© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 050/16 Verfassungsrechtliche Fragen zum Vorrang von Geldleistungen außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 2 Verfassungsrechtliche Fragen zum Vorrang von Geldleistungen außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 050/16 Abschluss der Arbeit: 26.02.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorrang von Geldleistungen nach § 3 AsylbLG 4 3. Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz 5 3.1. Perspektive der Kommunen 5 3.2. Perspektive der Leistungsempfänger 6 3.2.1. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung 6 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 6 4. Vereinbarkeit mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie 7 4.1. Aufgabenzuweisung an Gemeindeverbände 8 4.2. Organisations-, Personal- und Finanzhoheit 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 4 1. Einleitung Die in § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelten Grundleistungen werden als Sach- und Geldleistungen gewährt. Grundsätzlich hängt die Leistungsform davon ab, ob der Leistungsempfänger innerhalb oder außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 44 Abs. 1 Asylgesetz1 (AsylG) untergebracht ist. Seit den Änderungen des § 3 AsylbLG im Rahmen des sog. Rechtsstellungsverbesserungsgesetzes 2 gilt für die Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen nicht mehr der Vorrang von Sachleistungen,3 sondern der Vorrang von Geldleistungen, § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG. Von Seiten kommunaler Gebietskörperschaften wird die Differenzierung zwischen den Leistungsformen innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen als nicht nachvollziehbar und im Ergebnis als ungerechtfertigt gerügt. Die insoweit als verfassungswidrig angesehene Ungleichbehandlung zwischen der Unterbringung innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen müsse zugunsten des Sachleistungsprinzips auch außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen aufgelöst werden. Darüber hinaus machen einige Landkreise geltend, der Vorrang der Geldleistungen außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen sei mit einem höheren Verwaltungsaufwand verbunden und verletze daher die in Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG geregelte kommunale Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände, und zwar in den Ausprägungen der Organisations-, Personal- und Finanzhoheit . Vor dem Hintergrund dieser Kritik soll geprüft werden, ob der Vorrang von Geldleistungen außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar ist. 2. Vorrang von Geldleistungen nach § 3 AsylbLG Im Rahmen der Leistungsverwaltung kommt dem Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum zu. Auch im Hinblick auf die hier fragliche Gewährung des Existenzminimums geht das Bundesverfassungsgericht nicht von der Pflicht zu einer bestimmten Leistungsform, etwa zur Geldleistung, aus, sondern überlasst es grundsätzlich dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob er „das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert“.4 Zugleich macht das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass Geldleistungen es den Leistungsberechtigten ermöglichen, die pauschalierten Grundbedarfe an ihre jeweiligen persönlichen Verhältnisse anzupassen: „Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch 1 Im Folgenden Aufnahmeeinrichtung. 2 Vgl. Art. 3 und 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014, BGBl. I 2014, 2439. 3 So noch § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG in der bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung. 4 BVerfGE 132, 134, 161. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 5 ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen.“5 Der Gesetzgeber hat von seiner Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Leistungsformen in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. In der bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung waren die Grundleistungen außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen vorrangig durch Sachleistungen zu erbringen, der persönliche Bedarf wurde jedoch durch Geldleistungen gedeckt.6 Mit dem sog. Rechtsstellungsverbesserungsgesetz wurde der Vorrang der Geldleistungen außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen eingeführt. Die im Rahmen einer Ermessenentscheidung mögliche Gewährung von Sachleistungen umfasste dabei aber nicht den Bargeldbedarf für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens.7 In der jeweiligen Unterbringungsform wurden Sach- und Geldleistungen demnach kombiniert. Weiter ist hervorzuheben, dass auch nach der bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung keine Einheitlichkeit der Leistungsform innerhalb und außerhalb der Aufnahmeeinrichtung bestand. Vielmehr war der notwendige Bedarf – wie bis heute – innerhalb von Aufnahmeeinrichtungen zwingend durch Sachleistungen zu erbringen, außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen bestand aber „nur“ ein Vorrang von Sachleistungen, der Ermessensausnahmen zuließ. Eine Differenzierung der Leistungsformen innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen stellt damit keine grundsätzliche Neuerung dar. 3. Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz 3.1. Perspektive der Kommunen Fraglich ist, ob die oben dargestellte Kritik der Kommunen in eine rechtlich relevante Gleichheitsargumentation eingebettet werden kann. Eine Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG zum Nachteil der Kommunen scheidet von vornherein aus, da sich die Kommunen mangels Grundrechtsfähigkeit nicht auf das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG berufen können.8 Die Ungleichbehandlung innerhalb und außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen könnte nur von den Adressaten der Regelung, also den Leistungsempfängern geltend gemacht werden. Aus der Sicht der Leistungsempfänger dürfte die Ungleichbehandlung innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen aber nicht im Hinblick auf die Geldleistungen, sondern im Hinblick auf die Sachleistungen rechtfertigungsbedürftig sein, da mit Geldleistungen grundsätzlich eine größere Autonomie verbunden ist.9 Wenn der Gesetzgeber bestimmten Leistungsempfängern diese „Vergünstigung “ einräumt, bedarf es im Hinblick auf die von der „Vergünstigung“ ausgeschlossenen 5 BVerfGE 125, 175, 243. 6 Vgl. § 3 Abs. 2 S. 1, 3 AsylbLG in der bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung. 7 Vgl. § 3 Abs. 2 S. 3, 5 AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 geltenden Fassung. 8 Ausdrücklich BVerfG NVwZ 2015, 136, 141 und mit Ausführungen zum interkommunalen Gleichbehandlungsgebot . 9 Vgl. Rothkegel, Das Sachleistungsprinzip des Asylbewerberleistungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht, ZAR 2011, 90, 92. Im Einzelfall könnten allerdings auch aus Sicht der Leistungsempfänger Sachleistungen vorzugswürdig sein, z.B. wenn in der Umgebung kaum Einkaufsmöglichkeiten bestehen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 6 Leistungsempfänger einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Eine „Benachteiligung der Kommunen “ kann in die gleichheitsrechtliche Prüfung mangels Grundrechtsberechtigung der Kommunen aber nicht einfließen. Auch für den Fall, dass die Ungleichbehandlung der Leistungsempfänger gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wäre der Gesetzgeber frei, den Gleichheitsverstoß z.B. zugunsten von Geldleistungen für alle Leistungsempfänger aufzulösen. Ein Vorrang der von den Kommunen favorisierten Sachleistungen würde damit auch bei einem Verstoß der Regelungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht folgen. 3.2. Perspektive der Leistungsempfänger Im Hinblick auf die Leistungsformen liegen verschiedene Ungleichbehandlungen der Leistungsempfänger vor. Zum einen differenziert die Regelung in § 3 AsylbLG zwischen Leistungsempfängern innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen. Darüber hinaus können Leistungsempfänger innerhalb von Aufnahmeeinrichtungen ungleich behandelt werden, wenn der persönliche Bedarf für einige Leistungsempfänger ausnahmsweise durch Geldleistungen gedeckt wird, § 3 Abs. 1 S. 7, 8 AsylbLG. Darüber hinaus können Leistungsempfänger außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen ungleich behandelt werden, wenn der notwendige persönliche Bedarf ausnahmsweise durch Sachleistungen gedeckt wird, § 3 Abs. 2 S. 6 AsylbLG. Hier wird die Frage gestellt, ob die Ungleichbehandlung zwischen der Leistungserbringung innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. 3.2.1. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG muss wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden.10 Wesentliche Gleichheit bedeutet die Vergleichbarkeit von ähnlichen, aber unterschiedlich behandelten Sachverhalten unter einem gemeinsamen Oberbegriff. Hier können die Empfänger von Grundleistungen innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen unter dem Oberbegriff der Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verglichen werden. Da die Leistungsempfänger außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG vorrangig Geldleistungen erhalten, liegt eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung gegenüber den Sachleistungsempfängern innerhalb der Aufnahmeeinrichtungen vor. 3.2.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Diese Ungleichbehandlung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung liegt vor, wenn die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist, d.h., Ungleichbehandlung und Zweck der Ungleichbehandlung müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Bei der Prüfung ist zu beachten, dass zwischen dem Zweck, Geldleistungen zu gewähren und dem Zweck, Geldleistungen nur außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen zu gewähren, unterschieden werden muss. Im Rahmen der Gleichheitsprüfung kommt es nur auf den Zweck der Ungleichbehandlung an. Dass die Gewährung von Geldleistungen dem Zweck dient, den Leistungsempfängern mehr Autonomie zu gewähren, ist „nur“ freiheitsrechtlich relevant. Hier kommt es allein darauf 10 BVerfGE 90, 145, 195 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 7 an, dass die weitergehende Autonomie lediglich Leistungsempfängern außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen gewährt wird. Als Grund für diese Differenzierung wird man – wie bei der Abschaffung des „Taschengeldes“ in Aufnahmeeinrichtungen11 – darauf abstellen können, dass Fehlanreize bei der Stellung von Asylanträgen vermieden werden sollen. Würden auch in Aufnahmeeinrichtungen Geldleistungen (für den notwendigen Bedarf) gewährt, könnte dies zur Folge haben, dass vermehrt aussichtslose Asylanträge gestellt werden, um zumindest in den Genuss der Geldleistungen während der Erstaufnahme zu kommen. Um solche Fehlanreize zu vermeiden, stellt die unterschiedliche Behandlung von Leistungsempfängern innerhalb und außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen ein geeignetes Differenzierungskriterium dar. Auch in Bezug auf die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Ungleichbehandlung bestehen im Hinblick auf den verfolgten Zweck keine Bedenken. Insbesondere ist der „Nachteil“ durch Sachleistungen gegenüber Geldleistungen nicht so gravierend, dass er den betroffenen Leistungsempfängern im Verhältnis zu den Geldleistungsempfängern nicht für eine gewisse Zeit, d.h. bis zu ihrer Anschlussunterbringung zuzumuten wäre. Der Vorrang von Geldleistungen außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen verstößt damit nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. 4. Vereinbarkeit mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Fraglich ist, ob der Vorrang der Geldleistungen in § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG die kommunale Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG verletzt. Einige betroffene Landkreise berufen sich insoweit auf ihre Organisations-, Personal- und Finanzhoheit. Sie meinen, die Gewährleistung von vorrangigen Geldleistungen sei gegenüber der Gewährleistung von Sachleistungen aufwendiger, da „Bargeldauszahlungen zu einem hohen Parteiverkehr in den Ämtern [führt], der wiederum zu einem erhöhten Personalaufwand sowie erhöhtem Bedarf an Sicherheitsund Steuerungsvorkehrungen führt“. Ob und in welchem Umfang vorrangige Geldleistungen mit einem höheren Verwaltungsaufwand verbunden sind, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers, die sich insoweit auf die Auswertung der Verwaltungspraxis in den Bundesländern stützt, soll die Gewährung von Geldleistungen gerade mit einem grundsätzlich geringeren Verwaltungsaufwand verbunden sein.12 Diese Frage kann allerdings dahinstehen, wenn der Vorrang von Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG auch bei Annahme eines höheren Verwaltungsaufwandes mit Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG vereinbar ist. Die Landkreise könnten hier in ihrer von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG gewährleisteten Eigenverantwortlichkeit beeinträchtigt sein, und zwar 11 Vgl. dazu den Gesetzentwurf zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, BT-Drs. 18/6185, 1 f.: „Um mögliche Fehlanreize zu beseitigen, die zu ungerechtfertigten Asylanträgen führen können, soll der Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden.“ 12 Vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs zum Rechtsstellungsverbesserungsgesetz, BT-Drs. 18/3144, 12 f.: „Eine Auswertung des Anteils der Geldleistungen an allen auch in Form von Sachleistungen und Wertgutscheinen möglichen Unterstützungsleistungen für den Lebensunterhalt (d. h. ohne Taschengeld) hat für das Jahr 2013 ergeben , dass bundesweit durchschnittlich ca. 49 Prozent der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus Geldleistungen bestanden (2012: ca. 45 Prozent). Bei den Ländern und Kommunen führt die Abschaffung des Vorrangs des Sachleistungsprinzips zu einer Verwaltungsvereinfachung und damit zu einer Verringerung ihres Erfüllungsaufwands, die jedoch nicht weiter quantifizierbar ist, da die von den Leistungsbehörden im Einzelfall gewählte Leistungsform auch stark von externen Faktoren abhängen wird (örtliche Gegebenheiten, Versorgungsengpässe aufgrund steigender Asylbewerberzahlen etc.).“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 8 durch die Aufgabenzuweisung als solche und durch mit der Aufgabenerledigung ggf. verbundenen Einschränkungen der Organisations-, Personal- oder Finanzhoheit.13 4.1. Aufgabenzuweisung an Gemeindeverbände Nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG haben auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht zur Selbstverwaltung. Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG ist insoweit besonders, als den Gemeindeverbänden – im Gegensatz zu den Gemeinden – nicht von vornherein eine örtliche Allzuständigkeit zukommt, sondern ihnen ihre Aufgaben durch Gesetz zugewiesen werden. Dies hat zur Folge, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie von Gemeindeverbänden nicht schon dann berührt ist, wenn den Gemeindeverbänden überhaupt Aufgaben gesetzlich zugewiesen werden. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „Anders als bei den Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) beschreibt die Verfassung die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber (…). Dessen Gestaltungsspielraum bei der Regelung des Aufgabenbereichs der Kreise findet erst dort Grenzen, wo verfassungsrechtliche Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet würden. Der Gesetzgeber darf diese Gewährleistung nicht unterlaufen, indem er keine Aufgaben zuweist, die in der von der Verfassung selbst gewährten Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden könnten. Der Gesetzgeber muss deshalb einen Mindestbestand an Aufgaben zuweisen, die die Kreise unter vollkommener Ausschöpfung der auch ihnen gewährten Eigenverantwortlichkeit erledigen können.“14 Soweit es – wie hier – um Aufgaben geht, die den Gemeindeverbänden zugewiesenen wurden, besteht daher nicht schon in der Aufgabenübertragung selbst eine Vermutung für einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, da die Gemeindeverbände grundsätzlich auf den gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbestand verwiesen sind. Werden den Gemeindeverbänden Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis zugewiesen, nimmt das Bundesverfassungsgericht einen Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände erst dann an, wenn „die Übertragung einer neuen Aufgabe ihre Verwaltungskapazitäten so sehr in Anspruch nimmt, dass sie nicht mehr ausreichen, um einen Mindestbestand an zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben des eigenen Wirkungskreises wahrzunehmen, der für sich genommen und im Vergleich zu zugewiesenen staatlichen Aufgaben ein Gewicht aufweist, das der institutionellen Garantie der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften gerecht wird. Außerhalb eines solchen Mindestbestands an echten Selbstverwaltungsaufgaben schützt Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG gegen Aufgabenentziehungen und -zuweisungen nicht; (…).“15 13 Zur Eigenverantwortlichkeit Dreier, in: Dreier, GG (3. Aufl., 2015), Rn. 105 f. zu Art. 28. 14 BVerfGE 119, 331, 352 f. 15 BVerfGE 119, 331, 354 f. (Hervorhebungen nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 9 Die Schwelle für einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist demnach bei Gemeindeverbänden höher anzusiedeln als bei Gemeinden. In der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnten sich die beschwerdeführenden Landkreise dementsprechend auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Zuweisung von Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende habe gravierende finanzielle Folgen. Sie hätten vielmehr nachweisen müssen, dass dadurch gerade die Wahrnehmung von zugewiesenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ernsthaft gefährdet war.16 Dass der mit der vorrangigen Gewährung von Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG verbundene Mehraufwand gegenüber der Erbringung von Sachleistungen so hoch ist, dass die Landkreise ihre Selbstverwaltungsaufgaben im eigenen Wirkungskreis nicht mehr wahrnehmen könnten, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus der Kritik der Landkreise. Hinzu kommt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz selbst die Aufgabe zu seiner Durchführung gerade nicht auf die Landkreise überträgt. Insofern regelt § 10 S. 1 AsylbLG, dass „die Landesregierungen oder die von ihnen beauftragten obersten Landesbehörden die für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden und Kostenträger [bestimmen] und Näheres zum Verfahren festlegen [können], soweit dies nicht durch Landesgesetz geregelt ist“. Eine Aufgabenübertragung durch Bundesgesetz auf die Kommunen findet damit nicht statt. Sie wäre nach Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG auch nicht (mehr) zulässig.17 Ursächlich für den mit § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG ggf. verbundenen Mehraufwand bei der Aufgabenerledigung wäre damit nicht das Bundesgesetz, sondern das jeweilige Landesgesetz, dass die Aufgabenerledigung auf die Kommunen überträgt. Insofern handelt es sich auch nicht um eine nur formale, den Bundesgesetzgeber entlastende Argumentation. Vielmehr obliegt es den Ländern, die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes so zu organisieren, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht gefährdet wird. Die Länder können die Aufgaben selbst durchführen oder die Durchführungen auf kommunale Träger übertragen und die damit verbundenen Kosten durch Kostenerstattungen oder andere finanziellen Ausgleichsmaßnahmen kompensieren. 4.2. Organisations-, Personal- und Finanzhoheit Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet im Rahmen der Eigenverantwortlichkeit der Kommunen die sog. Gemeindehoheiten.18 Der hier zu unterstellende höhere Verwaltungsaufwand bei der Durchführung des § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG könnte insofern die Organisations-, Personal- und Finanzhoheit berühren. Die Organisationshoheit umfasst die Befugnis zur Ausgestaltung der inneren Verwaltungsorganisation nach eigenem kommunalpolitischem Ermessen.19 Zu dieser inneren Organisation zählen u.a. die Bildung von freiwilligen Ausschüssen, die Organisations- und Geschäftsverteilung innerhalb 16 Vgl. BVerfGE 119, 331, 355 f. 17 Siehe dazu auch Dreier (Fn. 13), Rn. 112 zu Art. 28. 18 Vgl. Dreier (Fn. 13), Rn. 120 ff. zu Art. 28. 19 So Nierhaus, in: Sachs, GG (7. Aufl., 2014), Rn. 53 zu Art. 28. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 050/16 Seite 10 der Verwaltung oder die Entscheidungsbefugnis zur Errichtung von Eigenbetrieben.20 Die durch § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG vorgeschriebene Art der Leistungsgewährung mag zwar organisatorische Entscheidungen im Sinne der gemeindlichen Organisationshoheit nach sich ziehen (z.B. Beauftragung von Sicherheitsdiensten). Doch werden diese Organisationsentscheidungen gerade nicht durch § 3 AsylbLG vorgegeben. Ob und in welcher Form die Länder den Kommunen die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes übertragen und dabei ggf. Vorgaben machen, die ihre Organisationshoheit betreffen, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Solche Vorgaben hätten jedenfalls keinen Einfluss auf die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 AsylbLG. Die Personalhoheit umfasst die Befugnis, die Gemeindebeamten, -angestellten und -arbeiter auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen.21 Dass ein mit der Durchführung von § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG ggf. verbundener Mehraufwand die Einstellung von Personal erforderlich machen kann, berührt ihre Personalhoheit nicht. Denn die Befugnis, das Personalwesen selbständig zu regeln, wird durch einen erhöhten Personalbedarf nicht berührt. Darüber hinaus entsteht ein erhöhter Personalbedarf bei den Gemeindeverbänden nur dann, wenn und soweit ihnen die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes von den Ländern übertragen wurde. Die von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie mitumfasste Finanzhoheit ist in Art. 28 Abs. 2 GG besonders geregelt und steht auch den Gemeindeverbänden zu.22 In Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG heißt es: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung ; (…).“ Die Finanzhoheit umfasst dabei die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahme- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens.23 Ob und inwieweit die Finanzhoheit nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG darüber hinaus einen Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf finanzielle Mindestausstattung und angemessene (aufgabengerechte) Finanzausstattung umfasst,24 bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Die hier fragliche Regelung des § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG berührt die Finanzausstattung der Landkreise jedenfalls nicht. Vielmehr obliegt es – wie bereits ausgeführt – den Ländern, ob und inwieweit sie den Kommunen die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes übertragen und für die dadurch entstehenden Kosten aufkommen. Im Hinblick auf die Erstattung von Kosten der Kommunen sind auch die Vorgaben der Landesverfassungen zu beachten, die Ausgleichspflichten der Länder bei Aufgabenübertragungen an die Kommunen vorsehen (Konnexitätsprinzip). Ende der Bearbeitung 20 Vgl. Brüning, Kommunalverfassung, in: Ehlers/Fehlung/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3 (3. Aufl, 2013), § 64, 13. 21 So Nierhaus (Fn. 19), Rn. 53 zu Art. 28. 22 Vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG (13. Aufl., 2014), Rn. 122 zu Art. 28. 23 BVerfGE 26, 228, 244. 24 Ausführlich zur Diskussion Nierhaus (Fn. 19), Rn. 84 ff. zu Art. 28.