Deutscher Bundestag Das Tragen einer Burka im öffentlichen Raum Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 046/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 2 Das Tragen einer Burka im öffentlichen Raum Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 046/10 Abschluss der Arbeit: 10. März 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 4 3. Tragen einer Burka im öffentlichen Raum 5 3.1. Derzeitige Rechtslage 5 3.2. Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Burkaverbots mit dem Grundgesetz 6 3.2.1. Religionsfreiheit 6 3.2.2. Grundrechtsadressat und personeller Anwendungsbereich 6 3.2.3. Schutzbereich der Religionsfreiheit 7 3.2.4. Schutz des Tragens einer Burka durch die Religionsfreiheit 7 3.2.5. Eingriff in den Schutzbereich 8 3.2.6. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 8 3.2.7. Ergebnis 10 4. Beschränkung der Religionsausübungsfreiheit durch Grundgesetzänderung 10 4.1. Menschenwürdegehalt der Religionsfreiheit 11 4.2. „Berühren“ der in Artikel 1 GG niedergelegten Grundsätze 11 5. Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes 12 5.1. Derzeitige Rechtslage in den Bundesländern 12 5.2. Untersagungsmöglichkeiten auf Ebene der Bundesländer 13 5.3. Derzeitige Rechtslage auf Bundesebene 14 5.4. Untersagungsmöglichkeit für Angehörige der Bundesverwaltung 15 5.4.1. Beamte 15 5.4.2. Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 4 1. Zusammenfassung In der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage, die das Tragen einer Burka im öffentlichen Raum generell verbietet. Ein einfachgesetzliches Verbot wäre auch verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, da das Tragen der Burka – solange es auf religiösen Gründen beruht –, von der in Artikel 4 garantierten Religionsfreiheit geschützt ist. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Burka im öffentlichen Raum kommt ebenfalls nicht in Betracht , da eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche unter anderem die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig ist. Das grundsätzliche Äußern seines Glaubens und das Bekennen hierzu, z.B. durch Bekleidung, gehört zum unantastbaren Kern der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes wird derzeit schon in den meisten Bundesländern insbesondere für den Bereich der Schulen und Kindergärten verboten. Die Bundesländer Berlin und Hessen haben darüber hinausgehende Regelungen, die sich auch auf Beamte und Angestellte in der Landesverwaltung beziehen. Derartige generelle Regelungen auf Landesebene sind nur durch einfachgesetzliche Regelung möglich, die erst nach Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen (Religionsfreiheit gegen politische Neutralität des Staates) erlassen werden darf. Im Bundesbeamtenrecht gibt es keine mit den landesgesetzlichen Regelungen vergleichbaren Verbote des Tragens religiöser Bekleidung. Das politische Mäßigungsgebot kann grundsätzlich nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Beamtinnen das Tragen von Kopftüchern oder Burkas verboten werden kann. Ein Verbot des Tragens der Burka im öffentlichen Dienst bedürfte einer Änderung des Beamtenrechts. Eine solche Regelung dürfte aber weder konkret eine bestimmte Religion diskriminieren noch ein bestimmtes religiöses Kleidungsstück verbieten. Sie könnte auch nicht mit der Abwehr unbestimmter abstrakter Gefahren begründet werden, sondern wäre nur bei einer konkreten Gefahr für gleichrangige Verfassungsgüter gerechtfertigt. Auch für die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes kann ein Burkaverbot nur einfachgesetzlich geregelt bzw. im Hinblick auf die Tarifautonomie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG von den Tarifparteien tarifvertraglich vereinbart werden. Zudem darf kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliegen. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. 2. Einleitung1 In jüngster Zeit erfuhr das Thema der Vollverschleierung von muslimischen Frauen in zahlreichen europäischen Ländern größere Aufmerksamkeit.2 So wurde etwa in Frankreich und Däne- 1 Für die Ausarbeitung wurden auch die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von , Minarettverbot in der Schweiz (WD 3-3000-444/09), 2009, und , Gesetzliche Regelungen über das Tragen einer Burka, (WD 3-3000-258/09), 2009, herangezogen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 5 mark ein gesetzliches Verbot der Burka diskutiert. Der französische Staatspräsident Sarkozy erklärte am 22. Juni 2009 den beiden Kammern des französischen Parlaments, dem Kongress, dass die Burka in Frankreich nicht erwünscht sei, da sie gegen französische Werte verstoße und „ein Zeichen der Unterwerfung“ der Frau sei.3 Die Nationalversammlung hat daraufhin eine parteiübergreifende Kommission eingesetzt, mit dem Auftrag, die Vollverschleierung von Frauen in Frankreich unter verschiedenen Aspekten zu untersuchen. Am 26. Januar 2010 hat die Kommission ihren Bericht vorgelegt,4 die Verabschiedung war bis zuletzt umstritten und erfolgte nur mit einer Stimme Mehrheit. Die Kommission konnte sich nicht darauf einigen, vorzuschlagen, ein Gesetz zum Verbot des Tragens einer Burka in der Öffentlichkeit zu verabschieden. Sie empfahl zunächst die Verabschiedung einer Resolution der Nationalversammlung im Frühjahr und ein gesetzliches Verbot der Burka in öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln.5 In Deutschland wurden bisher vereinzelt Forderungen laut, das Tragen einer Burka in Teilen der Öffentlichkeit zu verbieten.6 Die Ausarbeitung stellt zunächst die bestehende Rechtslage in Deutschland hinsichtlich des Tragens einer Burka im öffentlichen Raum dar und erörtert sodann, ob ein allgemeines oder auf bestimmte Bereiche beschränktes Verbot des Tragens einer Burka verfassungsrechtlich erlaubt wäre. 3. Tragen einer Burka im öffentlichen Raum 3.1. Derzeitige Rechtslage In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Rechtsgrundlage, die das Tragen einer Burka im öffentlichen Raum generell verbietet. Lediglich bei öffentlichen Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes besteht gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG ein Vermummungsverbot. Unter Vermummung versteht man dabei eine Aufmachung zur Vereitelung der Identitätsfeststellung mittels Veränderung oder Verhüllung des Gesichts.7 Dass die Aufmachung die Identitätsfeststellung verhindert, begründet das Verbot jedoch noch nicht. Es muss hinzukommen, dass der Versammlungsteilnehmer sie auch verhindern will, dass die Aufmachung also dem Zweck dient, ein Wiedererkennen durch Zeugen oder auf Grund von Lichtbildern, Video- und Filmaufnahmen zu verhindern.8 Ob das Tragen einer Burka 2 Eine erste Übersicht zu den Diskussionen bietet Spiegel-Online, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,675888,00.html, [Stand: 25.02.2010]. 3 Süddeutsche Zeitung vom 24. Juni 2009, Frankfurter Allgemeine vom 10. Juli 2009. 4 Rapport d’Information Nr. 2262 vom 26. Januar 2010, http://www.assembleenationale .fr/13/dossiers/voile_integral.asp [Stand: 5.03.2010]. 5 Das Parlament vom 15. Februar 2010. 6 So fordert Serkan Tören, integrationspolitischer Sprecher der FDP, im Interview mit der Frankfurter Rundschau entsprechende Bekleidungsvorschriften für staatliche Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und Gerichte, http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=2262040 [Stand: 16.02. 2010]. Andreas Schockenhoff (CDU) weist in einem Interview mit dem Parlament darauf hin, dass die Burka verfassungmäßig nicht zu rechtfertigen ist, falls sie als eine öffentliche Demonstration der Ungleichheit von Mann und Frau getragen wird, Das Parlament vom 15. Februar 2010. 7 Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage, 2007, Rn. 303. 8 Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 169. Auflage 2008, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 6 bei einer öffentlichen Versammlung verboten werden könnte, dürfte sich demnach als Einzelfallfrage darstellen. 3.2. Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Burkaverbots mit dem Grundgesetz Ein einfachgesetzliches Verbot des Tragens der Burka im öffentlichen Raum müsste mit dem Grundgesetz vereinbar sein, insbesondere nicht die in Art. 4 GG garantierte Religionsfreiheit verletzen . 3.2.1. Religionsfreiheit Nach Artikel 4 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Diese wird noch durch Artikel 4 Abs. 2 GG verstärkt, der die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Die Gewährleistung der Freiheit des Glaubens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und der Religionsausübung bilden den einheitlichen Schutzbereich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit.9 Neben der Freiheit, einen Glauben zu bilden und zu haben, ist auch geschützt, einen Glauben zu äußern und entsprechend zu handeln. Die in Artikel 4 geschützte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ist Ausdruck des weltanschaulich neutralen Staates, dem es verboten ist, einzelne religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zu verbieten, zu bekämpfen oder auch nur abzulehnen.10 Als spezifischer Ausdruck der in Artikel 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde schützt Artikel 4 Abs. 1 GG gerade auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung.11 Dem Staat ist es verwehrt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren12 oder den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten.13 3.2.2. Grundrechtsadressat und personeller Anwendungsbereich Der Gesetzgeber ist nach Artikel 1 Abs. 3 GG als unmittelbar geltendes Recht an das Grundrecht der Religionsfreiheit gebunden.14 Damit ist ein Verbot der Burka durch Gesetz nur zulässig, soweit es die Religionsfreiheit nicht verletzt. Artikel 4 GG ist nicht auf Deutsche oder Christen beschränkt. Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht 15 für jedermann, wird also auch für Ausländer und Muslime gewährleistet. Der Islam fällt sowohl unter den Begriff eines „Glaubens“ nach Artikel 4 Abs. 1 GG als auch einer „Religion “ im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 GG.16 9 Germann, in: Epping/Hilgruber, Grundgesetz Kommentar 2009, Artikel 4, Rn. 19. 10 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 19 f. Zum Gebot der weltanschaulich -religiösen Neutralität des Staates: BVerfGE 18, 385 [386]; 19, 206 [216]; 24, 236 [246]; 32, 98 [106]. 11 BVerfGE 33, 23 (28 f.). 12 BVerfGE 19, 206 (216); 33, 23 (28 f.). 13 BVerfGE 12, 1 (4); 33, 23 (28 f.). 14 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 47. 15 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 33. 16 Sarcevic, Religionsfreiheit und der Streit um den Ruf des Muezzins, DVBl. 2000, 519 (523). Zum Religionsbegriff siehe Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage, Artikel 4, Rn. 19 ff. m.w.Nw. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 7 3.2.3. Schutzbereich der Religionsfreiheit Die in Artikel 4 Abs. 1 GG angesprochene Freiheit des Glaubens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und das in Artikel 4 Abs. 2 GG angesprochene Recht der ungestörten Religionsausübung bilden ein einheitliches Grundrecht.17 Unter den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit fällt nicht nur der private Glauben, sondern auch das öffentliche Bekenntnis zu der eigenen Religion.18 Dazu kommt die in Artikel 4 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnte Religionsausübung , also die religiöse Betätigung. Hierzu zählen alle kultischen Handlungen wie Gottesdienst , Gebet, Feier von Sakramenten.19 Auch das Tragen besonderer Kleidung, um seine religiösen Überzeugungen kundzutun, wird von Artikel 4 GG geschützt.20 Entscheidend ist, ob diese Tätigkeiten aus religiösen Motiven vorgenommen werden.21 Maßgeblich ist zudem, was nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion oder religiösen Vereinigung von ihrer Religionsausübung umfasst ist.22 Da die Rechtsordnung das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis voraussetze – so das Bundesverfassungsgericht –, würde der Staat die den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit verletzen, wenn er bei der Bestimmung der Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde.23 Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliege – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen haben.24 3.2.4. Schutz des Tragens einer Burka durch die Religionsfreiheit Ob das Tragen einer Burka von dem Grundrecht der Religionsfreiheit umfasst ist, hängt somit von ihrer Bedeutung für den islamischen Glauben ab. Die Burka ist ein Ganzkörperschleier, der als einziges Sichtfenster ein mit Stoff vergittertes Feld vor den Augen frei lässt. Sie wird vor allem von muslimischen Frauen in Pakistan, Indien und Afghanistan getragen.25 Die Verhüllung des Körpers hat seine Ursprünge zwar in vorislamischer Zeit,26dennoch gilt die Verschleierung muslimischer Frauen weithin bei gläubigen Muslimen als direkt aus dem Koran 17 Std. Rechtsprechung des BVerfG 12, 1 (3f.); 24, 236 (245); 32, 98 (106). 18 BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 f.); 53, 266 (387); 105, 279 (293 f.). 19 Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2009, Artikel 4 Rn. 32, 20 Germann, in: Epping/Hilgruber, Grundgesetz Kommentar 2009, Artikel 4, Rn. 24.4.; Starck, in : v. Mangoldt /Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar Bd. 1, 5. Auflage 2005, Art. 4 Rn. 38. 21 BVerfGE 24, 236 (49). Zustimmend Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 105. 22 BVerfGE 53, 366 (392 f.); 57, 220 (243); 70, 138 (163); Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd.1, 1988, Artikel 4 Rn. 102 f.; Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2009, Artikel 4 Rn. 32. Bedenken an dieser weiten Auslegung äußert Herzog, der bei einem zu weit gehenden Zurückgreifen auf das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft das Zugestehen einer „Kompetenz-Kompetenz“ sieht (Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 104 f.). 23 BVerfGE 24, 236 (248). 24 BVerfGE 83, 341, (353). 25 Harenberg Lexikon der Religionen, Dortmund 2002, S. 479; Der Brockhaus Religionen, 2. Auflage, Leipzig (u. a.) 2007, S. 111, Brockhaus der Religionen, 2. Aufl., S. 111. 26 Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 542. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 8 ableitbar.27 Die religiöse Pflicht zur Verschleierung wird in den einzelnen islamischen Rechtschulen sowie islamischen Organisationen unterschiedlich bewertet, jedoch besteht Einigkeit darüber, dass eine gläubige Muslima die aus dem Koran ableitbaren Kleidungsvorschriften einhalten muss.28 Es existieren sehr unterschiedliche Arten der Verschleierung in der islamischen Welt. Überwiegend wird ein bloßes Kopftuch getragen, welches das Haar ganz oder teilweise bedeckt .29 Wie weit die Verschleierung reicht, steht in starker Abhängigkeit zu den regionalen Traditionen und der Frömmigkeit der Frau.30 Die Rechtsprechung anerkennt, dass eine Verschleierung ein religiöses Bekenntnis sein kann und bejaht dies für das Kopftuch.31 Das Tragen einer Burka fällt damit in den Schutzbereich des Artikels 4 GG, soweit die Trägerin dies als verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgeschrieben empfindet. Soweit die Burka aus anderen Motiven – etwa aufgrund äußeren Zwangs – getragen wird, unterfällt dies nicht dem Schutzbereich des Artikel 4 GG. 3.2.5. Eingriff in den Schutzbereich Ein Grundrechtseingriff ist jedes staatliche Handeln, welches dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht.32 Das ist anzunehmen , wenn dem Grundrechtsträger ein Verhalten, das vom Schutzbereich eines Grundrechts umfasst ist, durch den Staat verwehrt wird. Ein Eingriff kann auch durch Gesetz erfolgen, z.B. dann, wenn dem Grundrechtsträger das grundrechtlich geschützte Verhalten verboten wird. Das Tragen der Burka gehört zur grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit. Ein Verbot des Tragens der Burka verwehrt die Ausübung dieser Freiheit und greift damit in deren Schutzbereich ein. 3.2.6. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Um nicht verfassungswidrig zu sein, bedarf ein Eingriff in die Religionsfreiheit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Anders als bei vielen anderen Grundrechten sieht das Grundgesetz für die Religionsfreiheit ke inen Gesetzesvorbehalt vor. Sie wird vorbehaltlos gewährleistet. Daher lehnt das Bundesverfassungsgericht eine Beschränkung der Glaubensfreiheit durch allgemeines Gesetz oder durch eine unbestimmte Güterabwägung ab.33 Steht ein Grundrecht nicht unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung, stellt sich die Frage, was geschieht, wenn die Ausübung eines solchen Grundrechts in Widerspruch zu anderen Grundrechten oder erheblichen Gemeinschaftsgütern gerät. 27 Oxford-Lexikon der Weltreligionen, 1999, S. 415. 28 Ausführlich in: Kinziger-Büchel, Der Kopftuchstreit in der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung, Deutscher Anwalt Verlag 2009, S. 23-33. 29 Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 542. 30 Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 543. 31 BVerfGE 108, 282 (298 f.). 32 Pieroth/Schlink, in: Grundrechte Staatsrecht II, 25. Auflage 2009, Rn. 240. 33 BVerfGE 32, 98 (108); 33, 23 (29, 30 f.); 52, 223 (246); 93, 1 (21). Kritisch hierzu Starck, in: Mangoldt /Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Artikel 4 Rn. 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 9 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung in den kollidierenden Grundrechten Dritter und in den mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern ihre Grenzen. Im Kollisionsfall ist zwischen den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten und den entgegenstehenden Grundrechten oder Verfassungsgütern im Wege der Abwägung und mit dem Ziel der Herstellung der praktischen Konkordanz ein angemessener Ausgleich herbeizuführen.34 Dabei darf nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werden, sondern alle sollen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.35 Die Einschränkung eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts darf nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen, wie etwa dem „Schutz der Verfassung“ oder der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ gerechtfertigt werden, sondern anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen. Dabei sind im konkreten Fall die maßgeblichen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter herauszuarbeiten.36 Verfassungsimmanente Grenzen der Religionsfreiheit sind zum einen die Grundrechte anderer Grundrechtsträger37 und die sonstigen in der Verfassung selbst verankerten Rechtsgüter, deren Beachtung dem Staat aufgegeben sind.38 Die Religionsfreiheit gewährt auch dem einzelnen Bürger nicht das Recht darauf, dass „seine Überzeugung zum Maßstabe der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird“.39 Fehlt es an einem kollidierenden Rechtsgut mit Verfassungsrang, kommt eine Einschränkung der Religionsfreiheit nicht in Betracht. Zu der durch Artikel 4 Abs. 1, 2 GG geschützten Religionsfreiheit gehört auch das Recht, keinem religiösen Bekenntnis anzuhängen und nicht zur Teilnahme an einer religiösen Handlung gezwungen zu werden.40 Möglicherweise gebietet die Gewährleistung der negativen Religionsfreiheit besonders intensive Formen der Religionsausübung in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Das Tragen einer Burka ist ein starkes Bekenntnis zu den Kleidungsvorschriften des Islam. Allerdings hat in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, der einzelne kein Recht darauf von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben.41 Insofern gewährt die negative Religionsfreiheit weder das Recht die Bekenntnisäußerungen anderer zu verhindern, noch durch den Staat vor Konfrontationen mit religiösen Fakten geschützt zu werden .42 Es existiert kein Anspruch im öffentlichen Raum vor den religiösen Einflüssen der Umwelt abgeschirmt zu werden.43 Somit kommt die negative Religionsfreiheit als Rechtfertigung für das Verbot des Tragens der Burka in der Öffentlichkeit nicht in Betracht. Vereinzelte Stimmen verlangen, dass zum Schutz der Frauen ein Vollverschleierungsverbot ausgesprochen wird. Nach dieser Ansicht handele es sich bei der Vollverschleierung in erster Linie um einen Ausdruck der Unterdrückung der Frauen durch eine extrem patriarchalisch geprägte Form des Islams.44 Eine derartige Schutzpflicht des Staates, die unmittelbar in den privaten Le- 34 BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50); 52, 223 (246 f., 251); 93, 1 (21). 35 BVerfGE 93, 1 (21). 36 BVerfGE 81, 278 (293). 37 BVerfGE 28, 243 (260 f.); 32, 98 (108); 41, 29 (50); 52, 223 (247); Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar , Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 115. 38 BVerfGE 28, 243 (261); Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 112. 39 BVerfGE 67, 26 (37); vgl. aber Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Artikel 4, Rn. 64. 40 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Artikel 4 Rn. 23. 41 BVerfGE 108, 282 (302). 42 v. Campenhausen, Staatskirchenrecht 4. Auflage 2006, S. 65 f. 43 v. Campenhausen in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 2. Aufl. 2001, § 136, Rn. 95. 44 Tören, Serkan, „Die Burka überschreitet eine Grenze“, Frankfurter Rundschau, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 10 bensbereich der Betroffenen eingreift, verfassungsrechtlich zu begründen, ist problematisch. Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG normiert ein Staatsziel, durch das Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen ergriffen werden sollen.45 Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung soll gefördert werden und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hingewirkt werden. Damit wird der Gleichberechtigungssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG ergänzt.46 Beide Regelungen zielen aber auf die Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern. Der Staat erhält dadurch keinen Erziehungsauftrag für seine Bürger, der ihn legitimiert ein Verbot der Vollverschleierung auch gegen den Willen der betroffenen Frauen durchzusetzen. Nicht zulässig ist hingegen eine Beschränkung der Religionsfreiheit durch ein direkt gegen den Glauben oder die Religionsausübung gerichtetes Gesetz47, insbesondere dann nicht, wenn sich die Beschränkung gegen einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte Religion richtet. Das Bundesverfassungsgericht leitet dies aus dem weltanschaulichen Toleranzgebot der Verfassung ab. In der Literatur wird dies aus dem Vergleich der vorbehaltlos gewährten Religionsfreiheit mit der unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehenden Meinungsfreiheit (Artikel 5 Abs. 2 GG) geschlossen : Einschränkungen der Bekenntnis- und Verkündungsfreiheit, die schon nach Artikel 5 Abs. 2 GG nicht zulässig sind, können unter der Geltung des Artikels 4 GG erst recht nicht vorgenommen werden.48 Ein Gesetz, welches das Tragen der Burka im öffentlichen Raum schlechthin verbietet, wäre damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 3.2.7. Ergebnis Das Tragen der Burka im öffentlichen Raum wird von Artikel 4 GG geschützt. Ein generelles Verbot der Burka im öffentlichen Raum verstößt gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes und lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ein Verbot kommt nur im Einzelfall als Ergebnis einer Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern in Betracht. 4. Beschränkung der Religionsausübungsfreiheit durch Grundgesetzänderung Die Verfassungswidrigkeit eines gesetzlichen Burkaverbots könnte entfallen, wenn das Verbot zum Bestandteil des Verfassungsrechts gemacht würde. Grundsätzlich kann die Verfassung nach Artikel 79 Abs. 1 GG durch ein Gesetz, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt, geändert werden. Unzulässig ist jedoch eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche unter anderem die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden (Artikel 79 Abs. 3 GG). Das Verbot des Tragens einer Burka in der Öffentlichkeit im Grundgesetz wäre nur dann unzulässig , wenn die das Tragen religiöser Bekleidung schützende Religionsfreiheit eine Konkretisierung http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=2262040 [Stand 16. Februar 2010]. 45 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, Artikel 3 Abs.2 Rn. 311. 46 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, Artikel 3 Abs.2 Rn. 311. 47 Sarcevic, Religionsfreiheit und der Streit um den Ruf des Muezzins, DVBl. 2000, S. 519 [523 f.]. 48 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Lfg. 27, 1988, Artikel 4 Rn. 90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 11 der in Artikel 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde wäre und die davon erfassten „Grundsätze “ durch das Burkaverbot „berührt“ würden. 4.1. Menschenwürdegehalt der Religionsfreiheit Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Glaubensfreiheit eine Ausprägung der Menschenwürde dar.49 Als Teil des grundrechtlichen Wertesystems sei die Bekenntnisfreiheit auf die in Artikel 1 Abs. 1 GG geschützte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrsche.50 Zu ihr gehöre, dem Einzelnen einen von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum zu gewähren, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht. Die Glaubensfreiheit sei daher mehr als religiöse Toleranz, d. h. bloße Duldung religiöser Bekenntnisse oder irreligiöser Überzeugungen.51 Erst sie gewährleiste die ungestörte Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen gemäß seiner subjektiven Glaubensüberzeugungen.52 Dies hat im staatsrechtlichen Schrifttum Zustimmung erfahren. Wenn irgendein Grundrechtsartikel unmittelbarer Ausfluss des Prinzips der Menschenwürde wäre, so sei es nach Herzog Artikel 4 GG. Die von Artikel 1 GG verbürgte Autonomie des Individuums sei nicht zu „denken, ohne die Bedeutung der umfassenden Gedankenfreiheit anzuerkennen und das natürliche Bedürfnis des Menschen nach einer außerhalb seiner selbst liegenden Verankerung und Steuerung seines Denkens, Fühlens und Handelns zu honorieren.“53 4.2. „Berühren“ der in Artikel 1 GG niedergelegten Grundsätze Wie weit der Schutzbereich des Artikels 4 GG auch von der Menschenwürde abgedeckt ist, ist damit noch nicht bestimmt. Nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Artikels 4 GG muss notwendig auch eine Verletzung der Menschenwürde darstellen. Für Herzog ist undenkbar, die religiöse und weltanschauliche Bekenntnisfreiheit wesentlich einzuschränken , ohne damit zugleich Artikel 1 GG zu verletzen.54 Andere Stimmen weisen auf eine gewisse Beliebigkeit bei der Zuordnung einzelner Schutzgüter zur Menschenwürde hin55 oder verlangen ein enges Verständnis der Menschenwürde56. In seinen bisherigen Sachentscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht alle Änderungen des Grundgesetzes als zulässig erachtet.57 Artikel 79 Abs. 3 GG sei eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift , die den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht hindere, die positivrechtlichen Ausprägungen dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren. Was im Rahmen ein- 49 BVerfGE 32, 98 (106); 33, 23 (28 f.); 108, 282 (305). 50 BVerfGE 52, 223 (247). 51 BVerfGE 32, 98 (106). 52 BVerfGE 33, 23 (29). 53 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 11. 54 Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 1988, Artikel 4 Rn. 12. 55 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Artikel 1, Rn. 53 m.w.Nw. 56 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Artikel 79, Rn. 50; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage, Artikel 1, Rn. 18 m.w.Nw. 57 Die Entscheidungen sind im Einzelnen aufgeführt bei Mann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Artikel 79, Rn. 83 (dort: Fn. 217). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 12 zelner Grundrechte zum Gewährleistungsinhalt des Artikel 1 Abs. 1 GG gehört, sei durch Auslegung der jeweiligen Grundrechtsnorm eigenständig zu bestimmen.58 In Bezug auf die Unverletzlichkeit der Wohnung hat es ausgeführt, zur unbedingt zu achtenden Menschenwürde gehöre eine „Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private – eine „höchstpersönliche“ – Entfaltung. Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen Wohnräumen gesichert sein“.59 Danach dürfte die Freiheit zur Bildung eines Glaubens oder einer Weltanschauung ebenso wie das grundsätzliche Äußern dieses Glaubens, also das Bekennen, zum unantastbaren Menschenwürdekern gehören. Auch die Ausübung der Religion, soweit sie auf die persönliche Sphäre des Gläubigen einschließlich seiner Mitgläubigen beschränkt ist, dürfte nicht einmal durch den Verfassungsgesetzgeber beschneidbar sein. 5. Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes 5.1. Derzeitige Rechtslage in den Bundesländern Das Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt worden. Ausgangspunkt für die Frage, ob das Tragen einer Burka in Ausübung eines öffentlichen Amtes zulässig ist, ist das sogenannte Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003. Dieses hatte das Recht einer Lehrkraft, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, zunächst bejaht.60 Nach Auffassung des Gerichts fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in die Religionsfreiheit und den Anspruch auf Gleichbehandlung der Lehrkraft. Ausgehend von diesem Urteil ist es in den einzelnen Ländern entsprechend ihrer kulturstaatlichen Eigenständigkeit zu verschiedenen Regelungen hinsichtlich des Tragens religiöser Symbole in Ausübung eines öffentlichen Amtes gekommen. Verbotsgesetze sind in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erlassen worden.61 Zum Teil beziehen sich die Verbotsnormen nur auf Lehrkräfte bzw. das Personal von Kindergärten (Baden-Württemberg62, Bayern63, Niedersachsen64, Nordrhein-Westfalen65, Schleswig- Holstein66), zum Teil auch auf andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Berlin67, Hessen68). In 58 BVerfGE 109, 279 [310]. 59 BVerfGE 109, 279 [313]. 60 BVerfGE 108, 282. 61 Hofmann, Religiöse Symbole in Schule und Öffentlichkeit - Stand der Entwicklung der Landesgesetzgebung und Rechtsprechung nach der Richtungsentscheidung des BVerfG von 2003, NVwZ 2009, 74, 76 f. 62 § 38 Abs. 2 Schulgesetz Baden-Württemberg (Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes vom 1. April 2004, GBl. S. 178, Nr. 6), § 7 Abs. 6 Kindergartengesetz Baden-Württemberg (Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes vom 14. Februar 2006 (GBl. S. 30, Nr. 2). 63 Art. 59 Abs. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vom 23. November 2004, GVBl. S. 443, Nr. 21). 64 § 51 Abs. 3 und Abs. 4 Niedersächsisches Schulgesetz (Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes und des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom 29. April 2004, GVBl. S. 140-142, Nr. 12). 65 § 57 Abs. 4 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen (Erstes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein -Westfalen vom 13. Juni 2006, GVBl. S. 270, Nr. 15). 66 § 4 Schulgesetz Schleswig-Holstein. 67 Art. 29 § 1 und § 2 Verfassung von Berlin (Gesetz zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes vom 27. Januar 2005, Gesetz- und Verordungsblatt für Berlin S. 92, Nr. 4). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 13 Berlin wurden bei den entsprechenden Beschäftigten alle religiösen Symbole verboten und damit auch das Tragen einer Burka. In den übrigen Ländern gilt das Verbot nur, wenn die betreffenden Symbole - geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber den Schülern und Eltern oder den politischen , religiösen und weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden (Baden- Württemberg, ähnlich Schleswig-Holstein und Hessen); - den Eindruck eines Auftretens gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung hervorrufen können (Baden-Württemberg, ähnlich Nordrhein-Westfalen); - als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlichabendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist (Bayern). 5.2. Untersagungsmöglichkeiten auf Ebene der Bundesländer Die zitierten Rechtsgrundlagen dürften auch als Grundlage für das Verbot des Tragens einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes auf Ebene der Bundesländer dienen können. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in einem Urteil vom 15. Januar 2007 die Verfassungsmäßigkeit von Art. 59 Abs. 2 S. 3 BayEUG bejaht. Diese Norm verbietet Lehrkräften das Tragen von äußeren Symbolen und Kleidungsstücken, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken. Hierbei ließ er jedoch explizit offen, ob unter diese Norm auch das Tragen der Tracht der Taliban, zu der die Burka gehöre, gefasst werden könne. Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Vollzugsmaßnahmen seien in erster Linie die Fachgerichte zuständig.69 Es ist - soweit ersichtlich - noch keine weitere Gerichtsentscheidung speziell zu dieser Frage ergangen. Wie der Vergleich der Landesgesetzgebung ergeben hat, haben die Länder Berlin und Hessen nicht nur Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen das Tragen eines Kopftuches bzw. einer Burka verboten, sondern dies auch auf weitere Personen im öffentlichen Dienst erstreckt. So werden in Berlin folgende Berufsgruppen von § 1 des sogenannten Neutralitätsgesetzes umfasst:70 „Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei71 beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den 68 § 68 Abs. 2 Hessisches Beamtengesetz (Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität vom 18. Oktober 2004, GVBl. I S. 306, Nr. 17); § 86 Abs. 3 Hessisches Schulgesetz. 69 Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 15. Januar 2007, Aktenzeichen Vf. 11. VII - 05, NVwZ 2008, 420, 420. 70 Art. 29 § 1 und § 2 Verfassung von Berlin (Gesetz zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes vom 27. Januar 2005, Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 92, Nr. 4). 71 Hervorhebung durch die Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 14 Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt im Bereich der Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig sind. Diese Vorschrift gilt gemäß § 5 Neutralitätsgesetz ebenfalls für Angestellte und Auszubildende der Berliner Verwaltung, die in den in § 1 genannten Bereichen tätig sind. Zwar genießen auch Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte die in der Landesverfassung und im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit, diese weicht jedoch in den genannten Bereichen der Verpflichtung des Landes Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität.72 Das Hessische Beamtengesetz (HBG) 73 sieht in § 68 Abs. 2 vor: „Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke , Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.“ Im Gegensatz zum Berliner Neutralitätsgesetz umfasst § 68 Abs. 2 HBG nicht lediglich die hoheitlichen Bereiche der Beamtentätigkeit wie die Rechtspflege, die Polizei oder den Justizvollzug, sondern verbietet jedem Beamten das Tragen oder Verwenden religiöser Kleidungsstücke. Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen hat mit Urteil vom 10. Dezember 2007 im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle entschieden, dass § 68 Abs. 2 HBG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.74 Der Staatsgerichtshof hat die Glaubensfreiheit der von der Norm nachteilig betroffenen Beamtinnen und Beamten mit der negativen Glaubensfreiheit derjenigen Personen die Kontakt mit der dienstlichen Tätigkeit der Beamten haben sowie mit der Neutralitätspflicht der Beamtinnen und Beamten abgewogen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Tragen von Kleidungsstücken , Symbolen oder anderen Merkmalen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen der Bürger in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden, den Dienstbetrieb stört und mit den Grundrechten derjenigen Personen kollidiert, die mit diesen Kleidungsstücken, Symbolen oder Merkmalen konfrontiert werden.75 5.3. Derzeitige Rechtslage auf Bundesebene Bundesbeamte unterliegen dem politischen Mäßigungsgebot, welches ihnen während ihrer Dienstzeit das Tragen oder Verwenden von Kennzeichen oder Symbolen, die eine parteipolitische Botschaft vermitteln, verbietet. Das Mäßigungsgebot ist in § 60 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz 72 Vgl. Präambel des Neutralitätsgesetzes. 73 Hessisches Beamtengesetz (Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität vom 18. Oktober 2004, GVBl. I S. 306, Nr. 17) 74 Urteil vom 10. Dezember 2007, NVwZ 2008, 199. 75 Urteil vom 10. Dezember 2007, NVwZ 2008, 199 (204). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 15 (BBG)76 normiert; diese Vorschrift ermächtigt den Dienstherrn zugleich, Einzelverbote auszusprechen .77 Im Bundesbeamtenrecht gibt es hingegen keine – mit der o.g. Landesgesetzgebung vergleichbaren – Regelungen, die das Tragen oder Verwenden von Kleidungstücken, Symbolen oder sonstigen Kennzeichen, denen eine religiöse Bedeutung zukommt, verbieten. Allenfalls käme ein Verstoß gegen das politische Mäßigungsgebot in Betracht, wenn das Tragen der Burka nachweisbar nicht aus religiösen Gründen geschieht, sondern als Ausdruck einer politisch -fundamentalistisch gesinnten Verfassung gedeutet werden kann, die sich gegen die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung richtet.78 5.4. Untersagungsmöglichkeit für Angehörige der Bundesverwaltung 5.4.1. Beamte Durch ein umfassendes Verbot des Tragens einer Burka in der Bundesverwaltung wird neben der in Artikel 4 GG geschützten Religionsfreiheit auch das Recht auf religionsunabhängigen Zugang zu öffentlichen Ämtern von vollverschleierten Bewerberinnen auf eine Beamtenstelle berührt. Artikel 33 Abs. 3 GG ist ein grundrechtsgleiches, verfassungsbeschwerdefähiges Recht.79 Der Zugang zum öffentlichen Dienst kann nicht allein wegen der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verweigert werden.80 Der Staat darf sich seinerseits nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren.81 Das Bundesverfassungsgericht erkennt in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie in Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art.140 GG eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich - religiösen Neutralität an.82 Diese Pflicht betrifft auch den Beamten, da der Staat durch ihn handelt und er diesen repräsentiert.83 Insofern besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der positiven Religionsfreiheit des Beamten, der Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiöser Neutralität und gegebenenfalls der negativen Religionsfreiheit Dritter, die in Kontakt mit dem Beamten treten.84 Dieses ist nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen. Das Bundesverfassungsgericht hat im sog. „Kopftuchurteil “ klar gestellt, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen .85 Auch betont das Bundesverfassungsgericht, dass ein Verbot des Tragens religiöser Symbole einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf.86 Infolge dieser Entscheidung wurde in eine Reihe von Bundesländern das Tragen eines Kopftuches – und anderer religiöser Symbole – für 76 Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. 2009, 160). 77 Detterbeck, „Der öffentliche Dienst als Medium der freien Selbstentfaltung? Der hessische Kopftuchstreit“ in: Recht als Medium der Staatlichkeit – Festschrift für Herbert Bethge, S. 161 (164). 78 Vgl. Sicko, Das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Umsetzung durch die Landesgesetzgeber , 2008, S. 55. 79 BVerfGE 79, 69 (75). 80 Mager in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Band 1, Artikel 4 Rn. 65 (S. 347). 81 BVerfGE 30, 415 (422); 93, 1 (17); 108, 282 (300). 82 BVerfGE 108, 282 (299 f.). 83 Detterbeck, „Der öffentliche Dienst als Medium der freien Selbstentfaltung? Der hessische Kopftuchstreit“ in: Recht als Medium der Staatlichkeit – Festschrift für Herbert Bethge, S. 161 (162). 84 So für den Bereich des Schulwesens: BVerfG 108, 282 [302]. 85 BVerfG 108, 282 (302). 86 BVerfGE 108, 282 (303, 311 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 16 den Bereich des Schuldienstes verboten. Zum Teil wurde sogar ein solches Verbot für den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes umgesetzt.87 Ein Verbot des Tragens einer Burka für Angehörige der Bundesverwaltung bedürfte daher einer einfachgesetzlichen Regelung im Beamtenrecht. Bei der Abwägung zwischen den Grundrechten des Beamten und der Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiöser Neutralität und der gegebenenfalls zu berücksichtigenden Religionsfreiheit Dritter, die in Kontakt mit dem Beamten treten , ist zu beachten, dass diesen umso weniger Gewicht zukommt, je weniger Außenwirkung die Tätigkeit des Beamten aufweist.88 Der Bundesgesetzgeber ist verfassungsrechtlich zudem nicht befugt, die Religionsfreiheit der Beamten durch eine allgemein-abstrakte und undifferenziert die gesamte Bundesverwaltung betreffende Regelung einzuschränken, die ihre Rechtfertigung nicht in einer konkreten Gefahr für gleichrangige Verfassungsrechtsgüter findet, sondern lediglich der Abwehr unbestimmter abstrakter Gefahren dienen soll. Etwas anderes gilt auch nicht seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).89 Nach § 24 Nr. 1 AGG findet das Gesetz zwar auch auf Beamte entsprechende Anwendung ; hierbei ist aber ihre besondere Rechtstellung zu berücksichtigen. Insofern kann sich nach obigen Ausführungen für Beamte auch in Bezug auf das AGG nichts anderes ergeben. 5.4.2. Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst Da nicht nur Beamte in der Bundesverwaltung beschäftigt sind, stellt sich die Frage, ob und wie ein Burkaverbot für die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes geregelt werden kann. Das BVerfG hatte im Kopftuch-Urteil90 nur das Beamtenrecht zu beurteilen, so dass seine Entscheidung das Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes nicht erfasst. Den maßgeblichen Urteilsgründen zu Folge ist davon auszugehen, dass auch bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nur durch ein Gesetz das Tragen von religiösen Symbolen geregelt werden kann bzw. eine tarifvertragliche Vereinbarung hierzu getroffen werden muss. Ob der Gesetzgeber eine solche Regelung einfachgesetzlich schaffen kann,91 oder ob sie in Hinblick auf die Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG von den Tarifparteien tarifvertraglich vereinbart werden muss ist umstritten.92 Wegen der Grundrechtsbindung des öffentlichen Arbeitsgebers muss eine solche Regelung unabhängig davon, ob sie per Gesetz, tarif – oder individualvertraglich bestimmt wurde mit der Religionsfreiheit der Betroffenen vereinbar sein und eine Abwägung mit konkurrierende Grundrechten stattfinden.93 87 Siehe oben 5.1 und 5.2. 88 Vgl. Mückl in: Bonner Kommentar, 135. Lfg. (2008), Artikel 4 Rn. 173. 89 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Artikel 15 Absatz 66 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160). 90 BVerfGE 108, 282. 91 So Isensee, in: Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 37, Rn. 79. 92 Adam, Das Urteil des Bundesverfassungsgericht im „Kopftuchstreit“ und seine Bedeutung für das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, ZTR 2004, 450. 93 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Artikel 1 Abs. 3 Rn. 227ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 046/10 Seite 17 Zudem darf auch kein Verstoß gegen das AGG vorliegen. Auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist das AGG direkt anwendbar.94 Wird durch Gesetz, in Tarif- und Arbeitsverträgen oder in Betriebsanordnungen das Verbot des Tragens religiöser Kleidungsstücke ausgesprochen, so kann hierin eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Religion im Sinne der §§ 1, 3 Abs. 2 des AGG liegen.95 Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Im Falle des Tragens einer Burka ist freilich zunächst zu differenzieren: Zunächst stellt sich die Frage der Eignung für den konkreten Arbeitsplatz. Ist es z.B. aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt eine Vollverschleierung zu tragen, so kann eine Arbeitnehmerin mit Burka nicht geeignet sein, diese berufliche Tätigkeit zu erbringen. In diesem Fall liegt keine Diskriminierung vor, da sie der Arbeitgeber dann wegen fehlender Eignung für die Tätigkeit und nicht wegen ihrer Religion schlechter stellt.96 Allein die Befürchtung des Arbeitgebers jedoch, die Bekleidung könne abschreckend nach Außen wirken, ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes kein rechtmäßiges Ziel im Sinne des Gesetzes.97 Ein pauschales Burkaverbot kommt für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst somit nicht in Frage. Die Burka kann aber unter Berücksichtigung der Maßgabe des § 8 Abs. 1 AGG untersagt werden. 94 Brors, in Däubler/Bertzbach AGG, 1. Aufl. 2007,§ 24 Rn. 21. 95 ArbG Köln Urteil vom 6. März 2008, ZMV 2008, 221-222, Schleuser, in: AGG Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 8 Rn. 48. 96 Brors, in Däubler/Bertzbach AGG, 1. Aufl. 2007,§ 8 Rn. 46-48. 97 BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Aktenzeichen 2 AZR 472/01, NJW 2003, 1685, 1687.