© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 055/17 Öffentliche Versammlungen mit Beteiligung von ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern Rechtliche Rahmenbedingungen in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/17 Seite 2 Öffentliche Versammlungen mit Beteiligung von ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern Rechtliche Rahmenbedingungen in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 055/17 Abschluss der Arbeit: 03.04.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/17 Seite 3 1. Fragestellung In der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 048/17 – wurden die verfassungs- und versammlungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Auftritte von ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern bei öffentlichen Versammlungen in Deutschland dargestellt („ausländische Wahlkampfauftritte “).1 Hierzu wird ergänzend gefragt, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für „ausländische Wahlkampfauftritte“ in anderen EU-Mitgliedstaaten gelten, insbesondere in Bezug auf deren Untersagung oder Beschränkung. Die folgenden Ausführungen basieren auf Informationen, die die Parlamentsdienste von Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und des Vereinigten Königreichs bereitgestellt haben. Danach kann man zwischen denjenigen Staaten, die „ausländische Wahlkampfauftritte“ allein dem Versammlungsrecht zuordnen, und denjenigen Staaten, die stattdessen oder darüber hinaus eine völkerrechtliche Einordnung vornehmen, unterscheiden. Darüber hinaus ergibt sich aus den Rückmeldungen aus Dänemark und Finnland, dass eine rechtliche Einordnung der „ausländischen Wahlkampfauftritte“ mangels einschlägiger Rechtsprechung derzeit nicht möglich ist. 2. Versammlungsrechtliche Einordnung Die Parlamentsdienste von Lettland, Litauen, Rumänien und Slowenien verweisen allgemein, d.h. ohne näheren Fallbezug, auf die Anwendbarkeit ihrer Versammlungsgesetze. Nach den Informationen aus Estland, Ungarn und Kroatien sind darüber hinaus die dort für Ausländer geltenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. In Estland können Ausländer nur dann Veranstalter von öffentlichen Versammlungen sein, wenn sie die Unionsbürgerschaft oder eine dauernde Aufenthaltserlaubnis in Estland besitzen. In Ungarn müssen ausländische Veranstalter einer öffentlichen Versammlung über eine Aufenthaltserlaubnis oder eine dauernde Aufenthaltserlaubnis verfügen. Diese Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit ist nach einer Entscheidung des ungarischen Verfassungsgerichts verfassungsgemäß und mit internationalem Recht vereinbar. In Kroatien können sich Ausländer auf das verfassungs- und einfachgesetzlich verbürgte Recht der Versammlungsfreiheit als Veranstalter und als Teilnehmer berufen, wenn ihr Aufenthalt in Kroatien legal ist. Weitergehende Informationen liegen aus Frankreich, Österreich und dem Vereinigten Königreich vor. In Frankreich hat die Tolerierung von Auftritten ausländischer Politiker, wie jüngst am 12. März 2017 in der Stadt Metz, kontroverse Reaktionen von Politikern und Bürgern hervorgerufen. Für die Untersagung von Auftritten ausländischer Politiker bei öffentlichen Versammlungen sind die örtlichen Behörden zuständig, und zwar die Bürgermeister der Gemeinden. Die Veranstalter benötigen keine Erlaubnis, sie müssen die Versammlung beim Bürgermeister aber mindestens fünf Tage vorher anmelden. Der Bürgermeister kann die öffentliche Versammlung verbieten, wenn er eine Verletzung der öffentlichen Ordnung befürchtet. 1 Wissenschaftliche Dienste, Öffentliche Versammlungen mit Beteiligung von ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern (WD 3 - 3000 - 048/17). Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste, Verfassungs- und einfachrechtliche Rahmenbedingungen für „ausländische Wahlkampfauftritte“, Aktueller Begriff Nr. 13/17, abrufbar unter: https://www.bundestag.btg/ButagVerw/W/Ausarbeitungen/Einzelpublikationen/Ablage/2017/Verfassungs -_und_1490790386.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 055/17 Seite 4 Für die Abhaltung von (allgemein zugänglichen) Versammlungen in Österreich gilt das Versammlungsgesetz 1953. Es gibt keine besonderen Vorschriften, die „ausländische Wahlkampfauftritte“ regeln. Im Falle einer Untersagung oder Beschränkung einer solchen Versammlung wären jedenfalls die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechte auf Versammlungsfreiheit sowie auf freie Meinungsäußerung betroffen. Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden oder die gegen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes verstoßen, sind von der örtlich zuständigen Versammlungsbehörde (Landespolizeidirektion bzw. Bezirksverwaltungsbehörde) zu untersagen. Das im Vereinigten Königreich geltende Versammlungsrecht unterscheidet zwischen öffentlichen Versammlungen, die sich fortbewegen („processions“, Aufzüge) und stationären öffentlichen Versammlungen („assemblies“, Versammlungen). Aufzüge müssen – im Gegensatz zu Versammlungen – von den Veranstaltern vorher bei der Polizei angemeldet werden. Der Polizeipräsident kann ein Verbot des Aufzugs beantragen, wenn er davon überzeugt ist, dass Auflagen nicht ausreichen, um eine ernsthafte Störung der öffentlichen Ordnung zu vermeiden. Die Untersagung einer Versammlung ist hingegen nicht möglich („there is no power to ban an assembly“). Eine Versammlung kann lediglich mit Auflagen zum Versammlungsort, zur Versammlungsdauer und zur Teilnehmerzahl versehen werden, wenn der zuständige leitende Beamte („senior officer“) vernünftigerweise davon ausgeht, dass die Durchführung der Versammlung zu einer ernsthaften Störung der öffentlichen Ordnung, zu Sachschäden oder zu einer Beeinträchtigung des Gemeinschaftslebens führt. 3. Völkerrechtliche Einordnung Die aus Spanien und Tschechien zur Verfügung gestellten Informationen zeigen (auch) eine völkerrechtliche Einordnung der „ausländischen Wahlkampfauftritte“. In Spanien werden die Besuche ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder im Rahmen eines offiziellen Besuchs und unter Beachtung der Protokollregelungen durchgeführt. Dementsprechend gibt es keine speziellen gesetzlichen Vorschriften für Auftritte ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder bei öffentlichen Versammlungen. In Tschechien steht das Recht zur Teilnahme an öffentlichen Versammlungen tschechischen Staatsangehörigen und Ausländern zu. Insbesondere ist die Teilnahme von ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern an öffentlichen Versammlungen nicht verboten. Allerdings haben sich bisher weder Verwaltungsgerichte noch das Verfassungsgericht mit einer solchen Fallkonstellation befasst. Angesichts des völkerrechtlichen Status von ausländischen Staatsvertretern kommen jedoch besondere Einreisebestimmungen zur Anwendung. In Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 20122 dürften die tschechische Gerichte entscheiden, dass die tschechische Republik nicht dazu verpflichtet ist, einem ausländischen Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied die Einreise nach Tschechien zu genehmigen. Die tschechische Republik könnte das Einreisegesuch ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder vielmehr in Form einer diplomatischen Note ablehnen. *** 2 EuGH, Rs. C-364/10; siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste, Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsvertreter in Deutschland und in den Niederlanden im Lichte des Völkerrechts (WD 2 - 3000 - 035/17), 6 f.