© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 052/21 Verfassungsrechtliche Fragen zum Kleingartenrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/21 Seite 2 Verfassungsrechtliche Fragen zum Kleingartenrecht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 052/21 Abschluss der Arbeit: 22. März 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/21 Seite 3 Gefragt wird nach den Gesetzgebungskompetenzen für das Kleingartenrecht und insbesondere die Sicherung bestehender Kleingartenflächen. Weiter wird gefragt, inwieweit ein „Zweckentfremdungsgesetz “ für kleingärtnerisch genutzte Flächen verfassungsrechtlich zulässig wäre. 1. Gesetzgebungskompetenz für das Kleingartenrecht Mangels eines konkreten Regelungsvorschlages für eine Sicherung bestehender Kleingartenflächen können hier nur abstrakt mögliche einschlägige Gesetzgebungskompetenzen dargestellt werden. In Betracht kommt vor allem die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bodenrechts gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 Grundgesetz (GG); diese erfasst alle öffentlich-rechtlichen Normen, die die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln.1 Nach überwiegender Ansicht erstreckt sie sich auch auf das Kleingartenrecht.2 Ein Gesetz, das die rechtliche Nutzungsmöglichkeit bestehender Kleingartenflächen festschreibt, wäre vom Bodenrecht erfasst. Soweit dagegen geregelt werden sollte, dass bestehende private Kleingartenflächen durch Enteignungen oder Zuführungen in das Gemeinschaftseigentum gesichert werden sollen, kämen die spezielleren konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG in Betracht. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bleiben die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG zur Gesetzgebung befugt, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt ein die Sperrwirkung herbeiführendes „Gebrauchmachen“ voraus, dass der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der betroffenen Materie eine „erschöpfende und damit abschließende Regelung “3 getroffen hat. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes festzustellen; neben konkreten Einzelregelungen ist auf die Gesamtkonzeption abzustellen.4 Der Bundesgesetzgeber hat im Bundeskleingartengesetz (BKleingG) sowie im Baugesetzbuch (BauGB) detailliert verschiedene Aspekte des Kleingartenrechts geregelt. Das BKleingG enthält insbesondere Vorschriften zur Vertragsdauer bei Dauerkleingärten (§ 6 BKleingG), zu den (eingeschränkten) Kündigungsmöglichkeiten der Pachtverträge und Entschädigungsregelungen (vgl. §§ 8 ff. BKleingG), zur Bereitstellung und Beschaffung von Ersatzland bei Kündigung eines Dauerkleingartenpachtvertrages (§ 14 BKleingG) sowie zur Begründung von Kleingartenpachtverträgen durch Enteignung (§ 15 BKleingG). Die Regelungen im Baugesetzbuch betreffen insbesondere die Darstellung von Dauerkleingärten in Flächennutzungsplänen (§ 5 Abs. 2 Nr. 5 BauGB) bzw. deren Festsetzung in Bebauungsplänen (§ 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB) sowie die Entschädigung und Bereitstellung bzw. Beschaffung von Ersatzland durch die Gemeinde bei Aufhebung von Miet- und Pachtverhältnissen (§ 185 Abs. 3 BauGB). Insgesamt regelt das BauGB umfassend das Bauplanungsrecht, das als Teil des Bodenrechts unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG 1 BVerfGE 3, 407 (424). 2 Siehe nur Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 74 Rn. 129; BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1955 – V C 75.54, Rn. 8, juris; a.A. ohne nähere Begründung Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 46. Edition, Stand: 15.2.2021, Art. 74, Rn. 66.2. 3 Siehe nur BVerfGE 85, 134 (142). 4 Kment, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, Art. 72 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/21 Seite 4 fällt. Zudem regeln §§ 85 ff. BauGB die städtebauliche Enteignung. Mit Blick auf das Kleingartenrecht ist daher festzustellen, dass der Bundesgesetzgeber von seinen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 und Nr. 18 GG weitreichend Gebrauch gemacht hat und insoweit von einer Sperrwirkung auszugehen ist. Gesetze zur Umsetzung des Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG sind dagegen bisher nicht ergangen.5 Eine Regelungskompetenz der Länder kommt schließlich für das Bauordnungsrecht in Betracht, das die technische und gestalterische Seite des Baurechts regelt. Dieses bleibt als Gefahrenabwehrrecht Sache der Länder.6 2. Zweckentfremdungsgesetz Unter einem „Zweckentfremdungsgesetz“ für Kleingärten dürfte ein Gesetz zu verstehen sein, das die Nutzung von Kleingartenflächen für einen anderen Zweck als den der kleingärtnerischen Nutzung sanktioniert. Die Zulässigkeit eines solchen Gesetzes hängt maßgeblich von dessen konkreter Ausgestaltung ab. Mangels eines konkreten Regelungsvorschlages können auch hier nur grundsätzliche Erwägungen aufgezeigt werden. Mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenz kommt insbesondere der Kompetenztitel des Bodenrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) in Betracht, da es um die Regelung der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit von Grundstücken geht. Anders als dies bei Gebäuden, die privaten Wohnzwecken dienen, der Fall ist, kommt bei einem Verbot der Zweckentfremdung von Kleingärten nicht die Landeskompetenz des Wohnungswesens in Betracht. Der Bundesgesetzgeber hat die Materie der Zweckentfremdung insoweit bereits geregelt, als § 9 Abs. 1 Nr. 1 BKleingG einen ordentlichen Kündigungsgrund für den Fall vorsieht, dass der Pächter eines Kleingartens trotz vorangegangener Abmahnung eine nicht kleingärtnerische Nutzung fortsetzt. Vor allem aber regelt das BauGB umfassend das Recht der städtebaulichen Planung. Insoweit dürfte es an einer Gesetzgebungskompetenz der Länder fehlen. Durch ein Zweckentfremdungsgesetz würden die Nutzungsmöglichkeiten der Eigentümer nicht unbeträchtlich eingeschränkt werden. Ein Zweckentfremdungsgesetz müsste insbesondere mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG vereinbar sein. Nutzungsbeschränkungen im Baurecht werden von der Rechtsprechung grundsätzlich als Inhalts- und Schrankenbestimmung eingeordnet.7 Für die Frage der Verhältnismäßigkeit von Verboten der Zweckentfremdung von Wohnraum war ausschlaggebend , ob dem Eigentümer die Möglichkeit einer Befreiung vom Zweckentfremdungsverbot verbleibt.8 Mit Blick auf die Kleingärten hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1992 festgestellt , dass eine Regelung, die auf die planerische Festsetzung für bestehende Kleingartenanlagen als Dauerkleingärten zielt, um deren Bestand zu sichern, mit Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar sei, da mit der Bereitstellung von Kleingartenland einem Gemeinwohlbelang im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG gedient werde. Die Vorschriften des Bauplanungsrechts würden gewährleisten, dass die Planung sachgerecht unter Berücksichtigung und Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange erfolge. Das Ergebnis einer solchen Planung müsse der Eigentümer im Hinblick auf die 5 Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Rn. 71. 6 Siehe nur Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Rn. 81 m.w.N. 7 BVerfG, Urteil vom 4. Februar 1975 – 2 BvL 5/74, NJW 1975, 727 (730); BVerwG, Urteil vom 22. April 1994 – 8 C 29/92, NJW 1995, 542 (543); OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 6. April 2017 – OVG 5 B 14/16, Rn. 122, juris. 8 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. April 2017 – OVG 5 B 14/16, Rn. 122, juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/21 Seite 5 Sozialgebundenheit des Eigentums grundsätzlich hinnehmen.9 Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Beschluss, dass die Interessen privater Verpächter durch die gesetzlichen Regelungen nicht unzumutbar belastet werden dürfen.10 Die Entscheidung schließt sich damit an einem Beschluss aus dem Jahr 1979 an. In diesem hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der damalige geregelte weitgehende Ausschluss des Kündigungsrechtes privater Verpächter unverhältnismäßig und damit nicht mit Art. 14 GG vereinbar war.11 *** 9 BVerfGE 87, 114 (141); zur Sozialbindung des Grundeigentums siehe auch den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Eigentumsgarantie in Bezug auf das Grundeigentum, WD 3 - 3000 - 061/19. 10 BVerfGE 87, 114 (143 f.). 11 BVerfGE 52, 1 (32 ff.).