Deutscher Bundestag Legislativer Fußabdruck Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 056/11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 2 Legislativer Fußabdruck Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 056/11 Abschluss der Arbeit: 23. März 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Rechtslage der Staaten mit einem „legislativen Fußabdruck“ 4 2.1. Dänemark 4 2.2. Estland 5 2.3. Finnland 5 2.4. Frankreich 5 2.5. Litauen 5 2.6. Polen 6 2.7. Slowenien 6 2.8. Ungarn 6 2.9. USA 6 3. Einführung des legislativen Fußabdrucks in Deutschland 7 4. Zusammenfassung 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 4 1. Einleitung Vertreter organisierter Interessen üben auf bundesstaatlicher und europäischer Ebene einen starken Einfluss auf die politischen Entscheidungszentren aus. In welcher Weise und in welchem Ausmaß ein Gesetzentwurf von Interessengruppen und Lobbyisten beeinflusst wird, ist jedoch sehr intransparent und insbesondere für den Bürger oft nicht nachzuvollziehen. Nach dem derzeitigen Rechtsstand existieren in Deutschland zur Zeit keine gesetzlichen Regelungen im Bereich des Lobbyismus. Daher empfahl der Bundesrechnungshof in seinem Bericht über die Mitarbeit von Beschäftigten aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbehörden vom 1. April 2008 der Bundesregierung, einen einheitlichen Rahmen für die Beschäftigung von externen Mitarbeitern in Bundesministerien und anderen Dienststellen des Bundes zu schaffen1. Eine erste Maßnahme für einen solchen Rahmen wäre ein verbindliches Lobbyistenregister für die Vertreter organisierter Interessen. Darüberhinaus wird auch die Einführung eines sogenannten „legislativen Fußabdrucks“ diskutiert2. Diese „Fußspur“ soll auf dem Vorblatt eines Gesetzentwurfs darüber informieren, welche externen Personen, die nicht der Bundesregierung, dem Bundestag oder dem Bundesrat angehören (zum Beispiel Lobbyisten, Interessenvertreter, Anwälte usw.), einen signifikanten Einfluss auf die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs gehabt haben. Im Folgenden wird die Rechtslage der einzelnen Staaten, die über Regelungen zum „Legislativen Fußabdruck“ verfügen, näher dargestellt und erläutert. Die in der Zusammenfassung genannten Länder ohne gesetzliche Vorgaben zu diesem Thema werden nicht noch einmal gesondert aufgeführt . Zudem wird die Rechtslage in Deutschland vorgestellt und mögliche Schwierigkeiten bei der Einführung des „Legislativen Fußabdrucks“ beleuchtet. 2. Die Rechtslage der Staaten mit einem „legislativen Fußabdruck“ 2.1. Dänemark Im dänischen Recht existieren keine spezifischen Regelungen zum „legislativen Fußabdruck“. In der parlamentarischen Praxis und durch Richtlinien des Präsidiums des dänischen Parlaments hat sich jedoch das Vorgehen etabliert, dass alle schriftlichen Dokumente (Briefe, E-mails usw.), die von Interessengruppen und Lobbyisten an den für den Gesetzentwurf zuständigen Ausschuss gesendet wurden, auf der Homepage des Parlaments veröffentlicht werden. Darüberhinaus hat das Justizministerium eine Richtlinie herausgegeben, die besagt, dass jeder Gesetzesentwurf eine Auflistung enthalten soll über alle Organisationen (Interessengruppen, Sachverständige usw.), die vom zuständigen Ministerium bei der Ausarbeitung des Gesetzesvorschlags konsultiert wurden. Die Antworten und Beiträge dieser Organisationen werden ebenfalls auf der Homepage des Parlaments veröffentlicht und sind somit für jedermann zugänglich. 1 Ausschussdrucksache 16/4311. 2 Vgl. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“ vom 07.07.2010; Drucksache 17/2486. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 5 2.2. Estland Estland verfügt über die weitreichendsten Regelungen zum „Legislativen Fußabdruck“. Demnach müssen alle verabschiedeten Gesetze Anmerkungen enthalten, die einen Überblick geben über die maßgeblichen Meinungen und Standpunkte der beteiligten Staats- und Regierungsinstitutionen , Interessengruppen/Lobbyisten und lokalen Verwaltungen. Diese Anmerkungen enthalten: Eine Auflistung aller Institutionen und Organisationen, die bei der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs konsultiert wurden. Angaben über das Ausmaß, in dem die Vorschläge und Anmerkungen dieser Organisationen in den Entwurf übernommen wurden. Nach Möglichkeit sollen alle Meinungen und Standpunkte schriftlich dokumentiert werden sowie alle relevanten Dokumente angehängt werden. In der Praxis wurde hierbei die Erfahrung gemacht, dass in den Anmerkungen zu den Gesetzesentwürfen zwar alle relevanten Akteure und Beteiligte genannt werden, der tatsächliche Einfluss der Akteure aus politischen oder organisatorischen Gründen jedoch nur unzureichend wiedergegeben wird. 2.3. Finnland In Finnland gibt es die Vorgabe, dass die Namen aller Sachverständigen, die bei der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs in den zuständigen Ausschüssen angehört wurden, in den Ausschussberichten veröffentlicht werden müssen. 2.4. Frankreich In Frankreich gibt es keine spezifischen gesetzlichen Regelungen für einen „legislativen Fußabdruck “. Es ist allerdings die gängige Praxis, dass der Bericht des zuständigen Ausschusses eine Liste aller Personen enthält, mit denen der Berichterstatter Gespräche geführt hat. 2.5. Litauen In Litauen existiert ebenfalls keine spezifische Regelung zum „legislativen Fußabdruck“. Nach Artikel 135 der Geschäftsordnung des litauischen Parlaments sollen die Anmerkungen zu einem Gesetzesentwurf jedoch Informationen enthalten über: Die Gründe für die Ausarbeitung des Gesetzes. Angaben über die Akteure, die den Entwurf initiiert haben. Angaben über die Akteure, die an der Ausarbeitung beteiligt waren sowie die Berichte von konsultierten Experten und Sachverständigen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 6 2.6. Polen Laut der Geschäftsordnung des Ministerrates in Polen, müssen alle Organisationen und Sachverständigen , die bei der Ausarbeitung eines Gesetzes vom zuständigen Ministerium konsultiert wurden, auf dem jeweiligen Gesetzesentwurf aufgelistet werden. Ebenfalls sollen Informationen veröffentlicht werden, inwiefern die Informationen der Sachverständigen in den Gesetzesentwurf eingeflossen sind. Des Weiteren finden sich in der Geschäftsordnung des polnischen Parlaments (Sejm) Regelungen für die Aktivitäten von Lobbyvertretern: Alle Vertreter von Lobbyorganisationen, Interessengruppen, NGOs usw., die an öffentlichen Anhörungen zu Gesetzesvorhaben der Regierung teilnehmen, werden in einem Register erfasst. Die Sitzungen der Ausschüsse werden zudem aufgezeichnet und dokumentiert. 2.7. Slowenien Nach slowenischem Recht (Public Sector Integrity Act) müssen alle Personen, die eine Lobbytätigkeit ausüben, registriert sein. Darüber hinaus müssen die registrierten Lobbyisten der Kommission zur Verhütung von Korruption jedes Jahr einen Bericht vorlegen, indem sie offenlegen, für welche Organisationen sie tätig waren, welche Regierungsinstitutionen die Adressaten ihrer Tätigkeit waren und welche exakten Ziele mit der Lobbytätigkeit verfolgt wurden. Zur besseren Kontrolle ist zusätzlich vorgesehen, dass auch die Adressaten von Lobbytätigkeiten dazu verpflichtet werden, alle Kontakte zu Lobbyvertretern zu dokumentieren und innerhalb von drei Tagen an die Kommission zu übermitteln. Ferner wird in Slowenien versucht, die Öffentlichkeit in den Gesetzgebungsprozess mit einzubeziehen und eine Kooperation zwischen Bürgern und Sachverständigen zu schaffen (Resolution on Legislative Regulation). Ein grundlegendes Prinzip bei dieser Zusammenarbeit ist die Offenlegung aller Vorschläge, die von der Öffentlichkeit und den Sachverständigen gemacht wurden sowie Angaben über das Ausmaß, indem diese Beiträge in den Gesetzesentwurf eingeflossen sind. Diese Informationen müssen auf dem Vorblatt des ausgearbeiteten Gesetzes veröffentlicht werden. 2.8. Ungarn In Ungarn gab es in den Jahren von 2006 bis 2010 ein Gesetz zur Regulierung von Lobbytätigkeiten . Dieses Gesetz wurde jedoch von der ungarischen Regierung aufgehoben, da die Tätigkeit von Lobbyisten nur in sehr begrenztem Ausmaß registriert und reguliert wurde. Daher wurde im Jahr 2010 eine neue Regulierung erlassen. Diese Regelung soll zu einer breiteren Teilhabe der Bevölkerung am Gesetzgebungsprozess führen. Daten oder Erfahrungen über Erfolge der Umsetzung liegen zum derzeitigen Zeitpunkt jedoch noch nicht vor. 2.9. USA Im amerikanischen Recht existieren Vorschriften, die die Lobbyvertreter und Interessengruppen dazu verpflichten, sich regelmäßig in eine sogenannte „Lobbydatenbank“ einzutragen. Hierin müssen sie detaillierte Angaben machen über alle Themenbereiche, in denen sie tätig sind. Das Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 7 bedeutet, dass die Lobbyvertreter einerseits alle Gesetze benennen müssen, an deren Ausarbeitung sie beteiligt waren. Darüber hinaus müssen sie aber auch die genauen Gesetzesabschnitte offenlegen, an denen sie mitgewirkt haben. Der Senat hat hierfür Hinweise veröffentlicht, die die Lobbyvertreter dazu anhalten, möglichst genaue und detaillierte Angaben zu ihren Tätigkeiten und Aktivitäten zu machen. Ein expliziter „legislativer Fußabdruck“ existiert jedoch nicht, da die Informationen der „Lobbydatenbank “ nicht veröffentlicht werden und ebenfalls nicht auf den betroffenen Gesetzesentwürfen dokumentiert werden. 3. Einführung des legislativen Fußabdrucks in Deutschland Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine der schwächsten Regelungen im Bereich des Lobbyismus. Die einzige Maßnahme im Bereich des Lobbyismus in Deutschland ist das 1972 eingeführte Lobbyistenregister. Dieses Register soll transparent machen, welche Interessengruppen versuchen, bei den Entscheidungsprozessen im Deutschen Bundestag bzw. innerhalb der Bundesregierung Einfluss zu nehmen. Eine Aufnahme in dieses Register ist jedoch freiwillig und erfolgt nur auf Antrag des Verbandes. Nicht aufgenommen werden selbstständig tätige Lobbyisten . Da mit der Registrierung jedoch keinerlei Pflichten verbunden sind, ist das Lobbyistenregister nicht dazu geeignet eine größtmögliche Transparenz im Gesetzgebungsprozess zu schaffen . Die Einführung eines „legislativen Fußabdrucks“ würde hingegen die Tätigkeiten von Interessenund Lobbyvertretern aufzeigen und den Einfluss dieser auf die erlassenen Gesetze deutlich machen . Aus Gründen des Datenschutzes dürfte die Beifügung einer legislativen Fußspur auf dem Vorblatt jedes Gesetzesentwurfs jedoch problematisch sein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet die Befugnis des Einzelnen , grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen .3 Je tiefer die Daten in den Persönlichkeitsbereich hineinreichen und je umfassender die Daten benutzt werden, umso höhere Anforderungen stellt Art. 2 Abs. 1 GG an den Zweck und die gesetzliche Bestimmtheit der Datenerhebung, -nutzung und -verbreitung. Zu den Daten zählen auch einfache Identifikationsmerkmale wie der Name des Interessenvertreters. Auf einfachgesetzlicher Ebene gilt das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) für die Erhebung, Verbreitung und Nutzung personenbezogener Daten u.a. durch öffentliche Stellen des Bundes. Nach den Regelungen des BDSG ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn das BDSG bzw. eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Betroffene einwilligt, § 4 Abs. 1 BDSG. Weder aus dem BDSG noch aus einer anderen Rechtsvorschrift ergibt sich die Erlaubnis, die Namen von Externen zu veröffentlichen. Die Verwendung eines „legislativen Fußabdrucks“ bedarf daher zunächst einer Rechtsgrundlage, die den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen in der Lage ist. 3 BVerfGE 78, 77 (84); Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 2 Rn. 72 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 – 3000 – 056/11 Seite 8 4. Zusammenfassung Als Ergebnis einer Abfrage der Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), der USA, Kanada und Mexikos über das Europäische Zentrum für parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) ergibt sich zum „legislativen Fußabdruck“ folgendes Bild4: Zu den Ländern Irland, Luxemburg, Malta, Mexiko und Schweden sind keine Antworten eingegangen , so dass diese in der Auswertung keine Berücksichtigung finden. Keinerlei gesetzliche Regelungen zum „legislativen Fußabdruck“ gibt es in den Ländern Bulgarien , Belgien, Griechenland, Großbritannien, Italien, Kanada, Lettland, den Niederlanden, Österreich , Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechien und Zypern. In Dänemark, Finnland, Frankreich, Litauen, Polen, Slowenien, Ungarn und den USA, ist eine „legislative Fußspur“ lediglich in Ansätzen verwirklicht oder hat sich nur in der politischen Praxis herausgebildet. Die USA und Slowenien verfügen hierbei neben Estland dem einzigen Land, welches eine explizite gesetzliche Regelung zum „Legislativen Fußabdruck“ vorweisen kann ,über die weitreichendsten Regelungen und Vorgaben. 4 EZPWD-Anfrage Nr. 1648.