© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 052/20 Vollstreckung von Gebühren der Bundespolizei Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/20 Seite 2 Vollstreckung von Gebühren der Bundespolizei Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 052/20 Abschluss der Arbeit: 10. März 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/20 Seite 3 Gefragt wird, ob Gebühren für Maßnahmen der Bundespolizei bereits während eines gegen diese gerichteten laufenden Gerichtsverfahrens oder wenn noch gerichtlicher Rechtsschutz möglich ist, vollstreckt werden dürfen. Grund und Ausmaß der Kostentragungspflicht für die von der Bundespolizei durchgeführten Maßnahmen ergeben sich aus dem Bundesgebührengesetz1 (BGebG) und der vom Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat (BMI) erlassenen Besonderen Gebührenverordnung2 (BMIBGebV). Die festgesetzten Gebühren sowie die Vollstreckungskosten können auf Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) gegenüber dem Kostenschuldner vollstreckt werden. Bei einer polizeilichen Maßnahme kann es sich entweder um einen Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG) oder aber um einen bloßen Realakt handeln. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist dabei, ob der Maßnahme ein Regelungscharakter zukommt.3 So sind etwa das Aufenthaltsverbot oder der Platzverweis Verwaltungsakte, da diese Verhaltensgebote beinhalten und mithin Rechtsfolgen setzen.4 Diese können mit Mitteln des Verwaltungszwanges nach dem VwVG und notfalls auch mittels unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden (Primärebene der Vollstreckung). Sie bilden gleichzeitig die Grundverwaltungsakte für die Vollstreckung der durch Bescheid festzusetzenden Gebühren sowie der Vollstreckungskosten (Sekundärebene der Vollstreckung ). Unabdingbare Grundlage einer rechtmäßigen Verwaltungsvollstreckung ist nach der ständigen Rechtsprechung5 sowohl auf der Primär- als auch auf der Sekundärebene allein die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes. Insbesondere ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts6 und auch nach der überwiegenden Meinung in der Literatur7 die Vollstreckung der für eine behördliche Maßnahme erhobenen Gebühren und Kosten rechtmäßig, wenn der Grundverwaltungsakt bereits bestandskräftig geworden ist. Grund dafür ist, dass der Betroffene es selbst versäumt habe, rechtzeitig Rechtsschutz gegen den Grundverwaltungsakt in 1 Gesetz über Gebühren und Auslagen des Bundes vom 7. August 2013, BGBl. I 2013 S. 3154; zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Einbeziehung der Bundespolizei in den Anwendungsbereich des Bundesgebührengesetzes vom 10. März 2017, BGBl. I 2017 S. 417. 2 Besondere Gebührenverordnung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen in dessen Zuständigkeitsbereich (Besondere Gebührenverordnung BMI vom 2. September 2019, BGBl. I 2019, S. 1359. 3 Vgl. statt vieler Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 96 mit einer Übersicht auch zu weiteren Abgrenzungskriterien und -fragen. 4 Poscher/Rusteberg, Die Klausur im Polizeirecht, JuS 2012, 26 (27 m.w.N.). 5 BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5/08 –, juris Rz. 12 m.w.N. 6 BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5/08 –, juris Rz. 12. 7 Vgl. statt vieler Baumeister in: Schenke/Graulich/Ruthig, VwVG, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 14 m.w.N.; Enders, NVwZ 2000, 1232 (1237); Poscher/Rusteberg, Die Klausur im Polizeirecht, JuS 2012, 26 (28); Schoch, Grundfälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, JuS 1995, 307 (309). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/20 Seite 4 Anspruch zu nehmen und so zu verhindern, dass dieser in Bestandskraft erwachse.8 Dies gelte nach einer umstrittenen9 Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2009 auch dann, wenn der Gebühren- und Kostenbescheid zwar schon vor Erledigung und Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes erlassen wurde, dieser aber danach (im konkreten Fall durch Rücknahme des Widerspruchs) unanfechtbar geworden ist.10 Nach einigen Stimmen in der Literatur sei die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes zumindest dann Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckung der Kosten, wenn es sich bei der zugrundeliegenden polizeilichen Maßnahme um einen nicht bestandskräftige Grundverwaltungsakt handelt, der sofort vollziehbar ist oder gegen den Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt.11 Diese Ansicht wird von vielen Stimmen in der Literatur12 nicht geteilt. Es bestehe auch vor Eintritt der Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes kein „Rechtswidrigkeitszusammenhang“13 zwischen Grundverwaltungsakt und Vollstreckungsmaßnahme. Für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung der Gebühren und Kosten kommt es danach stets nur auf die Wirksamkeit und nicht auf die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes an. Allerdings habe der Meinungsstreit nach Meinung einiger Autoren kaum praktische Auswirkungen .14 Rachor führt zur behördlichen Praxis unter Hinweis auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit behördlichen Handelns aus: „Erkennt ein Beamter die Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsakts oder bezweifelt er die Rechtmäßigkeit jedenfalls, wird dieser sich „entweder für die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts entscheiden müssen oder seinen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit 8 Poscher/Rusteberg, Die Klausur im Polizeirecht, JuS 2012, 26 (31). 9 Vgl. die Übersicht zum Meinungsstand bei Jäckel, Keine Titelfunktion des Grundverwaltungsaktes hinsichtlich des Erlasses eines Vollziehungskostenbescheids, NVwZ 2014, 1625, der die vom BVerwG angenommen erweiterte Titelfunktion des Grundverwaltungsaktes aufgrund der grundrechtlichen Freiheitsvermutung in Verbindung mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ablehnt. In der Konsequenz wären Einwände gegen den Grundverwaltungsakt auch bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids zu prüfen. 10 BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5/08 –, juris; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 11/15 –, juris Rn. 29 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Urteil vom 8. Mai 2014 – 1 C 3/13, juris (dort Rn. 19). 11 Im Einzelnen mit unterschiedlicher Begründung und dogmatischen Verortung dieser Prüfung vgl. etwa Enders, NVwZ 2000, 1232, (1236 f.); ders., NVwZ 2009, 958 (959; m.w.N. in Fn. 4); Götz/Geis, Allg. Polizei- und Ordnungsrecht , 16. Aufl. (2017), § 13 Rn. 8; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. (1998), Rn. 279 und 358; Möller/ Wilhelm, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. 5. Aufl. 2003, Rn. 212; Schoch, Grundfälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, JuS 1995, 307 (309). 12 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, S. 261 Rn. 1 ff.; Rachor/Graulich in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 832; Weiß, Gibt es einen Rechtswidrigkeitszusammenhang in der Verwaltungsvollstreckung?, DÖV 2001, 275; vgl. auch die Übersicht bei Jäckel, Keine Titelfunktion des Grundverwaltungsaktes hinsichtlich des Erlasses eines Vollziehungskostenbescheids, NVwZ 2014, 1625 (dort in Fn. 5). 13 Weiß, Gibt es einen Rechtswidrigkeitszusammenhang in der Verwaltungsvollstreckung?, DÖV 2001, 275. 14 Rachor/Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 831 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 052/20 Seite 5 des Grundverwaltungsakts nachgehen. Für die Dauer der Nachprüfung wäre das Ergreifen der Vollstreckungsmaßnahme ermessensfehlerhaft.“15 Für das gerichtliche Verfahren ergibt sich auf der Grundlage der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2009, dass sich ein nicht bestandskräftiger Grundverwaltungsakt, dem die Erhebung und Vollstreckung von Gebühren und Kosten nachfolgt, nicht schon durch den Sofortvollzug erledigt und dieser daher noch weiter mit Widerspruch und Klage angegriffen werden kann16. Wird ein angefochtener Grundverwaltungsakt infolge seiner Rechtswidrigkeit durch die Behörde oder das zuständige Gericht aufgehoben, so stellt sich auch der Gebühren- und Kostenbescheid und dessen Vollstreckung als rechtswidrig dar.17 Nach Ansicht von Labrenz könne die Rechtswidrigkeit des vollzogenen Grundverwaltungsakts dabei „in aller Regel auch noch im Zeitpunkt der (Vollziehungs-)Kostenerhebung“ innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO geltend gemacht werden, sofern die Rechtsbehelfsbelehrung keinen eindeutigen Hinweis enthalte, dass Widerspruchs- und Klagefrist auch im Fall des sofortigen Vollzugs des Verwaltungsaktes gelten.18 Nehmen Behörden auf Grundlage des Bundesrechts ohne Grundverwaltungsakt im Wege der unmittelbaren Ausführung (vgl. § 19 BPolG) oder des Sofortvollzugs19 (§ 6 Abs. 2 VwVG) Realakte vor, ist deren Rechtmäßigkeit nach der Rechtsprechung und der einhelligen Meinung in der Literatur stets auch Voraussetzung für die Heranziehung von Pflichtigen für Gebühren und Kosten sowie deren Vollstreckung.20 *** 15 Rachor/Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 833. 16 BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5/08 –, juris, Rn. 13. 17 Rachor/Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 836. 18 Labrenz, Keine Erledigung durch Vollziehung – Eine vollstreckungsrechtliche Entscheidung des BVerwG und ihre Folgen für die Effektivität des Rechtsschutzes, NVwZ 2010, 22 (26). 19 Zur Unterscheidung des Sofortvollzugs von Maßnahmen ohne Grundverwaltungsakt und der „sofortigen Vollziehung von Verwaltungsakten“ siehe Weiß, Gibt es einen Rechtswidrigkeitszusammenhang in der Verwaltungsvollstreckung ?, DÖV 2001, 275 (276). 20 Vgl. zur Bundespolizei zuletzt Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Februar 2018 – 1 S 1468/17 –, juris Rn. 132; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 3. September 2015 – 4 LB 13/14 –, juris Rn. 25; Urteil vom 5. März 2015 - 4 LB 10/14 -, juris Rn. 27. Hyckel: Grundlagen der Verwaltungsvollstreckung im Polizei- und Ordnungsrecht – Teil 2, LKV 2015, 342 (348); Poscher/Rusteberg, Die Klausur im Polizeirecht, JuS 2012, 26 (29).