Deutscher Bundestag Rechte des einzelnen Abgeordneten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 049/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 2 Rechte des einzelnen Abgeordneten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 049/12 Abschluss der Arbeit: 23. Februar 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Mitwirkungsrechte 5 2.1. Rederecht 5 2.2. Antragsrechte 6 2.2.1. Sachanträge 6 2.2.2. Anträge zur Geschäftsordnung 7 2.2.3. Wahlvorschläge 8 3. Informations- bzw. Fragerecht 8 4. Sonstige Rechte 10 5. Rechtsschutz 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 4 1. Einleitung Diese Ausarbeitung befasst sich mit den Rechten eines einzelnen Bundestagsabgeordneten, die er unabhängig von der Fraktion oder anderen Abgeordneten gegen die Bundesregierung und den Bundestag geltend machen kann. Die Rechte des Abgeordneten im Bereich der Parlamentsarbeit werden aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes (GG)1 abgeleitet. Dieser lautet „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Nähere Ausformung erfährt diese Norm durch die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT)2. Weitere Rechte des Abgeordneten, die seine Rechtsstellung als solche betreffen (z.B. Immunität), sind in Art. 46, 48 GG und im Abgeordnetengesetz geregelt. Da diese Rechte nicht die angefragte parlamentarische Tätigkeit umfassen, sollen sie im Folgenden außen vor bleiben. Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgen für die Abgeordneten verschiedene Mitwirkungs- und Informationsrechte . Diese sind grundsätzlich Rechte eines jeden Abgeordneten.3 Im Interesse einer effizienten Parlamentsarbeit erlaubt Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG aber dem Bundestag, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben, durch die auch die Rechte des einzelnen Abgeordneten eingeschränkt werden können.4 Im Wesentlichen geschieht diese Einschränkung dadurch, dass viele der Mitwirkungs- und Informationsrechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 nicht vom einzelnen Abgeordneten, sondern nur von einer Gruppe oder Fraktion wahrgenommen werden können. Doch findet diese Einschränkung durchaus Grenzen. Die Fraktionen sollen die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichern und damit letztlich nur eine Chance für den einzelnen Abgeordneten sein, mehr Einfluss auszuüben. Sie sollen ihn keinesfalls derart beschränken, dass er als Einzelner keine Rechte mehr geltend machen kann.5 Daher kommen auch dem einzelnen Abgeordneten noch verschiedene Rechte zu, die im Folgenden dargestellt werden. Diese sind vom sitzungsleitenden Präsidenten insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn der einzelne Abgeordnete eine von seiner Fraktion abweichende Meinung vertritt.6 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) geändert worden ist. 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I S.1237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2454). 3 Zur den Rechten fraktionsloser Abgeordneter vgl. BVerfGE 80, 188 Wüppesahl. 4 Badura, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis,1989, § 15 Rn. 39. 5 Badura, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 15 Rn. 48 ff. 6 Badura, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 15 Rn. 48 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 5 2. Mitwirkungsrechte Der einzelne Abgeordnete hat zunächst Mitwirkungsrechte. Dies sind sein Rederecht und sein Recht, Anträge zu stellen und deren Beratung zu verlangen. 2.1. Rederecht Das Rederecht des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist eine Spezialregelung zur Meinungsfreiheit eines jeden Bürgers in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 GG. Auf letztere kann sich der Abgeordnete im Zusammenhang mit seinen Äußerungen im Parlament also nicht berufen. Nach § 35 GO-BT wird die Verteilung der Redezeit in der Praxis auf Vorschlag des Ältestenrats durch Beschluss des Bundestages festgelegt. Ein Verteilungsschlüssel regelt, welche Redezeit den jeweiligen Fraktionen in der sog. Berliner Stunde zusteht.7 Die Fraktionen bestimmen in der Praxis dann ihre Redner. Diese Regelungen dienen der Arbeitsfähigkeit des Parlaments.8 Allerdings finden sie im Einzelfall ihre Grenze „im Wesen und an der grundsätzlichen Aufgabe das Parlaments , Forum für Rede und Gegenrede zu sein“.9 In den §§ 27 ff. GO-BT ist das Recht zur Beteiligung an der Debatte geregelt. Im Hinblick auf die konkrete Worterteilung entscheidet der amtierende Präsident in der Sitzung über den Redneraufruf und die Reihenfolge der Redner. Dabei muss der sitzungsleitende Präsidenten stets zwischen Arbeitsfähigkeit des Parlaments und Rederecht jedes einzelnen Abgeordneten abwägen. Es kann dabei im Einzelfall geboten sein, einem Abgeordneten, der z.B. von der Meinung seiner Fraktion abweichen möchte, eine eigene (kurze10) Redezeit einzuräumen.11 So gestand zuletzt z.B. Bundestagspräsident Lammert in der Debatte zum Euro-Rettungsschirm dem FDP-Abgeordneten Schäffler eine Redezeit zu, obwohl die Fraktion ihn nicht als Redner benannt hatte.12 Ausnahmsweise konnte der Abgeordnete seine von der Fraktion abweichende kritische Sicht darlegen. Während dieses individuelle Rederecht eher eine Ausnahme bildet, kann der einzelne Abgeordnete sich jederzeit durch Zwischenfragen und Zwischenrufe in die Debatte einbringen, sofern dies vom Redner bzw. nach Ende von dessen Redezeit vom sitzungsleitenden Präsidenten zugelassen wird (§ 27 Abs. 2 GOBT). 7 Vgl. Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1990 bis 2010“, Kapitel 7.11 Regelungen zur Debattendauer, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/07/07_11/index.html. 8 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Auflage 2009, Art. 38 Rn. 32. 9 BVerfGE 10, 4 (13). 10 Schreiner, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 18 Rn. 39, hält in einem solchen Fall eine Redezeit von mindestens fünf Minuten für angemessen. 11 BVerfGE 10, 4 (15). 12 http://www.sueddeutsche.de/politik/bundestag-entscheidet-ueber-euro-rettungsschirm-tag-der-abrechnung-mitder -kanzlerin-1.1152361. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 6 Schließlich hat der einzelne Abgeordnete die Möglichkeit der Beteiligung durch Erklärungen (§§ 30 ff. GOBT). § 30 Erklärung zur Aussprache Zu einer Erklärung zur Aussprache wird das Wort nach Schluß, Unterbrechung oder Vertagung der Aussprache erteilt. Vorrangig kann der Präsident das Wort zur direkten Erwiderung erteilen. Der Anlaß ist ihm bei der Wortmeldung mitzuteilen. Mit einer Erklärung zur Aussprache dürfen nur Äußerungen, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, zurückgewiesen oder eigene Ausführungen richtiggestellt werden; sie darf nicht länger als fünf Minuten dauern. § 31 Erklärung zur Abstimmung (1) Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung. § 32 Erklärung außerhalb der Tagesordnung Zu einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung außerhalb der Tagesordnung kann der Präsident das Wort vor Eintritt in die Tagesordnung, nach Schluß, Unterbrechung oder Vertagung einer Aussprache erteilen. Der Anlaß ist ihm bei der Wortmeldung mitzuteilen. Die Erklärung darf nicht länger als fünf Minuten dauern. 2.2. Antragsrechte Neben dem Rederecht ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG das Recht der Abgeordneten, Anträge zu stellen, über die dann auch beraten und Beschluss gefasst werden muss. 13 Zu unterscheiden ist dabei zwischen sogenannten Sachanträgen einerseits und Anträgen zur Geschäftsordnung andererseits . Für Anträge in den Ausschusssitzungen ergeben sich teilweise Sonderregeln.14 2.2.1. Sachanträge Die Geschäftsordnung verwendet als Gegenbegriff zu den Geschäftsordnungsanträgen nicht die Sachanträge, sondern den Terminus der „Vorlage“, §§ 75 ff. GO-BT Vorlagen (z.B. Gesetzentwürfe, Änderungs- und Entschließungsanträge, kleine und große Anfragen , Beschlussempfehlungen und Berichte) können grundsätzlich nicht vom einzelnen Abgeordneten eingebracht werden, sondern nur von 5% der Mitglieder des Bundestages oder einer Fraktion (dann reicht die Unterschrift nur des Fraktionsvorsitzenden). 13 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn.8), Art. 38 Rn. 33. 14 Schreiner, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 18 Rn. 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 7 Nur ausnahmsweise kommen dem einzelnen Abgeordneten im Plenum hier Antragsrechte zu. Dies sind: – gemäß § 39 GOBT der Einspruch gegen Ordnungsmaßnahmen – gemäß § 121 GOBT der Einspruch gegen das Amtliche Protokoll – gemäß § 82 GOBT Änderungsanträge und Zurückverweisung in zweiter Beratung. Bedeutung für die inhaltliche Parlamentsarbeit hat dabei nur § 82 GOBT, der damit zugleich die wichtigste Antragsbefugnis des einzelnen Abgeordneten im Plenum darstellt. Sonderregelungen zu § 82 GOBT, wenn ein Gesetz in weniger als drei Lesungen beraten wird, finden sich in § 78 Abs. 3 und 4 GOBT. Als von der Fraktion bestimmtes15 Mitglied in einem Ausschuss hat der Abgeordnete gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 GOBT jederzeit das Recht, Sachanträge zu stellen 2.2.2. Anträge zur Geschäftsordnung Während Sachanträge eines einzelnen Abgeordneten eine Ausnahme bilden, stehen ihm mehr Möglichkeiten bei Anträgen zur Geschäftsordnung zur Verfügung. Gemäß § 20 Abs. 2 GOBT kann der einzelne Abgeordnete Widerspruch gegen die Tagesordnung einlegen sowie deren Änderung beantragen, wenn er dies am Vorabend der Sitzung dem Präsidenten angezeigt hat. Gemäß § 23 GOBT in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG16 kann jeder Abgeordnete die Eröffnung der Aussprache zu jedem Tagesordnungspunkt verlangen. Gemäß § 24 GOBT kann er beantragen, dass gleichartige oder im Sachzusammenhang stehende Verhandlungsgegenstände gemeinsam beraten werden. Gemäß § 46 S. 4 GOBT kann der einzelne Abgeordnete bei Abstimmungen Widerspruch gegen die Art der Fragestellung des Präsidenten erheben. Ferner kann er die Teilung der Frage beantragen (§ 47 S. 1 GOBT) und verlangen, dass die Frage vor der Abstimmung laut vorgelesen wird (§ 47 S. 1 GOBT). Noch nicht verteilte Anträge sind auf Verlangen des einzelnen Abgeordneten ebenfalls zu verlesen (§§ 78 Abs. 2 S. 2, 82 Abs. 1 S. 2 GOBT). 15 Gemäß § 57 GOBT bestimmen die Fraktionen über die Ausschussbesetzung. Der einzelne Abgeordnete hat kein Recht auf Mitgliedschaft in einem bestimmten Ausschuss. Dies wird wiederum mit dem Erfordernis der Arbeitsfähigkeit des Parlaments aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG begründet; vgl. Badura, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 15 Rn. 55 ff. 16 Schreiner, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 18 Rn. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 8 Schließlich kann jeder Abgeordnete einen Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß § 126 GOBT stellen. Ein entsprechender Beschluss kommt allerdings nur mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten zustande. In den Ausschüssen können zahlreiche Geschäftsordnungsanträge hingegen nur von Abgeordnetengruppen gestellt werden, z.B. von einem Viertel oder Drittel der Ausschussmitglieder.17 Der einzelne Abgeordnete kann im Bereich der Geschäftsordnung z.B. gemäß § 67 GOBT die Beschlussfähigkeit des Ausschusses bezweifeln, woraufhin diese durch Auszählung zu überprüfen ist. 2.2.3. Wahlvorschläge Der einzelne Abgeordnete darf – zumindest – theoretisch unabhängig von seiner Fraktion einen Vorschlag zur Wahl des Bundestagspräsidenten machen, weil § 2 GOBT insofern keine Mindestanzahl von Unterstützern für einen Vorschlag vorsieht. Auch zur Wahl des Bundespräsidenten kann gemäß § 9 BPräsWahlG18 jeder Abgeordnete in der Bundesversammlung einen eigenen Vorschlag einbringen. 3. Informations- bzw. Fragerecht Neben den zuvor beschriebenen Mitwirkungsrechten im Parlament stehen den Bundestagsabgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 umfangreiche Informationsrechte zu.19 Diese werden gleichbedeutend auch als Fragerechte bezeichnet,20 da sie in der Praxis durch Fragen an die Bundesregierung und deren Beantwortung ausgefüllt werden. Diese Rechte können teilweise auch vom einzelnen Abgeordneten wahrgenommen werden. Die Einschränkung dieser Rechte, die wiederum in vielen Fällen erreicht wird durch eine Mindestanzahl von Abgeordneten, die eine Frage stellen müssen, kann hier nur bedingt mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments begründet werden. Vielmehr muss hier verhindert werden, dass Fragerechte dazu missbraucht werden, die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung erheblich einzuschränken . Da eine inhaltliche Unterscheidung von ernstgemeinten und möglicherweise missbräuchlichen Fragen im Einzelfall schwierig sein kann, sind hier formale Kriterien, wie eben eine Mindestanzahl von Fragestellern, zur Begrenzung der Fragenanzahl erforderlich.21 17 Vgl. nur beispielhaft § 70 Abs. 1 S. 2 GOBT zur Anberaumung einer Sachverständigenanhörung. 18 Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 1100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2007 (BGBl. I S. 1326) geändert worden ist. 19 Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetz (Stand: Oktober 2011), Art. 38 Rn. 232 (Stand: Oktober 2010). 20 Badura, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 15 Rn. 43 ff. 21 Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a. (Fn. 19), Art. 38 Rn. 232. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 9 Das Fragerecht dient dem Abgeordneten „zur Erfüllung seiner ihm durch das Mandat zukommenden Rechte und Pflichten“22, weshalb er nicht zu allen Gegenständen der Regierungstätigkeit Fragen stellen darf, sondern sich auf den (wenn auch sehr großen) Zuständigkeitsbereich des Bundestages beschränken muss. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere einen umfassenden Informationsanspruch im Bereich von Gesetzgebungsvorhaben und in Haushaltsfragen.23 Bei Geheimhaltungserfordernissen kann dieses Informationsrecht durch Beschluss des Bundestages eingeschränkt werden.24 Die Frage muss bestimmt formuliert und durch die Regierung beantwortbar sein.25 Die Regierung trifft dann die Pflicht, vollständig und zutreffend zu antworten. Konkret geregelt ist das Fragerecht des einzelnen Abgeordneten in § 105 GOBT und der dazu erlassenen Richtlinie: „§ 105 Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages Jedes Mitglied des Bundestages ist berechtigt, kurze Einzelfragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Das Nähere wird in Richtlinien geregelt (Anlage 4). Anlage 4 GO-BT Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen (Auszug) I. Fragerecht 1. In jeder Sitzungswoche werden Fragestunden mit einer Gesamtdauer von höchstens 180 Minuten durchgeführt. Jedes Mitglied des Bundestages ist berechtigt, für die Fragestunden einer Sitzungswoche bis zu zwei Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Die Fragen müssen kurz gefaßt sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen. Sie dürfen keine unsachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten . Jede Frage darf in zwei Unterfragen unterteilt sein. 2. Zulässig sind Fragen aus den Bereichen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. II. Die Einreichung der Fragen […] 6. Die Fragen sind dem Präsidenten (Parlamentssekretariat) in vierfacher Ausfertigung einzureichen. Fragen dürfen nur beantwortet werden, wenn der Fragesteller anwesend ist. Ist der Fragesteller nicht anwesend, wird seine Frage nur dann schriftlich beantwortet, 22 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 8), Art. 38 Rn. 34. 23 BVerfGE 70, 324 (355); Badura, in: Schneider/Zeh (Fn. 4), § 15 Rn. 40. 24 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 8), Art. 38 Rn. 33. 25 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 8), Art. 38 Rn. 34. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 10 wenn er bis zum Beginn der Fragestunde beim Präsidenten um schriftliche Beantwortung gebeten hat. IV. Schriftliche Fragen […] 13. Jedes Mitglied des Bundestages ist berechtigt, in jedem Monat bis zu vier Fragen zur schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Für die Zulässigkeit der Fragen gilt die Nummer 1 Abs. 3 und Nummer 2 Abs. 1 entsprechend. 14. Die Fragen werden von der Bundesregierung binnen einer Woche nach Eingang beim Bundeskanzleramt beantwortet.“ Mündliche und schriftliche Einzelfragen kann danach jeder einzelne Abgeordnete stellen, Kleine und Große Anfragen gemäß §§ 100 ff. GOBT sind dagegen den Fraktionen bzw. einer Gruppe von 5% der Mitglieder des Bundestages vorbehalten, §§ 75 Abs. 1 lit. f), III, 76. Neben dem Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist in Art. 43 Abs. 1 noch das sogenannte Zitierungsrecht geregelt: „Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen.“ Die Formulierung „Der Bundestag“ erfordert allerdings einen Mehrheitsbeschluss, um einen Minister oder die Kanzlerin herbeizuzitieren. Da klassischerweise die Opposition ein solches Recht nutzt, ihr aber eine entsprechende Mehrheit fehlt, lässt sich das Begehren in der Praxis kaum realisieren.26 4. Sonstige Rechte Der einzelne Abgeordnete hat das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen- und Gruppen zusammenzuschließen27 (sogenanntes Assoziationsrecht28). Ihm kommt gegen den Bundestag gemäß § 16 GOBT ein umfangreiches Akteneinsichtsrecht zu: „§ 16 Akteneinsicht und -abgabe (1) Die Mitglieder des Bundestages sind berechtigt, alle Akten einzusehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder eines Ausschusses befinden; die Arbeiten des Bundestages oder seiner Ausschüsse, ihrer Vorsitzenden oder Berichterstatter dürfen dadurch nicht behindert werden. Die Einsichtnahme in persönliche Akten und Abrechnungen, die 26 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 8), Art. 43 Rn. 3. 27 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 8), Art. 38 Rn. 35. 28 Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a. (Fn. 19), Art. 38 Rn. 235. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 11 beim Bundestag über seine Mitglieder geführt werden, ist nur dem betreffenden Mitglied des Bundestages möglich. Wünschen andere Mitglieder des Bundestages etwa als Berichterstatter oder Ausschußvorsitzende oder Persönlichkeiten außerhalb des Hauses Einsicht in diese Akten, dann kann dies nur mit Genehmigung des Präsidenten und des betreffenden Mitgliedes des Bundestages geschehen. Akten des Bundestages, die ein Mitglied des Bundestages persönlich betreffen, kann es jederzeit einsehen. (2) Zum Gebrauch außerhalb des Bundeshauses werden Akten nur an die Vorsitzenden oder Berichterstatter der Ausschüsse für ihre Arbeiten abgegeben. (3) Ausnahmen kann der Präsident genehmigen. (4) Für Verschlußsachen gelten die Bestimmungen der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages (§17).“ 5. Rechtsschutz Wird den Rechten des Abgeordneten nach den oben aufgeführten Bestimmungen nicht oder nicht ausreichend entsprochen, so kann der Abgeordnete sich an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wenden. Die Zuständigkeit des BVerfG ist in Art. 93 GG geregelt. Gemäß § 13 Nr. 5 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht29 entscheidet dieses unter anderem „über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG)“. Mit diesem sogenannten Organstreitverfahren (auch Organklage genannt) kann ein Abgeordneter eine Verletzung der ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechte und Pflichten durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners geltend machen. Antragsgegner eines Organstreitverfahrens können nach § 63 BVerfGG der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe sein. Jüngster Anwendungsfall ist das Organstreitverfahren einiger Bundestagsabgeordneter gegen das sogenannte 9er-Gremium30 nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz.31 29 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) geändert worden ist. 30 BVerfG, Beschluss 2 BvE 8/11. 31 Stabilisierungsmechanismusgesetz vom 22. Mai 2010 (BGBl. I S. 627), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. Oktober 2011 (BGBl. I S. 1992) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 049/12 Seite 12 In formaler Hinsicht muss der Antrag schriftlich und mit Begründung beim BVerfG eingereicht werden, § 23 Abs. 1 BVerfGG. In dem Antrag ist die Bestimmung des GG zu bezeichnen, gegen die durch die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners aus Sicht des Antragstellers verstoßen wird. Der Antrag muss außerdem binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden, § 64 Abs. 3 BVerfGG. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG ist es auch möglich, im Wege des Organstreitverfahrens die Verletzung von Rechten des Organs zu rügen, dem der Antragsteller angehört (sog. Prozessstandschaft). Dies beträfe Fälle, in denen eine Norm nicht den einzelnen Abgeordneten berechtigt, sondern vom Bundestag als solchem spricht. Allerdings wurde eine solche Prozessstandschaft in der Rechtsprechung des BVerfG bislang nur für Fraktionen als Teile des Verfassungsorgans Bundestag, nicht aber für einzelne Abgeordnete anerkannt.32 Soweit ein Abgeordneter eine Verletzung seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte geltend machen möchte, kann er wie jeder Bürger eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG erheben. Eine Verletzung seiner Abgeordnetenrechte kann er allerdings nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde, sondern nur über das Organstreitverfahren geltend machen. 32 BVerfGE 70, 324 (354).