© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 047/20 Wahlrecht mit Bundeslisten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Mandatsträger bei Bundeslisten nach Ergebnis der Bundestagswahl 2017 Für die Berechnung der Bundestagszusammensetzung 2017 bei Bestehen von Bundeslisten wird unterstellt, dass die übrigen Parameter unverändert bleiben, also insbesondere die Anzahl der Wahlkreise und das Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers beibehalten und keine Kappung von Überhangmandaten vorgenommen wird. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Bundes- und dem Landeslistenmodell ergibt sich daraus, dass beim Bundeslistenmodell die Anzahl der Wahlkreismandate mit der jeweiligen Bundesliste ausgeglichen werden kann und nicht wie bislang nur in den einzelnen Landeslisten. Dadurch könnten weniger Überhangmandate entstehen. Nach dem aktuellen Wahlrecht ergeben sich für die CDU/CSU 43 und für die SPD 3 Überhangmandate. Mit Bundeslisten ergäben sich für die CDU/CSU nur 28 (21 für die CDU, 7 für die CSU) und für die SPD keine Überhangmandate. Beim Ausgleich dieser Mandate ist die Größe des Bundestages solange zu erhöhen, bis die Zweitstimmenanteile der Parteien exakt proportional abgebildet sind. Die Anzahl der Mandate einer Partei darf jedoch nicht die Mindestzahl der Mandate unterschreiten. Diese setzt sich aus dem Zweitstimmenergebnis auf Basis der Regelgröße des Bundestages und den Überhangmandaten zusammen.1 Maßgeblich für die Ergebnisse ist jedoch, ob auch Überhangmandate der CSU an die CDU umverteilt werden können – also von einer CDU/CSU-Bundesliste ausgegangen wird – oder ob die CSU weiterhin als eigenständige Partei mit einer eigenen Bundesliste begriffen wird. Nach unseren vorläufigen Berechnungen auf der Basis der Wahlergebnisse 2017 würden sich folgende Mandatszahlen ergeben. Gemeinsame Bundesliste CDU/CSU: CDU/CSU SPD AfD FDP DIE LINKE. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gesamt 231 145 89 76 65 63 669 Getrennte Bundeslisten CDU und CSU: CDU CSU SPD AfD FDP DIE LINKE. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gesamt 196 46 151 93 79 68 65 696 1 Weiterführend zum Berechnungsverfahren: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, https://www.bundestagswahl-bw.de/sitzberechnung-btw (zuletzt abgerufen am 4.3.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 4 Zum Vergleich die Zusammensetzung des 19. Deutschen Bundestages nach Fraktionen zu Beginn der Wahlperiode:2 CDU CSU SPD AfD FDP DIE LINKE. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gesamt 200 46 153 94 80 69 65 709 Der Bundestag würde sich mithin je nach Ausgestaltung von getrennten Bundeslisten der CDU und CSU oder einer gemeinsamen Liste auf 669 oder 696 Abgeordnete verkleinern. Ob Bundeslisten auch bei der nächsten Wahl zu einer Verkleinerung des 20. Deutschen Bundestages beitragen würden, kann durch die Wissenschaftlichen Dienste nicht sicher beurteilt werden. Zwar liegen aktuelle Umfrageergebnisse für die Zweitstimmen vor, es können aber keine verlässlichen Aussagen über die Verteilung der Wahlkreise getroffen werden. Eine bekannte Erststimmenprognose3 geht davon aus, dass die CDU/CSU mit zusammen 215 Wahlkreisen weniger Direktmandate erzielt. Da sie nach aktuellen Umfragen aber auch weniger Zweitstimmen erreichen würde, werden wahrscheinlich mehr Überhangmandate entstehen als bislang. Da es wahrscheinlich aber zumindest in einigen Bundesländern zu einem Stimmenergebnis kommen wird, bei dem die CDU weniger Direktmandate erreicht als im Verhältnis dazu Zweitstimmen, kann davon ausgegangen werden, dass mit der Einführung von Bundeslisten der 20. Deutsche Bundestag zumindest kleiner wäre als ohne weitere Änderungen des Wahlrechts. 3. Auswirkungen auf die Fraktionen im Bundestag Die Fraktionen im Deutschen Bundestag würden sich auf der Basis der Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 geringfügig verkleinern (siehe 2.). Innerhalb der SPD und der CDU/CSU würden einzelne Überhangmandate entfallen und dadurch würde eine interne Verschiebung der regionalen Zusammensetzung erfolgen. Für die CDU/CSU würde dies bei einer gemeinsamen Bundesliste bedeuten, dass sie nur durch direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag vertreten wäre. Die CDU/CSU- Bundesliste würde nicht greifen. Dies würde in der regionalen Verteilung derzeit bedeuten, dass aus dem Bundesland Bremen kein CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag sitzen würde und aus Hamburg nur ein CDU-Abgeordneter. Bei getrennten Listen von CDU und CSU würde auch die CDU 11 Ausgleichsmandate erhalten, die sodann über die Bundesliste besetzt werden könnten. Innerhalb der übrigen Fraktionen würden einzelne Ausgleichsmandate entfallen. Für alle Fraktionen außer der CDU/CSU ließen sich keine Aussagen über die regionale Zusammensetzung machen, da diese sich aus der jeweiligen Reihung in der Bundesliste ergeben würde. Der Zweitstimmenanteil der CSU bei der letzten Bundestagswahl betrug 6,2 Prozent bezogen auf das gesamte Bundesgebiet. Wenn die CSU also mit einer eigenen Bundesliste angetreten wäre, hätte sie selbstständig die Fünf-Prozent-Hürde überwunden. Aufgrund der zudem deutlichen Erfüllung der Grundmandatsklausel (§ 6 Abs. 3 S. 1 2. Alt. BWahlG), nach der eine Partei, die drei Wahlkreismandate erringt, mit ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, ist 2 Einschließlich zwei fraktionsloser Abgeordneter. 3 Erststimmen-Prognose Bundestagswahl (Stand 11.2.2020), https://www.election.de/cgi-bin/showforecast_btw21.pl (zuletzt aufgerufen am 4.3.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 5 ein weiterer Einzug der CSU auch bei einer Unterschreitung der Fünf-Prozent-Hürde sehr wahrscheinlich . 4. Rechtlicher Rahmen Einfachgesetzlich würde die Einführung von Bundeslisten zur Bundestagswahl eine erhebliche Änderung des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) erfordern. Dieses benennt an zahlreichen Stellen (u.a. §§ 4, 6, 19, 27, 28 BWahlG) die Landeslisten und erklärt auf dieser Grundlage auch das System der Verteilung der Mandate. Verfassungsrechtlich sind insbesondere die Regelung zur Wahl in Art. 38 GG und die zur Parteienfreiheit in Art. 21 Abs. 1 GG relevant. Diese würden auch den Rahmen für eventuelle Änderungen des BWahlG bestimmen. Die aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG folgende Wahlrechtgleichheit könnte mit dem Vorschlag der Bundesliste gestärkt werden. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BWahlG lässt eine Abweichung der Bevölkerungszahl von bis zu 25 Prozent in den einzelnen Wahlkreisen verfassungskonform zu. Die Größenunterschiede der Zahl der Bevölkerung in den Wahlkreisen, die sich auch insgesamt auf ein Bundesland im Vergleich zu einem anderen Bundesland erstrecken können, könnte durch einheitliche Bundeslisten für die Wahl mit der Zweitstimme ausgeglichen werden. Der Erfolgswert jeder Stimme wäre angeglichen, da es nicht mehr darauf ankäme, ob diese in einem Bundesland mit eher überproportional vielen Wahlberechtigten besetzten Wahlkreisen abgegeben wird, oder in einem eher unterproportional besetzten Wahlkreis. Das Phänomen des negativen Stimmengewichts – soweit dies nach den Änderungen des BWahlG 2013 noch auftreten kann – könnte durch ein Wahlrecht mit Bundeslisten vermieden werden, da keine getrennte Betrachtung der einzelnen Landeslisten mehr erfolgen muss. Negatives Stimmengewicht beschreibt zusammengefasst den Umstand, dass ein Gewinn an Zweitstimmen einer Partei zu einem Mandatsverlust dieser führt oder umgekehrt, dass der Stimmenverlust einer Partei zu einem Mandatsgewinn führen kann.4 Mit Bundeslisten kann es auch zu Auswirkungen auf die regionale Zusammensetzung des Bundestages kommen. Die Parteien wären in der Aufstellung der Listen weitegehend frei und nicht gesetzlich verpflichtet, einen exakten regionalen Proporz einzuhalten. Insoweit können auch Beobachtungen bei der Aufstellung der Bundeslisten zur Europawahl herangezogen werden. Bei der Europawahl ist es den politischen Parteien überlassen, ob sie Landeslisten für die einzelnen Bundesländer oder eine Bundesliste als gemeinsame Liste für alle Länder einreichen (§ 8 Abs. 2 Europawahlgesetz - EuWG). Bei der Aufstellung von Bundeslisten kam es in der Vergangenheit vor, dass mehrere Bundesländer nicht auf aussichtsreichen Plätzen vertreten waren, während andere Bundesländer besonders häufig vertreten sind. Dies hängt unter anderem mit hohen bzw. geringen Mitgliederzahlen einzelner Landesverbände in einer Bundespartei zusammen und damit auch unterschiedlichem Einfluss auf die Aufstellung der Bundesliste auf einem Bundesparteitag. So hat beispielsweise derzeit nur ein Abgeordneter aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern einen der 96 deutschen Sitze im Europaparlament.5 Im Bundestag liegen aber 6 von 299 Wahlkreisen 4 Strelen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 6, Rn. 34b. 5 Übersicht unter https://www.europarl.europa.eu/germany/de/europa-und-europawahlen/die-deutschen-europaabgeordneten -nach-bundesl%C3%A4ndern (zuletzt aufgerufen am 3.3.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 6 in Mecklenburg-Vorpommern. Ebenso gibt es nur zwei Europaabgeordnete aus Sachsen-Anhalt (wobei einer von ihnen zugleich Sachsen und Sachsen-Anhalt vertritt), während das Land neun Bundestagswahlkreise hat. Innerhalb der einzelnen Parteien können die regionalen Verschiebungen ebenfalls erheblich sein (dazu bereits oben 3.). Regionale Repräsentationsdefizite wurden auch bereits gegen das Modell der länderübergreifenden Verrechnung von Überhangmandaten angeführt .6 Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist der Gesetzgeber aber nicht gehalten, im Bundestagswahlrecht föderale Aspekte zu berücksichtigen.7 „Bei der Gewichtung des Anliegens einer föderalen Zuordnung der Stimmen ist zu berücksichtigen , dass es bei der Wahl zum Bundestag um die Wahl des unitarischen Vertretungsorgans des Bundesvolkes geht. Die gewählten Abgeordneten sind gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Vertreter des ganzen Volkes. Belange der Länder werden auf Bundesebene grundsätzlich durch den Bundesrat wahrgenommen. Der Bundesgesetzgeber ist bei der Wahl zum Bundestag als dem unitarischen Verfassungsorgan des Bundes daher nicht verpflichtet, föderative Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 6, 84 <99>; 16, 130 <143>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008 ‑ 2 BvC 1/07, 7/07 ‑, NVwZ 2008, S. 991 <995 f.>).“8 Insofern stehen im Bundestag parteipolitische Konkurrenz und Repräsentanz anstelle der Zugehörigkeit zu bestimmten Bundesländern im Vordergrund.9 In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wurde geklärt, dass die Zweitstimmenwahl nach Landeslisten dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG entsprechen würde. Bundeslisten hingegen verstießen gegen die jeweilige Länderhoheit.10 Die Aussagen sind wohl darauf zurückzuführen, dass das Bundesverfassungsgericht die Wahl nach Landeslisten durch das Bundesstaatsprinzip als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen hat.11 Daraus ist jedoch nicht zwingend auch ein Gebot für Landeslisten abzuleiten.12 Das Bundesstaatsprinzip wirkt insoweit als Optimierungsgebot ohne definitive Gebote.13 Insofern wären Bundeslisten trotz föderaler Verzerrungen und Widerspruch zum Bundesstaatsprinzip insoweit nicht verfassungswidrig. Da jedoch auch gute Gründe für eine Widerspiegelung der föderalen Struktur im Deutschen Bundestag sprechen, beispielsweise eine verbesserte Integrationswirkung 6 Holste, NVwZ 2013, 529, 533 f. 7 Holste, NVwZ 2013, 529, 533 f. 8 BVerfG, Beschluss vom 18.2.2009 – 2 BvC 9/04. 9 Holste, NVwZ 2013, 529, 533 f.; vgl. dazu auch ausführlich Faber, Föderalismus und Binnenföderalismus im Wahlrecht, 2015, S. 99 ff. 10 VG Wiesbaden, Urt. v. 30.12.2016 – 6 K 1805/16, NVwZ 2017, 902, 903. Kritisch dazu Schwerdtfeger, NVwZ 2017, 841, 845. 11 BVerfG, Urt. v. 10.4.1997 – 2 BvF 1/95, BVerfGE 95, 335, 350; BVerfG, Urt. v. 3.7.2008 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07, BVerfGE 121, 266, 303; siehe auch Schwerdtfeger, NVwZ 2017, 841, 845. 12 Schwerdtfeger, NVwZ 2017, 841, 845. 13 Vgl. Faber, Föderalismus und Binnenföderalismus im Wahlrecht, 2015, S. 171 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 7 für verschiedene Bevölkerungsgruppen,14 und eine gewisse historische Prägung diesbezüglich besteht , sollte vor einer Abkehr von föderativen Elementen der Bundestagswahl eine Abwägung der Vor- und Nachteile vorgenommen werden. Fraglich ist, ob verpflichtende Bundeslisten mit Art. 21 Abs. 1 GG vereinbar wären. Art. 21 Abs. 1 S. 1 und 2 GG regeln die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung und ihre Gründungsfreiheit. Daraus lässt sich auch die Organisations- und Finanzierungsfreiheit, Freiheit der Zielbestimmung – Programmfreiheit – und die Betätigungsfreiheit ableiten.15 Das Parteiengesetz (PartG), das nach Art. 21 Abs. 5 GG das Nähere zu den Parteien regelt, erklärt ausdrücklich, dass eine Partei nicht aus mehreren Landesverbänden bestehen muss (§ 7 Abs. 2 PartG). Die Parteienfreiheit in Gestalt der Organisationsfreiheit einschließlich der Ausgestaltung durch das Parteiengesetz sprechen gegen eine Einführung von verbindlichen Bundeslisten. Auch das Europawahlgesetz sieht aus diesem Grund keine verbindlichen Bundeslisten vor, sondern ermöglicht es den Parteien, auch mit Landeslisten zur Europawahl anzutreten (§ 8 Abs. 2 EuWG). Der Gesetzgeber begründete seine Entscheidung für fakultative Bundeslisten bei der Einführung des Europawahlgesetzes damals: „Auch regional tätige Parteien können auf diese Weise an der Direktwahl teilnehmen, ohne ihr Selbstverständnis als ‚Landesparteien‘ aufgeben zu müssen.“16 Schließlich ist auch die Möglichkeit von Wahlabsprachen, die beinhalten, dass eine Partei in bestimmten Bundesländern nicht antritt, Ausdruck der Parteienfreiheit und des darin enthaltenen Wettbewerbsgedankens.17 Ebenfalls aus Art. 21 Abs. 1 GG abgeleitet wird das Recht der Parteien auf Chancengleichheit. Abgeleitet daraus, dass die Demokratie auf einem Wettbewerb beruht, ist es notwendig, dass alle Akteure in diesem Wettbewerb die gleichen Chancen haben, in diesen Wettbewerb einzutreten und sich daran zu beteiligen.18 Die Wahl mit Bundes- statt Landeslisten würde das föderative Element des jetzigen Bundeswahlrechts abschwächen. Zwar folgt wie bereits dargestellt aus der Verfassung kein zwingendes Erfordernis einer starken föderativen Komponente bei der Ausgestaltung des Wahlrechts. Allerdings orientiert sich die Struktur der Parteien bislang stark am föderalen System,19 sodass Bundeslisten zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit der Parteien führen können. Auch für kleinere Parteien, die bislang nur in einzelnen Bundesländern zur Wahl angetreten sind, könnte es zu einer Beeinträchtigung ihrer Chancen führen, wenn sie sich den Anforderungen eines bundesweiten Wahlkampfs ausgesetzt sehen. Jedoch sind die Parteien in der Gestaltung ihres Wahlkampfes frei und können diesen auch von sich aus auf bestimmte Gebiete beschränken. 14 BVerfG, Urt. v. 3.7.2008 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07, BVerfGE 121, 266, 305; Faber, Föderalismus und Binnenföderalismus im Wahlrecht, 2015, S. 90 ff. 15 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, EL 88 (August 2019), Art. 21, Rn. 272 ff.; Schwerdtfeger, NVwZ 2017, 841. 16 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz — EuWG) vom 6.5.77, BT-Drs. 8/361, S. 15. 17 Schwerdtfeger, NVwZ 2017, 841, 844. 18 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, EL 88 (August 2019), Art. 21, Rn. 296. 19 Vgl. Faber, Föderalismus und Binnenföderalismus im Wahlrecht, 2015, S. 98 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 8 Die Chancengleichheit der Parteien ist zudem insofern nicht betroffen, als dass das Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde stets an das Gesamtergebnis auf Bundesebene anknüpft. § 6 Abs. 3 S. 1 1. Alt BWahlG erklärt, dass mindestens fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen auf den Wahlvorschlag entfallen sein müssen. Das Wahlgebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (§ 2 Abs. 1 BWahlG). Insofern findet durch die Landeslisten auch keine Bevorteilung von Parteien statt, die nur mit einzelnen Landeslisten antreten. § 6 Abs. 3 S. 2 BWahlG regelt zudem, dass die Fünf-Prozent-Hürde auf von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung findet. Insoweit besteht in dieser Hinsicht ein Schutz für Kleinstparteien, wenn diese bestimmte, nämlich nationale Minderheiten repräsentieren. Definiert wird eine nationale Minderheit als Gruppe von Personen, die sich durch Abstammung und Kultur als von der Mehrheit des Staatsvolks verschiedene geschlossene Gruppe empfindet und sich dazu auch bekennt. Neben der deutschen Staatsangehörigkeit müssen diese Personen auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes haben und in angestammten Siedlungsgebieten leben.20 Es bedarf eines staatlichen Anerkennungsaktes als nationale Minderheit, den es bislang nur für Dänen deutscher Staatsangehörigkeit, Friesen, Sorben und Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit gibt.21 Das bedeutet, dass eine in ihrer politischen Organisation lediglich auf ein Bundesland beschränkte Partei nicht unter diese Voraussetzungen fällt. Dies ist insbesondere deshalb relevant, weil bei einer zwingenden Ausgestaltung der Wahl mit Bundeslisten, der Minderheitenschutz es auch kleinen Parteien mit einem regionalen Spektrum möglich machen muss, anzutreten. Entsprechende Ausnahmeregelungen sind also mitzudenken. Das bedeutet auch, dass große Parteien erwägen könnten, die Ausnahmeregelung auch zu nutzen und statt mit einer einheitlichen Bundesliste künftig mit selbstständigen Landesverbänden anzutreten . Diese müssten dann auch die Anforderungen der Sperrklausel des § 6 Abs. 3 S. 1 BWahlG erfüllen. Das Ziel, zum Beispiel mit einer eigenen Liste der CDU Hamburg anzutreten, um eventuell über Zweitstimmen erlangte Sitze nicht durch eine Verrechnung mit der Bundesliste zu verlieren, wäre dann weniger erfolgsversprechend, solange nicht bundesweit fünf Prozent der Zweitstimmen oder drei Direktmandate erlangt würden. Im Ergebnis scheint eine fakultative Einreichung von Bundeslisten mit der Möglichkeit auch nur Landeslisten zur Wahl einzureichen mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Parteienfreiheit, vereinbar. 5. Entscheidungskompetenz über Bundeslisten Die Entscheidungskompetenz über die Aufstellung von Bundeslisten hängt von der Regelung ab, die der Deutsche Bundestag im Rahmen des BWahlG dafür trifft. Beispielhaft kann hier die Regelung des EuWG aufgezeigt werden, nach der es den Parteien frei steht zu entscheiden, ob sie mit Landeslisten oder einer Bundesliste zur Wahl antreten wollen. Diese beinhaltet auch Vorgaben, auf welcher Ebene in der Partei diese Entscheidung getroffen werden muss. 20 Strelen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 6, Rn. 49. 21 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 047/20 Seite 9 § 8 Abs. 2 EuWG regelt: „Eine Partei oder eine sonstige politische Vereinigung kann entweder Listen für einzelne Länder, und zwar in jedem Land nur eine Liste, oder eine gemeinsame Liste für alle Länder einreichen. Die Entscheidung über die Einreichung einer gemeinsamen Liste für alle Länder oder von Listen für einzelne Länder trifft der Vorstand des Bundesverbandes oder, wenn ein Bundesverband nicht besteht, die Vorstände der nächstniedrigen Gebietsverbände im Wahlgebiet gemeinsam, oder eine andere in der Satzung des Wahlvorschlagsberechtigten hierfür vorgesehene Stelle.“ ***