Deutscher Bundestag Parlamentarische Beiräte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 055/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 2 Parlamentarische Beiräte Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 055/10 Abschluss der Arbeit: 6. April 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 3 1. Einleitung Zur Vorbereitung der Verhandlungen setzt der Bundestag gemäß § 54 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung (GOBT) ständige Ausschüsse ein. Rechte und Verfahren der Ausschüsse ergeben sich im Wesentlichen aus den §§ 54 ff. GOBT. Im Rahmen der durch Art. 40 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Geschäftsordnungsautonomie hat der Bundestag darüber hinaus das Recht, Organisation und Verfahren von Ausschüssen, Unterausschüssen und Enquete-Kommissionen im Einzelfall abweichend von den Vorschriften der §§ 54 ff. GOBT zu regeln und andersartige Gremien mit abweichenden Organisations- und Verfahrensformen zu schaffen.1 Zu diesen „atypischen “ Gremien zählen auch die Parlamentarischen Beiräte. Der Bundestag hat am 17. Dezember 2009 auf Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN2 die Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung beschlossen und damit an die Grundlagenarbeit des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in den beiden zurückliegenden Wahlperioden3 angeknüpft, um die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes zu begleiten und die Voraussetzungen für eine vertiefte Einbindung der Nachhaltigkeitsstrategie in die parlamentarischen Beratungsverfahren zu schaffen. Auf Initiative des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hatte die Bundesregierung die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien durch die Einführung einer Nachhaltigkeitsprüfung in die Gesetzesfolgenabschätzung ergänzt. Dies soll nun auch in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren integriert werden.4 Auch eine Neuauflage des Ethikbeirats wird diskutiert.5 Der Bundestag hatte am 26. April 2007 auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD6 beschlossen, einen Parlamentarischen Beirat zu Fragen der Ethik insbesondere in den Lebenswissenschaften (Ethikbeirat) einzurichten. Von der 1. bis 10. Wahlperiode gab es einen Beirat für handelspolitische Vereinbarungen, der die Bundesregierung beraten sollte und teilweise förmlich durch Plenarbeschluss eingesetzt wurde.7 1 Ritzel/Bücker, Handbuch für die Parlamentarische Praxis mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Stand: Dez. 2008, Vorbem. zu § 54 Gliederungspunkt 4. 2 BT-Drs. 17/245. 3 Einsetzungsanträge auf BT-Drs. 16/1131 und BT-Drs. 15/2441. 4 BT-Drs. 17/245, S. 1. 5 Vgl. die Äußerung von Bundestagspräsident Lammert laut „Das Parlament“ vom 29. März 2010 und die Forderung der SPD laut KNA vom 29. März 2010. 6 BT-Drs. 16/5128. 7 Erstmalige Einsetzung in der Sitzg. vom 28. Juli 1950, 1. WP Sten. Prot. 81. Sitzg. S. 3047 C; BT-Drs. I/1207; vgl. hierzu Trossmann, Der Bundestag: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in JöR 28 (1979) S. 69 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit vgl. BVerfGE 1, 372, 394). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 4 Im Folgenden werden am Beispiel des Beirats für nachhaltige Entwicklung und des Ethikbeirats die Aufgaben, Zusammensetzung und parlamentarischen Rechte von Parlamentarischen Beiräten dargestellt. 2. Beirat für nachhaltige Entwicklung 2.1. Aufgaben Der Bundestag hat dem Beirat folgende Aufgaben übertragen:8 „parlamentarische Begleitung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, insbesondere Mitberatung bei der Festlegung und Konkretisierung von Zielen, Maßnahmen und Instrumenten sowie bei der Vernetzung wichtiger nachhaltigkeitsrelevanter Politikansätze , Entwicklung von Vorschlägen zur Fortentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie; parlamentarische Begleitung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie; der Beirat kann sich Schwerpunkte für eine eingehende Beratung, die eine nachhaltige Entwicklung betreffen, wählen und dem jeweils federführenden Ausschuss des Deutschen Bundestages in Berichten und Empfehlungen zur Beratung vorlegen; der Beirat kann sich während der laufen- den Wahlperiode an der Beratung von Gesetzentwürfen und anderen Vorlagen, die das Aufgabengebiet des Beirates betreffen, gutachtlich beteiligen; Bewertung der Nachhaltigkeitsprüfung der Bundesregierung und Begleitung der Implementierung einer Generationenbilanzierung. Er erstattet dem Deutschen Bundestag Bericht über Verbesserungsmöglichkeiten der Nachhaltigkeitsprüfung der Bundesregierung und kann auch im Rahmen der Selbstbefassung Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen an den federführenden Ausschuss abgeben. Diese Stellungnahmen des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung und des Bundesrates sind durch den federführenden Ausschuss zu bewerten; parlamentarische Begleitung der auf Ebene der Bundesregierung geschaffenen Institutionen zur nachhaltigen Entwicklung (Staatssekretärsausschuss, Rat für nachhaltige Entwicklung); Abgabe von Empfehlungen zu mittel- und langfristigen Planungen, die eine nachhaltige Entwicklung betreffen oder geeignet sind, die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu ergänzen; 8 BT-Drs. 17/245, S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 5 Kontaktpflege und Beratungen mit anderen Parlamenten, insbesondere in der Europäischen Union, zur Entwicklung gemeinsamer Positionen zur nachhaltigen Entwicklung; Unterstützung der gesellschaftlichen Diskussion zur nachhaltigen Entwicklung, Wahrnehmung einer Scharnierfunktion für gesellschaftliche Gruppen.“ 2.2. Zusammensetzung Der Beirat hat 22 ordentliche und 22 stellvertretende Mitglieder, die die Fraktionen aus ihrer Mitte entsenden, und zwar die Fraktion der CDU/CSU je 9 ordentliche und 9 stellvertretende Mitglieder, die Fraktion der SPD je 5 ordentliche und 5 stellvertretende Mitglieder, die Fraktionen FDP und DIE LINKE. je 3 ordentliche und 3 stellvertretende Mitglieder und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN je 2 ordentliche und 2 stellvertretende Mitglieder. Im Blick auf die Regelung des Artikels 43 GG geht der Bundestag davon aus, dass auf Wunsch des Beirats jeweils ein Mitglied der Bundesregierung an den Beratungen teilnimmt. 2.3. Parlamentarische Rechte Für das Verfahren des Beirats gelten die die Ausschüsse betreffenden Regelungen der Geschäftsordnung .9 3. Ethikbeirat 3.1. Aufgabe Der Ethikbeirat war mit der parlamentarischen Begleitung und Unterstützung der Debatten des Deutschen Ethikrates betraut. In der Nachfolge des Nationalen Ethikrates wurde dieser durch das Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrates (Ethikratgesetz – EthRG) vom 19. Juli 200710 als Beratungsgremium von Parlament und Regierung zu Fragen der Ethik insbesondere in den Lebenswissenschaften (§ 2 EthRG) geschaffen. Dieses Gremium unabhängiger Sachverständiger sollte ergänzt werden durch ein parlamentarisches Begleitgremium, das die Verzahnung und Zusammenführung von ethischer Sachkompetenz und parlamentarischer Arbeit gewährleistet, wobei die Zuständigkeiten der parlamentarischen Fachausschüsse unberührt blieben. Es war die Aufgabe des Ethikbeirats, einschlägige Gesetzgebungsprozesse auf nationaler und europäischer Ebene in Zusammenarbeit mit den parlamentarischen Gremien zu begleiten. Der Ethikbeirat beriet die Stellungnahmen und Berichte des Deutschen Ethikrates und bereitete den parlamentarischen Diskurs in den parlamentarischen Gremien vor. Zu seinen Aufgaben gehörte nicht, hierzu 9 BT-Drs. 17/245, S. 2. 10 BGBl. I S. 1385. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 6 Anhörungen durchzuführen, inhaltliche Empfehlungen abzugeben oder inhaltliche Beschlüsse zu fassen.11 Der Bundestag hatte sich dieser Aufgabe bereits in der 14. und 15. Wahlperiode mit den Enquete- Kommissionen „Recht und Ethik der modernen Medizin“ und „Ethik und Recht der modernen Medizin“ gestellt. Aus deren Beratungen ist eine Reihe von Berichten und Zwischenberichten über medizin- und bioethische Themen von grundlegender Bedeutung wie Palliativmedizin, Patientenverfügungen , Präimplantationsdiagnostik und Stammzellforschung hervorgegangen. 3.2. Zusammensetzung Der Ethikbeirat setzte sich aus 9 ordentlichen und 9 stellvertretenden Mitgliedern zusammen. Die Fraktion der CDU/CSU entsandte je 3 ordentliche und 3 stellvertretende Mitglieder, die Fraktion der SPD je 3 ordentliche und 3 stellvertretende Mitglieder, die Fraktionen der FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN je 1 ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied. Im Blick auf die Regelung des Art. 43 GG nahm auf Wunsch des Ethikbeirates jeweils ein Mitglied der Bundesregierung an den Beratungen teil. An den Beratungen des Ethikbeirates haben auch Mitglieder des Deutschen Ethikrates teilgenommen. 3.3. Parlamentarische Rechte Die Feststellung der Rechte des Ethikbeirates gestaltete sich schwierig, da Selbstverständnis und Arbeitsweise dieses Gremiums nicht abschließend geklärt waren. Aufgrund der Tatsache, dass der Einsetzungsbeschluss dieses Gremiums in einigen Punkten Anlass für unterschiedliche Auslegungen bot, war die Reichweite der Rechte des Ethikbeirates umstritten. Mit der Frage eines Selbstbefassungsrechts, der Beratung von Stellungnahmen und Berichten des Ethikrates und der Begleitung einschlägiger Gesetzgebungsprozesse durch den Ethikbeirat war aufgrund einer Prüfbitte des Gremiums der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (GO-Ausschuss) befasst, der aber keine Entscheidung getroffen hat. Das Sekretariat des GO-Ausschusses hatte in einer Stellungnahme vom 13. Juni 200812 eine Bewertung abgegeben. 3.3.1. Selbstbefassungsrecht Nach Nr. II.3 Satz 1 des Einsetzungsbeschlusses galten für den Ethikbeirat die die Ausschüsse betreffenden Regelungen der GOBT und damit auch das Recht auf Selbstbefassung nach § 62 Abs. 1 Satz 3 GOBT. Allerdings stand dem entgegen, dass der Beirat als parlamentarisches „Begleitgremium “ zum Ethikrat eingesetzt wurde (Nr. I.1 Abs. 3 Satz 2 des Einsetzungsbeschlusses), er mit der parlamentarischen „Begleitung“ und Unterstützung der Debatten des Ethikrats betraut 11 BT-Drs. 16/5128, S. 2. 12 A-Drs. 16-G-26/1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 055/10 Seite 7 war (Nr. II.4 Satz 1 des Einsetzungsbeschlusses) oder er die einschlägigen Gesetzgebungsprozesse begleitete (Nr. II.5 des Einsetzungsbeschlusses). Der Terminus „Begleitung“ legt eher eine lediglich abgeleitete Zuständigkeit des Beirates nahe und spricht gegen ein Selbstbefassungsrecht. Das Gleiche gilt auch für die Feststellung unter Nr. II.8 Satz 1 des Einsetzungsbeschlusses, wonach der Beirat den Diskurs in den parlamentarischen Gremien „vorbereitet“, denn diese Aufgabe ist ausdrücklich mit der Beratung der Stellungnahmen und Berichte des Ethikrats verknüpft und bietet insoweit keinen Ansatzpunkt für eine Kompetenz zum eigenständigen Aufgreifen von Beratungsthemen . Als Kompromiss bot das Sekretariat des GO-Ausschusses ein eingeschränktes Selbstbefassungsrecht des Beirats an, das seine Funktion als parlamentarisches Begleitgremium zum Ethikrat (Nr. I.1 Abs. 3 Satz 2 des Einsetzungsbeschlusses) in den Vordergrund stellte. Danach sollte ihm zwar grundsätzlich ein Selbstbefassungsrecht zustehen, dieses sollte aber auf die Beziehung zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Ethikrat begrenzt sein (zum einen Beratung von Stellungnahmen und Berichten des Ethikrats und zum andern Erteilung von Aufträgen durch den Bundestag nach § 2 Abs. 3 EthRG). Da die Aufgaben des Beirats in Bezug auf Stellungnahmen und Berichte des Ethikrats ausdrücklich im Einsetzungsbeschluss geregelt waren (Nr. II.6 bis 7 des Einsetzungsbeschlusses), blieb damit für den Bereich der Selbstbefassung insbesondere die Prüfung eines möglichen Auftrags an den Ethikrat. 3.3.2. Beratung der Stellungnahmen und Berichte des Ethikrats Eine Federführung oder Mitberatung des Beirats bei der Beratung von Stellungnahmen und Berichten des Ethikrats war ausgeschlossen, da es ihm durch den Einsetzungsbeschluss (Nr. II.8 Satz 2) verwehrt war, hierzu inhaltliche Empfehlungen abzugeben oder inhaltliche Beschlüsse zu fassen (insbesondere Beschlussempfehlungen an das Plenum). 3.3.3. Begleitung einschlägiger Gesetzgebungsprozesse Bei der Begleitung einschlägiger Gesetzgebungsprozesse im Sinne von Nr. II.5 des Einsetzungsbeschlusses galt nicht die Einschränkung nach Nr. II.8 Satz 2, der dem Beirat untersagte, inhaltliche Empfehlungen abzugeben oder inhaltliche Beschlüsse zu fassen. Deshalb waren in diesem Bereich Mitberatungen und gutachtliche Stellungnahmen des Beirats grundsätzlich möglich.