Deutscher Bundestag Zur Vereinbarkeit des Abgeordnetenmandats mit dem Amt des Honorarkonsuls für einen anderen Staat Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 054/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 054/12 Seite 2 Honorarkonsuls für einen anderen Staat Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 054/12 Abschluss der Arbeit: 16. März 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 054/12 Seite 3 1. Einleitung Nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes“. Sie sind danach Repräsentanten des Volkes, d. h. sie sind nicht einem Land, einem Wahlkreis, einer Partei, einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem Volk als Ganzem gegenüber verantwortlich.1 Der Inhalt des repräsentativen Mandats wird in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG weiter dahingehend konkretisiert , dass sie an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen “ sind.2 Danach besitzen die Abgeordneten ein freies Mandat.3 Die Repräsentationsfunktion in Verbindung mit dem freien Mandat soll u. a. verhindern, dass an das Parlament in besonderem Maße Sonderinteressen herangetragen werden.4 Die Freiheit des Mandats gibt dem Abgeordneten die Möglichkeit, sich nicht zum Funktionär einer Gruppierung zu machen und sichert so die Freiheit gegenüber gesellschaftlicher Inpflichtnahme.5 Es besteht umgekehrt aber auch kein Verbot für die Abgeordneten, Weisungen zu befolgen, obgleich sie als freie Mandatsträger an diese nicht gebunden sind. Folglich ist dem Abgeordneten auch nicht untersagt , Interessen besonderer Art im Parlament zu vertreten.6 Gruppeninteressen sind nicht von vornherein mit der repräsentativen Funktion des Parlaments unvereinbar. Art. 38 Abs.1 S. 1 GG will vielmehr verhindern, dass ausgesprochene Weisungen für den Abgeordneten verbindlich sind.7 Diese verstießen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) und wären nichtig.8 Als Träger des freien Mandats üben die Abgeordneten in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes im Übrigen ein öffentliches Amt aus (vgl. Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG).9 Gegenstand des Abgeordnetenamtes ist die Mitgliedschaft im Bundestag.10 Nachfolgend wird geprüft, ob das Amtes eines Honorarkonsuls eines anderen Staates mit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag vereinbar ist. 2. Bestehende Inkompatibilitäten und ihre Ratio Nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 G darf niemand gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Von diesem Behinderungsverbot wird nach allgemeiner Meinung die Einschränkung der Mandatsausübung zur Vermeidung von Kollisionen mit der Wahrneh- 1 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl., 2011, Art. 38 Rn. 24. 2 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl., 2010, Art. 38 Rn. 39. 3 Magiera, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Art. 38 Rn. 46. 4 Tsatsos, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 23 Rn. 32 5 Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 38 Rn. 142. 6 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 39. 7 Tsatsos, in: Schneider/Zeh, § 23 Rn. 32. 8 Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog (MDH), Grundgesetz, Bd. IV, Stand: 63. Erglfg. 2011, Art. 38 Rn. 194 (Stand: Oktober 2010). 9 Magiera, in: Sachs, Art. 38 Rn. 45. 10 Magiera, in: Sachs, Art. 38 Rn. 54. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 054/12 Seite 4 mung anderer Ämter (sog. Inkompatibilitäten - Unvereinbarkeiten) nicht erfasst.11 Sie können sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben und/oder einfachgesetzlich normiert sein. Als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für solche Inkompatibilitäten wird insbesondere der Grundsatz der Gewaltenteilung in seiner Ausprägung als Prinzip der Funktionentrennung im horizontalen Bereich zwischen Legislative, Exekutive und Judikative (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) gesehen .12 Personelle Verflechtungen sind hier nur zulässig, soweit das Grundgesetz sie zulässt bzw. diese aus dem Grundgesetz ableitbar sind.13 Folgende Inkompatibilitäten seien exemplarisch genannt:14 Das Grundgesetz ordnet explizit die Unvereinbarkeit des parlamentarischen Mandats mit dem Amt des Bundespräsidenten (Art. 55 Abs.1 GG) sowie mit der Tätigkeit als Richter des Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 Abs.1 S. 3 GG) an. Zum Teil sind die Unvereinbarkeiten zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz aufgeführt, ergeben sich aber durch Auslegung der Verfassung, wie z. B. die Unvereinbarkeit von Mitgliedschaft in Bundestag und Bundesrat (so § 2 Geschäftsordnung des Bundesrates (GOBR)), die durch das verfassungsrechtliche Verhältnis der beiden Organe zueinander und die föderale Gewaltenteilung begründet wird.15 Die Mitgliedschaft in Bundestag und Landesregierung ist nach herrschender Auffassung ebenfalls unzulässig, einige Landesverfassungen stellen die Unvereinbarkeit ausdrücklich fest.16 Außerdem ermöglicht Art. 137 Abs.1 GG für Angehörige des öffentlichen Dienstes die gesetzliche Einführung von Inkompatibilitäten im Sinne einer Wählbarkeitsbeschränkung. Weitere Unvereinbarkeitsbestimmungen in einfachen Gesetzen finden sich z. B. für den Wehrbeauftragten in § 14 Abs. 3 Wehrbeauftragtengesetz (WehrbeauftrG), für den Bundesdatenschutzbeauftragten in § 23 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und die Soldaten in § 25 Soldatengesetz (SG). Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in Bundestag und Europäischem Parlament ist seit 2004 ausgeschlossen . (Art. 7 Abs. 2 des Aktes zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Direktwahlakt),§ 7 Europaabgeordnetengesetz (EuAbgG), § 22 Abs. 2 Nr. 13 Europawahlgesetz (EuWahlG)). Zulässig ist dagegen z. B. die gleichzeitige Mitgliedschaft in Bundestag und Bundesregierung, die Ausdruck des parlamentarischen Regierungssystems und im Grundgesetz bereits angelegt ist (siehe auch Art. 53a Abs.1 S. 2 GG).17 3. Bewertung im Hinblick auf das Amt des Honorarkonsuls Das Amt des Honorarkonsuls nach deutschem Recht ist im Konsulargesetz (KonsG) geregelt. Er ist Ehrenbeamter im Sinne des Beamtenrechts (§ 20 KonsG). Auf der Grundlage der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG hat der Bundesgesetzgeber in § 5 Abgeordnetengesetz (AbgG) geregelt , dass die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewählten Beamten für die Dauer der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ruhen. Dies gilt nach § 5 Abs. 11 BVerfGE 42, 312, 325; vgl. auch Magiera, in: Sachs, Art. 48 Rn. 14. 12 Tsatsos, in: Schneider/Zeh, § 23 Rn. 34. 13 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 38 Rn. 74. 14 Weitere Beispiele bei: Achterberg/Schulte, Art. 38 Rn. 82. 15 Klein, in: MDH, Art. 38 Rn. 227; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 140. 16 Klein, in: MDH, Art. 38 Rn. 226. 17 Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 141. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 054/12 Seite 5 1 S.1 AbgG nur für Beamte mit Dienstbezügen und ist danach für Honorarkonsuln der Bundesrepublik Deutschland nicht einschlägig. Für diese gibt es danach also jedenfalls keine ausdrückliche gesetzliche Inkompatibilitätsregelung. Für die Honorarkonsuln anderer Staaten finden sich ebenfalls keine expliziten Unvereinbarkeitsvorschriften nach deutschem Recht. Es stellt sich aber die Frage, ob sich eine Inkompatibilität unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt. Der für die Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und sonstigen öffentlichen Ämtern herangezogene Grundsatz der Funktionentrennung aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG kommt in Betracht. Da der Honorarkonsul jedoch für einen anderen Staat als die Bundesrepublik Deutschland tätig ist, kann sich bei gleichzeitiger Wahrnehmung dieses Amtes und des Mandats jedenfalls keine unzulässige Funktionsverschränkung zwischen Legislative und Exekutive der Bundesrepublik Deutschland ergeben, die der durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG intendierten gegenseitigen Hemmung der (deutschen) Staatsgewalten zuwiderliefe. Für das Verhältnis zu anderen Staaten gilt Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht als begrenzende Norm. Die Inkompatibilität könnte sich des Weiteren unmittelbar aus dem freien Mandat nach Art. 38 GG ergeben, wonach der Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist. Hier ist zu beachten, dass Honorarkonsuln oder Wahlkonsuln Konsularbeamte im Sinne des Wiener Übereinkommens vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (nachfolgend WÜkB)18 sind (Art. 1 Abs. 2 WÜkB). Zu den konsularischen Aufgaben zählt nach Art. 5 WÜkB u. a., die Interessen des Entsendestaates sowie seiner Angehörigen im Empfangsstaat zu schützen, aber auch bestimmte weitere konsularische Angelegenheiten, wie das Ausstellen von Pässen und Reiseausweisen für Angehörige des Entsendestaates sowie die Ausübung notarieller, standesamtlicher und ähnlicher Befugnisse. Je nach Ausgestaltung des Honararkonsulamtes im Einzelfall durch den jeweiligen Entsendestaat kann sich eine Einbindung in Weisungsstränge des Entsendestaates im Falle der Wahrnehmung insbesondere der genannten amtlichen Befugnisse (z. B. Ausweiswesen , notarielle und standesamtliche Aufgaben) ergeben. Dennoch dürfte dies wohl keine Weisung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG darstellen, da sie nicht im Hinblick auf das Mandat im rechtlichen Sinne verpflichtend ist. So kann erst Recht im Falle der rein repräsentativen Ausgestaltung des Honorarkonsulamtes argumentiert werden. Die Repräsentation des Entsendestaates im Interesse dieses Landes verpflichtet rechtlich nicht automatisch zu einer bestimmten inhaltlichen Positionierung des Abgeordneten bei der Wahrnehmung seines Mandates. Das Handeln des Abgeordneten in einem bestimmtem Interesse ist aber durch die Garantie des freien Mandats nicht ausgeschlossen (siehe auch 1.). Dies ist insoweit vergleichbar mit der ebenfalls als zulässig erachteten gleichzeitigen Wahrnehmung z. B. von Funktionen in einem Unternehmen und dem Mandat, die allerdings Anzeigepflichten nach § 44b AbgG i. V. m. den Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (VR - Anlage 1 zur GOBT) nach sich zieht. Diese wären auch für das Amt des Honorarkonsuls ggf. zu beachten.19 18 BGBl. 1969 II, Nr. 59, S. 1587 ff. 19 In Betracht kommt § 1 Abs. 2 Nr. 3 VR („Tätigkeit für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts“). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 054/12 Seite 6 4. Fazit Ungeachtet der sich möglicherweise ergebenden tatsächlichen Interessenkonflikte dürfte die gleichzeitige Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats und des Amtes eines Honorarkonsuls für einen anderen Staat unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Inkompatibilität nicht zu beanstanden sein.