© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 058/19 Aktuelle Fragen zur Gemeinwohlbindung öffentlichen Eigentums und zur Vergesellschaftung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 2 Aktuelle Fragen zur Gemeinwohlbindung öffentlichen Eigentums und zur Vergesellschaftung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 058/19 Abschluss der Arbeit: 04.04.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zum Begriff „Gemeinwohl“ 4 3. Zur Gemeinwohlausrichtung des öffentlichen Eigentums 5 3.1. Bedeutung öffentlicher Sachen 5 3.2. Überlagerung des Privatrechts durch die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft zur Sicherung der Gemeinwohlfunktion 5 3.3. Verschiedene Arten öffentlicher Sachen 6 3.3 Widmung und Entwidmung 9 4. Zur Vergesellschaftung öffentlichen Eigentums 10 4.1. Fälle von Eingriffen in den Eigentumsschutz an Unternehmen auf Grundlage von Art. 14 Abs. 2, 3 GG 10 4.1.1. Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes – Übernahmen von Anteilen an der Commerzbank 11 4.1.2. Vollständige Übernahme der HRE 13 4.1.3. Übernahme der Toll Collect GmbH 15 4.2. Fälle von Vergesellschaftung gemäß Art. 15 GG 16 5. Fazit 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 4 1. Fragestellung Diese Ausarbeitung gibt im ersten Teil eine Übersicht über die Gemeinwohlausrichtung öffentlichen Eigentums. Im zweiten Teil wird zwei Fragen nachgegangen: Zum einen, ob es in der Geschichte der Bundesrepublik Fälle gegeben hat, in denen ein Unternehmen auf Grundlage von Art. 14 Abs. 2 und/oder Abs. 3 GG „vergesellschaftet“ wurde. Zum anderen, ob auf Grundlage von Art. 15 GG jemals eine Vergesellschaftung stattgefunden hat. Da der Begriff des „Gemeinwohls“ für die Fragestellung von zentraler Bedeutung ist, wird den Ausführungen eine Erläuterung zum Begriff vorangestellt. 2. Zum Begriff „Gemeinwohl“ Das Gemeinwohl ist zugleich Grund und Grenze staatlichen Handels. Im demokratischen Rechtsstaat ist die öffentliche Verwaltung stets an den Zweck ihrer Funktionen gebunden und der Wahrung und Förderung des öffentlichen Interesses und des gemeinen Wohls verpflichtet.1 Obwohl verschiedene Gesetze auf den Begriff des Gemeinwohls bzw. Allgemeinwohls Bezug nehmen, bleibt der Begriff unbestimmt. Im Grundgesetz findet sich der Begriff „zum Wohl der Allgemeinheit“ insbesondere in Art. 14 Abs. 2 und 3 GG.2 Weder der Rechtsprechung noch der Literatur ist es bisher gelungen, dem Begriff des Wohls der Allgemeinheit scharfe Konturen zu verleihen.3 Nach Wieland muss „der Versuch scheitern, das Wohl der Allgemeinheit positiv so konkret zu umschreiben, daß der Begriff für den Rechtsanwender subsumtionsfähig würde“4. Er führt weiter aus: „Festgehalten werden kann immerhin, daß es nicht um das Wohl einzelner, also um die Verwirklichung ausschließlicher Privatinteressen, sondern um das Wohl einer unbestimmten Vielzahl von Menschen geht. […] Was aber das Wohl der Allgemeinheit verlangt, kann nur politisch nach demokratischen Grundsätzen entschieden werden. Im Verfassungssystem des Grundgesetzes kommt folglich die Aufgabe, das Wohl der Allgemeinheit zu konkretisieren, dem Gesetzgeber zu. […] Das Wohl der Allgemeinheit ist von Verfassungs wegen nicht inhaltlich bestimmt, sondern dem Parlament zur Definition überantwortet. […] Selbstverständlich unterliegt diese ‚Fixierung‘ des Gemeinwohls als Auslegung und Anwendung einer grundgesetzlichen Norm der Kontrolle des Verfassungsgerichts. Das Gericht darf jedoch nicht seine eigenen Gemeinwohlvorstellungen an die 1 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Auflage, 2017, Band I, § 29 Rn. 1. 2 Darüber hinaus findet sich der Begriff noch in Art. 87e Abs. 4 GG (Schienennetz). 3 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 3. Auflage, 2013, Band 1, Art. 14 Rn. 116. 4 Wieland, (Fn. 3), Rn. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 5 Stelle der wertenden Entscheidung des Parlaments setzen. Vielmehr verfügt der Gesetzgeber gerade bei der Konkretisierung des Wohls der Allgemeinheit über beträchtliche Gestaltungsfreiheit.“5 3. Zur Gemeinwohlausrichtung des öffentlichen Eigentums 3.1. Bedeutung öffentlicher Sachen Von der Sammelbezeichnung der öffentlichen Sache wird ein weiter Kreis höchst unterschiedlicher Gegenstände umfasst, die einer bestimmten öffentlichen Nutzung gewidmet sind, wie beispielsweise Straßen und Wege, Wasserstraßen, Eisenbahnen, Flughäfen, Schulen und Hochschulen, Krankenhäuser, Sportplätze, Gerichte, Verwaltungsgebäude, sachliche Hilfsmittel, die die Träger der öffentlichen Verwaltung zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigen, öffentliches Vermögen und vieles mehr.6 Der Begriff der öffentlichen Sache geht damit über den privatrechtlichen Sachenbegriff (§ 90 BGB) hinaus.7 Öffentliche Sachen unterliegen dem öffentlichen Sachenrecht, das die Aufgabe hat, „den (rechtlichen und tatsächlichen) Bestand sowie die Benutzbarkeit dieser Sachen sicherzustellen“8 und einen erheblichen Bereich der staatlichen Daseinsfürsorge umfasst. „Nutzungsberechtigte sind nicht nur die Träger öffentlicher Verwaltung, sondern alle Bürger innerhalb eines Gemeinwesens, die auf den Gebrauch bestimmter Sachen gleichermaßen existenziell angewiesen sind.“9 3.2. Überlagerung des Privatrechts durch die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft zur Sicherung der Gemeinwohlfunktion Im deutschen Recht ist das öffentliche Eigentum kein eigenes Rechtsinstitut: „Staat und Verwaltung werden grundsätzlich auf die private Eigentumsrechtsordnung verwiesen.“10 Das bedeutet zunächst, dass öffentlich-rechtliche Sachen am Rechtsverkehr teilnehmen, der durch das Privatrecht bestimmten Verfügungsgewalt des Eigentümers unterliegen und Gegenstand von privatrechtlichen Rechtsgeschäften (Veräußerungen/Belastungen) sein können. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die öffentliche Nutzung nicht per se gewährleistet und die Sache einem zweckwidrigen, nicht dem Gemeinwohl dienenden Gebrauch zugeführt wird.11 5 Wieland, (Fn. 4), [Hervorhebungen im Original], mit weiteren Nennungen. 6 Siehe dazu auch Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 1. 7 Fritsche, in: BeckOK BGB, 49. Ed. 1.2.2019, BGB § 90 Rn. 34. 8 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Auflage 2010, § 74 Rn. 1. 9 Kment/Weber, Recht der Öffentlichen Sachen, JA 2013, S. 119. 10 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 76 Rn. 2. 11 Kment/Weber, (Fn. 9). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 6 Nach der von der herrschenden Meinung anerkannten Theorie vom modifizierten Privateigentum, wird das Privateigentum an der öffentlichen Sache durch den öffentlich-rechtlichen Widmungszweck überlagert, um den öffentlichen Zweck einer Sache zu sichern.12 Öffentliche Sachen unterliegen damit einer öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft, der wie Wolff/ Bachof/Stober/Kluth treffend beschreiben, doppelte Bedeutung zukommt: „Zum einen ergeben sich aus ihr Nutzungsbefugnisse des Trägers der Sachherrschaft sowie Dritter und spezifische Unterhaltungspflichten des öffentlichen Rechts. Zum anderen wird die privatrechtliche Sachherrschaft in dem Umfang der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft verdrängt. Daraus ergeben sich für das privatrechtliche Eigentum über die Einschränkung des § 903 BGB (‚soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen‘) hinausreichende Beschränkungen, die ihre Grundlage im besonderen öffentlichen Interesse und der Zweckdienlichkeit finden.“13 Dies kann im Einzelfall soweit führen, dass dem Eigentümer nur noch ein im Wesentlichen inhaltloses Recht verbleibt.14 Wenn bei einer Privatisierung von Unternehmen, die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahrnehmen, die Widmung der öffentlichen Sachen aufrechterhalten bleibt, sichert die öffentlichrechtliche Sachherrschaft die Verfügbarkeit der öffentlichen Sache für die Allgemeinheit.15 Die Rechte aus dem Privateigentum treten insoweit zurück, als sie mit der öffentlich-rechtlichen Zweckbindung unvereinbar sind.16 3.3. Verschiedene Arten öffentlicher Sachen Im Hinblick auf die Art und Weise der Umsetzung der Gemeinwohlfunktion einer öffentlichen Sache finden sich differenzierte Ausprägungen. Es kann hier zum einen nach den öffentlichen Sachen im Verwaltungsgebrauch und zum anderen nach den öffentlichen Sachen im Zivilgebrauch unterschieden werden. Bei den öffentlichen Sachen im Verwaltungsgebrauch handelt es sich um Sachen, die der öffentlichen Verwaltung unmittelbar durch ihre Gebrauchsmöglichkeit dienen und von den Organwaltern öffentlicher Verwaltung selbst benutzt werden, wie beispielsweise Dienstgebäude der öffentlichen Verwaltung, deren Inventar und vieles mehr.17 Der Umfang der Nutzungsberechtigten beschränkt sich ausschließlich auf die Amtsträger selbst.18 Zugangsberechtigungen für Zivilpersonen ergeben 12 Fritsche, in: BeckOK BGB, 49. Ed. 1.2.2019, BGB § 90 Rn. 35 mit weiteren Nennungen. 13 Hervorhebungen nur hier, Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 76 Rn. 4. 14 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 76 Rn. 6. 15 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 2. 16 Papier, in: Ehrichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2005, § 37 Rn. 18. 17 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 11. 18 Kment/Weber, (Fn. 9), S. 123. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 7 sich lediglich als Annex zur Nutzungsberechtigung des Verwaltungsträgers zur Erfüllung seiner Aufgaben.19 Unter den öffentlichen Sachen im Zivilgebrauch werden öffentliche Sachen verstanden, die von Zivilpersonen benutzt werden. Die Nutzungsberechtigungen können „entweder ohne vorgeschaltete Zulassung eingeräumt sein oder nur kraft besonderer – ausdrücklicher oder stillschweigender – Zulassung des Trägers öffentlicher Sachherrschaft bestehen“20. Im Einzelnen wird differenziert nach: – Sachen im Anstaltsgebrauch: Hierunter fallen z. B. Schulen, Hochschulen, öffentliche Bibliotheken, Museen, Theater, Krankenhäuser, Sportplätze, Parks. Unter Sachen im Anstaltsgebrauch werden Sachen in der Hand eines Trägers der öffentlichen Verwaltung verstanden, die einer zulassungsgebundenen Nutzung durch Zivilpersonen gewidmet sind.21 – Sachen im Sondergebrauch: Hierunter fallen öffentliche Sachen, deren Gebrauch regelmäßig eine besondere Erlaubnis voraussetzt, wie bspw. die Ausleihe eines Bibliotheksbuchs. Im Vergleich zu den Sachen im Gemeingebrauch ist die Sondernutzung die Regel und nicht die Ausnahme.22 – Sachen im Gemeingebrauch: Dies sind z. B. Straßen, Wege, Plätze, die dem öffentlichem Verkehr gewidmet sind, Gewässer, Luftraum. Gemeinsamkeit öffentlicher Sachen im Gemeingebrauch 23 ist, dass sie einer unbeschränkten Öffentlichkeit unmittelbar und ohne besondere Zulassung zur Verfügung stehen.24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Inhalt des Gemeingebrauchs eine „grundrechtliche Gewährleistung“, die in ihrem Kern von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG erfasst werde und insoweit den Gesetzgeber binde.25 Aus diesem Grund kann der Gemeingebrauch nicht aus beliebigen Gründen eingeschränkt werden. Bei einer rechtswidrigen Beeinträchtigung seines beschränkt-subjektiven Rechts kommt dem Betroffenen ein Abwehranspruch zu, der sich gegen diejenige Behörde wendet, die den Gemeingebrauch rechtswidrig beeinträchtigt hat, 19 Papier, (Fn. 6), S. 34 20 Papier, (Fn. 16), § 38 I Rn. 1. 21 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 14 f. 22 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 26. 23 „Gemeingebrauch ist die jedermann gewährte, öffentliche Berechtigung eine öffentliche Sache ohne besondere Zulassung gemäß ihrer hoheitlichen Zweckbestimmung (Widmung) zu benutzen. […] Der Gemeingebrauch steht grundsätzlich jeder natürlichen und juristischen Person offen, seine Ausübung kann nicht einem bestimmten Personenkreis verboten werden, sofern nicht Sondervorschriften Ausnahmen im Interesse des Gemeingebrauchs der anderen Benutzer vorsehen.“ [Hervorhebung im Original] Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 77 Rn. 1. 24 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 16. 25 BVerwGE 30, S. 235 (S. 238 Rn. 26 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 8 sowie u. U. auch ein Schadensersatzanspruch.26 Der Inhalt des Gemeingebrauchs ergibt sich aus der Widmung und kann nach der Art der öffentlichen Sache, nach ihrem Zweck und nach Ort und Zeit verschieden ausgestaltet sein. Wird der Inhalt des Gemeingebrauchs überschritten, so liegt Anlieger-27 oder Sondergebrauch28 vor. Nach dem Grundsatz der Gemeinverträglichkeit ist die Ausübung des Gemeingebrauchs durch die Rechte anderer auf Wahrnehmung des Gemeingebrauchs eingeschränkt. Dem Sachherrn obliegen die Regelungen, die Überwachung und der Schutz des Gemeingebrauchs. Er kann zur Abwehr von Gefahren sowie zur Erleichterung des Verkehrs den Gemeingebrauch erweitern, beschränken oder seine Ausübung verbieten.29 Öffentliche Sachen, die dem Gebrauch der öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften dienen (res sacrae), bilden nach allgemeiner Ansicht keine eigenständige Kategorie des öffentlichen Sachenrechts. Sie sind je nach ihrem Widmungszweck den Sachen im Gemein-, Anstalts- und Verwaltungsgebrauch zuzuordnen.30 Abzugrenzen von den öffentlichen Sachen, die dem öffentlichen Sachenrecht und der öffentlichrechtlichen Sachherrschaft unterfallen, sind die „tatsächlichen öffentlichen Sachen und Sachgesamtheiten “. Bei diesen handelt es sich um Sachen, die allein von ihrem privaten Eigentümer öffentlich zugänglich oder benutzbar gemacht werden, wie z.B. private Krankenhäuser, private Museen, private Verkehrsflächen.31 Sie werden nicht zu den öffentlichen Sachen gezählt, da der private Eigentümer sein Herrschaftsrecht gemäß § 903 BGB ausschließlich allein ausübt.32 Ebenfalls keine öffentlichen Sachen sind Gegenstände des Finanzvermögens. Darunter werden Gegenstände gefasst, die den Zwecken der öffentlichen Verwaltung nur mittelbar, nämlich durch ihren Vermögenswert oder durch ihre Erträge dienen, wie z. B. Liegenschaften, gewerbliche Betriebe, Wertpapiere oder Bargeld, sofern sie im Eigentum von Körperschaften des öffentlichen Rechts 26 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 77 Rn. 6. 27 Auf den Anliegergebrauch, das Recht eines bestimmten Nutzerkreises (Eigentümer, Anlieger und Hinterlieger von Gewässern und Straßen) auf zulassungsfreien und unentgeltlichen Gebrauch, der über den allgemeinen Gemeingebrauch hinausgeht, wird in dieser Ausarbeitung nicht näher eingegangen. Siehe dazu Kment/Weber, (Fn. 9), S. 122; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 77 Rn. 35 ff. 28 Ein Beispiel im Straßenrecht für eine Sondernutzung ist bspw. die Nutzung öffentlicher Straßen zum Verkauf von Waren. Weitere Beispiele bei Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 77 Rn. 14 ff. 29 Ausführlich zu Inhalt und Grenzen des Gemeingebrauchs Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 77 Rn. 7 ff. sowie Rn. 27 ff. zu Einschränkungen und Erweiterungen. 30 Ausführlich zu den res sacrae: Papier, (Fn. 16), §39 I Rn. 1. und Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 27. 31 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 6. 32 Kment/Weber, (Fn. 9), S. 121. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 9 stehen.33 Gegenstände des Finanzvermögens unterstehen dem Privatrecht und können als solche in privatrechtlicher Form erworben, belastet und verkauft werden.34 3.3 Widmung und Entwidmung Erst durch den Rechtsakt der Widmung und die tatsächliche Indienststellung wird die Sache zu einer öffentlichen Sache.35 Die Widmung erfolgt regelmäßig durch ein förmliches Gesetz, durch förmliches Verwaltungsverfahren oder durch einen (ggfs. stillschweigenden) Verwaltungsakt.36 Der Widmung kommen verschiedene Bedeutungen zu: Durch sie wird die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft begründet. Sie bestimmt den öffentlichen Zweck, dem die Sache dienen soll. Sie regelt die Art und den Umfang ihrer möglichen Nutzung.37 Die Beendigung des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus bedarf ebenfalls eines Rechtsakts, der Entwidmung.38 Diese wird erst dann wirksam, wenn die Sache dem öffentlichen Verkehr auch tatsächlich entzogen ist.39 Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte darf ein bestehender Gemeingebrauch nicht aus beliebigen Gründen entzogen werden.40 Die Entwidmung führt zur Aufhebung der öffentlichen Zweckbestimmung und damit auch zur Aufhebung der daran geknüpften Beschränkungen der Verkehrsfähigkeit.41 Es entfallen Gemeingebrauch, Anliegergebrauch und schlichte Sondernutzung. Durch die Entwidmung fällt die Sache zurück in das Finanzvermögen des Verwaltungsträgers. Soweit die Sache im Privateigentum steht, leben alle privaten Rechte an der Sache wieder auf.42 Von der Entwidmung zu unterscheiden sind Änderungen der Widmung, bei denen sich der Umfang der Benutzbarkeit ändert (Ab- oder Aufstufung), die öffentliche Sache als solche aber bestehen bleibt.43 33 Kment/Weber, (Fn. 9), S. 121. 34 Siehe Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 74 Rn. 8. 35 Papier, (Fn. 16), § 39 I Rn. 1. 36 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 75 Rn. 8 ff. 37 Kment/Weber, (Fn. 9), S. 120. 38 In der straßenrechtlichen Terminologie „Entziehung“. Ausführlich zur Entwidmung und Einziehung siehe Papier, (Fn. 16), § 39 II Rn. 28 f. 39 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 75 Rn. 32. 40 BVerwGE 30, S. 235 (S. 238). 41 Stresemann, in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 90 Rn. 37. 42 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 75 Rn. 38. 43 Ausführlich zur Umstufung siehe Papier, (Fn. 16), § 39 III Rn. 30 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 10 4. Zur Vergesellschaftung öffentlichen Eigentums Die Enteignung bzw. Vergesellschaftung von Unternehmen wurde in neuerer Zeit im Hinblick auf die Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes in Folge der Finanzkrise im Jahr 2008 diskutiert.44 In den Medien wurde und wird von einer „Teilverstaatlichung“ der Commerzbank45 bzw. von einer „Verstaatlichung“ der Hypo Real Estate Holding-AG (HRE)46 berichtet. Aus juristischer Perspektive sind die vom Bund ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Banken jedoch weder als Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) (siehe dazu unter 4.1.) noch als Vergesellschaftung (Art. 15 GG) (siehe dazu unter 4.2.) zu qualifizieren Ein weiterer aktueller Fall, an den in diesem Zusammenhang gedacht werden könnte, ist die vollständige Übernahme der Toll Collect GmbH durch den Bund zum 01. September 2018, wobei auch hier das Unternehmen weder im Sinne des Art. 15 GG vergesellschaftet noch gemäß Art. 14 Abs. 3 GG enteignet worden ist (dazu unter 4.1.3.). 4.1. Fälle von Eingriffen in den Eigentumsschutz an Unternehmen auf Grundlage von Art. 14 Abs. 2, 3 GG Das Eigentum an einem Unternehmen, insbesondere das gesellschaftsrechtliche Anteilseigentum ist vom verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 GG umfasst.47 Dabei erstreckt sich der verfassungsrechtliche Schutz „sowohl auf die mitgliedschaftliche Stellung als auch auf die vermögensrechtlichen Ansprüche, welche das Aktieneigentum vermittelt“48. Eingriffe in das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum können durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1, 2 GG oder durch Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG erfolgen. Die Institute der Inhalts- und Schrankenbestimmungen einerseits und der 44 Siehe dazu insbesondere Wieland, (Fn. 3), Rn. 42 mit weiteren Nennungen. Für einen Überblick über die verschiedenen Gesetze zur Stabilisierung des Finanzmarktes siehe Obermüller/Obermüller, Die Finanzmarktstabilisierungsgesetze im Überblick, ZInsO 2010, S. 305 ff. 45 Siehe dazu bspw. den Artikel in der FAZ „Commerzbank wird teilverstaatlicht“ vom 09.01.2009, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/finanzkrise-commerzbank-wird-teilverstaatlicht-1752427.html (letzter Abruf 04.04.2019). 46 So bspw. der Artikel der Tagesschau, „Hypo Real Estate wird vollständig verstaatlicht“ vom 15.10.2009, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/hre314.html (letzter Abruf 04.04.2019). 47 Unstrittig ist dies für das Eigentum am Unternehmensträger, insbesondere an Trägergesellschaften, vgl. Depenheuer/ Froese in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 2018, Rn. 142 f. Ob und inwieweit der Schutz des Art. 14 GG das Recht am „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ umfasst, ist strittig, vgl. dazu Wieland, (Fn. 3), Rn. 61 ff. 48 Shirvani, in: Maunz/Dürig/Papier, 85. EL November 2018, GG Art. 14 Rn. 310 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 11 Enteignung andererseits sind streng voneinander zu trennen, da sie unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Rechtsfertigungsanforderungen unterliegen.49 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, legen die Inhalts- und Schrankenbestimmungen generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest.50 Der Gesetzgeber hat gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG den Auftrag, „eine Eigentumsordnung zu schaffen, die sowohl den privaten Interessen des Einzelnen als auch denen der Allgemeinheit gerecht wird“51. Die Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG ist auf die „vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 gewährleitsteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet“52. Eine Enteignung kann entweder durch Gesetz (Legalenteignung) oder auf Grund Gesetzes durch administrative Maßnahmen (Administrativenteignung ) erfolgen. 4.1.1. Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes – Übernahmen von Anteilen an der Commerzbank Die Bundesregierung musste Ende 2008 der größten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschlands entgegentreten. Der Gesetzgeber hat in schneller Abfolge mehrere Gesetze erlassen, um so einen „Instrumentenkasten“53 für die verschiedenen Stabilisierungsmaßnahmen zu schaffen.54 Durch das im Oktober 2008 in Kraft getretene Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz55 (FMStFG), wurde der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS oder auch SoFFin) geschaffen, der über einen Handlungsrahmen von insgesamt 480 Mrd. Euro verfügt. Die Verwaltung des SoFFin übernahm die eigens bei der Deutschen Bundesbank neu gegründete Finanzmarktstabilisierungsanstalt (FMSA). Der FSMA wurde die Entscheidungshoheit über die Vornahme sämtlicher Maßnahmen übertragen56 und gemäß §§ 6 bis 8 FMStFG zur Übernahme von Garantien, Beteiligung an Rekapitalisierungen , insbesondere durch Übernahme stiller Beteiligungen oder durch Anteilserwerb 49 Axer, in: BeckOK Grundgesetz, 40. Ed. 15.2.2019, GG Art. 14 Rn. 70. 50 BVerfGE 58, S. 300 (S. 330); 72, S. 66 (S. 76). 51 BVerfGE 58, S. 300 (S. 334); vgl. dazu auch BVerfGE 71, S. 230 (S. 246 f.) zur Kappungsgrenze Wohnungsmiete; BVerfGE 74, S. 203 (S. 214) zum Anspruch auf Arbeitslosengeld. 52 Hervorhebung nur hier, BVerfGE 104, S. 1 (S. 9); so auch BVerwGE 132, S. 261 (S. 264). 53 Langenbucher, Bankenaktienrecht unter Unsicherheit, ZGR 2010, S. 76 54 Einen umfassenden Überblick über die Finanzmarktstabilisierungsgesetze bis 2010 und ihre wesentliche Inhalte gibt Obermüller/Obermüller, (Fn. 44), S. 305 ff. 55 Vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 10. Juli 2018 (BGBl. I S. 1102). Das FMStFG bildet Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) vom 18. Oktober 2008, BGBl. 2008, S. 1982 ff. 56 § 1 Abs. 1 Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung (FMStFV) vom 20. Oktober 2008 (eBAnz AT123 2008 V1), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3171). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 12 sowie zum Erwerb oder zur Absicherung bestimmter Risikopositionen ermächtigt. Sämtliche Stabilisierungsmaßnahmen des SoFFin sind durch § 13 FMStFG befristet. Flankiert wurde die Einrichtung des SoFFin zunächst mit dem Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (FMStBG)57 und später mit dem Gesetz zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz – FMStrErgG)58 und dem darin enthaltenen Rettungsübernahmegesetz (RettungsG)59. Durch diese Gesetzte wurden zentrale gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Vorschriften modifiziert. So wurden u. a. erleichterte Regelungen für die Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre sowie für ein übernahmerechtliches „Squeeze out“ durch den SoFFin geschaffen.60 Die Modifikationen gelten ausschließlich für Unternehmen, denen staatliche Stabilisierungsmaßnahmen gewährt werden. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Rettungsübernahmegesetzes (RettungsG) eine Möglichkeit zur Enteignung von Anteilen an Finanzunternehmen geschaffen.61 Zwischen dem SoFFin und der Commerzbank wurden verschiedene Maßnahmen vereinbart.62 Nachdem der SoFFin der Commerzbank im Jahr 2008 stille Einlagen in Höhe von 8,3 Mrd. Euro gewährt und einen Garantierahmen in Höhe von 15 Mrd. Euro bereitgestellt hatte, zeichnete der SoFFin im Januar 2009 eine Kapitalerhöhung in Höhe von 1,772 Mrd. Euro und wurde dadurch mit 25 Prozent plus einer Aktie zum größten Einzelaktionär der Commerzbank. Die Gewährung der staatlichen Hilfen war mit verschiedenen Bedingungen verbunden. Der Vorstand der Commerzbank AG hat im Dezember 2008 gegenüber dem SoFFin eine Verpflichtungserklärung nach § 5 Abs. 7 Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung (FMStFV)63 abgeben, „dass die Bank für 2008 und 2009 keine Dividenden zahlen wird, dass sie außer zu Sanierungszwecken ihr Kapital nicht herabsetzen und keine eigenen Aktien zurückkaufen wird. Ferner werde sichergestellt, dass die 57 Vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982, 1986), zuletzt geändert durch Artikel 24 Absatz 25 des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1693). Das FMStBG bildet Art. 2 des FMStG. 58 Vom 7. April 2009, BGBl. 2009, S. 725 ff. 59 Vom 7. April 2009 (BGBl. I S. 725, 729), zuletzt geändert durch Artikel 24 Absatz 26 des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1693). Mit der Vereinbarkeit des Rettungsübernahmegesetzes mit Verfassungs- und Europarecht haben sich Appel/Rossi ausführlich auseinandergesetzt: Appel/Rossi, Finanzmarktkrise und Enteignung, 2009. 60 Langenbucher, (Fn. 53), S. 76; Gurlit, Finanzmarkstabilisierung und Eigentumsgarantie, NZG 2009, S. 601. 61 Die Enteignungsmöglichkeit war bis zum 30. Juni 2009 befristet. Eine Enteignung hätte nur als letztes Mittel vorgenommen werden dürfen. Letztlich kam es zu keiner Anwendung (siehe dazu unter 4.1.2.). 62 Eine Übersicht der verschiedenen Maßnahmen enthält der Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages , Staatliche Hilfen für die Commerzbank AG – Eine vorläufige Bilanz, vom 21. Juni 2017, WD 4 - 3000 - 052/17. Zu weiteren staatlichen Einzelbeihilfen zur Stabilisierung des Finanzmarktes, die verschiedenen Landesbanken gewährt wurden, siehe die Auflistung bei: Bunte, in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Auflage 2017, § 142 Rn. 42. 63 Siehe Fn. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 13 „monetäre Vergütung” der Organmitglieder für diese Zeit einen Betrag von 500 000 € nicht überschreitet .“64 Darüber hinaus gab es Auflagen, die die Commerzbank im Rahmen eines Beihilfeverfahrens von der EU-Kommission zur Bilanzverkleinerung erhalten hat.65 Die Beteiligung des SoFFin an der Commerzbank war und ist nur vorübergehend vorgesehen. Nachdem im Mai 2013 die stillen Einlagen durch die Commerzbank vollständig an den SoFFin zurückgezahlt worden waren, gab der SoFFin seine Sperrminorität auf. Zum 31.12.2017 hielt der SoFFin 15,6 % an der Commerzbank AG.66 Die Stabilisierungsmaßnahmen des SoFFin gegenüber der Commerzbank sind keine (Teil)enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG. Es handelt sich hierbei um keinen rechtsförmlichen, individuellkonkreten Akt, der zu einer vollständigen oder teilweisen Entziehung des Eigentums führt, welches unmittelbar zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben eingesetzt werden soll.67 Die durch das FMStBG68 geschaffenen Erleichterungen zur Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss und die Beschränkungen und Sanktionierungen des Anfechtungsrechts zielen nicht auf einen Entzug des Anteilseigentums , sondern allein auf seine Beschränkung. So wurde auf Grundlage des FMStBG nicht die gesamte Leitung der Commerzbank dem SoFFin unterstellt. Bei den durch die Geschäftsführung abgebenden Verpflichtungserklärungen handelt es sich zudem um keinen Beherrschungsvertrag.69 Durch die Modifikationen der aktien- und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen durch die Finanzmarktstabilisierungsgesetze werden vielmehr abstrakt-generell die Rechten und Pflichten des Eigentümers festgelegt und dem Eigentum insofern Schranken gesetzt. 4.1.2. Vollständige Übernahme der HRE Im Fall der HRE, der Systemrelevanz innerhalb des deutschen Finanzsystems zugemessen wurde, hat der SoFFin weitergehende Maßnahmen ergriffen, die schließlich zu einer vollständigen Übernahme der Holding durch den SoFFin führten. Die Übernahme der HRE erfolgte in drei Schritten: Nach einem Übernahmeangebot des SoFFin konnte dieser im Mai 2009 zunächst seinen Anteil an der HRE auf 47,3 Prozent der Aktien erhöhen. Unter Nutzung der Sonderregelungen im FMStBG setzte er im Juni 2009 dann eine Kapitalerhöhung durch, mit der er seinen Anteil auf 90 Prozent erhöhen konnte. Im Oktober 2009 wurden die Minderheitsaktionäre der HRE gegen eine Abfindung herausgedrängt (sogenannter Squeeze-out) und die 64 Noack, Das Aktienrecht der Krise – das Aktienrecht in der Krise?, AG 2009, S. 229. 65 Ausführlich siehe Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (Fn. 62), S. 5 f. 66 Angaben der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, abrufbar unter: https://www.deutsche-finanzagentur .de/de/finanzmarkt-stabilisierung/ (letzter Abruf 04.04.2019). 67 Gurlit, (Fn. 60), S. 603. 68 Vgl. insbesondere § 7 Abs. 3 und 7 FMStBG. 69 Langenbucher, (Fn. 53) S. 82. Im Ergebnis letztlich auch Noack, (Fn. 64), S. 229, der von einem „‚Beherrschungsvertrag light‘ [Hervorhebung im Original]“ spricht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 14 HRE vollständig vom SoFFin übernommen.70 Damit kam das vorsorglich beschlossene RettungsG, mit der in § 1 RettungsG vorgesehenen Möglichkeit, zur Sicherung der Stabilität des Finanzmarktes Anteile an Finanzunternehmen zu enteignen, nicht zur Anwendung. Im Jahr 2010 wurde die FMS Wertmanagement mit dem Ziel gegründet, von der HRE-Gruppe Risikopositionen und nicht strategienotwendige Geschäftsbereiche zu übernehmen und abzuwickeln. Seit dem 1. Oktober 2010 wickelt die FMS Wertmanagement das übertragene Portfolio nach wirtschaftlichen Grundsätzen ab.71 Der Frage, ob es sich bei der Übernahme der HRE durch den Bund mittels eines aktienrechtlichen Squeeze-Out um eine Enteignung handelt, kommt in Literatur72 und Rechtsprechung73 besondere Aufmerksamkeit zu. Zum Teil wird vertreten, dass es sich bei den Sonderregelungen, die das FMStBG zu Gunsten des SoFFin enthalte, und deren Anwendung bei der Übernahme der HRE um eine „getarnte Enteignung“ handele.74 Zum Teil wird angeführt, dass sich der durch das FMStBG erleichterte Squeeze-out grundlegend von dem „normalen“ Squeeze-out nach § 327a Abs. 1 AktG unterscheide75 und die 70 Siehe dazu die von der Bundesanstalt für Finanzstabilisierung veröffentlichte Chronik, abzurufen unter: https://www.fmsa.de/de/chronik/ (letzter Abruf 04.04.2019). 71 Zum Auftrag und zum Fortschritt des Abwicklungsprozesses siehe die Informationen der FMS Wertmanagement, abrufbar unter: https://www.fms-wm.de/de (letzter Abruf 04.04.2019). 72 Bauer, Staatliches Handeln im systemrelevanten Markt am Beispiel des Rettungsübernahmegesetzes, DÖV 2010, S. 20 ff.; Böckenförde, Die getarnte Enteignung, NJW 2009, S. 2484 ff.; Engel, „Lex Hypo Real Estate“ – Das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz auf verfassungsrechtlichem Prüfstand, BKR 2009, S. 365 ff.; Hofmann, Das Rettungsübernahmegesetz im Spiegel des Art. 14 III GG - „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig”, NVwZ 2009, S. 673 ff.; Voland, Ende gut, alles gut? Die Verfassungs- und Europarechtskonformität der Regelungen zur Finanzmarktstabilisierung, NZG 2012, S. 694 ff.; Wolfers/Rau: Enteignung zur Stabilisierung des Finanzmarktes: Das Rettungsübernahmegesetz, NJW 2009, S. 1297 ff. 73 OLG München, Urteil vom 28.09.2011 – 7 U 711/11 (LG München I), NZG 2011, S. 1227; siehe auch die Besprechung des Urteils von Voland, (Fn. 72), S. 694 ff. 74 So Böckenförde, (Fn. 72). 75 So Gurlit, (Fn. 60) S. 603, die den Squeeze-out zwar als „staatlichen Güterbeschaffungsvorgang“ bezeichnet, diesen letztlich aber nicht als Enteignung, sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmung qualifiziert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 15 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts76 zum AktG daher nicht ohne weiteres übertragbar sei.77 Die herrschende Meinung in der Literatur geht indes davon aus, dass Anforderungen des formalen Enteignungsbegriffs nicht erfüllt sind und die Maßnahmen als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren sind.78 Gegen eine Enteignung wird eingewandt, dass im FMStBG anders als im RettungsG keine Enteignungsregelung enthalten ist. Eine Administrativenteignung sei deshalb zu verneinen, weil der Entzug der Eigentumsposition in Form des Squeeze-out nicht mittels einer hoheitlichen Entscheidung, sondern durch den Beschluss der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft erfolge.79 Das Erreichen eines maßgeblichen Schwellenwerts für ein übernahme- oder aktienrechtliches Ausschlussverfahren würde durch § 7 FMStBG zwar erleichtert, aber nicht garantiert .80 Auch die Absenkung der Schwelle für einen Squeeze-out von 95 Prozent auf 90 Prozent des Grundkapitals durch § 12 Abs. 4 FMStBG führe nicht dazu, dass sich die Rechtsnatur des Squeezeout ändere. Ein „Umschlag“ von einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zu einer Enteignung werde hierdurch nicht bewirkt.81 Zu dieser Einschätzung kommt auch das OLG München, das sich mit dem Squeeze-Out Beschluss vor dem Hintergrund des § 12 Abs. 4 FMStBG auseinandergesetzt hat. Es hat die Übernahme der HRE durch den SoFFin als rechtmäßig erachtet.82 4.1.3. Übernahme der Toll Collect GmbH Zum 01.09.2018 hat der Bund das von der Deutschen Telekom AG, der Daimler Financial Services AG und der Compagnie Financière et Industrielle des Autoroutes S.A. (Cofiroute) gegründete Unternehmen Toll Collect GmbH, das ein satellitengestütztes Mautsystem für Lastkraftwagen betreibt , zu 100 % übernommen.83 Der Bund hatte eine vertraglich vorgesehene Call Option genutzt, da der Betreibervertrag zwischen dem Bund und Toll Collect am 31.08.2018 auslief und eine weitere Verlängerung vergaberechtlich nicht möglich war. Der Kaufpreis, den der Bund für die 76 Das Bundesverfassungsgericht hat aufgrund seines engen, formalisierten Enteignungsbegriffs wiederholt entschieden, dass ein aktienrechtlicher Squeeze-out keine Enteignung, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellt; Wieland, (Fn. 3) Rn. 41 mit Rechtsprechungsnachweisen. 77 Vgl. die Kritik von Wardenbach, nach dessen Ansicht das Gesamtpaket des FMStBG, mit der Möglichkeit Aktionäre auszuschließen, die ein Drittel des Kapitals halten, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Squeeze-out nicht mehr gedeckt sei und eine Enteignung „verfassungsrechtlich sauberer“ gewesen wäre. Wardenbach, Anm. zu OLG München: Squeeze out der HRE-Minderheitsaktionäre ist wirksam, GWR 2011, S. 496. 78 Uechtritz, Bankenrettung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, NVwZ 2010, S. 1474; Gurlit, (Fn. 60) S. 604; Voland, (Fn. 72), S. 697. 79 Uechtritz, (Fn. 78). 80 So Gurlit, (Fn. 60) S. 604. 81 Uechtritz, (Fn. 78). 82 OLG München, (Fn. 73). 83 Siehe dazu den Artikel vom BMVI, Bund ab dem 1. September 2018 Eigentümer der Toll Collect GmbH, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/toll-collect-eigentuemer-bund.html (letzter Abruf 04.04.2019). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 16 Übernahme der Geschäftsanteile an die Gesellschafter der Toll Collect GmbH zu zahlen hatte, bemisst sich nach dem in der Toll Collect GmbH vorhandenen Eigenkapital, das der Bund nach der Übertragung der Geschäftsanteile wirtschaftlich nutzen kann.84 Die Übernahme sollte zunächst nur vorübergehend sein. Am 15. Januar 2019 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) erklärt, dass die Toll Collect im Eigentum des Bundes verbleiben soll und dass das im Jahr 2016 gestartete Vergabeverfahren für die Suche nach einem privaten Mautbetreiber gestoppt werde.85 Bei der Übernahme der Toll Collect GmbH handelt es sich rechtlich um keine Vergesellschaftung oder Enteignung. Dem Bund steht es frei, Geschäftsanteile eines Unternehmens zu kaufen und dieses zu betreiben.86 Die Toll Collect GmbH bleibt ein privates Unternehmen. Als alleinige Gesellschafterin übernimmt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Aufgaben eines Gesellschafters nach dem GmbH-Gesetz. Für die GmbH gelten die Grund-sätze guter Unternehmens - und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes.87 4.2. Fälle von Vergesellschaftung gemäß Art. 15 GG Art. 15 GG ermächtigt den Gesetzgeber dazu, Grund und Boden sowie Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft gegen Entschädigung zu überführen. Die Vergesellschaftung unterscheidet sich grundsätzlich von der Enteignung nach ihrer Zielsetzung, ihren Voraussetzungen und ihrer Formtypik.88 So zielt die Vergesellschaftung darauf ab, „dass das für eine Marktwirtschaft typische Handeln mit eigennütziger Gewinnerzielungsabsicht abgelöst werden soll durch eine wirtschaftliche Betätigung, die auf eine Bedürfnisbefriedigung im Interesse der Allgemeinheit ausgerichtet ist“89. 84 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jörg Cezanne, Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – BT-Drs. 19/2903 – Übernahme und Veräußerung der Geschäftsanteile der Toll Collect GmbH vom 05.07.2018, BT-Drs. 19/3249, S. 3. 85 Siehe dazu die Presseerklärung des BMVI vom 15.01.2019, abzurufen unter: https://www.bmvi.de/Shared- Docs/DE/Pressemitteilungen/2019/005-scheuer-lkw-mautbetreiber.html (letzter Abruf am 04.04.2019). 86 Zum Grundsatz der Wahlfreiheit der Verwaltung und den öffentlichen Unternehmen siehe Wolff/Bachof/Stober/Kluth, (Fn. 8), § 92 Rn. 8, 17 f. und 25 ff. 87 Siehe Antwort zu Frage 7 des FAQ zur Aufhebung Vergabeverfahren Lkw-Maut des BMVI, abzurufen unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/lkw-mautbetrieb-toll-collect-eigentuemer-bund-faq.html (letzter Abruf 04.04.2019). 88 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 15 Rn. 14. 89 Wieland, (Fn. 3), Art. 15 Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/19 Seite 17 Von der Ermächtigung in Art. 15 GG hat der Gesetzgeber bislang keinen Gebrauch gemacht.90 5. Fazit Die Gemeinwohlausrichtung des öffentlichen Eigentums zeigt sich insbesondere darin, dass aufgrund der Widmung für einen öffentlichen Zweck die privatrechtliche Sachherrschaft im Umfang der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft verdrängt wird. Aus der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft ergeben sich Nutzungsbefugnisse und spezifische Unterhaltspflichten des öffentlichen Rechts. Die Gemeinwohlfunktion der Sache kann sehr unterschiedlichen Inhalts sein. Dies führt zu der herkömmlichen Unterscheidung öffentlicher Sachen im Gemeingebrauch, im Sondergebrauch, im Anstaltsgebrauch sowie im Verwaltungsgebrauch. Eine Entwidmung der öffentlichen Sache führt dazu, dass die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft aufgehoben wird und die Sache nicht mehr der Allgemeinheit zur Verfügung steht. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist es bisher zu keiner Vergesellschaftung nach Art. 15 GG gekommen. Die in Folge der Finanzkrise im Jahr 2008 ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes werden in Literatur und Rechtsprechung nicht als Enteignungen, sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1, 2 GG qualifiziert. *** 90 Depenheuer/Froese, (Fn. 88), Rn. 3; Wieland, (Fn. 3), Rn. 20. Siehe auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, Zur Vergesellschaftung eines privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmens nach Art. 15 GG, WD 3 - 3000 - 445/18 vom 29.01.2019.