© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 057/21 Einführung eines verpflichtenden Mauterhebungsdienstes Gesetzesänderungen und Vertrauensschutz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 2 Einführung eines verpflichtenden Mauterhebungsdienstes Gesetzesänderungen und Vertrauensschutz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 057/21 Abschluss der Arbeit: 19. April 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Einführung des europäischen elektronischen Mautdienstes (2. EEMD-Gesetz)1 der Bundesregierung sieht Änderungen des Mautsystemgesetzes (MautSysG)2 sowie des Bundesfernstraßenmautgesetzes (BFStrMG)3 vor, die es den zuständigen Behörden des Bundes und der Länder ermöglichen sollen, künftig die Berechnung der Maut einheitlich für alle Nutzer der elektronischen Mautdienst-Anbieter (EETS-Anbieter) selbst vorzunehmen. Soweit die zuständigen Behörden künftig die Berechnung der Maut selbst durchführen, können sie auch die Erkennung von Befahrungen des mautpflichtigen Streckennetzes und die Ermittlung der für die Befahrung zu entrichtenden Maut (Mauterhebungsdienst ) selbst vornehmen.4 Dies wird mit der erhöhten Flexibilität bei der Gestaltung der Mautsysteme , der dauerhaften Sicherstellung einer einheitlich hohen Erhebungsqualität der Maut sowie der Gebührengerechtigkeit durch eine einheitliche Gebührenermittlung begründet. Zudem soll neuen Anbietern der Marktzugang erleichtert werden, u. a. weil geringere Anfangsinvestitionen anfallen.5 Nach Informationen des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) wurde das bundeseigene Unternehmen Toll Collect GmbH mit der Umsetzung eines einheitlichen Mauterhebungsdienstes beauftragt. Die EETS-Anbieter sollen ab Mitte 2023 verpflichtet werden, diesen zu nutzen.6 EETS-Anbieter, die in Deutschland mautdienstbezogene Leistungen erbringen wollen, müssen sich beim BAG registrieren lassen, § 4 MautSysG. Die Erbringung von mautdienstbezogenen Leistungen innerhalb eines mautpflichtigen Streckennetzes bedarf darüber hinaus einer Zulassung durch die jeweils zuständigen Behörden, § 10 Abs. 1 bzw. § 11 MautSysG. Bisher sind die EETS-Anbieter verpflichtet , den Mauterhebungsdienst selbst vorzunehmen, § 4f Abs. 1 BFStrMG. Den EETS-Anbietern wird eine Vergütung nach Maßgabe des EETS-Zulassungsvertrags vom Mautbetreiber gezahlt. Diese setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen; der Provisionssatz für die Höhe der EETS-Anbietervergütung beträgt derzeit 2,90 Prozent (§ 20 Abs. 2 EETS-Zulassungsvertrag7). Die EETS-Anbieter befürchten, dass ihre Vergütung reduziert werden wird, da sie künftig den Mauterhebungsdienst nicht mehr selbst vornehmen werden, und sich dadurch die von ihnen für die Einführung des eigenen Mauterhebungsdienstes getätigten Investitionen nicht mehr amortisieren würden. Neuen EETS-Anbietern, die künftig ihre Geschäftstätigkeit aufnehmen könnten, ohne 1 BT-Drs. 19/27522 vom 11. März 2021. 2 Mautsystemgesetz vom 5. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1980), zuletzt geändert durch Art. 144 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626). 3 Bundesfernstraßenmautgesetz vom 12. Juli 2011 (BGBl. I S. 1378), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 29. Juni 2020 (BGBl. I S. 1528). 4 BT-Drs. 19/27522, S. 21. 5 BT-Drs. 19/27522, S. 41. 6 Zum Ganzen siehe die Information des Bundesamts für Güterverkehr, abrufbar unter https://www.bag.bund.de/DE/Navigation/EETS/EETS_Gebiete/eets_gebiete_node.html (letzter Abruf 16. April 2021). 7 EETS-Zulassungsvertrag vom 20. März 2018 (BAnz AT 27.03.2018 V2), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 1. Juli 2020 (BAnz AT 31.08.2020 V2). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 4 einen eigenen Mauterhebungsdienst einführen zu müssen, würde ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil verschafft.8 Gefragt wird, ob die Einführung eines verpflichtenden staatlichen Mauterhebungsdienstes bei gleichzeitiger Absenkung der Vergütung bereits registrierter bzw. zugelassener EETS-Anbieter deren Grundrechte hinsichtlich eines potentiellen Vertrauensschutzes verletzt. 2. Vereinbarkeit mit Grundrechten Eine Verpflichtung, die Streckenauswertung und Mautberechnung einem staatlichen Mauterhebungsdienst zu überlassen, und eine damit verbundene Reduzierung der Vergütung der bereits akkreditieren EETS-Anbieter könnte die Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten ihrer dafür eigens entwickelten technischen Systeme beeinträchtigen. Dadurch könnten sie in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) und in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sein. 2.1. Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG Personell erfasst der Schutzbereich der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG natürliche und inländische juristische Personen, die nicht in staatlicher Hand stehen.9 Auch juristische Personen , die ihren Sitz in der EU haben, sind bei hinreichendem Inlandsbezug umfasst.10 Darunter fallen die EETS-Anbieter. Sachlich sind alle vermögenswerten Rechte geschützt, die Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass sie die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausüben dürfen.11 Vom Schutz umfasst sind unter anderem der Bestand von Sacheigentum und geistigem Eigentum in der Hand des Eigentümers sowie die Nutzung.12 Das Eigentum der EETS-Anbieter an ihren technischen Geräten und der Software, die sie für ihre mautdienstbezogene Leistungen verwenden, sowie deren Nutzbarkeit unterfällt dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Eine Verpflichtung, den staatlichen Mauterhebungsdienst zu nutzen, schränkt jedoch nicht die generelle Nutzung des Privateigentums der EETS-Anbieter ein, sondern betrifft die Möglichkeit, damit gewinnbringende mautdienstbezogene Leistungen zu erbringen . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst die Eigentumsgarantie 8 Stellungnahme der AETIS (Verband der Service Anbieter im Rahmen elektronischer Mautsysteme in Europa und speziell von EETS) vom 10. Dezember 2020 zum Referentenentwurf, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/Shared- Docs/DE/Anlage/Gesetze/Gesetze-19/gesetzesentwurf-zweites-eemd-gesetz-stellungnahme-1.pdf?__blob=publication File (Stand 16. April 2021). 9 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 14 Rn. 22 f. 10 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 92. EL August 2020, Art. 14 Rn. 344. 11 BVerfGE 131, 66 (79). 12 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 14 Rn. 6, 8, 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 5 des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG keine Umsatz- und Gewinnchancen.13 Diese fallen ausschließlich in den Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.14 2.2. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG Der personelle Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG erfasst alle Deutschen i.S.d. Art. 116 GG sowie juristische Personen aus dem Inland und EU-Ausland.15 Sachlich umfasst ist jede Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.16 Bei der Erbringung von mautdienstbezogenen Dienstleistungen handelt es sich um eine solche Tätigkeit. Für die Erbringung dieser Tätigkeit ist in Deutschland eine Registrierung bzw. eine Zulassung als EETS-Anbieter erforderlich, die jeweils an verschiedene inhaltliche Vorgaben sowohl für die Anbieter als auch deren Tätigkeit geknüpft sind. Art. 12 Abs. 1 GG schützt insbesondere Form, Mittel und Umfang sowie die gegenständliche Ausgestaltung der Tätigkeit.17 Weiter schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen.18 Es besteht jedoch kein grundrechtlicher Anspruch auf das Gleichbleiben der Wettbewerbsbedingungen. Insbesondere gewährleistet die Berufsfreiheit keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten.19 Auch schützt die Berufsfreiheit nicht vor dem Hinzutreten des Staates in den Wettbewerb, solange die private wirtschaftliche Betätigung nicht unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wird oder eine unerlaubte staatliche Monopolstellung entsteht.20 Ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG liegt vor, soweit eine Regelung darauf gerichtet ist, eine bestimmte berufliche Tätigkeit zu untersagen, den Zugang zum Beruf zu beschränken oder den Beruf in bestimmter Weise auszuüben. Als Eingriffe kommen hier die geänderten Regelungen für den Mauterhebungsdienst sowie eine Kürzung des Vergütungsanspruches der EETS-Anbieter in Betracht. Soweit hierin Eingriffe zu sehen sind, stellt sich die Frage nach ihrer Rechtfertigung und insbesondere nach ihrer Verhältnismäßigkeit. 13 BVerfGE 74, 129 (148); 105, 272 (278); 143, 246 (331). 14 BVerfGE 88, 366 (377). 15 Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 33, 38. 16 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 12 Rn. 5. 17 Ebenda, Rn. 10. 18 BVerfGE 106, 275 (298 f.). 19 Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 16 m. w. N. 20 BVerwG, Beschluss vom 21. März 1995, Az. 1 B 211/94, NJW 1995, S. 2938 (S. 2939); Mann, in: Sachs, Grundgesetz , 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 16 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 6 2.2.1. Verpflichtende Nutzung eines Mauterhebungsdienstes Der Gesetzentwurf enthält keine explizite Regelung, die die EETS-Anbieter zur Nutzung eines bestimmten Mauterhebungsdienstes verpflichtet. Die vorgesehenen Änderungen in § 14 MautSysG-E, § 4 und § 4f BFStrMG-E sehen zunächst nur eine Möglichkeit für das BAG vor, selbst den Mauterhebungsdienst vorzunehmen. Die EETS-Anbieter werden verpflichtet, den zuständigen Behörden die dafür erforderlichen Informationen, insbesondere die Positionsdaten eines mautpflichtigen Fahrzeuges sowie die tarifbestimmenden Merkmale der Fahrzeugklassifizierung des Fahrzeuges, zu übermitteln. Aus der Gesetzesbegründung geht allerdings hervor, dass künftig der Grundsatz gelten soll, dass der Mauterhebungsdienst durch die zuständigen Behörden durchgeführt wird.21 Es soll den Behörden grundsätzlich freistehen, EETS-Anbietern zu ermöglichen, den Mauterhebungsdienst durchzuführen. Die Aussagen des BAG auf seinen Internetseiten (siehe oben unter 1.) lassen jedoch vermuten, dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht werden soll. Eine gesetzliche Verpflichtung für die zugelassenen EETS-Anbieter, die für den Mauterhebungsdienst erforderlichen Informationen an die zuständigen Behörden zu übermitteln, sowie die Beschränkung , anstelle des eigenen Mauterhebungsdienstes den staatlichen nutzen zu müssen, würde die Art und Weise ihrer Berufsausübung regeln. Zu prüfen ist, ob dieser Eingriff in die Berufsausübung gerechtfertigt ist. Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Dies ist durch das 2. EEMD-Gesetz gegeben. Fraglich ist, ob der Eingriff verhältnismäßig ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass der Eingriff einen legitimen Zweck in geeigneter , erforderlicher und angemessener Weise verfolgt.22 Eine Einschränkung der Berufsausübung kann auf jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls gestützt werden.23 Die im Gesetzentwurf angeführte Zielsetzung – eine erhöhte Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung der Mautsysteme und der Übertragung von Aufgaben an die Anbieter, die dauerhafte Sicherstellung einer einheitlich hohen Erhebungsqualität der Maut, die Einheitlichkeit der Gebührenermittlung sowie ein erleichterter Marktzugang, stellen legitime Zwecke dar.24 Die Regelung müsste geeignet und erforderlich sein, um das Ziel zu erreichen.25 Geeignet ist die Maßnahme, wenn mit ihr der verfolgte Zweck zumindest gefördert werden kann. Sie ist erforderlich , wenn keine milderen, gleich geeigneten Maßnahmen dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen. Gegen eine Erforderlichkeit wird seitens der EETS-Anbieter angeführt, dass sie in der Vergangenheit gezeigt hätten, dass sie flexibel auf Änderungen reagieren können. Die Sicherstellung der im Gesetzentwurf genannten Ziele sei auch bei der Erbringung des Mauterhebungsdienstes durch die 21 BT-Drs. 19/27522, S. 42. 22 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 92. EL August 2020, Art. 20 Rn. 110. 23 BVerfGE 97, 228 (255). 24 BT-Drs. 19/27522, S. 42. 25 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 92. EL August 2020, Art. 20 Rn. 112 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 7 EETS-Anbieter gewährleistet.26 Dem Gesetzgeber kommt bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit jedoch ein großer politischer Einschätzungsspielraum zu.27 Die Durchführung des Mauterhebungsdienstes durch die zuständigen Behörden, um diesen maximale Flexibilisierungsmöglichkeiten zu sichern, dauerhaft eine einheitliche hohe Erhebungsqualität der Maut sowie die Gebührengerechtigkeit sicherzustellen, dürfte sich in diesem Spielraum bewegen. Schließlich müsste die Regelung angemessen sein.28 Die EETS-Anbieter werden zwar in einem nicht unerheblichen Umfang in ihrer Aufgabenwahrnehmung eingeschränkt. Es verbleiben ihnen jedoch immer noch Aufgabenbereiche von wichtiger Bedeutung. Zudem werden mit der Regelung gewichtige öffentliche Interessen verfolgt. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und der ihn rechtfertigenden Gründe dürfte die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. Die zugelassenen EETS-Anbieter wären durch die Verpflichtung, die für den Mauterhebungsdienst erforderlichen Informationen an die zuständigen Behörden zu übermitteln, sowie die Beschränkung, anstelle des eigenen Mauterhebungsdienstes den staatlichen zu nutzen, wohl nicht in ihrer Berufsfreiheit verletzt. An diesem Ergebnis dürfte auch ein durch die Zulassungserleichterung entstehender Wettbewerbsvorteil für neue EETS-Anbieter nichts ändern. Wie bereits oben ausgeführt, schützt die Berufsfreiheit nicht das Gleichbleiben der Wettbewerbsbedingungen. Auch dürfte die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der EETS-Anbieter durch die Aufgabenübernahme seitens der staatlichen Toll Collect GmbH nicht unzumutbar eingeschränkt sein; ihnen verbleiben noch alle anderen mautdienstbezogenen Leistungen wie die Datensammlung oder Gebührenerhebung bei ihren Kunden. 2.2.2. Absenkung der Vergütung Der Gesetzentwurf enthält keine Regelung zur Absenkung der Vergütung. Gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzentwurfs soll jedoch ein neuer § 10a im MautSysG eingeführt werden, der die Ausgestaltung der Anbietervergütung nach Maßgabe des Art. 7 der Richtlinie (EU) 2019/520 regelt. Den Fall vorausgesetzt, dass die Vergütung der bereits zugelassenen EETS-Anbieter künftig abgesenkt werden würde, wäre dies als Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG einzustufen. So stellen Regelungen, die die Vergütung von beruflichen Tätigkeiten festlegen, Eingriffe dar.29 Zu prüfen ist, ob sich die EETS-Anbieter auf einen besonderen Vertrauensschutz berufen können, wenn ihr derzeitiger Vergütungsanspruch für sie nachträglich geändert wird, da bei Gesetzen mit unechter Rückwirkung der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Vertrauensschutz zu berücksichtigen ist. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft 26 Vgl. Stellungnahme AETIS (Fn. 8), S. 6 f. 27 BVerfGE 121, 317 (354); Ernst, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 171. 28 Vgl. BVerfGE 113, 167 (260). 29 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 12 Rn. 14a m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 8 einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet.30 Durch eine Absenkung der Vergütung würde auf den im Zulassungsvertrag festgelegten Vergütungsanspruch der zugelassenen EETS-Anbieter nachteilig eingewirkt werden. Eine Unzulässigkeit ergibt sich nur, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.31 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt weder aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch aus dem Gebot des Vertrauensschutzes ein Recht, von Neuregelungen verschont zu bleiben, bis einmal getätigte Investitionen sich vollständig amortisiert haben; auch ist der Gesetzgeber grundsätzlich nicht zu einer Übergangsregelung verpflichtet, die jedem Betroffenen die Fortsetzung einer früheren Tätigkeit ohne Rücksicht auf deren Umfang gestattet.32 Es ist zweifelhaft, ob ein schutzwürdiges Vertrauen der zugelassenen EETS-Anbieter am Bestand der Rechtslage entstanden ist. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, die Adressaten grundsätzlich vor Enttäuschungen ihrer in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage gesetzten Erwartungen zu bewahren.33 Für Betreiber von Anlagen in den Bereichen Atomkraft und erneuerbaren Energien hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ihnen aufgrund gesetzlich festgelegter Restlaufzeiten34 bzw. gesetzlichen Vergütungsgarantien für einen bestimmten Zeitraum35 ein schutzwürdiges Vertrauen hinsichtlich ihrer Investitionen zukommt. Für die EETS-Anbieter hingegen wurde weder vertraglich noch gesetzlich ein konkreter Vergütungsanspruch für einen bestimmten, in die Zukunft gerichteten Zeitraum, festgelegt.36 Der Provisionsanspruch richtet sich vielmehr nach der Höhe der Mauteinnahmen.37 Das Investitionsrisiko liegt somit grundsätzlich bei den Anbietern. Auch die in den EETS-Zulassungsverträgen vereinbarte prozentuale Provisionshöhe dürfte keine staatliche Garantie dafür darstellen, dass dieser Prozentsatz für einen bestimmten Zeitraum bestehen bleibt. Zu Beginn wurde im Zulassungsvertrag eine deutlich geringere Provisionshöhe (0,75 Prozent) vereinbart.38 Diese wurde erst am 1. Februar 2020 nach einer Rüge durch die Europäische Kommission auf 2,90 Prozent erhöht.39 Weiter verdeutlicht die Vertragsanpassungsklausel in § 31 des EETS-Zulassungsvertrags, dass die EETS-Anbieter beim Abschluss des 30 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 98. 31 BVerfGE 95, 64 (86). 32 BVerwG, Urteil vom 30. April 2009, Az. 7 C 14/08 (OVG Bautzen), NVwZ 2009, S.1441 (S. 1443). 33 BVerfG Beschluss vom 30. Juni 2020, Az. 1 BvR 1679/17, 1 BvR 2190/17, NVwZ-RR 2021, S. 177 (S. 185 Rn. 125). 34 BVerfGE 143, 246 (247). 35 BVerfG, Beschluss vom 20. September 2016, Az. 1 BvR 1299/15, NVwZ 2017, S. 702 (S. 703 Rn. 25). 36 Vgl. § 20 EETS-Zulassungsvertrag (Fn. 7). 37 Ebenda. 38 Vgl. § 20 Abs. 2 EETS-Zulassungsvertrag vom 20. März 2018 (BAnz AT 27.03.2018 V2). 39 Vgl. Artikel 1 - Dritte Verordnung zur Änderung der EEMD-Zulassungsverordnung (BAnz AT 31.01.2020 V3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 057/21 Seite 9 Vertrags mit der Möglichkeit einer Vertragsanpassung aufgrund sich ändernder Gesetze rechnen müssen. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine Verhältnismäßigkeit sprechen. Vielmehr ist der Staat aus Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG dem Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung verpflichtet. Die zugelassenen EETS-Anbieter dürften demnach durch eine Absenkung der Vergütung aufgrund eines reduzierten Leistungsumfangs nicht in ihrer Berufsfreiheit verletzt sein. ***