© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 055/20 Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des Verbots kommerzieller Sterbehilfe und Werbung für Sterbehilfeangebote Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe vom 26. Februar 2020 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Februar 2020 das im Jahr 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig und nichtig erklärt, weil dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seines Rechts auf selbstbestimmtes Sterben verbleibe.1 Gefragt wird, ob kommerzielle Sterbehilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich zulässig ist und ob ein Verbot kommerzieller Sterbehilfe verfassungswidrig wäre. Weiter wird gefragt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, Werbung für Sterbehilfeangebote einzuschränken bzw. zu verbieten. 2. Zum Begriff der kommerziellen Sterbehilfe Der Begriff der kommerziellen Sterbehilfe ist kein feststehender Rechtsbegriff. Es werden darunter solche Sterbehilfeangebote verstanden, bei denen die Anbieter kommerzielle Zwecke verfolgen.2 Nach diesem Verständnis wird die kommerzielle Sterbehilfe gewerblich betrieben. Die Begriffe kommerzielle und gewerbliche Sterbehilfe dürften synonym verwendet werden können. Die kommerzielle Sterbehilfe ist von der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Sinne des § 217 StGB zu unterscheiden. Auch der Begriff der geschäftsmäßigen Sterbehilfe bleibt unbestimmt, da der Gesetzgeber diesen nicht legal definiert hat. Der Begründung des Gesetzentwurfs ist zu entnehmen, dass mit der Geschäftsmäßigkeit nicht die Gewerbsmäßigkeit gleichzusetzen ist. Vielmehr soll es für das Vorliegen der Geschäftsmäßigkeit ausreichen, „wenn jemand die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen will“3, unabhängig davon, ob damit eine Erwerbs- bzw. Gewinnerzielungsabsicht verfolgt wird.4 Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit umfasst damit auch kommerzielle Sterbehilfeangebote, geht aber über diese hinaus.5 3. Zur Zulässigkeit kommerzieller Sterbehilfe Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst, welches das Recht auf Selbsttötung einschließt. Der Grundrechtsschutz erstrecke sich auch auf die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und sie, soweit sie angeboten werde, in 1 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a. 2 Vgl. bspw. die Informationen des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) zur organisierten und kommerziellen Sterbehilfe, abrufbar unter http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe/module /kommerziell-betriebene-sterbehilfe (letzter Abruf 22. April 2020). 3 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/5373, 17. 4 Ebenda. 5 Zur Kritik an der Bestimmtheit des Begriffes siehe Schroth, (Medizinisch) Assistierter Suizid aus juristischer und ethischer Sicht, in: Spickhoff et. al, Aktuelle Fragen des Medizinrechts 2018, S. 157 (169); Roxin, Die geschäftsmäßige Förderung einer Selbsttötung als Straftatbestand und der Vorschlag einer Alternative, NStZ 2016, 185 (189). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 4 Anspruch zu nehmen.6 Derjenige, der erwäge, sein Leben eigenhändig zu beenden, sehe sich vielfach erst durch die fachkundige Hilfe kompetenter und bereitwilliger Dritter, insbesondere Ärzte, in der Lage, hierüber zu entscheiden und gegebenenfalls seinen Suizidentschluss in einer für ihn zumutbaren Weise umzusetzen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schütze daher auch davor, dass es nicht durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten , beschränkt werde.7 Dem Einzelnen müsse die Freiheit verbleiben, eine seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz entspringende Entscheidung umzusetzen, das eigene Leben mit Hilfe bereitstehender Dritter zu beenden.8 Das Bundesverfassungsgericht stellt in der gegenwärtigen Situation einen tatsächlichen Bedarf an geschäftsmäßigen Sterbehilfeangeboten fest, die den Kontakt zu Ärzten und Pharmazeuten vermitteln , die bereit sind, in der medizinisch und pharmakologisch notwendigen Weise an einer Selbsttötung mitzuwirken.9 Die fortbestehende Straffreiheit nicht geschäftsmäßiger Suizidhilfe, der gesetzliche Ausbau von Angeboten der Palliativmedizin und des Hospizdienstes sowie die Verfügbarkeit von Suizidhilfeangeboten im Ausland seien nicht geeignet, die vom Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ausgehende Einschränkung grundrechtlicher Freiheit auszugleichen.10 Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe sei der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an der Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen Bereitschaft könne bei realistischer Betrachtungsweise nur im Einzelfall ausgegangen werden. Zum einen könne kein Arzt verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten und Umfragen würden zeigen, dass die Mehrheit der Ärzte eine Bereitschaft zur Suizidhilfe verneine. Zum anderen würden sich die berufsrechtlichen Verbote der Suizidhilfe, wie sie überwiegend im Standesrecht der Ärzte vorgesehen seien, zumindest faktisch handlungsleitend auswirken.11 Auf Sterbehilfeangebote, die in kommerzieller Form erbracht werden, geht das Bundesverfassungsgericht nicht explizit ein. Folgende Aspekte lassen darauf schließen, dass es auch kommerzielle Sterbehilfeangebote nicht grundsätzlich für verfassungswidrig erachtet. Im Rahmen seiner Prüfung der Vereinbarkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe mit der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG stellt es fest, dass eine als Teil einer beruflichen Tätigkeit erbrachte Suizidhilfe nicht bereits von vornherein vom Schutzbereich der Berufsfreiheit ausgenommen sei.12 Es handele sich bei einer beruflich erbrachten Sterbehilfe nicht um eine Tätigkeit, die schon ihrem 6 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 208. 7 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 213. 8 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 277. 9 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 297. 10 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 278. 11 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 284 f. 12 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 311 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 5 Wesen nach als verboten anzusehen sei, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben könne.13 Diese Frage war in Literatur und Rechtsprechung zuvor umstritten.14 Das Bundesverfassungsgericht hat den Straftatbestand des § 217 StGB zudem für nichtig erklärt. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 217 StGB kam nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht in Betracht.15 Hier wäre denkbar gewesen, die Auslegung des Straftatbestandes auf kommerzielle Sterbehilfeangebote zu reduzieren, soweit diese Form der Sterbehilfe als eklatant verfassungswidrig anzusehen wäre. In diesem Zusammenhang ist aber anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht wiederholt darauf hinweist, dass sich der Gesetzgeber einer Regulierung der Sterbehilfe nicht vollständig enthalten müsse und ihm ein breites Spektrum an Möglichkeiten offenstehe.16 Insbesondere hält es auch Verbote besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Sterbehilfe für möglich17 und mahnt eine „konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker“18 und des Betäubungsmittelrechts an. 4. Zur Verfassungsmäßigkeit eines Verbots von kommerzieller Sterbehilfe Ein Verbot kommerzieller Sterbehilfe müsste mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar sein. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit ist eröffnet. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass eine Sterbehilfe, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit erbracht wird, nicht per se als rechtswidrig oder verboten anzusehen und von der Berufsfreiheit umfasst ist.19 Ein Verbot würde in den Schutzbereich eingreifen, da es die Möglichkeit versperrt, sich als gewerblicher Suizidassistent zu betätigen. Nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG kann die Berufsfreiheit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Die entsprechende Grundlage muss verfassungskonform sein, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.20 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 13 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 312. 14 Für eine Eröffnung des Schutzbereichs vgl. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 43; siehe auch Duttge, Der assistierte Suizid aus rechtlicher Sicht, „Menschenwürdiges Sterben“ zwischen Patientenautonomie, ärztlichem Selbstverständnis und Kommerzialisierung, Zeitschrift für medizinische Ethik 2009, 257 (265 f.); a. A. VG Hamburg, Beschluss vom 6. Februar 2009 - 8 E 3301/08 - , juris, Rn. 44 ff.; Lorenz, Sterbehilfe als Beruf?, MedR 2010, 823 (828). 15 Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 334 f. 16 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 224, 227, 235, 260, 338. 17 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 338 ff. 18 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 341 f.; siehe dazu auch Lindner, Sterbehilfe in Deutschland – mögliche Regelungsoptionen, ZRP 2020, 66 (67). 19 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 312, zum Meinungsstreit in Literatur und Rechtsprechung siehe Fn. 13. 20 BVerfGE 9, 83 (88). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 6 fordert, dass der Staat mit dem Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt.21 Zur berufsfreiheitsspezifischen Strukturierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Stufenlehre entwickelt. Danach gilt es, zwischen Berufsausübungsregelungen, subjektiven Zulassungsvoraussetzungen und objektiven Zulassungsschranken als drei Stufen zunehmender Eingriffsintensität zu unterscheiden.22 Dabei werden qualifizierte Anforderungen an die gesetzliche Zwecksetzung im Verhältnis zur Eingriffsintensität gestellt.23 Ein Verbot von Sterbehilfe in kommerzieller Form dürfte eine objektive Zulassungsschranke darstellen . Es ist hier der Aspekt der Berufswahl betroffen. Die Beschränkung wird an objektive Kriterien geknüpft, die nicht in der Person der Suizidassistenten liegen. Nach der Stufenlehre des Bundesverfassungsgerichts sind objektive Zulassungsschranken nur dann gerechtfertigt, wenn sie zur Abwehr einer nachweisbaren oder höchstwahrscheinlichen Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich sind.24 Der Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben vor Pressionen und Rechtfertigungszwängen , die dadurch entstehen könnten, dass sich assistierte Sterbehilfe als normale Dienstleistung etabliert, als gesetzgeberischer Zweck eines Verbots kommerzieller Sterbehilfe stellt ein solches überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem aktuellen Sterbehilfeurteil zum legitimen Zweck25 eines Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe lassen sich auf das Verbot einer kommerziellen Sterbehilfe übertragen. Ob zu Recht von einer höchstwahrscheinlichen Gefahr ausgegangen werden kann, kann hier nicht abschließend bewertet werden. In der Literatur wird zum Teil darauf hingewiesen, dass keine hinreichenden empirischen Belege dafür existieren würden, dass geschäftsmäßiges Verhalten zum Suizid verleitet.26 Für eine höchstwahrscheinliche Gefahr spricht allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht nach Anhörung verschiedener Experten zu der Ansicht gekommen ist, dass schon von der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Vor- und Folgewirkungen ausgehen würden, die erhebliche Missbrauchsgefahren und Gefährdungen für die autonome Selbstbestimmung Dritter umfassen würden.27 Ebenso dürfe es der Gesetzgeber als Gefahr einer Normalisierung der Sterbehilfe ansehen, dass Personen durch ihr gesellschaftliches und familiäres Umfeld in die Situation gebracht werden könnten, sich gegen ihren Willen mit der Frage der Selbsttötung auseinandersetzen zu müssen, und mit Verweis auf Nützlichkeiten unter Erwartungsdruck geraten. Die Annahme, dass sich die geschäftsmäßige Sterbehilfe als normale Form der Lebensbeendigung insbesondere 21 Statt vieler siehe nur BVerfGE 109, 279 (335 ff.); Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 149. 22 BVerfGE 7, 377 (397 ff.). 23 Vgl. auch Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 125 ff. 24 Ruffert, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 01.12.2019, Art. 12 Rn. 99. 25 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 231 ff. 26 Vgl. bspw. Schroth, Assistierter Suizid aus juristischer und ethischer Sicht, in: Spickhoff et. al., Aktuelle Fragen des Medizinrechts – ein Ost- West-Vergleich, 2018, 157 (167). 27 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 222, 248, 250 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 7 für alte und kranke Menschen etablieren könne, die geeignet sei, autonomiegefährdende soziale Pressionen zu entfalten, beruhe auf einer hinreichend tragfähigen Grundlage. Nicht zuletzt angesichts steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen sei es nicht unplausibel, dass einer ungeregelten Zulassung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe diese Wirkung zukommen könne.28 Diese Gefahren dürften bei einer kommerziellen Sterbehilfe noch größer einzuschätzen sein, als dies bei altruistisch motivierten Sterbehilfevereinen der Fall ist. So verfolgt der kommerzielle Suizidassistent eigene wirtschaftliche Interessen. Dies kann zu Interessenskonflikten führen und ihn zu einer bewussten oder unbewussten Einflussnahme auf die Entscheidung des Suizidwilligen veranlassen. Zudem ist davon auszugehen, dass von einer Kommerzialisierung der Sterbehilfe eine verstärkte öffentliche Wirkung ausgehen kann, die das Klima einer „Anreizökonomie“29 und damit verbundene autonomiegefährdenden sozialen Pressionen schafft. Ein Verbot kommerzieller Sterbehilfeangebote erscheint geeignet, eine Einflussnahme auf die Entscheidung von Suizidwilligen zu verhindern und der Normalisierung der Sterbehilfe mit den befürchteten Effekten entgegenzuwirken. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Mittel bereits dann im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet ist, wenn mit seiner Hilfe der verfolgte Zweck gefördert werden kann.30 Ein Verbot der kommerziellen Sterbehilfe müsste auch erforderlich sein. Dem Gesetzgeber dürfte kein milderes, aber gleich effektives Mittel zur Erreichung seines Zieles zur Verfügung stehen.31 Die Prüfung, ob derartige mildere Mittel zur Verfügung stehen, ist zunächst Sache des Gesetzgebers. Ihm kommt auch insoweit eine Beurteilungsprärogative zu. Als mildere Mittel kommen grundsätzlich subjektive Zulassungsregelungen oder Berufsausübungsregelungen in Betracht. In der Literatur wird ein sogenanntes Zulassungsmodell vorschlagen.32 Die Erlaubnis könnte an formelle und materielle Kriterien wie insbesondere die Zuverlässigkeit des Suizidassistenten sowie an bestimmte verfahrens- und organisatorische Vorgaben gebunden sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt hat, dass die Sterbehilfe nicht an bestimmte materielle Kriterien wie etwa eine schwere Krankheit, das Alter oder einen unerträglichen Leidensdruck geknüpft werden darf.33 Als verfahrens- und organisa- 28 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 248, 250 ff. 29 Zu den Gefahren des geschäftsmäßigen Angebots ärztlicher Suizidassistenz siehe Huber, Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags zu den Gesetzentwürfen zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung / zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung / über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung / über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung am 23. September 2015, Anlage zum Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, Protokoll-Nr. 18/66, 171. 30 BVerfG 96, 12 (23). 31 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 113. 32 Siehe dazu Lindner, Sterbehilfe in Deutschland – mögliche Regelungsoptionen, ZRP 2020, 66 ff. 33 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 210, 340. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 8 torische Vorgaben werden Wartepflichten, das Erfordernis einer psychosozialen Beratung, Dokumentations -, Aufklärungs- und Berichtspflichten sowie ein Mehr-Augen-Prinzip vorschlagen.34 Es erscheint allerdings fraglich, ob nicht schon allein die Kommerzialisierung der Sterbehilfe geeignet ist, einer Normalisierung Vorschub zu leisten und damit die oben genannten Gefahren auszulösen. Diese Wirkung hätte eine kommerzielle Sterbehilfe auch dann, wenn sie nur unter starken Einschränkungen praktiziert werden dürfte. Diese Frage kann hier nicht abschließend bewertet werden. Das Verbot kommerzieller Sterbehilfe muss schließlich dem Gebot der Angemessenheit entsprechen. Der Gesetzgeber hat die widerstreitenden Interessen abzuwägen; Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.35. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber insofern aufgegeben, dass er die funktionale Verschränkung der Grundrechte der Suizidassistenten und der Sterbewilligen zu beachten habe. Es hat festgestellt, dass die als Ausprägung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben grundrechtlich geschützte Freiheit des Einzelnen, sich selbst mit Unterstützung und in Begleitung von zur Hilfe bereiten Dritten das Leben zu nehmen, in inhaltlicher Abhängigkeit zu dem grundrechtlichen Schutz der Sterbehilfe stehe. Die Entscheidung zur Selbsttötung sei in ihrer Umsetzung nicht nur in tatsächlicher Hinsicht davon abhängig, dass Dritte bereit seien, Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Die Dritten müssten ihre Bereitschaft zur Sterbehilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Anderenfalls würde das Recht des Einzelnen auf Selbsttötung faktisch leerlaufen. Mit der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiere daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns des Suizidassistenten.36 Daraus folgt, dass das Verbot der kommerziellen Sterbehilfe nicht dazu führen darf, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Zuhilfenahme unterstützender Angebote Dritter faktisch leer laufen würde. Ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Sterbehilfe muss im Einzelfall möglich sein. Insofern bleibt zu beobachten, ob der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Bedarf durch altruistisch geprägte Sterbehilfeangebote abgedeckt wird bzw. ob dieser aufgrund einer veränderten Ausgangssituation im Hinblick auf das Angebot ärztlicher Sterbehilfe nicht mehr besteht. 5. Vereinbarkeit eines Verbots von Werbung für Sterbehilfeangebote mit dem Grundgesetz Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe befasst sich nicht mit der Frage, ob ein Verbot von Werbung für Angebote zur Förderung der Selbsttötung mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Auch die juristische Literatur enthält hierzu kaum Beiträge. 5.1. Betroffene Grundrechte Ein Verbot von Werbung für Angebote zur Förderung der Selbsttötung würde in verschiedene Grundrechte eingreifen. Auf der Seite der Suizidassistenten ist insbesondere die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG von Ärzten, Rechtsanwälten und – soweit solche Angebote künftig auftreten sollten – gewerbliche 34 Lindner, Sterbehilfe in Deutschland – mögliche Regelungsoptionen, ZRP 2020, 66 (68 f.). 35 BVerfGE 101, 331 (347). 36 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 331. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 9 Suizidassistenten betroffen. Einschränkungen im Hinblick auf die Möglichkeit, die eigenen Dienstleistungen zu bewerben, würden einen Eingriff in die Berufsausübung darstellen. Ein solcher niederschwelliger Eingriff lässt sich nach der Stufenlehre des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie zweckmäßig erscheinen lassen“37. Daneben kommt auch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG in Betracht. Diese umfasst grundsätzlich auch Wirtschaftswerbung, wenn diese „einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen“38. Ein Eingriff kann vor allem durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein, insbesondere durch ein allgemeines Gesetz. Vereine, deren Angebot nicht auf das Führen eines Geschäftsbetriebs ausgelegt ist, sondern deren Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Deutschland zu verankern und die Vereinsmitglieder bei der Durchsetzung dieses Rechts zu unterstützen, können sich nicht auf die Berufsfreiheit berufen.39 Für sie kommt ein Eingriff in ihr Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG in Betracht, das ihr Recht, Meinungen zu äußern und zu verbreiten schützt. Reine Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst . Soweit sich das Verbot auch auf die Tathandlung der reinen Tatsachenbehauptung erstrecken sollte, wäre ihr Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen. Das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit reicht nur soweit, wie ihre Nutzung nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt.40 Die allgemeine Handlungsfreiheit kann durch jede Rechtsvorschrift eingeschränkt werden.41 Auf Seite der Suizidwilligen kommt ein Eingriff in das Recht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. HS GG in Betracht. Dieses umfasst das Recht jeder natürlichen Person, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, schlicht Informationen entgegenzunehmen sowie sich diese aktiv zu beschaffen.42 Jede Maßnahme eines Grundrechtsverpflichteten, die die Informationsaufnahme verhindert oder einem Erlaubnisvorbehalt unterwirft, stellt einen Eingriff dar.43 Ein Eingriff in die Informationsfreiheit kann vor allem durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein, insbesondere durch ein allgemeines Gesetz. In der Literatur wird zum Straftatbestand des § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft ) diskutiert, dass die mit dem Verbot einhergehende Schwierigkeit, Informationen zu erlangen, auch einen Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht auf legitime Selbstbestimmung 37 BVerfGE 7, 377 (405). 38 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 5 Rn. 5. 39 BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a., Rn. 332. 40 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art.2 Rn. 13. 41 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art.2 Rn. 16. 42 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 5 Rn. 25. 43 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 5 Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 10 höchstpersönlicher Belange aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellen würde.44 Offen ist, ob der spezielle grundrechtliche Schutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. HS GG Raum für die Eröffnung des allgemeinen Schutzbereiches belässt. In Betracht kommt allerdings, dass das Recht, sich über Angebote zur Förderung der Selbsttötung informieren zu können, einen Ausfluss aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt. Dafür könnte sprechen, dass die Möglichkeit, von Angeboten Dritter zu erfahren und sich darüber näher informieren zu können, eine Voraussetzung dafür ist, diese Angebote überhaupt annehmen zu können. 5.2. Zur Rechtfertigung der Eingriffe Die Eingriffe in die verschiedenen Grundrechte bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung . Es müssen zum einen die spezifischen Rechtfertigungsvoraussetzungen der genannten Grundrechte erfüllt sein, insbesondere muss es sich um ein „allgemeines Gesetz“ im Sinn von Art. 5 Abs. 2 GG handeln. Zum anderen muss der Eingriff in die betroffenen Grundrechte verhältnismäßig sein und im Hinblick auf die Einschränkung der Berufsfreiheit den Anforderungen der Stufenlehre des Bundesverfassungsgerichts entsprechen. Die Grundrechtseingriffe müssten zunächst einen legitimen Zweck verfolgen und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Nach der Stufenlehre werden bloße Berufsausübungsregelungen – sofern sie auch im Übrigen verhältnismäßig sind – bereits durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert.45 Dem Gesetzgeber kommt ein großer Einschätzung-, Beurteilungs- und Wertungsspielraum zu. Die gesetzliche Regelung müsste zunächst einen legitimen Zweck verfolgen. Dies ist unproblematisch dann der Fall, wenn mit dem Werbeverbot der Zweck verfolgt wird, die Autonomie des Einzelnen über sein Leben zu schützen und Pressionen und Rechtfertigungszwängen entgegenzuwirken , die dadurch entstehen könnten, dass sich die assistierte Sterbehilfe als normale Dienstleistung etabliert. Darin ist auch eine vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls zu sehen. Die gesetzliche Verbotsregelung müsste ferner geeignet sein, den Zweck zu erreichen. Geeignet ist eine Maßnahme bereits dann, wenn sie den Zweck fördert.46 Werbung ist in ihrer Art nach darauf ausgelegt, Anreize zu setzen. Es spricht viel dafür, dass von ihr daher die Gefahr ausgehen kann, den Entschluss zur Selbsttötung zu festigen oder sogar hervorzurufen. Zudem verfestigt die Möglichkeit , öffentlich, in werbender Weise auf eine Hilfestellung für den Suizid hinzuweisen, den Eindruck, dass es sich bei einer solchen Dienstleistung um einen normalen, gesellschaftlich akzeptierten Vorgang handelt. Dies birgt die Gefahr eines Rechtfertigungsdruckes für Menschen in 44 Merkel, § 219a StGB – Zur notwendigen Korrektur eines kriminalpolitischen Irrwegs, Zeitschrift für Leben 2018, 114 (116). 45 Mann, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 12 Rn. 126. 46 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 112. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 055/20 Seite 11 ausweglosen Notlagen.47 Ein Werbeverbot ist geeignet, diese Gefahr auszuschließen und der Normalisierung und Kommerzialisierung von Sterbehilfeangeboten entgegenzuwirken. Ein Werbeverbot müsste auch erforderlich sein. Dem Gesetzgeber dürfte kein milderes, aber gleich effektives Mittel zur Erreichung seines Zieles zur Verfügung stehen.48 Die Prüfung, ob derartige mildere Mittel zur Verfügung stehen, ist zunächst Sache des Gesetzgebers. Ihm kommt auch insoweit ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.49 Als mildere Mittel zu einem strafbewehrten Verbot kämen in Betracht, das Werbeverbot als Ordnungswidrigkeit zu regeln, wie dies bspw. für Tabakerzeugnisse der Fall ist (§§ 19 ff., § 35 Tabakerzeugnisgesetz50), oder einschränkende wettbewerbliche Regelungen wie bspw. im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb51 zu treffen. Es wäre zudem möglich, inhaltliche Vorgaben zu machen, zum Beispiel indem nur bestimmte Formen von Werbung (bspw. aggressive Werbung) verboten und sachlich gehaltene Informationen zugelassen werden oder bestimmte inhaltliche Disclaimer oder Informationspflichten vorgegeben werden. Inwiefern diese Maßnahmen gleichwertig geeignet sind, den mit einer Werbung verbundenen Gefahren entgegenzutreten, kann hier nicht abschließend bewertet werden. Die gesetzliche Regelung müsste schließlich angemessen sein. Der Gesetzgeber hat die widerstreitenden Interessen abzuwägen. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.52 Im Rahmen der Abwägung sind die betroffenen Grundrechte sowohl der Suizidassistenten als auch der Suizidwilligen zu beachten. Dem gegenüber steht die Pflicht des Staates, die Autonomie des Einzelnen über sein Leben vor Pressionen und Rechtfertigungszwängen und darüber letztlich auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen. Inwiefern ein Werbeverbot angemessen wäre, ist eine Frage der konkreten Regelung. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass das Verbot nicht dazu führen darf, dass Suizidwilligen keine realen Möglichkeiten zustehen, sich darüber zu informieren, an wen sie sich auf der Suche nach Unterstützung wenden können. Vor diesem Hintergrund könnte eine Differenzierung zwischen sachlicher Information und Werbung angemessen erscheinen. Letztlich kommt dem Gesetzgeber auch für das Kriterium der Angemessenheit ein weiter Einschätzungs- bzw. Gestaltungsspielraum zu.53 *** 47 Siehe dazu auch die Ausführungen unter 4. 48 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 VII Rn. 113. 49 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 153. 50 Tabakerzeugnisgesetz vom 4. April 2016 (BGBl. I S. 569), zuletzt geändert durch Artikel 27 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626). 51 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. März 2010 (BGBl. I S. 254), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 18. April 2019 (BGBl. I S. 466). 52 BVerfGE 101, 331 (347). 53 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 155.