© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 055/19 Politische Bildungsarbeit von Zuwendungsempfängern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/19 Seite 2 Politische Bildungsarbeit von Zuwendungsempfängern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 055/19 Abschluss der Arbeit: 25. März 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/19 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit politischer Bildungsarbeit durch steuergeldfinanzierte oder -geförderte Vereine, Institute oder Stiftungen (im Folgenden: Zuwendungsempfänger). Ferner stellt sich die Frage, ob es möglich ist, einem Zuwendungsempfänger die politische Bildungsarbeit zu untersagen, wenn dessen finanzielle Förderung das Neutralitätsgebot verletzt. 2. Zulässigkeit politischer Bildungsarbeit durch Zuwendungsempfänger Bei staatlichem Handeln ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich das Neutralitätsgebot des Staates im Hinblick auf politische Parteien zu beachten.1 Problematisch erscheint insoweit die finanzielle Förderung von Aktionen gegen sogenannte populistische Parteien, deren Verfassungswidrigkeit im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG nicht ernsthaft erwogen wird. Dem Staat bleibt es zwar unbenommen, die Verbreitung von Wertvorstellungen zu fördern, auf denen die freiheitliche demokratische Grundordnung beruht. Derartige Aktionen dürfen sich aber nicht gezielt gegen bestimmte Parteien richten, wenn diese nicht für verfassungswidrig erachtet werden. Dies wäre ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit selbst ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung“.3 Das Bundesverfassungsgericht hat daher wiederholt staatlichem Handeln eine Grenze gesetzt, wo die Gefahr besteht, dass sich die wehrhafte Demokratie „gegen sich selbst“ wendet.4 Der Parlamentarische Beratungsdienst des Landtages Brandenburg führt hierzu aus: „Die staatliche Förderung darf den […] Boden parteipolitischer Neutralität nicht verlassen, es ist ihr versagt, die hierdurch vorgegebenen Grenzen (zulässiger Öffentlichkeitsarbeit oder des Eintretens im Sinne des Prinzips der streitbaren Demokratie) zu dehnen, und sie darf daher im Ergebnis weder darauf gerichtet sein, das Gebot parteipolitischer Neutralität durch eine Förderung in ihrem Sinne parteipolitisch agierender Dritter auszuhebeln, noch darf sie es hinnehmen, dass Fördermittel zu diesem Zweck eingesetzt werden.“5 1 Siehe u.a. BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014, 2 BvE 2/14 (Schwesig). 2 Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, WD 3 - 3000 - 193/15, Verfassungsrechtliche Grenzen der finanziellen Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, S. 10, https://www.bundestag.de/resource /blob/405552/f8170fda97f5651ee0cae2d3d9f9aaeb/wd-3-193-15-pdf-data.pdf. 3 BVerfGE, Beschluss vom 20. Februar 2013, 2 BvE 11/12, Rn. 22 (NPD). 4 BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013, 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10, Rn. 117 (Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz; BVerfG, 15. Dezember 1970, 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 2 BvR 308/69, Rn. 133 (Abhörurteil). 5 Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtages Brandenburg, Rechtlicher Rahmen der Förderung von Initiativen gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, 2018, S. 46 (Hervorhebung durch Autor), https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/gu/39.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/19 Seite 4 Für die inhaltliche Arbeit von Zuwendungsempfängern bedeutet dies: „Wie am Beispiel der politischen Stiftungen gezeigt, indiziert dabei zunächst die vom Zuwendungsempfänger vertretene Zielsetzung seiner Tätigkeit die Unbedenklichkeit der Förderung, wenn jene sich deutlich von der der politischen Parteien unterscheidet, sie also nicht auf den parteipolitischen Prozess gerichtet ist, sondern etwa nur eine (offene, wenn auch zielgerichtete) Diskussion über politische Fragen anstoßen und hierfür Raum schaffen will. Die Förderung gerät dagegen zunehmend mit dem Prinzip der Chancengleichheit der Parteien in Konflikt, je weniger der Zuwendungsempfänger sich einem allgemeinen (Bildungs-)Auftrag verpflichtet fühlt und je intensiver er stattdessen in der Art einer politischen Partei werbend Einfluss auf die politische Willensbildung nimmt oder nehmen möchte. Gleiches gilt, je stärker sich der Zuwendungsempfänger einer bestimmten politischen Strömung verpflichtet sieht und diese aktiv unterstützt, zumal wenn diese, was regelmäßig der Fall sein wird, von politischen Parteien aufgegriffen wird.“6 Über die inhaltliche Arbeit hinaus ist das Neutralitätsgebot auch in personeller und organisatorischer Hinsicht des Zuwendungsempfängers relevant. Eine finanzielle Förderung ist daher auch unzulässig , „wenn der Zuwendungsempfänger einer politischen Partei nicht nur inhaltlich nahesteht, sondern sogar personelle Verquickungen, organisatorische Verbindungen oder (finanzielle) Abhängigkeiten bestehen oder er zu Gunsten einer Partei Dienstleistungen erbringt oder eine Mitarbeit an parteipolitischen Zielstellungen oder Programmen erfolgt […].“7 Kein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien ist es daher nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts , „wenn die [staatlichen] Mittel Institutionen zugewendet werden, die von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sind, ihre Aufgaben selbstständig und eigenverantwortlich wahrnehmen und auch in der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren […].“8 3. Möglichkeit der Untersagung politischer Bildungsarbeit Sind Publikationen privater Initiativen zugleich als staatliche Äußerungen zu werten, muss der Staat Zuwendungsempfänger anhalten, die Gebote der Neutralität und Sachlichkeit zu achten. Die 6 Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtages Brandenburg, Rechtlicher Rahmen der Förderung von Initiativen gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, 2018, S. 46 (Hervorhebung durch Autor), https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/gu/39.pdf. 7 Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtages Brandenburg, Rechtlicher Rahmen der Förderung von Initiativen gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, 2018, S. 47 (Hervorhebung durch Autor). 8 BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015, 2 BvE 4/12, juris Rn. 66 (Hervorhebung durch Autor), in Bezug auf politische Stiftungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/19 Seite 5 Einwirkungsmöglichkeiten hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Die staatliche Stelle kann z. B. Publikationen fortlaufend auf Neutralität und Sachlichkeit überprüfen, entsprechend dem Zuwendungsrecht den Hinweis auf die staatliche Förderung und die Verwendung des staatlichen Logos untersagen, Zuwendungsempfänger von künftigen Förderungen ausschließen oder bestehende Förderungen kündigen.9 Demgegenüber ist es mit dem Grundrecht des Zuwendungsempfängers auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar, dessen politische Bildungsarbeit grundsätzlich zu untersagen. *** 9 Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Finanzielle Förderung von Initiativen gegen „Extremismus“, WD 3 - 3000 - 286/18, S. 6, https://www.bundestag.de/resource /blob/573146/ea018c4489306fd008d81110336bd76c/WD-3-286-18-pdf-data.pdf; Zur Möglichkeit der Einwirkung auf Zuwendungsempfänger durch den Zuwendungsbescheid: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Neutralitätspflichten für Zuwendungsempfänger, WD 3 - 3000 - 117/18, S. 6, https://www.bundestag.de/resource /blob/558246/d32f99f653618007e941cc8530d09da2/WD-3-117-18-pdf-data.pdf. Siehe auch Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtages Brandenburg, Rechtlicher Rahmen der Förderung von Initiativen gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, 2018, S. 47, https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg .de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/gu/39.pdf: „Gleiches gilt, wenn gegenüber dem Zuwendungsempfänger staatliche Weisungsrechte bestehen, und auch mit der Mittelvergabe einhergehende Zweckbindungen inhaltlicher Natur, die nicht lediglich auf die Einhaltung geltenden Rechts zielen, können in diese Richtung deuten.“