© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 051/17 Vorlage von Disziplinarakten an einen Untersuchungsausschuss Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/17 Seite 2 Vorlage von Disziplinarakten an einen Untersuchungsausschuss Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 051/17 Abschluss der Arbeit: 28. Februar 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/17 Seite 3 1. Fragestellung Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages kann von der Bundesregierung verlangen, Beweismittel zum Untersuchungsgegenstand vorzulegen (§ 18 Untersuchungsausschussgesetz – PUAG). Es stellt sich die Frage, – ob dies auch für Disziplinarakten von Bundesbeamten gilt, – und ob es bereits auf Bundes- oder Landesebene Fälle gab, in denen Untersuchungsausschüssen Disziplinarakten vorlagen. 2. Vorlagepflicht Nach § 18 PUAG ist die Bundesregierung „vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Grenzen auf Ersuchen verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss sächliche Beweismittel, insbesondere die Akten, die den Untersuchungsgegenstand betreffen, vorzulegen.“ Eine der „verfassungsrechtlichen Grenzen“ sind Grundrechte Dritter.1 Informationen aus Disziplinarverfahren unterfallen dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung . § 111 Bundesbeamtengesetz (BBG) schützt dieses Grundrecht. Hiernach haben nur Personen Zugang zu einer Personalakte (einschließlich disziplinarischer Vorgänge), die mit Personalverwaltung befasst sind (§ 111 Abs. 1 und 2 BBG). Weitere öffentliche oder private Stellen dürfen die Personalakte nur einsehen, wenn der betroffene Beamte einwilligt oder wenn dies insbesondere „höherrangige Interessen“ zwingend erfordern (§ 111 Abs. 3 BBG). Nach der Rechtsprechung dient eine parlamentarische Untersuchung grundsätzlich einem solchen „höherrangigen Interesse“. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat entschieden, dass die Exekutive „grundsätzlich alle von der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen angeforderten Akten, auch wenn sie schutzbedürftige personenbezogene Daten enthalten, unbeschränkt vorlegen“ muss.2 Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat ferner festgestellt, dass das parlamentarische Recht auf Aktenvorlage „unabhängig von der Materie und unabhängig von der betroffenen Behörde“ [besteht] und […] auch Personalakten umfassen“ kann.3 Das Bundesverfassungsgericht hat gleichermaßen entschieden im Hinblick auf persönliche Daten in Steuerakten: „Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in der Regel […] keine 1 Waldhoff/Gärditz, PUAG, Kommentar, 2015, § 18 Rn. 36. 2 HbgVerfG, Urteil vom 19. Juli 1995, 1/95 (Untersuchungsausschuss „Hamburger Polizei“), Hervorhebung durch Verfasser. 3 BbgVerfG, Urteil vom 15. März 2007, 42/06 („Trennungsgeld-Affäre“) – im Hinblick auf das allgemeine Akteneinsichtsrecht des Parlaments nach Art. 56 Abs. 3 S. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (Hervorhebung durch Verfasser). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/17 Seite 4 Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts […].“4 Dabei hat es das Gericht insbesondere zur Voraussetzung gemacht, dass „Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten“.5 Vorkehrungen für den Geheimnisschutz bieten § 14 PUAG (Ausschluss der Öffentlichkeit) und § 15 PUAG (Einstufung von Akten mit Geheimhaltungsgrad). Im Übrigen gilt der Persönlichkeitsschutz für unter Decknamen agierende Beamte der Geheimdienste nur eingeschränkt. Das Verwaltungsgericht Köln hat daher einem Begehren der Presse auf Auskunft aus einer Disziplinarakte stattgegeben: Der „betreffende Beamte [kann] deshalb nicht identifiziert werden […], weil er der Öffentlichkeit nur unter seinem Decknamen Lothar Lingen bekannt ist. Seinen Vertraulichkeitsinteressen ist daher kein hohes Gewicht beizumessen.“6 3. Praxis Die Exekutive hat in der Vergangenheit Personal- und/oder Disziplinarakten an Untersuchungsausschüsse herausgegeben. Die folgenden vier Fälle sind das Ergebnis einer eigenen Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen. Die Auflistung ist exemplarisch und nicht abschließend: – Bundestag, Untersuchungsausschuss „NSU I“ (17. Wahlperiode): Vorlage der Personalakte des (verstorbenen) Uwe Mundlos aus seiner Zeit bei der Bundeswehr.7 Hierbei ist zu beachten: § 111 BBG schützt die Vertraulichkeit der Personalakte auch nach dem Tod des Beamten.8 Grundsätzlich genießen Verstorbene jedoch einen geringeren Persönlichkeitsschutz als Lebende.9 – Bayerischer Landtag, Untersuchungsausschuss „Staatsschutz“: Vorlage der Personalakten zweier Landesministerien, des Bundeskanzleramtes und des BND betreffend „Dr. Langemann“.10 4 Urteil vom 17. Juli 1984, 2 BvE 11, 15/83 („Flick“). 5 Ebenda (Hervorhebung durch Verfasser). 6 VG Köln, 12. November 2015, 6 K 5143/14, Rn. 57. 7 2. Untersuchungsausschuss, Protokoll Nr. 43 zur Sitzung am 29. November 2012, S. 16-17. 8 Battis, Bundesbeamtengesetz, 4. Auflage 2009, § 111 Rn. 5. 9 Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 78. EL September 2016, Art. 2, Rn. 226. 10 Abschlussbericht vom 16. Juli 1982, LT-Drs. 9/12951, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/17 Seite 5 – Bayerischer Landtag, Untersuchungsausschuss „Labor Schottdorf“: · Vorlage mehrerer Disziplinarvorgänge zu Mitarbeitern der „SOKO Labor“.11 – Landtag von Sachsen-Anhalt, Untersuchungsausschuss „EU-Fördermittel“: Vorlage der Personalakte von „Herrn S., Referent des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit“; die Landesregierung hatte die Teilakte „Staatsanwaltschaftliche Verfolgung von Fördermittelbetrug“ dem Parlament nur versehentlich nicht übermittelt.12 *** 11 Abschlussbericht vom 27. September 2016, LT-Drs. 17/12960, Seite 92. 12 Abschlussbericht vom 2. Dezember 2015, LT-Drs. 6/4620, S. 76.