© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 056/15 Zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes durch den Bundesrat Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 2 Zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes durch den Bundesrat Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 056/15 Abschluss der Arbeit: 24. März 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundsätze der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen 4 2.1. Zustimmungstatbestände 5 2.2. Zustimmungsfreie und zustimmungsbedürftige Regelungen in einem Gesetz und dessen Aufspaltung 5 2.3. Aufhebung, Verlängerung und Ergänzung zustimmungsbedürftiger Gesetze 6 2.4. Änderung von zustimmungsbedürftigen Gesetzen 6 2.5. Änderung des Art. 84 GG durch die Föderalismusreform 2006 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 4 1. Einleitung 1 Gefragt ist nach der Einschätzung der Zustimmungsbedürftigkeit eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes durch den Bundesrat, Vor der Prüfung der Zustimmungsbedürftigkeit werden die allgemeinen Grundsätze der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen und die Regelungen des Gesetzentwurfs skizziert. 2. Grundsätze der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen2 Gemäß Artikel 50 Grundgesetz (GG)3 wirken die Bundesländer durch den Bundesrat unter anderem an der Gesetzgebung des Bundes mit. Hierzu verleiht das Grundgesetz dem Bundesrat eine Reihe unterschiedlicher Befugnisse, die sich für die einfache Gesetzgebung aus den Artikeln 76, 77 GG ergeben. Er kann beispielsweise, wenn der Bundestag ein Gesetz beschlossen hat, den Vermittlungsausschuss anrufen (Artikel 77 Abs. 2 S. 1 GG). Nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens kann er gegen Gesetze, zu denen seine Zustimmung nicht erforderlich ist, Einspruch einlegen (Artikel 77 Abs. 3 S. 1 GG). Den Einspruch des Bundesrates kann der Bundestag mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 77 Abs. 4 GG) zurückweisen und sich damit über den Willen des Bundesrates hinwegsetzen. Besonders weit reichend sind die Einflussmöglichkeiten des Bundesrates demgegenüber bei Gesetzen, die seiner Zustimmung bedürfen: Verweigert der Bundesrat in diesem Fall – ggf. nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens nach Artikel 77 Abs. 2 GG – die Zustimmung, so kommt das Gesetz nicht zustande. Anders als bei Einspruchsgesetzen, hat der Bundesrat bei Zustimmungsgesetzen also die Möglichkeit, das vom Bundestag beschlossene Gesetz endgültig zu Fall zu bringen. 1 2 Darstellung im Wesentlichen übernommen aus , Bedarf das GKV-Zustimmungsgesetz (Drs. 581/10) der Zustimmung des Bundesrates? Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3-3000-401/10. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 5 2.1. Zustimmungstatbestände Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz ist nach dem Grundgesetz die Ausnahme.4 Der Zustimmung bedürfen Gesetze nur dann, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt (Enumerationsprinzip).5 Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse gibt es nicht.6 Eine Zustimmungsbedürftigkeit wird auch nicht allein dadurch begründet, dass in Länderinteressen eingegriffen wird.7 Ausdrückliche Regelungen über die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen finden sich über das ganze Grundgesetz verteilt. Teils beziehen sie sich auf eng umgrenzte Gesetzgebungsmaterien (vgl. etwa Einzelheiten des Asylrechts nach Art. 16a Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG oder Regelungen zu Statusrechten-/-pflichten der Landesbeamten sowie zur Staatshaftung nach Art. 74 Abs. 2 GG), teils auf nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Kategorien von Gesetzen (vgl. etwa Art. 79 Abs. 2, 84 Abs. 1 S. 5, 104a Abs. 4 GG). Wird ein Gesetz von keinem dieser Fälle erfasst, ist es ein Einspruchsgesetz. 2.2. Zustimmungsfreie und zustimmungsbedürftige Regelungen in einem Gesetz und dessen Aufspaltung Enthält ein Gesetz auch nur eine einzige zustimmungsbedürftige Regelung, so bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz als Ganzes, also einschließlich seiner zustimmungsfreien Bestandteile, der Zustimmung des Bundesrates.8 Bei verweigerter Zustimmung können auch die nicht zustimmungsbedürftigen Teile des Gesetzes nicht in Kraft treten. Dies folge vor allem aus Artikel 78 GG. Das „vom Bundestag beschlossene Gesetz“ (Artikel 78) sei das durch einen Gesetzesbeschluss des Bundestages zu einer Einheit zusammengefasste Gesetz. Dieses Gesetz komme zustande, wenn der Bundesrat zustimmt.9 Wenn man zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen Teilen eines Gesetzes differenzieren wollte, entstünden verfahrenstechnische Schwierigkeiten.10 Denn bei dieser Betrachtung käme bei Verweigerung der Zustimmung des Bundesrates zu den organisations- und verfahrensrechtlichen Vorschriften eines Gesetzes, also durch eine einseitige Entscheidung des Bundesrates, ein vom Bundestag möglicherweise so nicht gewolltes „Teilgesetz“ zustande; daher komme eine separate Ausfertigung und Verkündung der materiell-rechtlichen Teile eines Gesetzes nicht in Betracht. 4 BVerfGE 31, 363 [381]; 105, 313 [339]; BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2010, Az. 2 BvL 8/07, 2 BvL 9/07, Rn. 146. 5 BVerfGE 1, 76 [79]; BVerfGE 48, 127 [129]. 6 Zwei in diesem Zusammenhang von einigen Autoren aufgeführte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen keine „ungeschriebenen“ Zustimmungstatbestände, sondern vielmehr die Auslegung ausdrücklich die Zustimmungsbedürftigkeit anordnender Verfassungsbestimmungen; so überzeugend: Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, Jus 1999, S. 861 [862]. 7 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 77 Rn. 3; Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, JuS 1999, S. 861 [862]. 8 BVerfGE 1, 76 [79]; 8, 274 [294]; 24, 184 [195]; 37, 363 [381]; 55, 274 [318 f.]; 105, 313 [339]. 9 BVerfGE 8, 274 [294 f.]. 10 BVerfGE 8, 274 [295]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 6 Dem Bundestag bleibt es freilich unbenommen, durch Aufteilung eines Gesetzesvorhabens in ein zustimmungsfreies und ein zustimmungsbedürftiges Gesetz die Ausdehnung der Zustimmungsbedürftigkeit auf das gesamte Vorhaben zu vermeiden.11 Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daraus, dass die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen nach dem Grundgesetz die Ausnahme ist. Verzichte der Bundesgesetzgeber in einem Gesetz auf zustimmungsbedürftige Regelungen, entspreche dies gerade dem Modell der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern.12 2.3. Aufhebung, Verlängerung und Ergänzung zustimmungsbedürftiger Gesetze Die bloße Aufhebung zustimmungsbedürftiger Normen ist nicht zustimmungsbedürftig.13 Die Verlängerung der Geltungsdauer von Zustimmungsgesetzen ist stets zustimmungsbedürftig.14 Ergänzungsgesetze zu Zustimmungsgesetzen folgen den allgemeinen Regeln, sind also jeweils aus sich heraus zu beurteilen. 2.4. Änderung von zustimmungsbedürftigen Gesetzen Fraglich ist, ob jede Änderung eines mit Zustimmung des Bundesrates ergangenen Gesetzes seinerseits zustimmungsbedürftig ist. Der Bundesrat hatte diese Auffassung wiederholt vertreten15: Durch seine Zustimmung übernehme er die Verantwortung für das gesamte Gesetzeswerk, also auch für diejenigen Regelungen, die isoliert betrachtet nicht schon als solche zustimmungsbedürftig wären. Änderungsgesetz und zu änderndes Gesetz seien aufeinander bezogen, daher berühre jede Gesetzesänderung diese Verantwortung. Zudem verlange die Normenhierarchie, dass eine Norm bestimmten Rechtsranges (zustimmungsbedürftiges Gesetz) nur durch eine gleichen oder höheren Ranges verändert werden könne.16 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre ist nicht jedes Gesetz, das ein Zustimmungsgesetz ändert, schon aus diesem Grunde zustimmungsbedürftig. Vielmehr muss das ändernde Gesetz selbst daraufhin überprüft werden, ob es der Zustimmung des Bundesrates unterliegt.17 11 BVerfGE 34, 9 [28]; 37, 363 [379 ff.]; 39, 1 [35]; 55, 274 [319]; 75, 108 [150]; 105, 313 [338]. 12 BVerfGE 105, 313 [339]. 13 BVerfGE 14, 208 [219 f.]. 14 BVerfGE 8, 274 [295]. 15 Siehe z. B. BRats-Drs. 594/73. 16 Vgl. auch: Ossenbühl, Die Zustimmung des Bundesrates beim Erlass von Bundesrecht, Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 99 (1973/74), S. 369 [424 f.]. 17 BVerfGE 37, 363 [379 ff.]; 48, 127 [178]; 105, 313 [333]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 7 Bei Vorliegen einer oder mehrerer der folgenden Fallgruppen bedarf das Änderungsgesetz der Zustimmung18: 1. Das Änderungsgesetz enthält selbst neue zustimmungsbedürftige Vorschriften. 2. Mit dem Änderungsgesetz werden Vorschriften geändert, die ursprünglich die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst hatten. 3. Das Änderungsgesetz enthält solche materiell-rechtlichen Regelungen, die bestehende zustimmungsbedürftige Vorschriften zwar formell nicht ändert, ihnen aber eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen. 4. Die Geltungsdauer eines befristeten Zustimmungsgesetzes wird verlängert.19 Gerade die dritte Fallgruppe bereitete in der Praxis häufig Schwierigkeiten und wurde durch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen konkretisiert. Eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite enthält eine Regelung nicht schon dadurch, dass sich der Geschäftsanfall bei den Landesbehörden vermehrt, weil eine Norm in persönlicher oder sachlicher Hinsicht erweitert wird.20 Auch ein Gesetz, das den Personenkreis, auf den eine zustimmungsbedürftige Norm anzuwenden ist, erweitert, bedarf nicht schon deswegen der Zustimmung des Bundesrates. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Bestimmung im Lebenspartnerschaftsgesetz vom 16. Februar 200121, nach der die Ausländerbehörden jetzt auch ausländischen Lebenspartnern eines Ausländers für die Herstellung und Wahrung der lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen können, nicht für zustimmungsbedürftig, da die Aufgabe der Ausländerbehörde zwar eine quantitative Mehrung, nicht aber einen anderen Inhalt erfahren habe.22 Auch in den Entscheidungen zum Luftsicherheitsgesetz führte das Gericht (allerdings im Zusammenhang mit dem Zustimmungstatbestand des Art. 87d Abs. 2 GG) aus, dass eine rein quantitative Erhöhung der Aufgabenlast der Länder jedenfalls dann nicht genüge, wenn hiermit keine strukturelle oder andere schwerwiegende Veränderung der Aufgabenwahrnehmung einhergehe.23 18 BVerfGE 37, 363 [379 ff.]; 48, 127 [178]; 105, 313 [333]; Stettner, in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auflage 2006, Art. 77 Rn. 13. 19 BVerfGE 8, 274 [295]. 20 BVerfGE 37, 363 [389]. 21 BGBl. I S. 266. 22 BVerfGE 105, 313 [333]. 23 BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2010, Az. 2 BvL 8/07 und 09/07 Rn. 145. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 8 2.5. Änderung des Art. 84 GG durch die Föderalismusreform 2006 Der in der Vergangenheit wichtigste Zustimmungstatbestand war Art. 84 Abs. 1 a. F. GG. Dieser machte 70% aller Zustimmungsgesetze aus.24 Bis zum 31. August 2006 galt der Art. 84 Abs. 1 GG in folgender Fassung: „Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.“ Im Zuge der Föderalismusreform I ist diese Bestimmung jedoch dahingehend verändert worden, dass in Abweichung zum früheren Recht der Bund im Bereich der Landeseigenverwaltung die Einrichtung von Behörden und das Verwaltungsverfahren nun ohne Zustimmung des Bundesrates regeln kann. Die Länder können jedoch nach Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG davon abweichende Regelungen treffen. Nur wenn der Bund diese Abweichungsmöglichkeit der Länder in einem Gesetz ausschließt, bedarf das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates (Art. 84 Abs. 1 S. 6 GG). Vor diesem Hintergrund gelten die obigen Ausführungen zur Änderung zustimmungsbedürftiger Gesetze zu den Fallgruppen 2 und 3 mit der Einschränkung, dass die Zustimmungstatbestände, die damals die Zustimmung auslösten immer noch gelten müssen. Hingegen lassen sie sich nicht auf Zustimmungsgesetze anwenden, die vor Inkrafttreten der Föderalismusreform aufgrund von Art. 84 Abs. 1 GG a.F. zustimmungsbedürftig waren, da dieser Zustimmungstatbestand in der Form nicht mehr existiert. Die Länderinteressen werden nach der neuen Rechtslage vielmehr dadurch gewahrt, dass die Übergangsregelung des Art. 125b Abs. 2 GG für die nach Art. 84 Abs. 1 GG a.F. als Zustimmungsgesetze erlassenen Gesetze, eine Abweichungsmöglichkeit für die Länder vorsieht. 24 Stettner, in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auflage 2006, Art. 77 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 056/15 Seite 11