© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 058/15 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Asylverfahren in Drittstaaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 2 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit extraterritorialer Asylverfahren in Drittstaaten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 058/15 Abschluss der Arbeit: 16.03.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Asylverfahrenszentren in Drittstaaten 4 3. Ergänzende (komplementäre) extraterritoriale Asylverfahren 5 3.1. Grundrechtsgeltung 5 3.2. Vorprüfungsverfahren 5 3.3. Rechtsverbindliche Durchführung eines Asylverfahrens 6 4. Ersetzende extraterritoriale Asylverfahren 7 4.1. Beeinträchtigung des vorläufigen Bleiberechts 7 4.2. Ausnahmen vom vorläufigen Bleiberecht 8 4.2.1. Asylverfahrenszentren als sichere Drittstaaten 8 4.2.2. Asylverfahrenszentren als ausländische Fluchtalternative 9 4.2.3. Vorrangige Asylabkommen 9 4.2.4. Verfassungsrechtliche Regelung zu extraterritorialen Asylverfahren 10 5. Ausblick 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 4 1. Einleitung In der aktuellen politischen Diskussion ist erneut angeregt worden, die Möglichkeit von Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Drittstaaten (Nordafrika) in Betracht zu ziehen.1 Die Aufnahmezentren sollen einerseits dazu dienen, die Anreize für Migrationsbewegungen in die Europäische Union, insbesondere über gefährliche Routen und mithilfe von Schlepperbanden zu minimieren und andererseits denjenigen Flüchtlingshilfe zuteilwerden zu lassen, die besonders schutzbedürftig sind und das Territorium der Europäischen Union oft nicht erreichen. Angesichts der „Europäisierung des Asylrechts“ liegt es nahe, eine solche Kooperation mit Drittstaaten nicht bilateral, sondern unter dem Dach der Europäischen Union anzugehen.2 Von ihrer Ausrichtung her könnten die Aufnahmezentren als Schutz- und Beratungseinrichtungen konzipiert werden oder auch als Asylverfahrenszentren, in denen die Prüfung von Asylanträgen erfolgt.3 Für die Prüfung von Asylanträgen in Asylverfahrenszentren sind ebenfalls verschiedene Modelle denkbar, insbesondere kann man danach unterscheiden, ob die Asylverfahren in den Drittstaaten die Asylverfahren in Deutschland bzw. einem anderen EU-Mitgliedstaat ergänzen (ergänzendes Modell) oder ersetzen sollen (ausschließliches Modell).4 Die vorliegende Fragestellung bezieht sich auf die Einrichtung von Asylverfahrenszentren in Drittstaaten zur „rechtsverbindlichen“ Durchführung von Asylverfahren und die dabei zu berücksichtigenden rechtlichen Vorgaben. Dabei soll auch die Zulässigkeit des ersetzenden Modells geprüft werden. Nach dem ersetzenden Modell könnten Flüchtlinge ihre Asylanträge ausschließlich in den Drittstaatseinrichtungen stellen. Asylsuchende, die gleichwohl in die Europäische Union bzw. nach Deutschland gelangen, sollen mit Verweis auf die ausschließliche Antragstellung in den Drittstaateneinrichtungen zurückgewiesen bzw. in die (zuständigen) Aufnahmeeinrichtungen (zurück-)verbracht werden.5 2. Asylverfahrenszentren in Drittstaaten Die Einrichtung von Asylverfahrenszentren in Drittstaaten wirft zahlreiche, insbesondere völkerund europarechtliche Fragen auf. Diese beziehen sich zum einen auf die organisatorisch- 1 Vgl. Interview des Bundesministers des Innern de Maizière in der Welt vom 26.02.2015, abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Interviews/DE/2015/02/interview-die-welt.html. Zu früheren Vorschlägen, u.a. des damaligen britischen Premierministers Blair und des damaligen Bundesministers des Innern Schily vgl. Bröcker, Die externen Dimensionen des EU-Asyl- und Flüchtlingsrechts im Lichte der Menschenrechte und des Völkerrechts (2010), 31 ff., 327 ff. 2 Zu weiteren sog. externen Maßnahmen und der zunehmenden Hinwendung der Europäischen Union zu externen Lösungsansätzen Bröcker (Fn. 1). 3 Die Bezeichnung als Asylverfahrenszentrum soll deutlich machen, dass die Aufnahmezentren der Durchführung von Asylverfahren dienen. In der Diskussion um extraterritoriale Aufnahmezentren werden unterschiedliche Begriffe verwendet, u.a. Asylverfahrenslager, Transit Processing Centre (TPC), Transitunterkunft, Schutzzone, Safe Haven, vgl. dazu Bröcker (Fn. 1), 135, 146 f. 4 Dieser Unterscheidung hebt auch Bröcker (Fn. 1), 27 ff. hervor. 5 Zu der besonders restriktiven australischen Variante eines ausschließlichen Modells eingehend Bröcker (Fn. 1), 166 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 5 institutionellen Rahmenbedingungen, also auf die Frage der möglichen Beteiligten der Einrichtungen (Herkunftsstaaten, Transitstaaten, EU-Mitliedstaaten, Europäische Union, Internationale Organisationen), auf die möglichen Betreiber der Einrichtung (EU-Mitgliedstaaten, Europäische Union, Internationale Organisationen) und die Träger der Entscheidungs- bzw. Hoheitsgewalt (EU- Behörden, Behörden der EU-Mitgliederstaaten). Insoweit wäre zu klären, ob – je nach Ausgestaltung – entsprechende Zuständigkeiten vorliegen und welche Vorgaben bei der völkervertraglichen Umsetzung zu beachten sind. In materiell-rechtlicher Hinsicht stellt sich sodann die Frage, ob bzw. wie die in den Asylverfahrenszentren zu gewährleistende Unterbringung sowie die durchzuführenden Asylverfahren den grund- und menschenrechtlichen Vorgaben genügen könnten. Zu berücksichtigen wären insoweit das nationale Verfassungsrecht sowie die europa- und völkerrechtlich geschützten Menschenrechte, insbesondere aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention.6 Vorliegend ist zu prüfen, ob Asylverfahren nach deutschem Recht in einem Drittstaat durchführbar wären. Geht man davon aus, dass ein Asylverfahrenszentrum in einem Drittstaat nach den – hier nicht näher zu behandelnden – europa- und völkerrechtlichen Vorgaben eingerichtet werden kann und die völkerrechtliche Vereinbarung mit dem Drittstaat die für die Durchführung von rechtsverbindlichen Verfahren erforderliche Ausübung von fremder (deutscher) Hoheitsgewalt zulässt, wären die Rechtsgrundlagen für die Durchführung des deutschen Asylverfahrens in einem Drittstaat gesetzlich, insbesondere im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) zu schaffen. Dabei stellt sich die Frage, ob entsprechende gesetzliche Änderungen verfassungsrechtlich zulässig wären. Angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen ist insoweit zwischen ersetzenden und ergänzenden extraterritorialen Asylverfahren in Drittstaaten zu differenzieren. 3. Ergänzende (komplementäre) extraterritoriale Asylverfahren Extraterritoriale Asylverfahren, die Asylverfahren in Deutschland nicht ausschließen, könnten Asylverfahren in Deutschland insofern ergänzen, als sie entweder ein zusätzliches Angebot darstellen oder eine frei wählbare Alternative. 3.1. Grundrechtsgeltung Soweit die Angebote in den extraterritorialen Asylverfahrenszentren in den Drittstaaten nicht nur Beratungs- und Hilfsangebote zum Gegenstand haben, sondern auf die Ausübung von Hoheitsgewalt gerichtet sind, sind nach Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zu beachten. Die Geltung der Grundrechte ist nicht auf das Territorium der Bundesrepublik beschränkt, sondern knüpft an die Ausübung von staatlicher Gewalt an.7 3.2. Vorprüfungsverfahren Als zusätzliches Angebot zum Asylverfahren in Deutschland kommt zunächst ein Vorprüfungsverfahren in Betracht, das den Antragstellern bei positiver Einschätzung des in Deutschland 6 Eingehend dazu Bröcker (Fn. 1), 241 ff.; Heißl, Rechtliche Überlegungen zum Konzept der Asylverfahrenslager außerhalb Europas, ZÖR 2007, 371 ff. 7 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 53 zu Art. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 6 durchzuführenden Asylverfahrens eine legale Einreise nach Deutschland durch die Erteilung eines Visums ermöglicht. Soweit ein solches Verfahren so ausgestaltet ist, dass es bei negativer Entscheidung die asylrechtliche Rechtsstellung der Antragsteller in Deutschland nicht beeinträchtigt, sondern eine zusätzliche Rechtsposition schafft, bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Verfahren könnte beispielsweise als oder in Anlehnung an das Visumverfahren ausgestaltet werden. 3.3. Rechtsverbindliche Durchführung eines Asylverfahrens Bei einem zum Asylverfahren in Deutschland alternativ wählbaren Asylverfahren in einem Asylverfahrenszentrum bedarf es einer grundrechtskonformen Ausgestaltung des Asylverfahrens. Zu beachten sind insofern die aus Art. 16a Abs. 1 GG folgenden verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Als Richtschnur für die dabei einzuhaltenden Mindestanforderungen kann die Entscheidung des BVerfG zum sog. Flughafenverfahren dienen.8 Diese hatte die Regelung des § 18a AsylVfG zum Gegenstand, wonach Asylverfahren bei der Einreise über den Luftweg vor der Einreise in die Bundesrepublik durchzuführen sind mit der Folge, dass die Asylbewerber während des Verfahrens im Transitbereich zu verbleiben haben. Insoweit besteht eine gewisse strukturelle Vergleichbarkeit zur Durchführung von extraterritorialen Asylverfahren in Drittstaaten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG erfordert Art. 16a Abs. 1 GG, dass die Geltendmachung der grundrechtlichen Gewährleistung „sachgerecht, geeignet und zumutbar“ ist.9 Dem Gesetzgeber komme bei der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der aber „elementare, unverzichtbare Verfahrensanforderungen“ zu beachten habe.10 Unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber verfolgten Interessen, unberechtigte Asylbegehren möglichst schnell zurückzuweisen, und der auf der anderen Seite bestehenden besonderen Schwierigkeiten der Asylbewerber, ihr Asylgesuch trotz der Sprachschwierigkeiten, fehlender Rechtskenntnis und sonstiger Belastungen geltend zu machen, hat das BVerfG für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Asylgrundrechts folgende Leitlinien aufgestellt: „Sowohl bei der Wahl des Zeitpunkts der Anhörung, auf deren Grundlage das Bundesamt über den Antrag entscheidet, als auch bei der erforderlichen Vorbereitung des Antragstellers auf die Anhörung und bei deren Durchführung ist auf seine physische und psychische Verfassung Rücksicht zu nehmen. Ferner ist - soweit möglich - alles zu vermeiden, was zu Irritationen und in deren Gefolge zu nicht hinreichend zuverlässigem Vorbringen in der Anhörung beim Bundesamt führen kann. Auch im Übrigen ist - etwa in Bezug auf den Einsatz hinreichend geschulten und sachkundigen Personals und zuverlässiger Sprachmittler oder die Art der Unterbringung der Asylbewerber während des Verfahrens - auf die Schaffung von Rahmenbedingungen Bedacht zu nehmen, unter 8 BVerfGE 94, 166. 9 BVerfGE 94, 166, 200. 10 BVerfGE 94, 166, 200. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 7 denen tragfähige Entscheidungsgrundlagen erzielt und die Asylantragsteller vollständige und wahrheitsgetreue Angaben machen können.“11 Ausgehend von diesen Leitlinien hatte das BVerfG im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Flughafenverfahrens keine verfassungsrechtlichen Bedenken.12 Bei der Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten müssten diese Mindestanforderungen ebenfalls zur Anwendung kommen. Insofern wären nicht nur die verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die extraterritorialen Asylverfahrenszentren müssten auch über eine entsprechende personelle und räumliche Ausstattung verfügen, die die Durchführung der Verfahren sowie die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gewährleistet. Für den gerichtlichen Rechtsschutz und das dabei zu beachtende Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG bedarf es nach der Rechtsprechung des BVerfG Vorkehrungen, die „die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände (insbesondere Abgeschlossensein des asylsuchenden Ausländers im Transitbereich, besonders kurze Fristen, Sprachunkundigkeit) unzumutbar erschweren oder vereiteln“.13 In diesem Sinne ist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Asylbewerber in die Lage versetzt wird, gerichtlichen Rechtsschutz wahrzunehmen, insbesondere durch die Bereitstellung kostenloser asylrechtskundiger und unabhängiger Beratung.14 Übertragen auf die Konstellation der extraterritorialen Asylverfahren in Drittstaaten bedeutet dies, dass die Asylverfahrenszentren Zugang zu unabhängig beratenden Personen oder Stellen (ggf. Menschenrechtsorganisationen) ermöglichen müssen, die bei der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes helfen. Der Rechtsschutz vor deutschen Gerichten könnte dann – wie bei Verfahren in Visaangelegenheiten – aus dem Ausland wahrgenommen werden. 4. Ersetzende extraterritoriale Asylverfahren Das ersetzende extraterritoriale Asylverfahren (ausschließliches Modell) bedeutet eine Verlagerung von Asylverfahren nach Drittstaaten. Antragsteller aus Drittstaaten, die das Bundesgebiet erreichen und nicht schon der Zuständigkeit anderer sicherer Drittstaaten unterfallen, würden nach dem Modell der ersetzenden extraterritorialen Asylverfahren auf die Antragstellung und Durchführung der Asylverfahren in den Asylverfahrenszentren verwiesen und ggf. dorthin verbracht werden. Fraglich ist, ob der mit dem ausschließlichen Modell verbundene Ausschluss von Asylverfahren in Deutschland mit Art. 16a GG vereinbar wäre. 4.1. Beeinträchtigung des vorläufigen Bleiberechts Der Gewährleistungsinhalt von Art. 16a GG bezieht sich nicht nur auf den Schutz der Asylberechtigten , sondern auch auf den Schutz der Asylbewerber. Das Asylgrundrecht gewährleistet 11 BVerfGE 94, 166, 202. 12 BVerfGE 94, 166, 202 ff. 13 BVerfGE 94, 166, 206. 14 BVerfGE 94, 166, 206 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 8 denjenigen, die in Deutschland um Asyl nachsuchen, Schutz vor Zurückweisung an der Grenze und vor Abschiebung in den Verfolgerstaat.15 Daraus folgt die grundsätzliche Gewährung eines vorläufigen Bleiberechts.16 In der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Asylgrundrechts zeigt sich dieser Territorialitätsbezug darin, dass auf den in Deutschland gestellten Asylantrag hin ein vorläufiges Bleiberecht in Form der Aufenthaltsgestattung nach den §§ 55 ff. AsylVfG gewährt wird. Die hier vorgesehenen extraterritorialen Asylverfahren sollen eine Antragstellung auf Asyl in Deutschland und eine vorläufiges Bleiberecht ausschließen. Verwaltungsrechtlich könnte dies durch die Regelung eines Einreiseverbots und/oder der Unbeachtlichkeit entsprechender Asylanträge mit der Folge aufenthaltsbeendender Maßnahmen umgesetzt werden. Darin läge eine Beeinträchtigung des von Art. 16a Abs. 1 GG gewährleisteten vorläufigen Bleiberechts für Asylbewerber. 4.2. Ausnahmen vom vorläufigen Bleiberecht Der nach Art. 16a Abs. 1 GG zu gewährende Schutz durch das vorläufige Bleiberecht gilt aber nicht, wenn die Asylsuchenden nicht mehr schutzbedürftig sind (Subsidiarität des Asyls). Dies ist nach Art. 16a Abs. 2 GG bei der Einreise aus sicheren Drittstaaten der Fall mit der Folge, dass eine Berufung auf den Schutz aus Art. 16a Abs. 1 GG entfällt.17 Die Schutzbedürftigkeit kann darüber hinaus fehlen, wenn anderweitiger Schutz in einem Drittstaat besteht (ausländische Fluchtalternative).18 Im Hinblick auf den beabsichtigten Ausschluss von Asylverfahren in Deutschland für Asylsuchende aus oder mit Zugang zu extraterritorialen Asylverfahrenszentren in Drittstaaten stellt sich die Frage, ob diese Asylverfahrenszentren bzw. der dort gewährte Schutz die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge und damit den Schutz aus Art. 16a Abs. 1 GG entfallen lassen könnten. 4.2.1. Asylverfahrenszentren als sichere Drittstaaten Fraglich ist zunächst, ob die Asylverfahrenszentren in das Konzept der sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG integriert werden könnten. Die Einreise aus sicheren Drittstaaten führt nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG dazu, dass der Schutz des Asylgrundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG von vornherein entfällt. Diese Rechtsfolge ermöglicht - wie hier beabsichtigt - eine Zurückweisung an der Grenze bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Daher stellt sich die Frage, ob die Asylverfahrenszentren durch Gesetz als sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG bestimmt werden könnten. Voraussetzung für die Qualifizierung als sicherer Drittstaat ist nach Art. 16a 15 Randelzhofer, Asylrecht, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VII (3. Aufl., 2009), § 153 Rn. 66. 16 v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG (6. Aufl., 2012), Rn. 27 zu Art. 16a. 17 Insoweit nimmt das BVerfG eine Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Asylgrundrechts an, BVerfGE 94, 49, 87. 18 Vgl. Randelzhofer (Fn. 15), § 153 Rn. 51 ff., u.a. mit Hinweis darauf, dass die Frage nach ausländischen Fluchtalternativen angesichts der Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG nicht überflüssig geworden sei, da die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG neben den EU-Mitgliedstaaten nur diejenigen Staaten erfasse, die die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert und in ihr innerstaatliches Recht effektiv umgesetzt haben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 9 Abs. 2 S. 1 GG, dass die „Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“. Eine Sicherstellung in diesem Sinne erscheint innerhalb der Asylverfahrenszentren nicht ausgeschlossen , soweit die Betreiber der Einrichtung (die Europäische Union oder die EU-Mitgliedstaaten) durch völkerrechtliche Vereinbarung mit dem Drittstaat entsprechende Hoheitsbefugnisse ausüben dürfen. Das Konzept der sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG bezieht sich aber nicht auf Einrichtungen in Drittstaaten, sondern auf die Drittstaaten selbst. Ausdrücklich sieht Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG vor, dass „die Staaten“ durch Gesetz als sichere Drittstaaten zu bestimmen sind. Das bestehende Konzept der sicheren Drittstaaten käme danach nur in Betracht, wenn die für die Einrichtung von Asylzentren ausgewählten Drittstaaten selbst die Anforderungen des Art. 16a Abs. 2 GG erfüllten, also Vertragspartei beider Konventionen wären und ihre Anwendung sicherstellten. Bei einer Qualifizierung der Drittstaaten als sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG würde sich die Notwendigkeit von Asylverfahrenszentren allerdings erübrigen. 4.2.2. Asylverfahrenszentren als ausländische Fluchtalternative Die Beeinträchtigung des vorläufigen Bleiberechts aus Art. 16a Abs. 1 GG könnte aber insofern zulässig sein, als sich den Flüchtlingen in den Asylverfahrenszentren eine ausländische Fluchtalternative bietet, die ihre Schutzbedürftigkeit entfallen lässt.19 Voraussetzung für die Annahme einer ausländischen Fluchtalternative ist, dass der Flüchtling in einem Drittstaat objektiv vor Verfolgung sicher war und die Flucht in dem Drittstaat ihr Ende genommen hat.20 Eine objektive Sicherheit dürfte innerhalb der Asylverfahrenszentren zu gewährleisten sein. Voraussetzung für eine Beendigung der Flucht ist aber, dass der Aufenthalt in einem Drittstaat nicht nur eine Durchgangsstation darstellt.21 Dies ist bei einem Aufenthalt in einem Asylverfahrenszentrum nicht der Fall. Der Aufenthalt im Asylverfahrenszentrum ist nur vorübergehender Art und dient gerade nicht der Beendigung, sondern der Fortsetzung der Flucht. 4.2.3. Vorrangige Asylabkommen Ein Verstoß gegen Art. 16a Abs. 1 GG könnte aber durch vorrangige völkerrechtliche Abkommen entfallen. Nach Art. 16a Abs. 5 GG steht Art. 16a Abs. 1 GG bestimmten völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen. Die in Art. 16a Abs. 5 GG verankerte völkerrechtliche Öffnungsklausel ermöglicht damit eine Verdrängung des Schutzes aus Art. 16a Abs. 1 GG durch völkerrechtliche Verträge.22 Fraglich ist daher, ob die zur Einrichtung von Asylverfahrenszentren erforderlichen völkerrechtlichen Vereinbarungen als Asylabkommen im Sinne des Art. 16a Abs. 5 GG ausgestaltet werden 19 Den Ausschluss der Asylberechtigung und die Unbeachtlichkeit von Asylanträgen bei fehlender Schutzbedürftigkeit wegen Verfolgungssicherheit in Drittstaaten regeln §§ 27, 29 AsylVfG. 20 Vgl. v. Arnauld (Fn. 16), Rn. 22 zu Art. 16a. 21 v. Arnauld (Fn. 16), Rn. 22 zu Art. 16a. 22 v. Arnauld (Fn. 16), Rn. 56 zu Art. 16a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 10 könnten. Der Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 5 GG ist insofern beschränkt, als die Abkommen Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren oder die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen zum Gegenstand haben müssen. Darüber hinaus können Vertragsparteien nur die Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europarates sein.23 Im Hinblick auf die zulässigen Vertragsgegenstände könnte man nach dem Wortlaut des Art. 16a Abs. 5 GG meinen, die durch völkerrechtliche Vereinbarung einzurichtenden Asylverfahrenszentren behandelten die Zuständigkeit der Vertragspartner auf fremdem Hoheitsgebiet und damit Zuständigkeitsfragen im Sinne des Art. 16a Abs. 5 GG. Völkerrechtliche Vereinbarungen zur Verlagerung von Asylverfahren nach Drittstaaten waren jedoch nicht Hintergrund für die Einführung des Art. 16a Abs. 5 GG. Vielmehr sollten völkerrechtlich vereinbarte Zuständigkeitsverteilungen, insbesondere die Durchführung des Schengener Durchführungsübereinkommens ermöglicht werden.24 Die Verlagerung von deutschen Asylverfahren nach Drittstaaten geht aber über Zuständigkeitsverteilungen weit hinaus und dürfte den Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 5 GG daher überschreiten. Darüber hinaus wäre die Heranziehung des Art. 16a Abs. 5 GG wegen seiner Beschränkung der Vertragspartner auf Mietgliedstaaten des Europarates ungeeignet. Einfachgesetzliche Regelungen zu extraterritorialen Asylverfahren in Drittstaaten, die die Durchführung von Asylverfahren in Deutschland und das vorläufige Bleiberecht für Flüchtlinge, die das Bundesgebiet erreichen, ausschließen, dürften daher mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Ausnahmen vom Schutz des Art. 16a Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sein. 4.2.4. Verfassungsrechtliche Regelung zu extraterritorialen Asylverfahren Denkbare Änderungen des Art. 16a GG zur Regelung von extraterritorialen Asylverfahren unter Ausschluss von Asylverfahren in Deutschland müssten den Anforderungen des Art. 79 GG genügen und dürften insbesondere die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten änderungsfesten Grundsätze nicht berühren. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, der verfassungsändernde Gesetzgeber könne das Asylgrundrecht sogar abschaffen.25 Nach anderer Auffassung wohnt dem Asylgrundrecht ein änderungsfester Menschenwürdekern inne, der durch eine Verfassungsänderung nicht berührt werden dürfe.26 Ob die hier fragliche Ermöglichung von ersetzenden extraterritorialen Asylverfahren in Drittstaaten einen möglichen Menschenwürdekern berühren würde, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Regelung ab. Insofern erscheint es allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, eine Regelung zu schaffen, die an die Verfolgungssicherheit in Asylverfahrenszentren in Drittstaaten anknüpft und sich qualitativ nicht wesentlich von dem Konzept der sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG unterscheidet. Dabei könnte eine qualitative Vergleichbarkeit jedenfalls für diejenigen Flüchtlinge gelten, die tatsächlich Zugang zu den Asylverfahrenszentren hatten bzw. dort aufgenommen wurden. Problematisch könnte es allerdings sein, wenn auch diejenigen Asylsuchenden vom Asylverfahren in Deutschland präkludiert würden, die keinen 23 Die Beschränkung auf die Mitgliedstaaten des Europarates folgt aus dem Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention , vgl. dazu v. Arnauld (Fn. 16), Rn. 57, 59 zu Art. 16a. 24 Siehe dazu v. Arnauld (Fn. 16), Rn. 58 zu Art. 16. 25 BVerfGE 94, 49, 103 f.: „Ist mithin der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert, das Asylgrundrecht als solches aufzuheben, (…)“. 26 Vgl. zum Streitstand Randelzofer (Fn. 15), Rn. 8 f. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 058/15 Seite 11 Zugang zu Asylverfahrenszentren hatten. Insofern würde der Ausschluss des Asylverfahrens in Deutschland einer Abschaffung des Asylgrundrechts gleichkommen, was unter dem Gesichtspunkt des erwähnten Streits zum Menschwürdegehalt des Asylgrundrechts zu diskutieren wäre. 5. Ausblick Bei der weiteren Diskussion sind neben den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen die hier nicht näher behandelten europa- und völkerrechtlichen Vorgaben zur Wahrung der Menschenrechte zu berücksichtigen. Soweit die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben extraterritoriale Asylverfahren zulassen, wären die organisatorischen Rahmenbedingungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu klären. Welche Drittstaaten als geeignete Vertragspartner und zu welchen Bedingungen in Betracht kämen (z.B. in Kombination mit Entwicklungshilfen, finanzieller Unterstützung 27) und unter welcher Leitung (z.B. UNHCR) solche Einrichtungen betrieben werden sollten, unterliegt politischen (Zweckmäßigkeits-) Erwägungen und Einschätzungen. Gleiches gilt für Prognosen zu den möglichen und wahrscheinlichen Wirkungen der Asylverfahrenszentren in Drittstaaten auf die Migrationsbewegungen. Grundlage für die weitere Entwicklung konkreter Konzepte könnten Modellprojekte sein, die zunächst „nur“ auf die Gewährung von Hilfs-, Beratungs- und ggf. Visa-Angeboten gerichtet sind. 27 Kritisch im Hinblick auf die Kosten aber Heißl (Fn. 6), der insoweit auf die extraterritoriale Pazifik-Lösung Australiens verweist, die sich als dreimal so teuer erwiesen habe wie die ursprünglichen Verfahren auf dem Festland.