Deutscher Bundestag Der Schutz von Ehe und Familie unter dem Grundgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 045/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 2 Der Schutz von Ehe und Familie unter dem Grundgesetz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 045/13 Abschluss der Arbeit: 20. März 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 3 1. Hintergründe des besonderen Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG 1.1. Der besondere Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 GG die Ehe unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form menschlichen Zusammenlebens voraus. Das Grundgesetz gewährleistet das Institut der Ehe nicht abstrakt, sondern in der Ausgestaltung, wie sie den jeweils herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht.1 Die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzes bedarf insoweit einer rechtlichen Regelung, die ausgestaltet und abgrenzt, welche Lebensgemeinschaft als Ehe den Schutz der Verfassung genießt. Der Gesetzgeber hat dabei einen erheblichen Gestaltungsspielraum, Form und Inhalt der Ehe zu bestimmen.2 Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Ausformung der Ehe die wesentlichen Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an die vorgefundene Lebensform in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben.3 In der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) enthält Art. 6 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates, eine Institutsgarantie sowie eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte Ehe- und Familienrecht.4 Dem Verfassungsbegriff der Ehe, den er ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen in seiner rechtlichen Gestaltung bewahrt und der durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, liegt das Verständnis einer rechtlich geordneten Form einer auf Dauer angelegten, umfassenden und grundsätzlich unauflösbaren Verbindung von Mann und Frau zu einer Lebensgemeinschaft zugrunde, deren Eingehung auf der Willensübereinstimmung der Ehegatten beruht und des Ordnungselements der staatlichen Mitwirkung durch den Standesbeamten bedarf.5 Zu den das Rechtsinstitut der Ehe prägenden Strukturprinzipien, die sowohl an der außerrechtlichen Lebensordnung als auch am bürgerlichen Recht ablesbar sind und die sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels ihre rechtliche Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz ihre Prägung bekommen haben, gehört im Kern die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer rechtlich verfestigten, auf Gegenseitigkeit gründenden und auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft. Dabei ist nach Ansicht des BVerfG das Verständnis von Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau unabhängig davon, welche sonstigen Wirkungen man der Ehe beimisst und wie diese Lebensgemeinschaft im Einzelnen gesetzlich ausgestaltet wird.6 In normgenetischer Betrachtung des Verfassungsbegriffs der Ehe hat der Verfassunggeber den Schutz der Ehe deswegen auf die „Lebensgemeinschaft von Mann und Frau” beschränkt, weil sie „die 1 BVerfGE 31, 58 (82 f.); 105, 313 (345). 2 BVerfGE 31, 58 (70); 36, 146 (162); 81, 1 (6 f.); 105, 313 (345). 3 BVerfGE 31, 58 (69); 105, 313 (345). 4 BVerfGE 6, 55 (71 ff.); 24, 119 (135). 5 St. Rspr., vgl. BVerfGE 10, 59 (66); 29, 166 (176); 37, 217 (249 ff.); 39, 169 (183); 48, 327 (338); 49, 286 (300); 53, 224 (245); 62, 323 (330 f.); 66, 84 (94); 87, 234 (264). 103, 89 (101); 105, 313 (345). 6 Vgl. BVerfGE 10, 59 (66); 49, 286 (300); 53, 224 (245); 62, 323 (330); 87, 234 (264). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 4 Grundlage der Familie“ bildet.7 Dementsprechend soll die Ehe gerade deshalb verfassungsrechtlich geschützt sein, „weil sie eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll“8. 1.2. Der besondere Schutz der Familie nach Art. 6 GG Der besondere Schutz der Familie nach Art. 6 GG resultierte entsprechend der älteren Rechtsprechung des BVerfG ursprünglich aus der durch elterliche Pflichten zur Erziehungsgemeinschaft erweiterte Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Ehe.9 Die durch Art. 6 GG anerkannte besondere Schutzbedürftigkeit der Familie beruhe insbesondere auf der durch Abstammung beruhenden Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern, wobei die Familie als verantwortliche Elternschaft von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt wird.10 Die Ehe sei als die rechtliche Form umfassender Bindung zwischen Mann und Frau die alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft und als solche Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern.11 Die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleiste am ehesten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft heranwachse, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspreche.12 Das Grundgesetz hat jedoch gegenüber Art. 119 Abs. 1 WRV13 seine Garantie jedoch auf Ehe und Familie erstreckt und nicht die Ehe „als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation“ unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt.14 Damit wird der soziale Grundtatbestand nicht obsolet, dass die Familie dem Prinzip nach in der Ehe ihre rechtliche Grundlage hat. Ausweislich der neueren Rechtsprechung des BVerfG erhebt Art. 6 GG neben der Ehe und der in der Ehe gegründeten Familie auch die familiäre Lebensgemeinschaft ohne Rücksicht darauf, ob sie auf einer Ehe basiert, zum selbständigen Schutzgut: „Der Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht auf zumindest prinzipiell ehefähige Partnerschaften ausgerichtet, was die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mangels Ehefähigkeit ausschließen würde“15. Das Schutzgebot für die Familie ist nicht reduziert auf eine Funktionsabhängigkeit von der den Eltern obliegenden Pflege und Erziehung der Kinder. 7 Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. 1 (1951), 95. 8 BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058. 9 BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058. 10 BVerfGE 10, 59 (66); 31, 58 (82). 11 BVerfGE 76, 1 (71); vgl. Robbers, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 6. Aufl., Bd. 1, 2010, Art. 6, Rn. 17. 12 BVerfGE 56, 363 (384). 13 Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfassung) vom 11. August 1919. 14 Vgl. Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 66. Ergänzungslieferung 2012, Art. 6, Rn. 61. 15 BVerfG, Urteil v. 19. Februar 2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, Rn. 67. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 5 Dementsprechend ist der Schutz der Familie allgemein bezogen auf die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.16 Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm schützt die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern als „Lebens- und Erziehungsgemeinschaft“17. Dabei ist nicht maßgeblich, ob die Kinder von den Eltern abstammen und ob sie ehelich oder nichtehelich geboren sind. Familie ist die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese die Verantwortung tragen. Der intendierte Schutz der familiären Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft umfasst auch die besondere Fürsorge- und Verantwortungsbeziehung zu Adoptiv-, Stief- und Pflegekindern . Entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im sozial-familiären Sinn, die der Staat sowohl im immateriell-persönlichen wie auch im materiellpersönlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren hat.18 2. Der besondere Schutz der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG bei einer Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften 2.1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer weitgehenden Gleichstellung Der Schutz und die Institutsgarantie der Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG steht gesetzlichen Regelungen zum Schutz eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften nicht schlechthin entgegen.19 Der Gesetzgeber kann im Rahmen des gesetzlichen „Ausgestaltungsvorbehalts “ der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften Rechte und Pflichten vorzusehen , die denen der Ehe gleich- oder nahe kommen.20 Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können. Eine weitgehende Gleichstellung hetero- und homosexueller Lebensgemeinschaften hat für sich genommen keine Auswirkungen auf das verfassungsrechtliche Institut der Ehe. Die weitgehende Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften beruht nicht auf einer Änderung der Gewährleistungen des Art. 6 GG. Vielmehr trägt der Gesetzgeber bei der Verrechtlichung verschiedener Formen des Zusammenlebens den Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 und 3 GG Rechnung , indem er diesen Personen zu einer besseren Entfaltung ihrer Persönlichkeit verhilft und Diskriminierungen abbaut.21 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Rechtsordnung hält mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft neben der Ehe ein weiteres Institut zur Absicherung einer rechtlich verbindlichen Partnerschaft bereit und grenzt die beiden Institute allein nach dem Geschlechterver- 16 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009, 1 BvR 1164/07, Rn. 103, DVBl 2009, 1510 f. 17 BVerfGE 108, 82 (112). 18 BVerfGE 10, 59 (66); 18, 97 (106 f.); 51, 386 (398); 53, 257 (296 f.); 79, 256 (267); 108, 82/112; BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, Rn. 63. 19 BVerfGE 82, 6 (15); BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058. 20 BVerfGE 105, 313 (342 ff.). 21 BVerfGE 105, 313 (346). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 6 hältnis der Partner voneinander ab.22 Jenseits des Merkmals der sexuellen Orientierung bestehen zwischen beiden Instituten insbesondere hinsichtlich des Wesens der Partnerschaft als einer dauerhaften, rechtlich verfestigten und auf Gegenseitigkeit gründenden keine wesentlichen Unterschiede .23 Dementsprechend hat das BVerfG wiederholt festgestellt, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft aufgrund des Gleichheitsgebots in Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich genauso wie die Ehe zu behandeln ist. Es sei mit Blick auf das Gleichheitsgebot verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen seien.24 Zwar rechtfertige der besondere Schutz der Ehe ihre Begünstigung gegenüber anderen Lebensformen.25 Jedoch folgt aus der Befugnis, in Erfüllung und Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Förderauftrags die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, kein Gebot, andere Lebensformen gegenüber der Ehe zu benachteiligen. Es bedürfe vielmehr jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel die Benachteiligung anderer Lebensformen rechtfertigt.26 2.2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer völligen Gleichstellung Eine völlige Gleichstellung hetero- und homosexueller Lebensgemeinschaften hinsichtlich ihrer Ehefähigkeit geht indes über das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG hinaus. Zwar kann der Institutsgarantie, gerade weil sie sich nur auf die Ehe bezieht, kein Verbot entnommen werden, gleichgeschlechtlichen Partnern die Möglichkeit einer rechtlich ähnlich ausgestalteten Partnerschaft zu eröffnen.27 Auch würde das Institut der Ehe für sich genommen durch eine völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften weder schlechter gestellt, noch würden ihm Förderungen entzogen, die es bisher erfahren hat.28 Jedoch würde das rechtliche Fundament der Ehe eine Änderung erfahren, indem der Kreis der Normadressaten des Eherechts auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erweitert würde. Damit würden nicht lediglich die Ehe und andere Formen des Zusammenlebens einander in einem Maße angenähert, dass die Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau nur mehr dem Namen nach einen besonderen Schutz erfährt.29 Besteht der tradierte Kerngehalt des Instituts der Ehe aus einer Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, so bedeutete eine Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften durch die Aufgabe des prägenden Merkmals der Geschlechterverschiedenheit eine wesentliche Strukturänderung des Normgehalts von Art. 6 Abs. 1 GG. 22 BVerfGE 128, 109 (127). 23 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009, 1 BvR 1164/07, Rn. 102, DVBl 2009, 1510 f. 24 BVerfGE 105, 313 (348); 124, 199 (226). 25 BVerfGE 6, 55 (76 f.); 17, 316 (328 f.); 105, 313 (348). 26 BVerfGE 112, 50 (67); 124, 199 (219 ff.); 126, 400 (416 ff., 419). 27 BVerfGE 105, 313 (346). 28 Vgl. BVerfGE 76, 1 (41); 80, 81 (92 f.); 99, 216 (231 f.); 105, 313 (346 f.). 29 Vgl. BVerfG 105, 313 (351, 358). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 7 Eine solche völlige Gleichstellung wirft die Frage auf, ob sie durch den einfachen Gesetzgeber erfolgen könnte oder ob hierfür mit Blick auf die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG eine Verfassungsänderung notwendig wäre. 2.2.1. Keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Gleichstellung Grundsätzlich obliegt es dem Gesetzgeber, das Rechtsinstitut der Ehe in einer seiner Natur und Funktion entsprechenden Weise auszugestalten. Wie der Gesetzgeber die Ausgestaltung vornimmt , ist Sache seiner politischen Entscheidung, solange er den ihm in Art. 6 Abs. 1 GG aufgetragenen Schutz nicht außer Acht lässt.30 Einfachgesetzliche Regelungen der Ausgestaltung der Ehe sind an Art. 6 Abs. 1 GG als vorrangiger, selbst die Grundprinzipien enthaltender Leitnorm zu messen.31 Die Institutsgarantie und das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG stehen gesetzliche Rechtsvorschriften und eine Rechtspraxis entgegen, die den Unterschied nichtehelicher oder eheähnlicher Lebensgemeinschaften zur Ehe ignorieren oder aufheben.32 Auch vor dem Hintergrund des Verbots der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Lebensgemeinschaften folgt aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs.1 GG nicht die Pflicht für den Gesetzgeber, das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erweitern, die ebenso wie Ehen eine „soziale Funktion“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG erfüllen und auf sie das Recht auf Eingehung einer Ehe zu erstrecken. Der dem Verfassungsbegriff der Ehe – die Geschlechtsverschiedenheit als das prägende Merkmale der Ehe33 – immanente Konflikt mit dem absoluten Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG ist aus Sicht des BVerfG dadurch gerechtfertigt, dass der institutionelle Gehalt des Art. 6 Abs. 1 GG gemäß den „besonderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes“ auszuformen und damit auch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG heranzuziehen ist. Ungleichbehandlungen seien dadurch gerechtfertigt, dass der „Grundgesetzgeber […] von der Vereinbarkeit des Art. 6 mit Art. 3 Abs. 2 GG ausgegangen“ sei und lediglich die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe angestrebt habe.34 Das Institut der Ehe in seiner tradierten Ausprägung steht unabhängig von den Rechtsfolgen, die aus einem Zusammenleben resultieren und die allein gleichheitskonform auszugestalten sind. Dementsprechend begründet der Verfassungsbegriff der Ehe auch nicht aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten das Recht auf Eingehung einer Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner. 2.2.2. Sperrwirkung der Institutsgarantie der Ehe Eine einfachgesetzliche absolute Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Lebensgemeinschaften bezüglich des Rechts der Eheschließung würde auf die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG einwirken, ohne sie in ihrem Normgehalt zu ändern. Zwar löste die Gleichstellung den Konflikt zwischen dem tradierten Verfassungsbegriff der Ehe und dem absoluten Differenzierungs- 30 BVerfGE 31, 58 (69 f.); 62, 323 (330). 31 BVerfGE 10, 59 (66); 24, 104 (109); 31, 58 (69 f). 32 Vgl. BVerfGE 31, 58 (69). 33 BVerfGE 62, 323 (330); 105, 313 (351). 34 Vgl. BVerfGE 49, 286 (300); 105, 313 (352). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 8 verbot des Art. 3 Abs. 3 GG auf. Aus den bisherigen Urteilen des BVerfG zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften lässt sich schließen, dass eine einfachgesetzliche Gleichstellung eine vorherige Verfassungsänderung oder einen Wandel des tradierten Verfassungsbegriffs der Ehe erfordert.35 Einer völligen Gleichstellung hetero- und homosexueller Lebensgemeinschaften hinsichtlich ihrer Ehefähigkeit steht nach derzeit wohl (noch) gefestigter Rechtsauffassung der tradierte Ehebegriff entgegen. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG lässt darauf schließen, dass die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG dem einfachen Gesetzgeber die Öffnung der von ihm auszugestaltenden Rechtsform „Ehe“ für gleichgeschlechtliche Paare versperrt.36 Ausgehend von dem tradierten Verfassungsbegriff der Ehe ist die Geschlechtsverschiedenheit ein prägendes Merkmal der Ehe und diesbezüglich sichert Art. 6 Abs. 1 GG die Exklusivität der Ehe und des Rechts auf Eheschließung auch gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.37 Damit gehört zu den vom Gesetzgeber zu wahrenden Strukturprinzipien, dass die Ehe als „Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer umfassenden, grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft“38 geschlossen wird. Insofern hat das BVerfG festgestellt, dass die Besonderheit des besonderen Schutzes der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG darin liege, dass allein die Ehe in ihrer tradierten Gestalt als Institut neben der Familie diesen verfassungsrechtlichen Schutz erfährt, nicht dagegen eine andere Lebensform. Nur für sie bestehe ein verfassungsrechtlicher Auftrag zur Förderung. Daher könne die Ehe nicht ohne Verfassungsänderung abgeschafft oder in ihren wesentlichen Strukturprinzipien verändert werden.39 Eine andere Bewertung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer eherechtlichen Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Lebensgemeinschaften durch Gesetz40 auch mit Auswirkung auf das Institut der Ehe könnte sich ohne Verfassungsänderung nur bei einem grundlegenden Wandel41 des Eheverständnisses in dem Sinne ergeben, dass der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme. Der Ordnungskern des Instituts der Ehe ist insoweit nicht per se verfassungsfest.42 Aus der einfachrechtlich nur schrittweise verwirklichten Gleichberechti- 35 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058. 36 Vgl. BVerfGE 6, 55 (76); 31, 58 (69 f.); 55, 114 (126 f.); 62, 323 (330). 37 Vgl. BVerfG 10, 59, (66); 105, 313 (328 f., 351). 38 BVerfGE 62, 323 (330); 105, 313 (345). 39 BVerfGE 105, 313 (348) mit Verweis auf von Mangoldt im Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Band 5/II, 1993, bearbeitet von Pikart/Werner, S. 826. 40 Vgl. BT-Drs. 12/7885 (15. Juni 1994); BT-Drs. 13/2728 (24. Oktober 1995); Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/10 795. 41 Zum Begriff des Verfassungswandels vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1953 - 1 BvL 23/51, NJW 1953, 1137 (1138): „Allerdings kann eine Verfassungsbestimmung einen Bedeutungswandel erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen […].“; vgl. auch BVerfG 105, 313 (350). 42 Vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 u.a., NJW 1959, 1483: „Dieser Ordnungskern der Institute ist für das allgemeine Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein unantastbar.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 045/13 Seite 9 gung können Folgerungen für einen Wandel des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses nicht gezogen werden.43 Aus Umstand, dass die Ehe nicht mit einer „potentiellen Familie“ gleichzusetzen ist, folgt zwar das vom BVerfG wiederholt bekräftigte und aus Art. 3 GG resultierende Diskriminierungsverbot von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, nicht aber zwingend zugleich ein Wandel des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses. Gegen das Vorliegen der notwendigen Anhaltspunkte für einen solchen Verfassungswandel in dem Sinne, dass der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme, spricht zudem die uneinheitliche Rechtsprechung des BVerfG bezüglich der Privilegierung von kinderlosen Ehen gegenüber kinderlosen Lebenspartnern. Beispielsweise hat das BVerfG einerseits festgestellt: „Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kann nicht […] darin gesehen werden, dass typischerweise bei Eheleuten […] aufgrund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbedarf bestünde als bei Lebenspartnern […]. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet.“44 Andererseits gelangte das BVerfG zu dem Ergebnis , es gebe „den in der Lebenswirklichkeit anzutreffenden typischen Befund, dass in der Ehe ein Ehegatte namentlich wegen der Aufgabe der Kindererziehung und hierdurch bedingter Einschränkungen bei der eigenen Erwerbstätigkeit tatsächlich Unterhalt vom Ehegatten erhält und so ein erweiterter Alimentationsbedarf entsteht.“45 Auch ein Familienbegriff, der unterschiedslos die Elternschaft von Eheleuten wie von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern erfasst, ändert angesichts des differierenden Normgehalts der Verfassungsbegriffe „Ehe“ und „Familie“ nicht den Normgehalt des Verfassungsbegriffs der Ehe.46 43 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 1 BvR 640/93, NJW 1993, 3058. 44 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Juli 2009, 1 BvR 1164/07, Rn. 112. 45 BVerfG 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 6. Mai 2008, 2 BvR 1830/06, NJW 2008, 2325, Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Februar 2007, IV ZR 267/04, NJW-RR 2007, 1441; BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007, 6 C 27/06, NJW 2008, 246. 46 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009, 1 BvR 1164/07, Rn. 113.