Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Privatisierung der Deutschen Bahn AG am Beispiel des Holding-Modells - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000-050/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Privatisierung der Deutschen Bahn AG am Beispiel des Holding-Modells Ausarbeitung WD 3 - 3000-050/08 Abschluss der Arbeit: 31. März 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Drucksachen-Recherche: (Hotline W). Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - Grundsätzlich können alle Bereiche der Deutschen Bahn AG privatisiert werden. Das Grundgesetz stellt jedoch in Art. 87e für bestimmte Bereiche Privatisierungsschranken auf. Zu unterscheiden ist zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen . Eisenbahninfrastrukturunternehmen können nur unter den Voraussetzungen des Art. 87e Abs. 3 GG privatisiert werden. Es bestehen formelle und materielle Privatisierungsschranken: Notwendig ist ein förmliches Gesetz. Außerdem muss beim Bund die Mehrheit der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen verbleiben. Aus diesem Grund kann die Gewährleistungsverantwortung des Bundes aus Art. 87e Abs. 4 GG ohne Grundgesetzänderung nicht entfallen. Diese Schranken gelten nicht für Eisenbahnverkehrsunternehmen. Eisenbahnverkehrsunternehmen können ohne förmliches Gesetz und zu 100 Prozent privatisiert werden. Eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht hierzu jedoch nicht. Umstritten ist in der Literatur, wie weit die Gewährleistungsverantwortung des Bundes aus Art. 87e Abs. 4 GG reicht. Unstreitig besteht sie nur, solange und soweit der Bund Mehrheitseigentümer der Eisenbahnverkehrsunternehmen bleibt. Gegen das derzeit diskutierte Holding-Modell bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken; da Details noch nicht bekannt sind, ist eine abschließende Bewertung allerdings nicht möglich. Inhalt 1. Einleitung und Konkretisierung des Prüfungsgegenstands 4 1.1. Diskutierte Modelle 4 1.2. Aktuelle Debatte um das Holding-Modell 4 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben 5 2.1. Grundlagen 5 2.2. Eisenbahninfrastrukturunternehmen 6 2.3. Eisenbahnverkehrsunternehmen 7 2.4. Reichweite der Gewährleistungsverantwortung 7 2.4.1. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Schienennetzes 8 2.4.2. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Verkehrsangebots 8 2.4.3. Zwischenergebnis 9 3. Verfassungsrechtliche Beurteilung des Holding-Modells 9 3.1. Keine Pflicht zur Trennung zwischen Netz und Verkehr 9 3.2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Modells 10 4. Ergebnis 10 5. Anlagenverzeichnis 11 - 4 - 1. Einleitung und Konkretisierung des Prüfungsgegenstands 1.1. Diskutierte Modelle In den vergangenen Jahren sind verschiedene Modelle zur Privatisierung der Deutschen Bahn AG diskutiert worden. Grob vereinfacht lassen sich zwei Grundmodelle unterscheiden 1: - Infrastruktur und Verkehrsgesellschaften bleiben in einem Konzern verbunden2, - Infrastruktur und Verkehrsgesellschaften werden vollständig getrennt.3 Zwischen diesen beiden Extrempositionen existieren zahlreiche weitere Vorschläge. Auf der Grundlage des so genannten PRIMON-Gutachtens4 ist im vergangenen Jahr ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht worden, der eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG vorsieht5. Dieser sah vor - die teilweise Kapitalprivatisierung der DB AG, - Änderungen in der Struktur der Eisenbahnen des Bundes durch die Übertragung sämtlicher Anteile der DB AG an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH6 auf den Bund und - die Erhaltung der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes7. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme nach Art. 76 Abs. 2 GG verschiedene verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet.8 Bislang ist der Gesetzentwurf nicht in den Ausschüssen beraten worden. 1.2. Aktuelle Debatte um das Holding-Modell Zurzeit ist das so genannte Holding-Modell im Gespräch. Nach diesem Modell soll eine Finanz-Holding in den Bereichen Personenfernverkehr, Personennahverkehr, Güterverkehr und Logistik9 gegründet werden, die dann zu 49 Prozent privatisiert werden 1 Vgl. Kordts, Ina, Privatiserung des schienengebundenen Verkehrs, NördÖR 2006, 429 (435). 2 So genanntes integriertes Modell. 3 So genanntes getrenntes Modell. 4 Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“, Januar 2006, erstellt für die Bundesrepublik Deutschland, siehe http://privatisierungstoppen.deinebahn.de/story/61/261.html, letzter Aufruf am 25. März 2008, auszugsweise beigefügt als Anlage 1. 5 BR-Drs. 555/07 bzw. BT-Drs. 16/6294 (der Gesetzentwurf ist textidentisch mit dem Entwurf der Fraktion CDU/CSU und der SPD auf BT-Drs. 16/6383; dieser Entwurf ist den Ausschüssen zur Beratung überwiesen worden). 6 Eisenbahninfrastrukturunternehmen, siehe zum Begriff ausführlich unten 2.2. 7 BT-Drs. 16/6294, S. 20. 8 BR-Drs. 555/07(B), S. 2 ff.; kritisch auch Masing, Johannes, zur Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs des BMVBS, Gutachten vom Juni 2007 (zum Referentenentwurf). 9 Eisenbahnverkehrsunternehmen, siehe zum Begriff ausführlich unten 2.3. - 5 - soll10. Die DB-Management-Holding und die Infrastrukturgesellschaften11 sollen im Eigentum des Bundes bleiben12. Die genauere Ausgestaltung ist noch unklar.13 Laut Presseberichten soll bis zum Treffen des Koalitionsausschusses Ende April 2008 eine Position der SPD zur Bahnprivatisierung erarbeitet werden.14 Im Folgenden wird geprüft, ob das Holding-Modell grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Hierzu werden zunächst die allgemeinen Vorgaben abstrakt dargestellt und sodann auf das beschriebene Modell übertragen. 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben 2.1. Grundlagen Zentrale Vorschrift für die verfassungsrechtliche Beurteilung aller diskutierten Privatisierungsmodelle ist Art. 87e Abs. 3 und Abs. 4 Grundgesetz (GG): „(3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfolgt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. (4) Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ 10 Zur jetzigen Konzernstruktur siehe den Internetauftritt der Deutschen Bahn AG http://www.db.de/site/bahn/de/unternehmen/konzern/konzern.html, letzter Aufruf am 27. März 2008 sowie die Grafik in „SPD-Linke durchkreuzt Becks Fahrplan“, Handelsblatt vom 13. März 2008, beigefügt als Anlage 2. 11 Eisenbahninfrastrukturunternehmen, siehe dazu unten 2.2. 12 Vgl. „Mehdorn gerät wegen Bahnreform unter Druck“, Berliner Zeitung vom 27. März 2008; „SPD- Linke pocht auf Volksaktie bei der Bahn“, Der Tagesspiegel vom 13. März 2008; „Neuer Anlauf für eine Bahnreform“, Berliner Zeitung vom 11. März 2008; „Bahnprivatisierung, die Nächste“, Frankfurter Rundschau vom 8. März 2008; zur Struktur siehe die Grafik in Anlage 2. 13 Vgl. den Antrag „Keine Bahnprivatisierung am Parlament vorbei“, BT-Drs. 16/8046, S. 2; die Antwort auf eine Kleine Anfrage zum Thema Holding-Modell, BT-Drs. 16/8359, S. 2 sowie BT- Plenarprotokoll 16/147, S. 15537 (C) und BT-Plenarprotokoll 16/141, S. 14877 (C). 14 Siehe nur „Privatisierung der Bahn geht in die nächste Runde“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. März 2008 sowie ausführlich „Unauflösbarer Widerspruch“, Die Tageszeitung online vom 30. März 2008, abrufbar unter http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/unaufloesbarerwiderspruch /?src=SZ&cHash=3f05f666e3, letzter Aufruf am 31. März 2008. - 6 - Die Vorgabe des Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG bezieht sich nur auf Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes.15 Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG findet hingegen keine Anwendung auf Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes.16 2.2. Eisenbahninfrastrukturunternehmen Der Begriff „Eisenbahninfrastrukturunternehmen“ folgt aus Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG und meint Eisenbahnunternehmen, deren Tätigkeit (zumindest) einen der in dieser Regelung abschließend aufgezählten Tatbestände zum Gegenstand hat.17 Das Merkmal „Bau“ betrifft dabei den Neubau und Ausbau des Schienennetzes und seine wesentlichen „schienenwegenotwendigen“ Bestandteile wie Signaltechnik, Zugleitung und Grundstücke.18 „Unterhaltung“ bedeutet, dass für die Funktionsfähigkeit des Schienennetzes Sorge zu tragen ist. Unter „Betreiben“ des Schienennetzes ist nicht die tatsächliche Beförderung der Fahrgäste oder Güter zu verstehen; vielmehr geht es um den Betrieb der Leit- und Sicherheitssysteme.19 Der Bund kann seine Anteile an einem solchen Eisenbahninfrastrukturunternehmen grundsätzlich an Private veräußern. Hierfür stellt das Grundgesetz jedoch eine formelle und eine materielle Hürde auf20: - Formell: Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an Eisenbahninfrastrukturunternehmen steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes, Art. 87e Abs. 3 S. 3, 1. HS GG. Es bedarf eines förmlichen Gesetzes.21 - Materiell: Die Mehrheit der Anteile müssen bei einer solchen Veräußerung stets beim Bund verbleiben, Art. 87e Abs. 3 S. 3, 2. HS GG. 15 Ruge, Kay, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno; Klein, Franz (Begr.); Hofmann, Hans; Hopfauf, Axel (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 11. Auflage 2008, Art. 87e Rn. 5; Pieroth, Bodo, in: Jarass, Hans D.; Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 9. Auflage 2007, Art. 87e Rn. 5; Windthorst, Kay, in: Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2007, Art. 87e Rn. 52; Möstl, Markus, in Maunz, Theodor; Dürig, Günter (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Loseblattsammlung, Band V, Art. 87e Rn. 176, Stand: November 2006; Gersdorf , Hubertus, in: von Mangoldt, Hermann (Begr.); Klein, Friedrich; Starck, Christian (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 5. Auflage 2005, Art. 87e Abs. 3 Rn. 54; Uerpmann, Robert, in: von Münch, Ingo (Begr.); Kunig, Philip (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 5. Auflage 2003, Art. 87e Rn. 11. 16 Vgl. die Nachweise in Fußnote 15; ausführlich zu dieser Unterscheidung zwischen Netz und Verkehr Möstl (Fn. 15), Art. 87e Rn. 111 ff. 17 Windthorst (Fn. 15), Art. 87e Rn. 51. 18 Windthorst (Fn. 15), Art. 87e Rn. 51, m.w.N.; vgl. auch das PRIMON-Gutachten (Fn. 4); dort wird auf § 2 AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 BGBl. I S. 2378 ber. 1994 I S. 2439 ber. BGBl. I S. 691, zuletzt geändert durch Art. 1 Drittes Änderungsgesetz vom 8. November 2007, BGBl. I S. 2566) abgestellt, welches als einfaches Gesetz jedoch nicht einen verfassungsrechtlichen Begriff definieren kann. 19 Schmidt-Aßmann, Eberhard; Röhl, Hans Christian, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts (Art. 87 e GG), DÖV 1994, 577 (582). 20 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 56. 21 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 56. - 7 - Dabei ist zu beachten, dass Art. 87e Abs. 3 GG nicht nur verlangt, dass der Bund das Mehrheitseigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen behält, sondern zudem fordert, dass der Bund die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse tatsächlich ausüben kann.22 Daraus folgt, dass eine vollständige Privatisierung der bestehenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht möglich ist. 2.3. Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen sind solche Unternehmen, von denen die eigentliche Verkehrsleistung erbracht wird. Für diese Unternehmen des Bundes greifen die Hürden des Art. 87e Abs. 3 GG nicht. Für eine mögliche Privatisierung ist daher kein Gesetz erforderlich; der Bund kann zudem seine Anteile vollständig oder mehrheitlich aufgeben .23 Auch Art. 87e Abs. 4 GG ist keine Privatisierungsschranke24; inwieweit Art. 87e Abs. 4 GG aber nach möglichen Privatisierungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen den Bund weiter verpflichtet, ist umstritten (siehe sogleich unter 2.4.2). 2.4. Reichweite der Gewährleistungsverantwortung Nach Art. 87e Abs. 4 GG muss der Bund gewährleisten, dass dem Wohl der Allgemeinheit – insbesondere den Verkehrsbedürfnissen – beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten, Rechnung getragen wird, so genannte Gewährleistungsverantwortung.25 Ausgenommen von der Gewährleistungsverantwortung des Bundes ist ausweislich Art. 87e Abs. 4 S. 1, 2. HS GG der Schienenpersonennahverkehr, da dieser Bereich ausschließlich den Ländern zugewiesen wurde. Der Gewährleistungsauftrag erstreckt sich auf zwei Felder: - die Eisenbahninfrastruktur (siehe sogleich unter 2.4.1) und - die Eisenbahnverkehrsangebote (siehe sogleich unter 2.4.2). 22 Wohl herrschende Auffassung, siehe nur Ruge (Fn. 15), Art. 87e Rn. 5, m.w.N.; die Details sind indes umstritten, siehe hierzu ausführlich das Gutachten von Masing (Fn. 8), S. 12 ff.; diesbezüglich hat der Bundesrat Bedenken, vgl. Fußnote 8, BR-Drs. 555/07(B), S. 2. 23 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 58. 24 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 59; Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 17. 25 Zum Spannungsverhältnis zwischen Art. 87e Abs. 3 S. 1 und Art. 87e Abs. 4 GG siehe nur Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 62. - 8 - 2.4.1. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Schienennetzes Die Gewährleistungsverantwortung erstreckt sich auf das Schienennetz. Wegen des Schienenwegevorbehalts26 des Artikel 87e Abs. 3 S. 2, 3 GG besteht diese Verantwortung zeitlich unbegrenzt und kann nicht ohne weiteres entfallen27. Der Bund muss deshalb das Schienennetz als solches erhalten.28 Eine Bestandsgarantie für einzelne Strecken kann aus Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG zwar nicht abgeleitet werden, unzulässig wäre es jedoch, das Schienennetz massiv oder kontinuierlich abzubauen.29 Gleiches gilt für die Übertragung der Schienenwege in größerem Umfang an Dritte, was bereits aus Art. 87e Abs. 3 S. 2 und 3 GG folgen soll.30 2.4.2. Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich des Verkehrsangebots Für den Bund ergibt sich aus Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG weiter die Verpflichtung, ein angemessenes Verkehrsangebot sicherzustellen. Die Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes an Private unterliegt jedoch nicht den Grenzen des Art. 87e Abs. 3 S. 2, 3 GG, so dass die Situation eintreten kann, dass der Bund nicht mehr (alleiniger) Eigentümer der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist. Ob in diesem Fall die Gewährleistungsverantwortung des Bundes endet oder weiterhin besteht, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und in der Literatur umstritten. Einer Auffassung zufolge kann sich der Bund seiner Gewährleistungsverantwortung nach Art. 87e Abs. 4 GG nicht dadurch entziehen, dass er seine Eisenbahnverkehrsunternehmen veräußert.31 Der Bund müsse vielmehr dauerhaft sicherstellen, dass ein angemessenes Verkehrsangebot existiert, wobei ihm aber freistehe, wie er dies sicherstelle .32 Andere Stimmen leiten aus Art. 87e Abs. 4 GG eine noch weitergehende Pflicht des Bundes ab. Auch wenn der Bund das mehrheitliche Anteilseigentum aufgegeben habe , bestehe seine Gewährleistungsverantwortung fort. Er habe sogar die Pflicht, Unter- 26 Wie gezeigt, kann der Bund ohne Änderung des Grundgesetzes nie das Mehrheitseigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen verlieren, vgl. 2.2. 27 Ruge (Fn. 15) Art. 87e Rn. 6. 28 Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 16b. 29 Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 16b. 30 Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 16b. 31 Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 17. 32 Uerpmann (Fn. 15), Art. 87e Rn. 17. - 9 - nehmensanteile zurück zu erwerben, wenn sich die Prognose, ausreichende Verkehrsangebote bestünden auch ohne Bundeseigentum, nicht erfüllt habe.33 Die Gegenauffassung geht davon aus, dass bei einer vollständigen Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen die Gewährleistungsverantwortung des Bundes entfällt .34 Art. 87e Abs. 4 GG gelte nur für die Verkehrsangebote der Eisenbahnen des Bundes. Nach einer vollständigen Veräußerung der Eisenbahnverkehrsunternehmen gebe es keine Eisenbahnen mehr, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen; somit entfalle der Regelungszweck des Art. 87e Abs. 4 GG. Schließlich wird vertreten, dass der Bund auch bei Wegfall der Gewährleistungsverantwortung nach Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG wegen seiner allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundverantwortung für wichtige Infrastrukturdienstleistungen der Daseinsvorsorge verpflichtet sei, ein angemessenes Verkehrsangebot sicherzustellen.35 Jedoch ist diese vor allem aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Verantwortung unbestimmter und schwerer zu konkretisieren als der insoweit vorrangige Gewährleistungsauftrag. Jedenfalls steht dem Bund eine erhebliche Einschätzungsprärogative bei der Umsetzung des Gewährleistungsauftrags bzw. seiner allgemeinen Grundverantwortung zu.36 2.4.3. Zwischenergebnis Art. 87e Abs. 4 GG greift jedenfalls dann ein, wenn der Bund die Mehrheit der Anteile an den Eisenbahnverkehrsunternehmen hält, weil es sich noch um Eisenbahnen des Bundes handelt.37 Da das Holding-Modell nur eine 49prozentige Privatisierung der Eisenbahnverkehrsunternehmen vorsieht, dürfte nach allen Auffassungen die Gewährleistungsverantwortung beim Bund bestehen bleiben. 3. Verfassungsrechtliche Beurteilung des Holding-Modells 3.1. Keine Pflicht zur Trennung zwischen Netz und Verkehr Für den Bund ergibt sich aus Artikel 87e GG nicht die Pflicht, Netz und Verkehr organisatorisch getrennt und unabhängig voneinander zu führen. Zwar unterscheidet Art. 87e Abs. 3 zwischen Netz und Verkehr, eine Trennungspflicht kann daraus jedoch 33 Zu dieser Rückholpflicht siehe Wieland, Joachim, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar , Band III, 2000, Art 87e Rn. 15. 34 Windthorst (Fn. 15), Art. 87e Rn. 61; zwar aus rechtspolitischen kritisch, aber im Ergebnis auch in diesem Sinne Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 3 Rn. 65 f. 35 In diesem Sinne etwa Möstl (Fn. 15), Art. 87e Rn. 188 f. m.w.N. 36 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 4 Rn. 67, 70. Zu Beispielen für Möglichkeiten der Einflussnahme des Bundes siehe das PRIMON-Gutachten (Fn. 4), S. 115. 37 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87e Abs. 1 Rn. 16; Pieroth (Fn. 15), Art. 73 Rn. 23. - 10 - nicht abgeleitet werden.38 Die Formulierung in Abs. 3 S. 2 „soweit die Tätigkeit des Unternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst “ legt die Möglichkeit eines integrierten Wirtschaftsunternehmens39 sogar nahe40. 3.2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Modells In den aufgeführten Grenzen ist das Modell grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig , weil sich die Privatisierung auf die Eisenbahnverkehrsunternehmen beschränken würde. Das Grundgesetz fordert in diesem Fall nicht, dass der Bundestag beteiligt werden muss41; die Bundesregierung hat jedoch mehrfach betont, das Parlament in die Entscheidung einzubeziehen42. 4. Ergebnis Gegen das aktuelle diskutierte Holding-Modell bestehen keine grundsätzlichen Bedenken . Vor- oder Nachteile sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht ersichtlich; bei jedem der diskutierten Modelle besteht zumindest auf einfachgesetzlicher Ebene Anpassungsbedarf , der unterschiedlich groß ist.43 Alle weiteren Fragen sind rechtspolitischer44 und betriebswirtschaftlicher Natur. In den aufgezeigten Grenzen des Art. 87e GG gilt dies im Übrigen für alle Privatisierungsmodelle.45 Je nachdem, welcher Auffassung man folgt, könnten sich jedoch Unterschiede für die Dauer der Gewährleistungsverantwortung des Bundes ergeben – diese bleibt unstreitig nur dann aus Art. 87e Abs. 4 GG bestehen, wenn der Bund Mehrheitseigentümer der Eisenbahnverkehrsunternehmen bleibt. Umstritten ist, ob dies auch gilt, wenn der Bund nicht mehr Mehrheitseigentümer ist. 38 Ruge (Fn. 15), Art. 87e Rn. 5. 39 D.h. Betrieb des Schienennetzes und anderer Unternehmensfelder im Verkehrsbereich. 40 Möstl (Fn. 15), Art. 87e Rn. 128. 41 Vgl. hierzu die Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 7 – 284/07 sowie WD 3 – 026/08, beigefügt als Anlagen 3 und 4 sowie Birk, Dieter; Wernsmann, Rainer, Beteiligungsrechte des Parlaments bei der Veräußerung von Staatsvermögen, insbesondere Unternehmensbeteiligungen, DVBl. 2005, 1 ff. 42 So etwa ausdrücklich in BT-Drs. 16/8359, S. 2. 43 Überblick PRIMON-Gutachten (Fn. 4), S. 41. 44 Siehe zu kritischen Stimmen nur http://privatisierungstoppen.deinebahn.de/story/75/2675.html, letzter Aufruf am 31. März 2008. 45 In diesem Sinn auch BT-Drs. 16/6882, S. 7. - 11 - 5. Anlagenverzeichnis - PRIMON-Gutachten: Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“, Gutachten, Januar 2006, erstellt für die Bundesrepublik Deutschland - Anlage 1 - - Grafik zu den Organisationsstrukturen der Deutsche Bahn AG und den geplanten Änderungen durch das Holding-Modell, „SPD-Linke durchkreuzt Becks Fahrplan“, Handelsblatt vom 13. März 2008 - Anlage 2 - - , Parlamentarisches Zustimmungserfordernis beim „Indischen Modell“?, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, WD 7 – 284/07 - Anlage 3 - - , Beteilung des Bundestages bei der Privatisierung der Deutschen Bahn AG, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, WD 3 – 026/07 - Anlage 4 -