© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 058/20 Änderungen im griechischen Asylgesetz Aktualisierung des Sachstands WD 3 - 3000 - 035/20 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 2 Änderungen im griechischen Asylgesetz Aktualisierung des Sachstands WD 3 - 3000 - 035/20 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 058/20 Abschluss der Arbeit: 17. März 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wurde nach den wesentlichen Bestandteilen des neuen – Anfang November 2019 im griechischen Parlament verabschiedeten – griechischen Asylgesetzes. Der hierzu bereits erstellte Sachstand WD 3 - 3000 - 035/20 basiert im Wesentlichen auf einer durchgeführten Presse- und Internetrecherche. Die vorliegende Aktualisierung dieses Sachstands beruht auf detaillierten Informationen aus dem griechischen Parlament. 2. Änderungen im griechischen Asylgesetz Mit dem neuen Asylgesetzes L.4636/2019 über den internationalen Schutz, das seit dem 1. Januar 2020 in Kraft ist, werden alle Bestimmungen über die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen , Staatsangehörigen oder Staatenlosen als Begünstigte des internationalen Schutzes, der Status von Flüchtlingen oder der Status von Personen, die Anspruch auf subsidiären Schutz haben, die Aufnahme der vorgenannten Antragsteller, das Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Status sowie das Verfahren zur Gewährung von gerichtlichem Schutz überprüft und kodifiziert. Das Gesetz ist in fünf Teile gegliedert: – Teil A (Art. 1-38): Die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes wird erneut umgesetzt. Diese Richtlinie wurde ursprünglich durch den Präsidialerlass 141/2013 in die griechische Rechtsordnung umgesetzt. – Teil B (Art. 39-61): Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, wird erneut umsetzt. Die Richtlinie wurde ursprünglich durch das Gesetz L.4540/18 in die griechische Rechtsordnung umgesetzt. – Teil C (Art. 62-91) setzt die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes erneut um. Die Richtlinie wurde ursprünglich durch das Gesetz L.4375/2016 in die griechische Rechtsordnung umgesetzt. – Mit Teil D (Art. 92-115) werden die Artikel 46 und 47 der Richtlinie 2013/32/EU über das Beschwerdeverfahren erneut umgesetzt sowie Bestimmungen über den gerichtlichen Schutz der Antragsteller getroffen. – Teil E (Art. 116-121) enthält Sonder- und Übergangsbestimmungen sowie die Regelung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 4 Mit dem Gesetz soll nicht nur eine Klärung und Festlegung des rechtlichen Rahmens erreicht werden, sondern auch die Neugestaltung eines Regulierungssystems, das sowohl die Achtung der Rechte der Asylsuchenden gewährleistet, als auch die intensiven Schwierigkeiten der gegenwärtigen Realität der Migrationsströme angeht. Die wichtigsten Elemente des neuen Asylgesetzes L.4636/2019 sind daher die Folgenden: Teil A - Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/95/EU – Neudefinition von Familienmitgliedern des Antragstellers, so dass Partner und minderjährige Kinder von unverheirateten Paaren sowie Erwachsene, die das Sorgerecht für minderjährige Antragsteller ausüben, einzubeziehen sind, sofern solche familiären Bindungen bereits im Herkunftsland bestanden (Art. 2). – Aufnahme der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union zu Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU in der Rechtssache C-652/2016 über die Bewertung des Antrags auf internationalen Schutz bei drohender Verfolgung und ernsthaften Schäden für Familienangehörige des Antragstellers in die nationale Rechtsordnung (Art. 4). – Hinsichtlich des subsidiären Schutzes sind die zuständigen nationalen Behörden verpflichtet, eine individuelle Prüfung aller Widerspruchsanträge oder Anträge auf Verlängerung des Status einschließlich einer Begründung durchzuführen. – Anerkannte Flüchtlinge erhalten ihren Status zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren und subsidiär Schutzberechtigte für einen Zeitraum von einem Jahr (um zwei Jahre verkürzt gegenüber der vorherigen Regelung). Dieser kann alle zwei Jahre verlängert werden. – Das Recht – nach der bisherigen Gesetzgebung – auf Integration von Minderjährigen (Personen mit internationalem Schutzstatus) in die Grund- und Oberschule wird nach dem neuen Gesetz verpflichtend. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung zieht für die Erwachsenen, die für die Minderjährigen verantwortlich sind, die gleichen Sanktionen nach sich, die auch für die griechischen Staatsbürger vorgesehen sind. – Die Abteilung Asyldienste, zuständig für die strategische Planung, Gesetzgebungsarbeit und internationale und europäische Zusammenarbeit, wird zur nationalen Kontaktstelle für die weitere Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission ernannt. Teil B - Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/33/EU – Um den Verwaltungsbehörden, den Antragstellern und deren Anwälten die Verfahren zur Aufnahme und Identifizierung von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die ohne rechtliche Formalitäten in das Land einreisen oder sich dort aufhalten und ihre Staatsbürgerschaft und Identität nicht durch ein behördliches Dokument nachweisen können, zu erleichtern, wurde ein fünfstufiges Verfahren entwickelt (Art. 39): - Informationsphase: Drittstaatsangehörige und Staatenlose erhalten auf einfache und umfassende Weise alle notwendigen Informationen in einer ihnen verständlichen Sprache. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 5 - Aufenthaltspflicht: Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die in den Aufnahme- und Identifizierungszentren eintreffen, um sich dem Aufnahme- und Identifizierungsverfahren zu unterziehen, sind innerhalb des Zentrums eingeschränkt und unterliegen einem Ausgangsverbot. - Registrierung und ärztliche Untersuchung: Diese Phase umfasst ein spezielles Verfahren zur Feststellung des Alters von Minderjährigen, um entsprechende Schutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. - Verweis auf das Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes: Es wird ein neues Verfahren mit der Bezeichnung „Priorisierung der Anträge“ eingeführt, das den Asyldienst mit den Aufnahmediensten unter aktiver Beteiligung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verbindet. Innerhalb des Asyldienstes werden „Schnelle Hilfseinheiten“ gebildet. Die beiden Hauptgründe für die Priorisierung eines Verfahrens sind: Fälle von Antragstellern, die sich weigern, den Transportbefehlen nachzukommen, und von Häftlinge, für die eine absolute Priorisierung vorgesehen ist und deren Anträge innerhalb von 20 Tagen geprüft werden. Fälle von schutzbedürftigen Personen. Darüber hinaus ist eine zügige Prüfung auch für die Anträge vorgesehen, die in die in der Richtlinie 2013/32/EU aufgeführten Kategorien fallen, d.h. Anträge, die an den Grenzen ausgefüllt werden, Anträge gemäß der Verordnung (EU) 604/2013, Anträge, die offensichtlich nicht den Flüchtlingsstatus erreichen, usw. - Weitere Verweisung und Überstellung: Antragsteller werden an Aufnahme- und Identifizierungszentren auf dem Festland oder andere geeignete Strukturen zur Fortsetzung und zum Abschluss des Verfahrens weitergeleitet oder an die entsprechenden Dienststellen zur Abschiebung oder Rückübernahme verwiesen. – Sanktionen bei Verstößen gegen Verfahrensregeln und Anordnungen während des Aufnahmeund Identifizierungsprozesses (Art. 39 Abs. 10). – Die Antragsteller erhalten ein umfassendes Merkblatt mit Informationen über ihre Möglichkeiten, Rechte und Pflichten in einer für sie verständlichen Sprache. – Jede Entscheidung zur Bestimmung des Aufenthaltsortes oder zur Ablehnung der beantragten befristeten Erlaubnis zum Verlassen des Aufenthaltsortes soll für jeden Antragsteller individuell getroffen werden (Art. 45). – In Bezug auf die Inhaftierung von Asylbewerbern werden die Art. 8 und 9 der Richtlinie 2013/33/EU in die nationale Rechtsordnung umgesetzt. Der Gewahrsam erfolgt aus den in Art. 8 der Richtlinie 2013/33/EU genannten Gründen und wird zunächst für einen Zeitraum von 50 Tagen verhängt. Für Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, bevor sie in Gewahrsam genommen wurden, sind Ausnahmeregelungen vorgesehen. Die Höchstdauer der Inhaftierung von Asylsuchenden wird auf 18 Monate festgelegt - wobei frühere Haftzeiten vor der Abschiebungshaft nicht angerechnet werden (Art. 46). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 6 – Art. 51 sieht die obligatorische Einschreibung von Minderjährigen in das nationale Bildungssystem vor. Erwachsene Familienangehörige sind für die Erfüllung dieser Verpflichtung verantwortlich . Bei Nichteinhaltung sind Sanktionen bezüglich der Aussetzung der materiellen Bedingungen sowie andere Verwaltungsmaßnahmen vorgesehen. – Es wird die vorläufige Sozialversicherungs- und Gesundheitsfürsorge-Nummer (PAAYPA) eingeführt. Die vorläufige Sozialversicherungsnummer, die allen Asylbewerbern zugeteilt wird, wird mit der Nummer des Asylantrags verbunden und bleibt während der gesamten Dauer der Antragsprüfung aktiviert. Diese vorübergehende Sozialversicherungs- und Gesundheitsfürsorge- Nummer bietet sofortigen Zugang zur Gesundheitsfürsorge. Wird der Asylantrag mit einer endgültigen Entscheidung abgelehnt, wird die Sozialversicherungs- und Gesundheitsfürsorge- Nummer deaktiviert und der Asylsuchende erhält keine Leistungen mehr (Art. 55). – Asylsuchende dürfen nicht mehr unmittelbar nach Erhalt der Sozialversicherungsnummer Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, sondern erst sechs Monate nach Einreichung des Asylantrags , wenn keine erstinstanzliche Entscheidung der zuständigen Behörde vorliegt und die Verzögerung nicht dem Antragsteller zuzuschreiben ist. Das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt ist an die befristete Sozialversicherungs- und Gesundheitsfürsorge-Nummer gebunden und gilt so lange, wie sie ihre „Asylbewerberkarte“ besitzen und für die gesamte Dauer des Antrags. – In Art. 58 zur Definition schutzbedürftiger Personen wird klargestellt, dass alle Minderjährigen und nicht nur die unbegleiteten Personen in den Geltungsbereich des besonderen Schutzes fallen. Teil C - Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/32/EU – Um dem Mangel an Anwälten auf den Inseln entgegenzuwirken, werden in den Regionalbüros des Aufnahme- und Identifizierungseinrichtungen spezielle Räumlichkeiten eingerichtet, in denen Telefonkonferenzen zwischen Antragstellern und ihren Anwälten vertraulich stattfinden können (Art. 71). – Die persönliche Anhörung kann bei einer großen Zahl von Asylsuchenden von anderen Behörden als dem Asyldienst, nämlich der Polizei und den Streitkräften, durchgeführt werden. Es ist dem Befrager in allen Fällen verboten, eine Polizei- oder Armeeuniform zu tragen (Art. 77). – Die Nichtbefolgung eines Transportbeschlusses kann als Indiz für eine implizite Rücknahme oder Aufgabe des Antrags auf internationalen Schutz angesehen werden (Art. 81). – Art. 83 regelt das Prüfungsverfahren: Das ordentliche Verfahren sollte innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden und kann im Falle von Massenankünften von Antragstellern um weitere drei Monate verlängert werden. Das beschleunigte Verfahren soll innerhalb von 20 Tagen abgeschlossen werden und kann im oben genannten Fall um weitere zehn Tage verlängert werden. Gemäß Art. 83 Abs. 9 kann das beschleunigte Verfahren in den in Art. 31 Abs. 8 der einschlägigen neugefassten Asylverfahrensrichtlinie vorgesehenen Fällen, aber auch bei schutzbedürftigen Antragstellern, angewandt werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 058/20 Seite 7 – Art. 86 enthält Regeln für die Erstellung einer Liste sicherer Drittstaaten im Wege eines gemeinsamen Ministerialbeschlusses: Die griechische Regierung hat am 4. Januar einen gemeinsamen Ministerialbeschluss angenommen, der 12 Länder zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Dazu gehören Albanien, Algerien, Armenien, Gambia, Georgien, Ghana, Indien, Marokko, Senegal, Togo, Tunesien und die Ukraine. Teil D - Beschwerdeverfahren – Asylsuchende müssen die spezifischen Gründe für die Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung angeben, damit ihre Berufung als zulässig angesehen wird (Art. 93). – Art. 101 legt die Fristen für die Entscheidung über einen Rechtsbehelf wie folgt fest: - 3 Monate nach der Anhörung für das ordentliche Verfahren, - 40 Tage nach der Anhörung, falls die erstinstanzliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren ergangen ist, - 20 Tage nach der Anhörung, falls der Antragsteller in Haft ist oder die erstinstanzliche Entscheidung im Rahmen des Sonderverfahrens an den Grenzen erlassen wurde, - 15 Tage für Fälle, die nach dem neuen Priorisierungsverfahren bearbeitet werden. – Bleiberecht im Hoheitsgebiet: Art. 104 hebt die automatische aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen Ansprüche auf, die als unzulässig abgewiesen oder im beschleunigten Verfahren abgelehnt wurden. Der Antragsteller muss beim Beschwerdeausschuss einen gesonderten Antrag auf Gewährung einer aufschiebenden Wirkung stellen, damit eine Abschiebung aus Griechenland bis zur Prüfung des Antrags in zweiter Instanz nicht erfolgt. – Mit Art. 116 wird eine Änderung der Zusammensetzung der Beschwerdeausschüsse nach der im Juni 2016 eingeführten Zusammensetzung bestimmt. Gemäß dem Gesetzesentwurf sollen die Ausschüsse aus drei Verwaltungsrichtern bestehen. Für Fälle, die zum Beispiel im beschleunigten Verfahren bearbeitet werden, ist auch eine Einzelrichter-Zusammensetzung vorgesehen. ***