© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 053/18 Parlamentarisches Fragerecht und Geheimhaltung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 053/18 Seite 2 Parlamentarisches Fragerecht und Geheimhaltung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 053/18 Abschluss der Arbeit: 28. Februar 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 053/18 Seite 3 1. Hintergrund und Fragestellung Im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage von Abgeordneten und einer Fraktion des Bundestages wurden Daten zur Situation der privaten Krankenversicherung abgefragt.1 Die Beantwortung der Fragen durch die Bundesregierung erfolgte hinsichtlich des Überzinses und des aktuariellen Unternehmenszinses (AUZ) der einzelnen Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht offen, sondern durch Hinterlegung der erbetenen Informationen als Verschlusssache in der Geheimschutzstelle des Bundestages.2 Gefragt wird nun, ob diese Form der Beantwortung mit den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum parlamentarischen Fragerecht vom 7. November 20173 herausgearbeiteten Grundsätzen vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht stellt in der oben genannten Entscheidung aus 2017 fest, dass die Beantwortung parlamentarischer Anfragen unter Anwendung der Geheimschutzordnung des Bundestages grundsätzlich geeignet sein kann, als milderes Mittel einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Fragerecht der Abgeordneten und konfligierenden Rechtsgütern zu schaffen.4 Im Folgenden soll auf die Voraussetzungen für die Verweigerung einer öffentlichen Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage eingegangen werden. 2. Grenzen des parlamentarischen Fragerechts Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung aus 2017 – wie auch schon in seiner früheren Rechtsprechung – aus, dass das parlamentarische Fragerecht nicht grenzenlos besteht.5 Grenzen des Fragerechts können sich danach aus dem Staatswohl, den Grundrechten sowie dem Gewaltenteilungsprinzip ergeben. Im vorliegenden Fall kommt eine Begrenzung des Fragerechts – und damit die Rechtfertigung einer nicht-öffentlichen Beantwortung – aufgrund der Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 1 Abs. 3 GG zur Beachtung der Grundrechte in Betracht. Die Überzins- und AUZ-Werte der einzelnen Unternehmen der privaten Krankenversicherung könnten grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 GG geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, deren Schutzbedürftigkeit das parlamentarische Informationsinteresse hier überwiegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 1 BT-Drs. 19/423. 2 BT-Drs. 19/746, S. 7 und S. 8. 3 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11. 4 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 206 (zitiert nach juris). 5 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 211 ff. (zitiert nach juris). Vertiefend hierzu Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament, 1992, passim. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 053/18 Seite 4 „alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“.6 Das danach erforderliche berechtigte Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisträgers besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen .7 Als Beispiele für Fälle, in denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse angenommen wurden, werden unter anderem Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit sowie Kalkulationsunterlagen genannt .8 Eine abschließende Bewertung der Frage, ob die hier erbetenen Überzins- und AUZ-Werte der einzelnen Unternehmen der privaten Krankenversicherung Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse darstellen, deren Schutzbedürftigkeit das parlamentarische Informationsinteresse überwiegt, kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Nach der dargestellten Rechtsprechung zum Begriff der Betriebs - und Geschäftsgeheimnisse erscheint eine Einstufung der hier betroffenen Informationen als solche Geheimnisse jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Weitergehende Aussagen zu den Konsequenzen einer Veröffentlichung dieser Daten und damit auch zur Abwägung dieser Konsequenzen mit dem parlamentarischen Informationsinteresse können nur mit vertieften Kenntnissen der Geschäftstätigkeit und der Zusammenhänge in der privaten Krankenversicherungswirtschaft getroffen werden. Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der nicht-öffentlichen Beantwortung der vorliegenden parlamentarischen Anfrage würde das Bundesverfassungsgericht wohl Institutionen bzw. Personen mit entsprechendem Sachverstand als sachkundige Dritte gemäß § 27a Bundesverfassungsgerichtsgesetz hierzu anhören, wie es dies auch in seiner Entscheidung aus 2017 getan hat. In dem damaligen Verfahren zu parlamentarischen Anfragen bezüglich der Deutschen Bahn AG bzw. der Finanzmarktaufsicht hatte das Gericht die Deutsche Bahn AG, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung , verschiedene Banken sowie den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern angehört.9 Diese Beteiligten haben sich insbesondere zu Fragen der Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bahn AG sowie der Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Finanzmarktaufsicht und des Erfolges staatlicher Stützungsmaßnahmen durch die verfahrensgegenständlichen parlamentarischen Anfragen geäußert. 6 BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, Rn. 87 (zitiert nach juris – Hervorhebungen nicht im Original). 7 BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 7 C 18/08, Rn. 12 (zitiert nach juris). 8 BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, Rn. 87 (zitiert nach juris). Die aktuellen Fundstellen der vom Bundesverfassungsgericht damals zitierten Literatur lauten: Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 30 Rn. 13 und 13a; Schmidt, in: Immenga /Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2014, § 56 GWB Rn. 11. 9 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 160 (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 053/18 Seite 5 3. Pflicht zur Begründung der Verweigerung einer (öffentlichen) Beantwortung 3.1. Vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete Maßstäbe Das Bundesverfassungsgericht betont in seinem Urteil zum parlamentarischen Fragerecht aus 2017, dass mit der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung zur Erfüllung der Informationsansprüche des Bundestages auch die Pflicht der Bundesregierung verbunden sei, die Gründe darzulegen, aus denen sie die erbetenen Auskünfte verweigert oder in nicht öffentlicher Form erteilt.10 Zu dieser Begründungspflicht nennt das Gericht zunächst folgende grundsätzliche Anforderungen: „Die Bundesregierung muss […] den Bundestag in die Lage versetzen, seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen. Dies kann er nur dann, wenn er anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessenen, ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden kann, ob er die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren Schritte er unternimmt, sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen. Hierzu muss er Abwägungen betroffener Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben, auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit überprüfen können. […] Ein pauschales Berufen auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe, die dem parlamentarischen Untersuchungsrecht Grenzen setzen, genügt in keinem Fall. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Informationsverweigerungsrechts ist substantiiert, nicht lediglich formelhaft, darzulegen. Eine substantiierte Begründung der ablehnenden Entscheidung ist unentbehrliche Grundlage auch der (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle, die andernfalls weitgehend zur Disposition der Bundesregierung stünde […].“ 11 Eine besondere Begründungspflicht sieht das Gericht für Fälle, in denen die Beantwortung durch Zurverfügungstellung von nach dem Geheimschutzrecht eingestuften Informationen in der Geheimschutzstelle des Bundestages erfolgt, da der parlamentarische Informationsanspruch als solcher auf die Beantwortung der Fragen in der Öffentlichkeit angelegt sei: „Die Begründung der nicht öffentlichen Beantwortung muss so ausführlich und plausibel sein, wie es das Geheimhaltungsinteresse zulässt. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund die angeforderten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind und warum sie gegebenenfalls auch noch nach Jahren oder sogar nach Abschluss des betreffenden Vorgangs nicht Gegenstand einer öffentlichen Antwort sein können […].“12 10 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 253 (zitiert nach juris). 11 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 254 ff. (zitiert nach juris – Hervorhebungen nicht im Original). 12 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 – 2 BvE 2/11, Rn. 257 f. (zitiert nach juris – Hervorhebungen nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 053/18 Seite 6 3.2. Beantwortung der parlamentarischen Anfrage zu Daten der privaten Krankenversicherung Den oben dargestellten Begründungspflichten dürfte die Beantwortung der eingangs genannten parlamentarischen Anfrage zu Daten der privaten Krankenversicherung genügen. Hinsichtlich der Fragen, bei denen die Beantwortung durch Zurverfügungstellung eingestufter Informationen in der Geheimschutzstelle des Bundestages erfolgte, hat die Bundesregierung ausführlich und anhand des jeweiligen betroffenen Datums dargelegt, warum aus ihrer Sicht nur eine nicht-öffentliche Beantwortung möglich ist. Dies betrifft zum einen die Frage nach dem Überzins bei den einzelnen Unternehmen der privaten Krankenversicherung.13 Die Bundesregierung legt insoweit dar, dass die Höhe des Überzinses ihrer Auffassung nach ein grundrechtlich geschütztes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis darstellt, dessen Schutzbedürftigkeit bei einer Abwägung mit dem parlamentarischen Fragerecht überwiegt . Die Bundesregierung verweist dabei nicht pauschal auf entgegenstehende Grundrechte, sondern geht konkret auf das betroffene Datum des Überzinses und die Folgen einer Veröffentlichung dieser Information ein. Sie stellt dar, dass bei Kenntnis der Höhe des Überzinses fachkundige Personen anhand der Jahresabschlüsse unmittelbar den mittleren Rechnungszins der einzelnen Unternehmen ableiten könnten. Dies würde den Unternehmen der privaten Krankenversicherung eine vertiefte Einsicht in die Geschäftstätigkeit ihrer Mitbewerber ermöglichen. Diese Informationen seien auch wettbewerbsrelevant, da sie Grundlage für ein gezieltes Abwerben von Kunden seien könnten. Auch eine teilweise öffentliche Beantwortung scheidet nach Auffassung der Bundesregierung aus, da auch bei einer Ausklammerung entsprechender Daten aus den letzten Jahren mittels bekannter Zahlen aus der Vergangenheit die Zahlen der Gegenwart ermittelt werden könnten. Zum anderen gilt dies auch für die Frage nach dem AUZ bei den einzelnen Unternehmen der privaten Krankenversicherung.14 Der konkrete AUZ gehört nach Darstellung der Bundesregierung zu den Kalkulationsgrundlagen für Krankenversicherungstarife und damit zu den grundrechtlich geschützten Betriebs- und Geheimnissen. Die Schutzbedürftigkeit dieser Information überwiege bei einer Abwägung mit dem parlamentarischen Fragerecht. Die Bundesregierung verweist insbesondere darauf, dass aus der Entwicklung des individuellen Rechnungszinses und des AUZ ein Mitbewerber abschätzen könne, wann ein Krankenversicherungsunternehmen neue Tarife einführen müsse und welchen Rechnungszins es dabei zugrunde legen werde. Diese Informationen könnten Mitbewerber ausnutzen und mit hierauf abgestimmten Tarifen den Konkurrenten angreifen . Eine teilweise öffentliche Beantwortung scheide hier aufgrund der Möglichkeit der Extrapolation ebenfalls aus. Damit beschränkt sich die Bundesregierung auch hinsichtlich der Begründung der nicht-öffentlichen Beantwortung der Frage zum AUZ nicht auf pauschale oder formelhafte Ausführungen, sondern geht konkret auf die aus ihrer Sicht möglichen Konsequenzen einer öffentlichen Beantwortung der Frage ein. *** 13 BT-Drs. 19/746, S. 7. 14 BT-Drs. 19/746, S. 8.