© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 051/14 Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 2 Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten? Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 051/14 Abschluss der Arbeit: 21. März 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 3 1. Einleitung Nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit zeichnet sich schon jetzt ein Ärztemangel in dünner besiedelten Regionen Deutschlands ab, der auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist.1 Insbesondere die hausärztliche Versorgung könnte nach Studien und Prognosen mittelfristig angesichts des bevorstehenden allgemeinen Ärztemangels in diesen Regionen problematisch werden .2 So ist bereits zwischen 1993 und 2011 die Anzahl von Hausärzten pro 1000 Einwohnern von 0,77 auf 0,69 gesunken.3 Um die Attraktivität der Niederlassung als Hausarzt in ländlichen Gebieten zu steigern, käme eine erleichterte Zulassung zum Medizinstudium für Bewerber in Betracht, die sich verpflichten, sich im Anschluss an das Studium im ländlichen Bereich als Hausarzt niederzulassen (im Folgenden : Landarztstudierende). 1.1. Derzeitige Regelungen für den Zugang zum Medizinstudium Derzeit werden gemäß Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung (StV)4 der Länder die Studienplätze zum Medizinstudium zentral durch die Stiftung für Hochschulzulassung vergeben, Art. 11 Abs. 2 StV. Bis zu zwei Zehntel der zur Verfügung stehenden Studienplätze werden für außergewöhnliche Fälle vorbehalten, wie besondere Härtefälle, Bewerber/innen mit besonderen Qualifikationen oder Vorbildungen, aber auch Plätze für Bewerber/innen, die sich auf Grund entsprechender Vorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben (Art. 9 Abs. 1 StV). Die verbleibenden Studienplätze werden gemäß Art. 10 Abs. 1 StV zu einem Fünftel an die Abiturbesten auf Bundesebene vergeben, zu einem Fünftel nach der Wartezeit und im Übrigen nach dem Ergebnis eines von der Hochschule zu verantwortenden Auswahlverfahrens. Kriterien hierbei können die Durchschnittsnote, fachspezifische Einzelnoten und Studientests, eine Berufsausbildung oder ein Auswahlgespräch sein. Die Länder können auch weitere Auswahlkriterien bestimmen , Art. 12 Abs. 1 Nr. 1 StV. Der Abiturnote muss ein maßgeblicher Einfluss bei der Auswahlentscheidung zukommen. Die Stiftung für Hochschulzulassung erhielt 44.334 Bewerbungen für insgesamt 9.068 Erststudienplätze , die für das Wintersemester 2013/14 zur Verfügung standen. Der Numerus Clausus für das Studienfach Medizin lag je nach Bundesland bei 1,0 bis 1,2. Über die Wartezeitquote erhielten 1 Informationen zum Versorgungsstrukturgesetz, http://www.bmg.bund.de/krankenversicherung/gkv-versorgungs strukturgesetz/gkv-versorgungsstrukturgesetz.html. 2 Bohsem, „110 Prozent Hausarzt“, Süddeutsche Zeitung, München, vom 28. Februar 2014; Clade, Der Mangel nimmt zu, Dtsch Arztebl 2014; 111(7): A-258 / B-222 / C-214; http://www.aerzteblatt.de/archiv/154609/Hausaerzte-Der- Mangel-nimmt-zu; http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/57599/Laumann-sieht-die-flaechendeckendepatientennahe -Versorgung-gefaehrdet. 3 http://www.bmg.bund.de/krankenversicherung/gkv-versorgungsstrukturgesetz/fakten-aerzteversorgung.html. 4 Vom 5. Juni 2008, im Internet abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_show_pdf?p_id=12301. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 4 diejenigen Bewerber einen Studienplatz, die einen Abiturdurchschnitt von 2,2 und besser sowie zwölf Wartesemester aufweisen konnten.5 Um einem Ärztemangel trotz nur eingeschränkt zur Verfügung stehender Studienplätze vorzubeugen , hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen ein Modellprojekt erarbeitet6: Zwanzig Studierenden wird das deutschsprachige Medizinstudium in Ungarn finanziert, wenn sie sich verpflichten , sich im Anschluss an die Facharztausbildung für Allgemeinmediziner in Deutschland für fünf Jahre als hausärztlicher Landarzt in Sachsen niederzulassen. Die Auswahl der Studenten richtet sich nicht nach der Durchschnittsabiturnote, sondern nach Erfahrungen, Persönlichkeit und Motivation der Bewerber. Finanziert wird das Modellprojekt aus dem Strukturfonds zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Sachsen, der paritätisch von den sächsischen Vertragsärzten und den Krankenkassen getragen wird. In einigen Ländern bestehen Stipendienprogramme, um Studierende (teilweise in höheren Fachsemestern ) für eine Niederlassung als Allgemeinmediziner in ländlichen Gebieten zu gewinnen.7 1.2. Mögliche Ausgestaltung eines erleichterten Zugangs zum Medizinstudium Ansatzpunkt für einen erleichterten Zugang zum Medizinstudium für entsprechende Bewerber wäre Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 StV, soweit die Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung in ländlichen Gebieten als besonderer öffentlicher Belang gesehen wird. Entsprechend könnten ihnen Studienplätze aus der Härtefall-Quote zur Verfügung gestellt werden. Allerdings stellt sich die Frage, wie eine Verpflichtung der Bewerber nach dem Studium durchgesetzt werden könnte. Beispielhaft seien folgende Möglichkeiten aufgeführt, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit im Anschluss zu prüfen sein wird: – Dem Absolventen könnten bei Nichterfüllung seiner vertraglich eingegangenen Verpflichtung Strafzahlungen in Form einer Vertragsstrafe auferlegt werden. – Zudem könnte diesen Absolventen die Erteilung eines Vertragsarztsitzes in Ballungsgebieten versagt werden. – Ferner könnte erwogen werden, die Approbation durch die zuständige Landesbehörde zu verweigern oder zu entziehen. 5 http://www.hochschulstart.de/fileadmin/downloads/NC/WiSe2013_14/medizin_nc_ws13.pdf. 6 http://www.gesunde.sachsen.de/ausbildungsbeihilfe-medizin.html. 7 So in Bayern (http://www.lgl.bayern.de/gesundheit/bayerische_gesundheitsagentur/bayga_foerderprogramme.htm), Sachsen (http://www.kvs-sachsen.de/aktuell/foerderung/programm-ausbildungsbeihilfe/), Sachsen-Anhalt (http://www.kvsa.de/praxis/vertragsaerztliche_taetigkeit/medizinstudierende/stipendienprogramm.html) und Thüringen (http://www.savth.de/index.php/thueringen-stipendium.html). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 5 Im Folgenden soll die Frage der Gesetzgebungszuständigkeit für diese möglichen Maßnahmen und deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, insbesondere mit der Berufsfreiheit der angehenden Studierenden, geprüft werden. 2. Vereinbarkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit einer Vertragsstrafe mit der Berufsfreiheit der Landarztstudenten 2.1. Realisierungsmöglichkeiten im Rahmen der geltenden Rechtslage Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 StV behält bereits bis zu zwei Zehntel der zur Verfügung stehenden Studienplätze unter anderem Bewerberinnen und Bewerbern vor, die sich auf Grund entsprechender Vorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben . Diese Quoten können für die Studienplätze je Studienort oder für die Gesamtzahl der Studienplätze bestimmt werden, Art. 9 Abs. 2 StV. Voraussetzung ist zum einen, dass die ärztliche Grundversorgung einen „besonderen öffentlichen Bedarf“ darstellt. In der bisherigen Praxis wurden Studienplätze an Personen vergeben, die sich durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet hatten, anschließend im öffentlichen Dienst als Regierungsmedizinalräte tätig zu werden.8 Die gute Erreichbarkeit einer ärztlichen Grundversorgung in allen Regionen Deutschlands ist von erheblicher Bedeutung für das Allgemeinwohl . Angesichts des sich abzeichnenden Ärztemangels zumindest auf dem Lande könnte eine gleichmäßige Versorgung auch durch sich niederlassende Ärzte als öffentlicher Bedarf ausgelegt werden. Ferner müssten sich die Bewerber „auf Grund entsprechender Vorschriften“ verpflichtet haben. Wie bereits in der bisherigen Praxis kann hierfür eine Verpflichtung aufgrund öffentlichrechtlichen Vertrages9, der nach Maßgabe der Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zulässig ist, ausreichend sein. 2.2. Gesetzgebungszuständigkeit Für die Umsetzung der Sanktionsmöglichkeiten bedürfte es in zwei von drei Fällen jeweiliger Gesetzesänderungen. Im Falle der vertraglichen Verabredung einer Vertragsstrafe wäre eine Gesetzesänderung nicht erforderlich, da der Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge und die Verabredung einer Vertragsstrafe nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder (für den Bund: § 340 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch10 i.V.m. § 62 Verwaltungsverfahrensgesetz11) bereits jetzt möglich ist.12 8 Hierzu OVG Münster, Urteile vom 19. Januar 1995, Az. 6 A 3837/93; FG München, Urteil vom 29. November 2002 - 13 K 5356/99, BeckRS 2002, 21010665. 9 Vgl. hierzu allgemein BVerwGE 74, 78; Koch, Die Vertragsstrafe im öffentlich-rechtlichen Vertrag, DÖV 1998, 141 ff. 10 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3719) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 6 Für den Ausschluss von Landarztstudierenden von der Vergabe eines Sitzes als Vertragsarzt wäre eine Änderung des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V)13 erforderlich. Rechtsgrundlage für die Vergabe sind §§ 95 ff. SGB V i.V.m. §§ 18 ff. Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV).14 Notwendig wäre die Einführung einer zusätzlichen Voraussetzung, da bislang lediglich die Erteilung der Approbation und die Erlangung eines Facharztes Voraussetzung für die Gewährung eines Vertragsarztsitzes sind, § 18 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 2 SGB V. Für das im SGB V geregelte Recht der gesetzlichen Krankenversicherung steht grundsätzlich dem Bund die Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 72, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG als Teil des Kompetenztitels für die Sozialversicherung zu. Dies gilt insbesondere auch für die Organisation der vertragsärztlichen Versorgung.15 Für den Entzug oder die Verweigerung der Approbation müsste die BÄO16 geändert werden. Da der Bund gemäß Art. 72, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die Zulassung zu ärztlichen Heilberufen regeln kann, liegt auch die Ergänzung der §§ 3 ff. BÄO in seiner Zuständigkeit. 2.3. Vereinbarkeit einer Vertragsstrafe mit Art. 12 GG Die Verpflichtung des Studienplatzbewerbers, sich nachfolgend als Allgemeinmediziner (für einen begrenzten Zeitraum) auf dem Lande niederzulassen, könnte durch die Verabredung einer Vertragsstrafe abgesichert werden. Diese könnte gegen die Berufsfreiheit des Studienbewerbers verstoßen. Art. 12 GG gewährt jedem Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden. Durch den öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet sich der Bewerber zu Beginn seines Studiums, eine Facharztrichtung einzuschlagen und sich längerfristig außerhalb bestimmter Ballungsgebiete niederzulassen. Diese Verpflichtung beschränkt ihn in seiner späteren Berufswahl. Allerdings geht er sie im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages freiwillig ein; es handelt sich um einen koordinationsrechtlichen Vertrag oder Austauschvertrag und nicht um einen hoheitlichen Eingriff.17 11 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749) geändert worden ist. 12 Zur Zulässigkeit von Vertragsstrafen im Bereich des Zugangs zum Medizinstudium sowie der Darlehensförderung generell BVerwGE 74, 78. 13 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4382) geändert worden ist. 14 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 8230-25, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Artikel 4a des Gesetzes vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) geändert worden ist. 15 BVerfG NJW 1999, 2730. 16 Bundesärzteordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. April 1987 (BGBl. I S. 1218), die zuletzt durch Artikel 4c des Gesetzes vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) geändert worden ist. 17 So auch Koch (Fn. 9), DÖV 1998, 141 (144). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 7 Die Verwaltung ist allerdings auch beim Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge wegen der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung der Verwaltung gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte – also auch an Art. 12 GG – gebunden. Der Vertragsabschluss mit Vereinbarung einer Vertragsstrafe müsste daher mit den Grundrechten vereinbar sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in ergänzender Anwendung der Bestimmungen des BGB grundsätzlich zulässig.18 Sie genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 12 GG, wenn diese Beschränkung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben dem Studienbewerber zumutbar ist.19 Als Kriterien einer zumutbaren Bindung des Studienbewerbers hat die Rechtsprechung eine zeitliche Begrenzung der Verbleibepflicht herausgearbeitet,20 die aber den Zeitraum der Förderung um einige Jahre überschreiten kann. Ferner darf die Höhe der Vertragsstrafe nicht unverhältnismäßig sein. Hierbei müssen einerseits die Ausbildungskosten wie auch die Verdienstmöglichkeiten als niedergelassener Hausarzt und andererseits die Tatsache in die Abwägung einbezogen werden, dass die Verpflichtung durch das Land anders als durch eine fühlbare Vertragsstrafe nicht durchzusetzen ist. Ferner ist eine Klausel vorzusehen, nach der in Härtefällen von der Vertragsstrafe Abstand zu nehmen ist. Soweit sich die Vertragsstrafe in diesem Rahmen hält, wäre sie mit den Grundrechten der Landarztstudierenden vereinbar. 2.4. Vereinbarkeit anderer Sanktionen mit den Grundrechten der Landarztstudierenden Fraglich ist, ob auch die beiden weiteren erwähnten Sanktionsmöglichkeiten – Verweigerung eines Vertragsarztsitzes in Ballungszentren oder Verweigerung der Approbation – mit den Grundrechten vereinbar sind. Wie bereits ausgeführt, ist die Verwaltung auch beim Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge an die Grundrechte gebunden. Die in Frage stehenden Maßnahmen greifen erheblich in die Freiheit der Berufswahl der Landarztstudierenden ein. Diese als Vertragsstrafe vereinbarten Sanktionen dürften den betroffenen Studierenden nach der Rechtsprechung des Bundesveraltungsgerichts nicht in unzumutbarer Weise daran hindern, letztlich einen anderen Berufsweg einzuschlagen.21 Hieran bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Mit der Versagung eines Vertragsarztsitzes bliebe den Absolventen, soweit sie in Ballungsräumen praktizieren wollen, die Möglichkeit, privatärztlich tätig zu werden. Dies würde zu finanziellen Einbußen gegenüber auch als Kassenarzt niedergelassenen Kollegen führen, die aber unter bestimmten Umständen noch zumutbar sein könnten. Diese Frage kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Die Versagung der Approbation führte hingegen zu einem Berufsverbot nach abgeschlossener Berufsausbildung . Es besteht jedoch bereits als milderes Mittel die Möglichkeit, den Studierenden 18 BVerwGE 74, 78 (81 f.). Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rückforderung von Ausbildungskosten für Sanitätsoffiziere gemäß § 56 Abs. 4 SG vgl. VG Düsseldorf, Az. 10 K 5420/13, openJur 2014, 1015, im Internet abrufbar unter: http://openjur.de/u/668011.html. 19 BVerwGE 30, 65 (69 f.). 20 BVerwGE 74, 78 (82). 21 Zum Zumutbarkeitskriterium BVerwGE 30, 65 (70). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 8 eine – teilweise empfindliche – finanzielle Vertragsstrafe aufzuerlegen. Die weitergehenden Sanktionsmechanismen sind also nicht erforderlich, um die Einhaltung des Vertrags zu gewährleisten. In Abwägung der Interessen wäre diese Einschränkung an der freien Wahl des Arbeitsplatzes im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wohl unzumutbar. 3. Vereinbarkeit eines bevorrechtigten Zugangs für Landarztstudierende mit der Berufsfreiheit der anderen Studienbewerber Der bevorrechtigte Zugang zum Studium einzelner Bewerber könnte gegen die Berufsfreiheit der anderen Bewerber verstoßen. Bei Regelungen zur Zulassung zum Studium handelt es sich zunächst um Regelungen im Ausbildungsbereich . Da zur Ergreifung des Arztberufs gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO der Abschluss eines Medizinstudiums durch ein staatliches Examen zwingende Voraussetzung ist, ist aber bereits die Ausbildung Teil der späteren Berufsausübung und somit vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. Zulassungsbeschränkungen unterliegen daher ebenso strengen Voraussetzungen wie Zulassungsvoraussetzungen für einen Beruf.22 Das Medizinstudium wird (fast) ausschließlich durch staatliche Hochschulen angeboten. Zumindest wenn der Staat die Voraussetzungen für ein Studium an staatlichen Hochschulen geschaffen hat, hat jeder hochschulqualifizierte Staatsbürger ein Recht, an der „damit gebotenen Lebenschance prinzipiell gleichberechtigt beteiligt zu werden“ (derivatives Teilhaberecht).23 Somit hat jeder Bewerber zunächst denselben Anspruch auf Zulassung zum Studium, unabhängig von seiner Rangstelle im Bewerbungsverfahren.24 Das Teilhaberecht steht unter dem „Vorbehalt des Möglichen“.25 Dieser besagt, dass das Teilhaberecht nur im Rahmen der bereits vorhandenen Ausbildungsplätze geltend gemacht werden kann. Aufgrund der beschränkten Ausbildungskapazität kann nicht jedem Studienbewerber ein Ausbildungsplatz gewährt werden. Aus dem grundrechtlich fundierten Teilhaberecht folgt daher, dass der Gesetzgeber die Zulassungsbeschränkungen nicht willkürlich festlegen darf, sondern ein Verteilungsverfahren garantieren muss, dass die Chancengleichheit aller Interessenten wahrt.26 Hierfür ist auf der verfahrensrechtlichen Seite erforderlich, dass der Gesetzgeber selbst die Auswahlkriterien und deren Rangfolge festlegt.27 Diese dürfen nicht sachwidrig sein, insbesondere nicht gegen Verfassungsrecht verstoßen. 22 BVerfGE 33, 303, 330. 23 BVerfGE 33, 303, 331 f. 24 BVerfGE 39, 258, 270. 25 BVerfGE 33, 303, 333 f. 26 BVerfGE 33, 303, 338. 27 BVerfGE 33, 303, 338. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Seite 9 Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 StV bevorzugt bestimmte Studienbewerber durch Berücksichtigung in einer Vorabquote. Dies schränkt die Anzahl der den anderen Bewerbern zur Verfügung stehenden Plätze und damit deren Teilhaberecht ein. Durch Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 StV hat der Gesetzgeber selber Kriterien für die vorab zu berücksichtigenden Bewerber festgelegt. Auch der Begriff „auf Grund entsprechender Vorschriften verpflichten“ ist hinreichend bestimmt, um den Kreis der Bewerber auf Grundlage des Gesetzes zu bestimmen. Grund für die Bevorzugung bestimmter Bewerber ist deren Verpflichtung, im Anschluss im Bereich des öffentlichen Bedarfs tätig zu werden und damit dem Allgemeinwohl zu dienen. Damit handelt es sich um kein sachwidriges Kriterium, so dass die Bevorzugung der Bewerber mit dem Teilhaberecht der anderen Bewerber vereinbar ist. 4. Ergebnis Es wäre verfassungsrechtlich möglich, Studienbewerbern der Humanmedizin, die sich verpflichten, sich im Anschluss an ihre Ausbildung für einen Mindestzeitraum als Hausärzte niederzulassen, im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 StV einen bevorrechtigten Zugang zum Studium zu ermöglichen. Als Verpflichtung wäre ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen dem Land und dem Bewerber zulässig, der dem Bewerber für den Fall des Vertragsbruchs eine Vertragsstrafe auferlegt. Der Vertrag müsste die Verbleibepflicht zeitlich begrenzen, die Vertragsstrafe darf nicht unangemessen hoch ausfallen und der Vertrag muss eine Klausel für Härtefälle vorsehen, in denen von der Zahlung einer Vertragsstrafe Abstand genommen werden kann.