© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 045/14 Rechtsfragen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 045/14 Seite 2 Rechtsfragen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 045/14 Abschluss der Arbeit: 27. Februar 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 045/14 Seite 3 1. Kann ein Untersuchungsausschuss auf der Grundlage zweier je für sich verfassungskonformer Einsetzungsbeschlüsse, deren Untersuchungsauftrag sich in wesentlichen Punkten inhaltlich deckt und im Übrigen nicht widerspricht, eingesetzt werden? Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Sinne des Art. 44 GG erfolgt nach § 1 Abs. 2 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG)1 durch Beschluss des Bundestages. Das bedeutet in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG Folgendes: Wenn ein Einsetzungsantrag die Mehrheit der abgegebenen Stimmen findet, ist der Untersuchungsausschuss eingesetzt.2 Grundsätzlich folgt daher aus jedem Einsetzungsbeschluss ein Untersuchungsausschuss. Zwei Einsetzungsbeschlüsse haben also grundsätzlich zwei Untersuchungsausschüsse zur Folge. Zwar wird es im Schrifttum für verfassungsrechtlich zulässig erachtet, dass der Bundestag im Einsetzungsbeschluss einen bestehenden Ausschuss mit der Durchführung der Durchsuchung betraut.3 So wurde in der Geschichte der Bundesrepublik in einem Fall verfahren: Im Beschluss über die „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Bereinigung des Reichs- und Bundesrechts (Gesetzgebungsenquête)“4 vom 28. Januar 1955 heißt es in der Fassung des Änderungsantrages : „Mit der Durchführung der Untersuchung wird der 16. Ausschuss beauftragt, dem insoweit die Rechte aus Art. 44 des Grundgesetzes zustehen.“5 Dies war der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht, dessen Beauftragung mit der Durchführung einer Gesetzgebungsenquête – zumal zu Fragen der Rechtsbereinigung – fachlich nahelag. Ob auch die Beauftragung eines Fachausschusses mit der Durchführung einer Missstandsenquête sinnvoll ist, mag je nach Lage des Einzelfalls fraglich sein. Aus verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Sicht erscheint es gleichwohl nicht ausgeschlossen. Weder Art. 44 GG noch das Untersuchungsausschussgesetz stehen einer Beauftragung eines Fachausschusses mit einer Untersuchung entgegen , wenngleich jedenfalls das Untersuchungsausschussgesetz ersichtlich von dem Regelfall ausgeht , dass für die Untersuchung ein separater Ausschuss eingesetzt wird.6 Jedenfalls aber dürfte es unzulässig sein, mit der Untersuchung einen bereits eingesetzten Untersuchungsausschuss zu beauftragen. Denn dies würde sowohl im Hinblick auf den bereits eingesetzten ersten Untersuchungsausschuss als auch im Hinblick auf den weiteren Einsetzungsantrag die Gefahr der Umgehung des sog. Bepackungsverbotes bergen.7 Danach darf weder der Einset- 1 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 2 Pieper/Spoerhase, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Aufl. 2012, § 1 Rn. 8. 3 Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 44 Rn. 89; ebenso Trossmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 63 GOBT Rn. 6. 4 BT-Drs. II/908. 5 BT-PlenProt. II/65, S. 3366. 6 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 44 Rn. 89. 7 Glauben, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof (Hrsg), Bonner Kommentar zum GG, 165. Ergänzungslieferung 2014, Art. 44 Rn. 77, hält die Beauftragung eines bestehenden Untersuchungsausschusses mit einem weiteren Untersuchungsauftrag mit Blick auf das „formal betrachtet“ nicht berührte Bepackungsverbot für verfassungsrechtlich vertretbar , aus Gründen der praktischen Handhabung aber gleichwohl nicht angezeigt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 045/14 Seite 4 zungsbeschluss den im von einer qualifizierten Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gestellten Einsetzungsantrag bezeichneten Untersuchungsgegenstand ohne Zustimmung der Antragsteller ändern (§ 2 Abs. 2 PUAG), noch darf der Untersuchungsauftrag nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses ohne die Zustimmung der Antragsteller geändert werden (§ 3 S. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 PUAG). Soweit eine solche weitere Beauftragung keine Minderheitenrechte berühren würde (etwa weil die Antragsteller zustimmen), gäbe es für eine Aufgabenerweiterung des ersten Untersuchungsausschusses im Wege eines zweiten Einsetzungsbeschlusses keinen Bedarf, da der dem ersten Untersuchungsausschuss erteilte Untersuchungsauftrag schlicht nach § 3 PUAG erweitert werden könnte. Es bleibt insoweit dabei, dass mit zwei Einsetzungsbeschlüssen auch zwei Untersuchungsausschüsse ins Leben gerufen werden. Die Einsetzung zweier Untersuchungsausschüsse mit sich in wesentlichen Punkten deckenden Untersuchungsaufträgen begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Unter anderem dürfte das ungeschriebene, aber zwingende Erfordernis8 eines öffentlichen Interesses keine „Doppeluntersuchung “ rechtfertigen. Im Falle zweier oder mehrerer eingebrachter Einsetzungsanträge mit im Wesentlichen gleichen Untersuchungsaufträgen gilt es also, nur einen Einsetzungsbeschluss zu fassen. Über die Anträge kann das Plenum entweder unmittelbar beschließen oder sie nach § 62 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT)9 an einen Ausschuss überweisen. In der Praxis war dies häufig der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss), zum Teil aber auch der jeweilige Fachausschuss.10 Als Beispiele für die Handhabung mehrerer konkurrierender Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in der Vergangenheit seien folgende Ausschusseinsetzungen genannt: Sowohl der 1. Untersuchungsausschuss der 13. Wahlperiode („Plutonium-Schmuggel“) als auch der 3. Untersuchungsausschuss der 12. Wahlperiode („HIV-Infektionen“) gingen auf mehrere parallel eingebrachte Einsetzungsanträge zurück, die im Ausschuss jeweils zu einer Beschlussempfehlung zusammengefasst worden sind.11 Entscheidend ist, dass aufgrund dieser Beschlussempfehlungen jeweils nur ein Einsetzungsbeschluss gefasst worden ist.12 8 BVerfGE 67, 100 (140); Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), PUAG, 2011, § 1 Rn. 25; zum Erfordernis des öffentlichen Interesses eingehend Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, 10; vgl. auch BT-Drs. 14/5790, S. 14. 9 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 25. Juni 1980 (BGBl. I S. 1237), die zuletzt durch die Bekanntmachung vom 2. Juli 2013 (BGBl. I S. 2167) geändert worden ist. 10 So etwa BT-PlenProt. 12/185, S. 15982. 11 BT-Drs. 13/1323 sowie BT-Drs. 12/6048. 12 BT-PlenProt. 13/35, S. 2746 sowie BT-PlenProt. 12/186, S. 16104. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 045/14 Seite 5 2. Kann ein Untersuchungsausschuss auf dieser Grundlage eine Beweisaufnahme durchführen und was wäre in einer solchen Konstellation in Bezug auf die Beweisaufnahme zu beachten (jeweilige Rechtsgrundlage für Beweisanträge und Zeugenvernehmungen etc.)? Ein durch zwei verschiedene Einsetzungsbeschlüsse eingesetzter Untersuchungsausschuss ist, wie dargestellt, nicht möglich. Damit entfällt der Hintergrund dieser Frage. Unabhängig davon, ob der Einsetzungsbeschluss auf einen oder auf mehrere Einsetzungsanträge zurückgeht, gelten für die Beweiserhebung stets die allgemeinen Regelungen des Untersuchungsausschussgesetzes. Was den sachlichen Umfang der Beweiserhebung betrifft, so wird die äußerste Grenze des Beweiserhebungsrechts durch den Untersuchungsauftrag des Einsetzungsbeschlusses markiert (vgl. § 17 Abs. 1 PUAG: „die durch den Untersuchungsauftrag gebotenen Beweise“). Dies verdeutlicht nochmals, dass es – ungeachtet der unter 1. dargestellten formalen Gründe – auch aus Gründen der Rechtsklarheit keine divergierenden Untersuchungsaufträge für ein und denselben Untersuchungsausschuss geben kann. Der äußere Rahmen zulässiger Beweiserhebung wäre nicht klar abgesteckt, was aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich wäre. Denn der Einsetzungsbeschluss ist mittelbare Rechtsgrundlage für eine nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG und §§ 17 ff. PUAG unter Inanspruchnahme strafprozessualer Zwangsmittel durchzuführende Beweisaufnahme. Der von den damit einhergehenden Grundrechtseingriffen Betroffene muss aufgrund des Einsetzungsbeschlusses prüfen können, ob sich der Untersuchungsausschuss dabei in den Grenzen seiner durch den Untersuchungsauftrag vermittelten Ermächtigung bewegt.13 3. Kann ein vom Plenum einstimmig beschlossener und gemeinsam eingebrachter Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses später von der parlamentarischen Mehrheit ohne Zustimmung der Minderheit bzw. gegen deren Stimmen ergänzt, erweitert oder verändert werden und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Für die Beantwortung wird davon ausgegangen, dass die Frage nicht auf die spätere Ergänzung oder sonstige Änderung des Antrags, sondern auf eine Änderung des Untersuchungsauftrags abzielt . Der Antrag ist nur bis zur Abstimmung im Plenum änderbar.14 Eine Änderung des Untersuchungsauftrags nach Einsetzung richtet sich nach § 3 PUAG. Danach bedarf eine Änderung des im Einsetzungsbeschluss formulierten Untersuchungsauftrags eines Beschlusses des Bundestages. Erforderlich ist insoweit ein Mehrheitsbeschluss des Plenums. § 3 S. 2 Hs. 2 PUAG ordnet darüber hinaus jedoch eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 2 PUAG an. Das hat zur Folge, dass der Untersuchungsauftrag auch mit Mehrheitsbeschluss nur dann geändert werden darf, wenn die Antragsteller zustimmen. Jede Änderung des Untersuchungsgegenstandes eines eingesetzten Untersuchungsausschusses kann also nur einvernehmlich mit den Antragstellern erfolgen.15 Die gesetzliche Regelung beschränkt das Zustimmungserfordernis , obwohl es vorwiegend in diesem Fall praktische Relevanz haben wird, nicht auf den 13 So auch StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2007, NVwZ-RR 2008, 4 (5); Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 44 Rn. 84. 14 Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2012, Rn. 119. 15 Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), PUAG, 2011, § 3 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 045/14 Seite 6 Fall einer durch eine qualifizierte Minderheit beantragte Pflichtenquête.16 Die Einflussmöglichkeiten hinsichtlich einer späteren Änderung des Untersuchungsgegenstandes hängen also maßgeblich davon ab, wer den Einsetzungsantrag gestellt hat: Handelt es sich um einen von allen Mitgliedern des Bundestages gemeinsam eingebrachten Antrag, kann der Untersuchungsgegenstand später nicht durch Mehrheitsbeschluss gegen die Stimmen der Minderheit geändert werden. 16 Vgl. Glauben, in: Glauben/Brocker (Hrsg.), PUAG, 2011, § 3 Rn. 9.