Wahlrechtsänderungen - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 045/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Wahlrechtsänderungen Sachstand WD 3 - 3000 - 045/09 Abschluss der Arbeit: 4. Februar 2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung – Seit der Bundestagswahl 2005 ist das Bundeswahlgesetz in mehreren Punkten geändert worden. Dazu zählt auch die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien gemäß den für die Listen abgegebenen gültigen Zweitstimmen. Die Verteilung wird künftig nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung Sainte-Laguë/Schepers berechnet. Das Divisorverfahren begünstigt die kleinen Parteien, kann aber den sogenannten Effekt des negativen Stimmgewichts nicht vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, aus denen sich der Effekt des negativen Stimmgewichts ergibt, für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht sieht in diesem Effekt eine Verletzung der Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl. Der Wähler kann nicht erkennen, ob sich seine Stimme stets für die zu wählende Partei und deren Wahlbewerber positiv auswirkt , oder ob er durch seine Stimme den Misserfolg eines Kandidaten seiner eigenen Partei verursacht. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht die vergangene Bundestagswahl nicht für ungültig erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aber aufgegeben, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. Einzelne in der Diskussion befindliche Modelle werden in dieser Ausarbeitung vorgestellt. - 3 - 1. Einleitung Seit der Bundestagswahl 2005 ist das Bundeswahlgesetz (BWG) durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 20081 in mehreren Punkten geändert worden. Dazu zählt auch die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien gemäß den für die Listen abgegebenen gültigen Zweitstimmen. Die Verteilung gemäß § 6 Abs. 2 BWG wird künftig nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung Sainte-Laguë/Schepers berechnet. Vorher wurde die Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten Hare/Niemeyer angewandt. Die Sätze 2 bis 5 in § 6 Abs. 2 BWG wurden wie folgt neu gefasst: „Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer im Wahlgebiet erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor ergeben. Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Sitzzuteilungen , so entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los. Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt so viele Sitze auf die Landeslisten entfallen, wie Sitze zu vergeben sind. Dazu wird zunächst die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller zu berücksichtigenden Landeslisten durch die Gesamtzahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze geteilt. Entfallen danach mehr Sitze auf die Landeslisten als Sitze zu vergeben sind, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, dass sich bei der Berechnung die zu vergebende Sitzzahl ergibt; entfallen zu wenig Sitze auf die Landeslisten, ist der Zuteilungsdivisor entsprechend herunterzusetzen.“ Das Divisorverfahren begünstigt die kleinen Parteien, kann aber den sogenannten Effekt des negativen Stimmgewichts nicht vermeiden. Hierunter versteht man eine (vom Bundesverfassungsgericht so genannte) Paradoxie im Verfahren der Mandatszuteilung, die darin besteht, dass ein Zugewinn von Zweitstimmen einer Partei zu einem Mandatsverlust bei genau dieser Partei und umgekehrt die Verringerung der Anzahl der Zweitstimmen zu einem Mandatsgewinn führen kann. Der Effekt des negativen Stimmgewichts entsteht im Zusammenhang mit Überhangmandaten bei der Verteilung von Mandaten auf verschiedene verbundene Landeslisten. 1 BGBl. I Seite 394. - 4 - Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 20082 die Regelungen des Bundeswahlgesetzes, aus denen sich der Effekt des negativen Stimmgewichts ergibt , für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht sieht in diesem Effekt eine Verletzung der Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl. Der Wähler kann nicht erkennen, ob sich seine Stimme stets für die zu wählende Partei und deren Wahlbewerber positiv auswirkt, oder ob er durch seine Stimme den Misserfolg eines Kandidaten seiner eigenen Partei verursacht. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht die vergangene Bundestagswahl nicht für ungültig erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aber aufgegeben, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. Einzelne in der Diskussion befindliche Modelle werden im Folgenden vorgestellt. Nicht behandelt werden mögliche Radikallösungen, wie zum Beispiel die Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts. 2. Augsburger Zuteilungsverfahren Die „schonendste Korrektur“ am bestehenden Wahlsystem zur Vermeidung des negativen Stimmgewichts3 nimmt die „direktmandatsbedingte Divisormethode mit Standardrundung “ (Augsburger Zuteilungsverfahren) vor, die der Augsburger Mathematiker Pukelsheim auf der Grundlage von § 6 Abs. 2 BWG entwickelt hat. Die Mandatszuteilung vollzieht sich danach in mehreren Schritten. Zunächst werden die in den Wahlkreisen errungenen Mandate ermittelt. Sodann wird die jeder Landesliste zustehende Abgeordnetenzahl berechnet. Schließlich werden für die endgültige Mandatsverteilung die in den Wahlkreisen errungenen Mandate auf die für jede Landesliste ermittelte Abgeordnetenzahl angerechnet. In jedem der 299 Wahlkreise wird ein Abgeordneter nach den Grundsätzen der relativen Mehrheitswahl gewählt (§ 5 Satz 1 und 2 BWG). Das Direktmandat (Erststimme ) verbleibt dem gewählten Bewerber und damit der Partei, auf deren Liste er kandidiert hat, auf jeden Fall (§ 6 Abs. 5 Satz 1 BWG), also auch dann, wenn die Zahl der von einer Partei in einem Land errungenen Direktmandate die Zahl der ihr nach dem Anteil der Wählerzweitstimmen zustehenden Sitze übersteigt. 2 BVerfG, 2 BvC 1/07. 3 Diese Bewertung hat Prof. Dr. Pukelsheim in einem Telefonat mit dem Verfasser am 17.07.2008 vorgenommen. - 5 - § 6 und § 7 BWG schließen an die Personenwahl in den Wahlkreisen ein System des verhältnismäßigen Ausgleichs an, das sicherstellen soll, dass die Zusammensetzung des Bundestags sich im Wesentlichen nach dem Verhältnis der für die (nach § 6 Abs. 6 BWG zu berücksichtigenden) Parteien abgegebenen Stimmen (Zweitstimmen) bemisst. In einem ersten Schritt wird berechnet, wie viele Sitze jeder Landesliste einer Partei nach der Zahl der von ihr errungenen Zweitstimmen zustehen (§ 6 Abs. 1 bis 3 und § 6 Abs. 6, § 7 Abs. 3 Satz 1 BWG). Anschließend wird die Sitzverteilung unter Berücksichtigung des Erststimmenergebnisses errechnet (§ 6 Abs. 4 und 5, § 7 Abs. 3 Satz 2 BWG). § 6 Abs. 2 BWG zielt darauf ab, die Sitze im Bundestag entsprechend den Zweitstimmen zu verteilen. Die Zahl der einer jeden Partei zufallenden Sitze sollte sich zur Gesamtzahl der Sitze des Bundestags so verhalten wie die Zahl der für diese Partei abgegebenen gültigen Zweitstimmen zur Gesamtzahl aller gültigen Zweitstimmen. Nach § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 BWG wird die Zahl der Sitze, die den einzelnen Parteien zuzuteilen sind, nach dem Divisorverfahren gemäß Sainte-Laguë/Schepers mit Hilfe eines Zuteilungsdivisors ermittelt. Dieser wird anhand der insgesamt zu berücksicht igenden Zweitstimmen und der zu vergebenden Sitze bestimmt. Zunächst wird die Zweitstimmenzahl durch die Sitzzahl geteilt und der resultierende Quotient dann so herauf- oder herabgesetzt, dass die Summe der damit für die einzelnen Landeslisten (oder die als Liste geltende Listenverbindung, § 7 Abs. 2 BWG) ermittelten und gerundeten Sitzzahlen mit der Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze übereinstimmt. Bei den ermittelten Sitzzahlen werden die Zahlenbruchteile unter 0,5 auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet . Zahlenbruchteile, die genau gleich 0,5 sind, werden standardmäßig so auf- oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird. Nimmt eine Partei nur mit einer Landesliste oder mit mehreren nicht verbundenen Landeslisten an der Bundestagswahl teil, bemisst sich das Zuteilungsverfahren alleine nach § 6 Abs. 2 BWG. Bisher hat sich noch keine bundesweit auftretende Partei mit nicht verbundenen Landeslisten an einer Bundestagswahl beteiligt. Das Risiko, ein Mandat zu verlieren, wäre ohne Verbindung der Landeslisten erhöht.4 Für Landeslisten derselben Partei, die kraft der Fiktion des § 7 Abs. 1 BWG als verbunden gelten, werden die Sitze in einem zweistufigen Verfahren ermittelt. Zunächst ist zu berechnen, wie viele Sitze auf die einzelnen Listenverbindungen und die nicht verbundenen Listen entfallen (sog. Oberverteilung). Jede Listenverbindung gilt nach § 7 Abs. 2 BWG als eine Liste. § 7 BWG schafft keine echte Bundesliste; lediglich für die 4 Vgl. Meyer, KritV 77 (1994), S. 312 (319 f.). - 6 - Berechnung der Mandatsverteilung auf der Stufe der Oberverteilung gelten die einze lnen Landeslisten als verbunden5 . In einem zweiten Schritt wird ermittelt, wie viele der von der Listenverbindung errungenen Sitze den einzelnen Landeslisten zuzuweisen sind (sog. Unterverteilung). Insoweit bestimmt § 7 Abs. 3 Satz 1 BWG, dass § 6 Abs. 2 BWG entsprechend gilt. Damit die verhältnismäßige Sitzzuteilung ungeachtet der vorgeschalteten Personenwahl in den Wahlkreisen verwirklicht wird, werden in einem zweiten Abschnitt der Sitzzuteilung die in den Wahlkreisen errungenen Mandate auf die einer jeden Partei zugefallenen Sitze angerechnet. Die Modalitäten dieser Verrechnung sind in den § 6 Abs. 4 und 5, § 7 Abs. 3 Satz 2 BWG geregelt. Grundsätzlich sind von der auf jede Landesliste entfallenden Abgeordnetenzahl die von jeder Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abzuziehen (§ 6 Abs. 4 Satz 1 BWG). Aus den Landeslisten werden nur diejenigen Sitze besetzt, die nach Abzug der in den Wahlkreisen errungenen Direktmandate verbleiben (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BWG); die direkt gewählten Bewerber bleiben gemäß § 6 Abs. 4 Satz 3 BWG unberücksichtigt . Dieses Anrechnungsverfahren bewirkt, dass grundsätzlich die Erststimme nur darüber entscheidet, welche Personen als Wahlkreisabgeordnete in den Bundestag einziehen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse aber - im Grundsatz - allein nach dem Zweitstimmenverhältnis richten. Zu Ausnahmen von diesem Grundsatz und damit zu einer möglichen Beeinflussung der Mehrheitsverhältnisse durch die Erststimme kommt es immer dann, wenn diese Verrechnung unterbleibt. Dies ist möglich, wenn mit der Erststimme ein Bewerber gewählt wird, der von keiner an der Wahl teilnehmenden Partei oder von einer Partei vorgeschlagen wurde, für die keine Landesliste zugelassen worden ist, wenn eine Partei ein oder zwei Direktmandate erringt und aufgrund ihres zu geringen Zweitstimmenanteils an der Sperrklausel des § 6 Abs. 6 BWG scheitert und wenn eine Partei in den Wahlkreisen eines Landes mehr Sitze erringt, als ihr nach dem Anteil der zu berücksichtigenden Zweitstimmen zustehen. Für den letzteren Fall bestimmt § 6 Abs. 5 BWG, dass die in den Wahlkreisen errungenen Mandate der Partei verbleiben und sich die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag um diese Überhangmandate erhöht 6. Für Listenverbindungen verweist § 7 Abs. 3 Satz 2 BWG auf das Verrechnungsverfahren nach § 6 Abs. 4 BWG und die Regelung der Überhangmandate nach § 6 Abs. 5 BWG. Bei der Wahl mit verbundenen Listen werden daher die Wahlkreismandate und die Listenmandate entsprechend § 6 Abs. 4 und 5 BWG verrechnet. Gemäß § 7 Abs. 3 5 Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 7. Aufl. 2002, § 7 Rn. 3. 6 Vgl. dazu BVerfGE 95, 335 ff. - 7 - Satz 2 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 4 BWG ist damit auch bei verbundenen Listen das in § 6 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BWG vorgeschriebene Anrechnungsverfahren durchzuführen . Mit der Verweisung auf § 6 Abs. 5 BWG sieht § 7 Abs. 3 Satz 2 BWG die entsprechende Anwendung der Regelung über das Bestehenbleiben von Überhangmandaten und über das Unterbleiben eines Ausgleichs auf verbundene Listen vor. Beim Augsburger Zuteilungsverfahren nach Pukelsheim würde § 6 Abs. 2 Satz 2 BWG wie folgt ergänzt (Ergänzung kursiv): „Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer im Wahlgebiet erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor und Rundung ergeben , mindestens aber die Zahl ihrer in den Wahlkreisen errungenen Sitze“.7 Demnach erhält die Landesliste einer Partei wie bisher ihre Direktmandate. Der Nachsatz macht die Direktmandatsgewinne zu einer Mindestbedingung, wie viele Sitze jede Landesliste bei der Oberverteilung zugeteilt bekommt. Die Mindestbedingung betrifft nicht den Quotienten aus Stimmen und Zuteilungsdivisor (der als gebrochene Zahl keine Sitzzahl darstellt), sondern den gerundeten Quotienten. Deshalb ist die Ergänzung „und Rundung “ vor der Mindestbedingung eingefügt. Überhangmandate können auf diese Weise nicht entstehen. Das Augsburger Zuteilungsverfahren führt unter anderem dazu, dass besonders erfolgreiche Landeslisten Sitze einbüßen. So hätte bei der Bundestagswahl 2005 die SPD in Nordrhein-Westfalen 52 statt 54 Plätze zu vergeben gehabt, die CDU 44 statt 46. Durch den Wegfall der Überhangmandate, die faktisch nur bei den großen Parteien auftreten, erhöht sich das relative Stimmgewicht der kleinen Parteien. 3. Grabensystem Durch Art. 38 Abs. 3 GG („Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz“) ist der Gesetzgeber aufgerufen, ein Stück materiellen Verfassungsrechts auszufüllen. 8 Wie das Bundesverfassungsgericht erläutert9, darf der Gesetzgeber in Ausführung dieses Regelungsauftrages das Verfahren der Wahl zum Deutschen Bundestag als Mehrheitswahl oder als Verhältniswahl gestalten. Er darf auch beide Wahlsysteme miteinander verbinden, etwa indem er eine Wahl des Deutschen Bundestages hälftig nach dem Mehrheits- und hälftig nach dem Verhältniswahlprinzip zulässt (Grabensystem), wenn dabei die Gleichheit der Wahl im jeweiligen Teilwahlsystem gewahrt wird, die Systeme sachgerecht zu- 7 Pukelsheim, Bundeswahlgesetz – Nächste Etappe, DVBl. 2008, 889 (894). 8 BVerfGE 1, 208 (246); 3, 19 (24); 95, 335 (349). 9 BVerfG, 2 BvC 1/07 vom 3. Juli 2008, Absatz- Nr. 95. - 8 - sammenwirken und Unmittelbarkeit und Freiheit der Wahl nicht gefährdet werden. Bei der hälftigen Wahl nach Mehrheits- und Verhältniswahlprinzip nach dem Grabensystem findet keine Verrechnung statt. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat somit das Grabensystem ins Gespräch gebracht. Wenn der Bundestag nach dem Grabensystem gewählt würde, träte zwar der Effekt des negativen Stimmgewichts nicht auf. Doch würden Parteien, die nach den Erfahrungen vergangener Wahlen keine oder fast keine Chance auf ein Direktmandat haben, wie etwa FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, praktisch auf die Hälfte ihrer Sitze schrumpfen. 4. Einführung von Ausgleichsmandaten Ausgleichsmandate stellen trotz Überhangmandaten den Proporz wieder her, indem sie die Sitzzahl der anderen Parteien entsprechend erhöhen. Davon könnten eigentlich alle Parteien profitieren. Aber alle Ausgleichsmodelle, selbst das Modell des vollständigen Ausgleichs, könnten nach telefonischer Auskunft des Bundeswahlleiters den Effekt des negativen Stimmgewichts nicht ausschließen. Bei der Realisierung des vollständigen Ausgleichs wäre es im 16. Deutschen Bundestag zu einer nicht unerheblichen Erhöhung der Zahl an Parlamentssitzen gekommen. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments wäre angesichts der schieren Größe erheblich gefährdet. Im Übrigen würden die zusätzlichen Mandate das Verhältnis von Wahlkreis- und Listenabgeordneten im Parlament zu Lasten der Wahlkreisabgeordneten verändern, was den kleinen Parteien zugute käme. 5. Verzicht auf Listenverbindungen nach § 7 BWG Bei einem Verzicht auf Listenverbindungen nach § 7 BWG blieben den (großen) Parteien ihre Überhangmandate erhalten. Die Unterteilung in Landeslisten würde gefestigt. Gleichzeitig würde der Verzicht aber dazu führen, dass Parteien, die in mehreren Ländern antreten, die in den Ländern anfallenden Reststimmen nicht nutzen könnten. Getrennte Landeslisten kämen den großen Parteien zugute, denn sie könnten wie bisher ihre Direktmandate behalten. Aber auch bei getrennten Landeslisten wären „nach wie vor negative Stimmeffekte möglich“. 10 10 Pukelsheim im Spiegel – Artikel „Mathematik der Macht“ vom 7. Juli 2008. - 9 - 6. Einführung einer Bundesliste Direktmandate würden auf Bundesebene von den Gesamtsitzen abgezogen, wodurch von vornherein kein Überhang entstehen könnte. Dies geschähe auf einer einzigen großen Bundesliste. Es gäbe gar keine Landeslisten mehr. Kleinere Parteien mit traditionell eher schwachen Landesverbänden dürften mit einer Bundesliste wenige Probleme haben, große Parteien mit starken Landesverbänden, wie CDU und SPD aber sehr wohl, da die Besetzung der Landesliste einen nicht unerheblichen parteiinternen Machtfaktor darstellt. Für die Unionsparteien würde eine Bundesliste bedeuten, dass die CSU keine eigene Liste mehr aufstellen könnte.