamte Währungspolitik wurden auf die Europäische Gemeinschaft übertragen. 1 BT-Drs. 12/3334 und 12/3895 sowie Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2086) und Gesetz vom 28. Dezember 1992 zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union (BGBl. II S. 1251). 2 Bestimmte Erfordernisse der Preisstabilität, des jedenfalls nur mäßigen Haushaltsdefizits, der Wechselkursstabilität und des Zinsniveaus, vgl. Art. 140 AEUV i.V.m. dem Protokoll über die Konvergenzkriterien. 3 Dänemark, das Vereinigte Königreich, Schweden und Griechenland nahmen zu diesem Zeitpunkt nicht teil. 4 Betraf diese Währungseinführung zunächst nur die Devisenmärkte sowie den elektronischen Zahlungsverkehr, trat der Euro zum 1. Januar 2002 auch als Bargeld an die Stelle der Währungen dieser Mitgliedstaaten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 5 2. Zum Verfahren der Aufnahme in die Eurozone Vier der seinerzeit fünfzehn Mitgliedstaaten der EU nahmen nicht an der dritten Stufe der WWU teil. Dänemark und das Vereinigte Königreich wurden mit Ausnahmeklauseln des Vertrags von Maastricht von der Pflicht zur Teilnahme an der dritten Stufe der WWU befreit (Opt-out).5 Auf Griechenland und Schweden, die die für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU erforderlichen sog. Konvergenzkriterien nicht erfüllten, fanden Regelungen Anwendung, die ihnen die Ausnahme von der Verpflichtung zur Teilnahme an der dritten Stufe gewährten. Diese Ausnahmeregelungen gemäß Art. 122 EGV fanden auch auf die 2004 sowie 2007 der EU beigetretenen Staaten Anwendung, in denen durch die Übernahme des aquis communautaire zwar die Mechanismen der ersten und zweiten Stufe der WWU im Beitrittszeitpunkt in Kraft gesetzt waren, die jedoch die für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU - also die Aufnahme in die Eurozone - notwendigen Konvergenzkriterien nicht erfüllten. 2.1. Die Konvergenzkriterien und ihre Prüfung Für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU muss jeder Mitgliedstaat bestimmte Kriterien erfüllen, um sicherzugehen, ob der für die Einführung der gemeinsamen Währung in diesem Mitgliedstaat erforderliche hohe Grad dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erreicht ist. Diese sog. Konvergenzkriterien sind als Prüfungsmaßstäbe in Art. 140 Abs. 1 AEUV verankert und werden in dem zum Vertrag von Lissabon gehörenden Protokoll über die Konvergenzkriterien6 konkretisiert . Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung ihrer nationalen Zentralbank so angepasst haben, dass sie mit den grundlegenden Verträgen der EU sowie mit der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Einklang stehen (Art. 131 AEUV). Dies ist die Voraussetzung für die vollständige Integration der jeweiligen nationalen Zentralbank in das ESZB. Die den Konvergenzkriterien zugrundeliegenden Maßstäbe sind: Erstens, das Erreichen eines hohen Grades an Preisstabilität, zweitens, eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, drittens , die Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems über einen Zeitraum von zwei Jahren, sowie viertens, ein Niveau der langfristigen Zinssätze, das dauerhaft nahe dem der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten verläuft. Die Europäische Kommission (Kommission) und die EZB prüfen7 mindestens einmal im Turnus zweier Jahre oder auf Antrag eines Mitgliedstaats, inwieweit die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, ein hohes Maß dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erreicht und ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften so angepasst haben, dass ihre jeweiligen nationalen Zentral- 5 Vgl. Entscheidung 98/317/EG des Rates vom 3. Mai 1998 (ABl. L 139 S. 30) sowie die Protokolle (Nr. 25 und 14) vom 7. Februar 1992 betreffend das Vereinigte Königreich (ABl. C 191 S. 87) sowie Dänemark“ (ABl. C 191 S. 89). 6 Protokoll Nr. 13 über die Konvergenzkriterien, Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Rats-Dok. 6655/08, S. 364, abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st06655.de08.pdf (22. Januar 2010). 7 Für eine ausführliche Darstellung der Aspekte dieser Prüfung vgl. Analyseschema in: EZB, Konvergenzbericht 2012, S. 7 ff. abrufbar unter: http://www.ecb.int/pub/pdf/conrep/cr201205de.pdf (zuletzt abgerufen 8. April 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 6 banken integraler Bestandteil des ESZB werden können. Die Ergebnisse werden in Form sog. Konvergenzberichte dem Rat vorgelegt8 (Art. 140 Abs. 1 S. 1 AEUV). 2.2. Vorschlag der Kommission und Beschluss des Rates der Europäischen Union Kommt die Kommission auf der Grundlage ihres eigenen und des Konvergenzberichts der EZB zu dem Schluss, dass ein oder mehrere Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung der gemeinsamen Währung erfüllen, kann sie dem Rat gemäß Art. 140 Abs. 2 AEUV einen Vorschlag für einen Ratsbeschluss9 unterbreiten, der die Aufhebung der Ausnahmeregelung für den oder die betreffenden Mitgliedstaaten vorsieht Über den Vorschlag der Kommission beschließt der Rat gemäß Art. 140 Abs. 3 AEUV10 nach Anhörung des Europäischen Parlaments, nach Aussprache im Europäischen Rat und auf Empfehlung 11 einer qualifizierten Mehrheit derjenigen seiner Mitglieder, die Mitgliedstaaten vertreten, deren Währung der Euro ist.12 Gemäß Art. 16 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Mit seinem Beschluss stellt der Rat die Erfüllung der Voraussetzungen für die Einführung der gemeinsamen Währung fest und hebt die Ausnahmeregelung für den betreffenden Mitgliedstaat auf.13 2.3. Qualifizierte Mehrheit im Rat der Europäischen Union Grundlegende Bestimmung für die Beschlussfassung des Rates gemäß Art. 140 Abs. 3 AEUV im Rat ist Art. 16 Abs. 3 EUV, der ab dem 1. November 2014 Anwendung findet. Bis zum 31. Oktober 2014 gilt gemäß Art. 3 Abs. 3 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen14 das System aus Art. 205 Abs. 2 und 4 EG-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Nizza mit seiner möglichen dreifachen Mehrheit. Auf Antrag eines Mitgliedes des Rates können die Regelungen für die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit nach Art. 3 Abs. 3 des Protokolls Nr. 36 auch im Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 31. März 2017 angewendet werden. 8 Für die jüngsten Berichte vgl. Europäische Kommission: Konvergenzbericht 2012 (COM(2012) 257 final), abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0257:FIN:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 8. April 2013) sowie EZB, Konvergenzbericht 2012 (Fn. 7). 9 Am Beispiel Estlands: COM(2010) 239 final, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0239:FIN:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 8. April 2013). 10 Am Beispiel Estlands: Beschluss des Rates (2010/416/EU) vom 13. Juli 2010, ABl. L 196 vom 28.07.2010, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:196:0024:0026:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 8. April 2013). 11 Am Beispiel Estlands: Ratsdok. 10258/10, intern abrufbar unter: http://europa.bundestag.btg/httest/EU/Folgedokumente/2010/10258_10.pdf (zuletzt abgerufen am 8. April 2013). 12 Weder die Stellungnahme des Europäischen Parlaments oder das Ergebnis der Aussprache im Europäischen Rat noch die Empfehlung der Ratsmitglieder, die die Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten, sind rechtsverbindlich . Die politische Bindungswirkung des Votums des Europäischen Rats ist jedoch unbestritten. Vgl. U. Palm in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 49. EL 2012, Art. 140 AEUV Rn. 12 f. 13 Am Beispiel Estlands: Art. 1 des Beschlusses des Rates (2010/416/EU) (Fn. 10). 14 Konsolidierte Fassungen des EUV und des AEUV, ABl. EU 2012 Nr. C 326, S. 322 f., abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2012:326:0201:0330:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 8. April 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 7 2.3.1. Zeitraum bis zum 31. Oktober 2014 Die Stimmengewichte der Mitgliedstaaten werden in Art. 3 Abs. 3 S. 2 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen festgelegt und variieren von 3 (Malta) bis 29 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien). Ein Beschluss gemäß Art. 140 Abs. 3 AEUV kommt mit einer Mindestzahl von 255 Stimmen zustande , die die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder umfasst (Art. 3 Abs. 3 S. 3 des Protokolls Nr. 36). Ein Mitglied des Rates kann beantragen, dass beim Erlass eines Rechtsakts des Rates mit qualifizierter Mehrheit überprüft wird, ob die Mitgliedstaaten, die diese qualifizierte Mehrheit bilden, mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen. Falls sich erweist, dass diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird der betreffende Rechtsakt nicht erlassen (Art. 3 Abs. 3 S. 4 des Protokolls Nr. 36). 2.3.2. Zeitraum ab dem 1. November 2014 Nach Art. 16 Abs. 4 UAbs. 1 EUV gilt eine qualifizierte Mehrheit als erreicht, wenn eine Mehrheit von mindestens 55 Prozent der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern , die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union ausmachen, dem Vorschlag zustimmt. Wird die qualifizierte Mehrheit nicht erreicht, wird dies als Sperrminorität bezeichnet. Art. 16 Abs. 4 UAbs. 2 EUV bestimmt aber, dass für eine Sperrminorität mindestens vier Mitglieder des Rates erforderlich sind, andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht. In der Konsequenz führt diese gesetzliche Fiktion dazu, dass die qualifizierte Mehrheit auch in den Fällen als erreicht gilt, in denen die Mehrheit von 65 Prozent der repräsentierten Bevölkerung nicht erzielt wird, jedoch nur drei Mitgliedstaaten nicht zustimmen.15 2.3.3. Beschlussfassung über die Empfehlung der Ratsmitglieder der Eurozone Für die Beschlussfassung über die Empfehlung der Ratsmitglieder, die Mitgliedstaaten vertreten, deren Währung der Euro ist (Art. 140 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV), gilt Art. 238 Abs. 3 lit. a AEUV. Danach beziehen sich die Mehrheitserfordernisse aus Art. 16 Abs. 4 EUV ab dem 1. November 2014 auf die an der Entscheidung beteiligten Mitgliedstaaten. Als Sperrminorität wird eine Mindestzahl der Ratsmitglieder definiert, die zusammen mehr als 35 Prozent der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten vertreten, zuzüglich eines Mitgliedes. Andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht. Bis zum 31. Oktober 2014 gilt Art. 3 Abs. 4 des Protokolls Nr. 36 als qualifizierte Mehrheit derselbe Anteil der gewogenen Stimmen und derselbe Anteil der Anzahl der Mitglieder des Rates sowie gegebenenfalls derselbe Prozentsatz der Bevölkerung der betreffenden Mitgliedstaaten, der in Art. 3 Abs. 3 des Protokolls Nr. 36 bestimmt ist. 15 C. Ziegenhorn in: Grabitz/Hilf (Fn. 12), Art. 16 EUV Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 8 3. Mitwirkung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen des Rates über die Einführung der gemeinsamen Währung Für den Beitritt weiterer Mitgliedstaaten der EU zum Euro-Währungsgebiet ist ein gesonderter Parlamentsbeschluss nicht erforderlich. Gleichwohl sind Beschlüsse des Deutschen Bundestages möglich; sie sind jedoch nicht konstitutiv. Die Einführung der gemeinsamen Währung in weiteren Mitgliedstaaten der EU beruht auf den Vorgaben des zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften ausgehandelten und am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrages über die Europäische Union und dessen Folgeverträgen. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Deutschen Bundestages erstrecken sich auf seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union aus Art. 23 GG. Danach ist die Bundesregierung zur frühestmöglichen Unterrichtung des Bundestages verpflichtet. Der Bundestag hat vor der Mitwirkung der Bundesregierung an Rechtsetzungsakten der EU gemäß Art. 23 Abs. 3 GG die Gelegenheit zur Stellungnahme, die die Bundesregierung bei den Verhandlungen berücksichtigt . Die Unterrichtungsverpflichtung der Bundesregierung und die Mitwirkung des Bundestages im Rahmen von Stellungnahmen regelt das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG).16 Die Bundesregierung ist gemäß § 3 Abs. 3 Ziff. 1 EUZBBG verpflichtet, den Bundestag über den Kommissionsvorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung des Euro in einem Mitgliedstaat der EU zu unterrichten. Form und Umfang dieser Unterrichtung bestimmen §§ 4, 6 und 7 EUZBBG. Die Bundesregierung gibt dem Bundestag vor ihrer Mitwirkung an diesem Beschluss rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 9 Abs. 1 EUZBBG) und berücksichtigt die abgegebene Stellungnahmen bei ihren Verhandlungen (§ 9 Abs. 2 EUZBBG). Der Bundestag kann von seinem Recht zur Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 GG Gebrauch machen, da es sich bei einem Beschluss des Rates zur Einführung des Euro in einem Mitgliedstaat der EU um einen Rechtsetzungsakt handelt. Nimmt der Bundestag diese Gelegenheit wahr, legt die Bundesregierung gemäß § 9 Abs. 4 EuZBBG im Rat für den Fall einen Parlamentsvorbehalt ein, dass die Stellungnahmen in einem seiner wesentlichen Belange nicht durchsetzbar ist. Über einen solchen Fall unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag in einem gesonderten Bericht unverzüglich. Vor der abschließenden Entscheidung im Rat bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen. Dabei bleibt jedoch das Recht der Bundesregierung unberührt, in Kenntnis der Stellungnahme des Bundestages aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen. Die Bundesregierung treffen umfassende Berichtspflichten hinsichtlich der Durchsetzung der Stellungnahme des Bundestages nach Beschlussfassung im Rat. Dem Bundestag sind die Gründe zu erläutern , sollten nicht alle Belange der Stellungnahmen durchgesetzt worden sein. Er kann eine Erläuterungen der Gründe auch im Rahmen einer Plenardebatte verlangen (§ 9 Abs. 5 EUZBBG). 16 Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 311), zuletzt geä. durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. September 2012 (BGBl. 2012 II S. 1006). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 9 4. Reichweite einer möglichen negativen Stellungnahme des Deutschen Bundestages Sollte der Bundestag im Rahmen einer Stellungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 GG den Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates über die Einführung des Euro in einem weiteren Mitgliedstaat der EU ablehnen, wäre der deutsche Vertreter im Rat zunächst gehalten, diese Position bei den Verhandlungen zugrunde zu legen.17 Ob ein negatives Votum des deutschen Vertreters im Rat bei der Abstimmung über den Beschlussvorschlag der Kommission zu einer Durchsetzung der negativen Stellungnahme des Bundestages führt, hängt von den erzielbaren Mehrheitsverhältnissen im Rat ab. Im Falle einer sich abzeichnenden Zustimmung im Rat, wäre der deutsche Vertreter verpflichtet, einen Parlamentsvorbehalt einzulegen und bereits bei den Verhandlungen auf die Durchsetzung der Stellungnahme des Bundestages, also Modifikation oder Ablehnung des Vorschlages hinzuwirken . Gelingt dies nicht, wäre der deutsche Vertreter unter der genannten Voraussetzung schließlich gehalten, den Beschlussvorschlag der Kommission in der Schlussabstimmung abzulehnen . Angesichts der Beschlussfassungsregeln, die einen Beschluss des Rates mit qualifizierter Mehrheit vorsehen, hätte die alleinige Ablehnung des deutschen Vertreters im Rat keine Vetowirkung . Das Vorgehen des deutschen Vertreters im Rat wäre darauf auszurichten, das Zustandekommen einer qualifizierten Mehrheit z.B. durch den Aufbau einer Sperrminorität zu verhindern . 5. Reichweite nach dem Entwurf der Neufassung des EUZBBG Der Entwurf der Neufassung des EUZBBG18 nimmt die Vorschläge und Initiativen für Beschlüsse gemäß Art. 140 Abs. 2 AEUV zur Einführung des Euro ausdrücklich in den Katalog der Vorhaben der EU (§ 5) auf. Vor der Mitwirkung an Vorhaben ist die Bundesregierung verpflichtet, dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese legt sie ihren Verhandlungen zugrunde (§ 8). Der neu geschaffene § 9a verpflichtet die Bundesregierung, den Bundestag mit der Unterrichtung über Vorschläge und Initiativen für Beschlüsse gemäß Art. 140 Abs. 2 AEUV auf sein Recht zur Stellungnahme hinzuweisen (Abs. 1). Darüber hinaus soll sie vor der abschließenden Entscheidung im Rat Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen (Abs. 2). Für den Fall einer negativen Stellungnahme des Bundestages gemäß § 8 des Entwurfs ergäbe sich keine Veränderung zu der unter Punkt 4 dargestellten Sachlage. 17 Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Bundesregierung nicht beabsichtigt, sich in Anwendung von § 9 Abs. 4 S. 6 EUZBBG aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen über die Stellungnahme des Bundestages hinwegzusetzen. 18 Entwurf eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, BT-Drs. 17/12816 vom 19. März 2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 060/13 Seite 10 6. Möglichkeit für eine Bestimmung, die ein Veto des Bundestages zulässt Gemäß Art. 140 Abs.2 AEUV bedarf es für die Einführung des Euro in einem weiteren Mitgliedstaat der EU zweier Entscheidungen des Rates: Erstens, die Abgabe der Empfehlung derjenigen Mitglieder des Rates, die Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten (Art. 140 Abs.2 UAbs. 2 AEUV), und zweitens, die Entscheidung über den Beschlussvorschlag der Kommission (Art. 140 Abs.2 UAbs. 1 AEUV). Für beide Entscheidungen kann der Gesetzgeber das Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Rat von einer gesetzlichen Ermächtigung abhängig machen.19 Ein Veto des Bundestages müsste in diesem Falle durch den deutschen Vertreter im Rat befolgt werden. Die Einführung des Euro in dem betreffenden Mitgliedstaat kann dadurch aber nur verhindert werden, wenn die Mehrheitsverhältnisse im Rat so ausgestaltet sind, dass es bei dem mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Ratsbeschluss entscheidend auf das Stimmverhalten des deutschen Vertreters im Rat ankommt (vgl. Punkte 4 und 5). 19 Vergleichbar entsprechenden Regelungen in § 3 Abs. 3, § 4 Abs.1 , § 5 Abs. 1 Integrationsverantwortungsgesetz.