© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 044/16 Zuständigkeitsfragen zur Altersbestimmung bei minderjährigen Ausländern und zum Eintritt der Volljährigkeit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 2 Zuständigkeitsfragen zur Altersbestimmung bei minderjährigen Ausländern und zum Eintritt der Volljährigkeit Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 044/16 Abschluss der Arbeit: 17.02.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 3 1. Einleitung Die Altersbestimmung von Ausländern, die sich selbst als minderjährig bezeichnen, kann in verschiedenen behördlichen Verfahren relevant werden. Von besonderer Bedeutung sind die Altersfeststellungen bei den sog. unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umF), da ihre weitere Behandlung speziellen Regelungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts sowie des Kinderund Jugendhilferechts unterworfen ist. Vor diesem Hintergrund werden Fragen zur ärztlichen Altersbestimmung sowie zum Eintritt der Volljährigkeit gestellt. Konkret soll geklärt werden, welche Behörde für die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren zuständig ist. Dabei soll auch die Zuständigkeit für die Wahl der konkreten Untersuchungsmethode(n) erörtert werden. Ferner geht es um das maßgebliche Recht für den Eintritt der Volljährigkeit in den genannten behördlichen Verfahren und um die dabei ggf. bestehenden Zuständigkeiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder der Jugendämter. 2. Altersbestimmung von Ausländern 2.1. Zuständigkeitsvielfalt und Verwaltungspraxis Die Altersbestimmung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen fällt nicht in eine zentrale behördliche Zuständigkeit. Vielmehr besteht eine Zuständigkeitsvielfalt, je nach dem, in welchem Verfahren und in welcher konkreten Situation die Altersbestimmung erforderlich ist. Auf die Altersbestimmung kommt es in asylrechtlichen Verfahren u.a. an, soweit es um die Einschätzung der Handlungsfähigkeit nach § 12 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG), um die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren nach der sog. Dublin-III-Verordnung (Art. 8 Verordnung [EU] Nr. 604/2013) sowie um weitere Garantien des Minderjährigenschutzes geht.1 Dem BAMF obliegt die Altersbestimmung aufgrund seiner allgemeinen Zuständigkeit zur Sachverhaltsermittlung, § 24 Abs. 1 S. 1 AsylG. In anderen asylrechtlich relevanten Situationen, z.B. bei einem Aufgreifen eines Ausländers durch die Grenzbehörde nach § 18 Abs. 1 AsylG oder bei einer Befassung der Ausländerbehörde oder einer Polizei eines Landes mit Asylgesuchen nach § 19 AsylG können die genannten Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mit der Ermittlung des Alters befasst sein. Relevant ist die Altersbestimmung darüber hinaus bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), und zwar u.a. zur Feststellung der Handlungsfähigkeit nach § 80 Abs. 1 AufenthG, zur Beachtung des Minderjährigenschutzes bei der Abschiebung gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG und beim Vollzug der Abschiebungshaft nach § 62a Abs. 3 AufenthG. Den jeweils nach § 71 AufenthG zuständigen Behörden, insbesondere den nach § 71 Abs. 1 AufenthG zuständigen Ausländerbehörden obliegt bei der Anwendung der altersrelevanten Normen die Einschätzung des Alters. Die in den asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren vorgenommenen Altersbestimmungen stellen keine gesonderten rechtsmittelfähigen Verwaltungsakte dar.2 Vielmehr müssen die Rechtsmittel 1 Vgl. dazu u.a. Art. 6 Verordnung [EU] Nr. 604/2013 sowie die aus der EU-Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) und der EU-Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) folgenden Garantien für Minderjährige. 2 Siehe Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht (2. Aufl., 2016), Rn. 18 zu § 12 AsylG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 4 gegen die behördlichen Entscheidungen, die aufgrund einer bestimmten Alterseinschätzung ergehen, eingelegt werden. Ferner entfaltet die Altersbestimmung einer Behörde keine Bindungswirkung für andere Behörden. Angesichts der Zuständigkeitsvielfalt und der fehlenden Bindungswirkung von behördlichen Altersbestimmungen kann es in einem konkreten Fall zu mehrfachen und unterschiedlichen Altersbestimmungen kommen.3 In den Bundesländern haben sich jedoch bestimmte, allerdings nicht einheitliche Verfahrensweisen herausgebildet, wonach vielfach die Altersbestimmungen der Jugendämter von den anderen Behörden der Länder zugrunde gelegt werden.4 Die Jugendämter nehmen Altersbestimmungen im Rahmen der (vorläufigen) Inobhutnahme von minderjährigen Ausländern vor. Mit dem am 01.11.2015 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher5 wurde die Vorschrift des § 42f in das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) aufgenommen, die den Jugendämtern die behördliche Altersbestimmung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme ausdrücklich zuweist und im Einzelnen regelt. Eine Bindungswirkung für andere Behörden soll aber auch diese Altersbestimmung nicht entfalten.6 Das BAMF nimmt in der Regel keine eigenständigen Altersbestimmungen vor, sondern legt die Altersbestimmungen anderer Behörden zugrunde.7 Auch die Bundespolizei greift ggf. auf die Altersbestimmung des Jugendamtes zurück.8 2.2. Veranlassung ärztlicher Untersuchungen In bestimmten Fällen können die zuständigen Behörden auch ärztliche Untersuchungen zur Altersbestimmung veranlassen. Entsprechende Rechtsgrundlagen zu den o.g. behördlichen Verfahren finden sich in § 49 Abs. 3 und 6 AufenthG sowie in § 42f Abs. 2 SGB VIII. Die Vorschrift des § 49 Abs. 3 AufenthG sieht vor, dass bei Zweifeln über das Lebensalter „die zur Feststellung des Lebensalters (…) erforderlichen Maßnahmen zu treffen sind, wenn 1. dem Ausländer die Einreise erlaubt, ein Aufenthaltstitel erteilt oder die Abschiebung ausgesetzt werden soll oder 2. es zur Durchführung anderer Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist“. 3 Vgl. dazu die von der Bundesregierung in BT-Drs. 18/5564, 74 f. angegebenen Fälle u.a. in Bremen und im Saarland. 4 Vgl. dazu die Ausführungen der Bundesregierung in BT-Drs. 18/5564, 73 ff. 5 BGBl. I 2015, 1802. 6 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/6392, 20. 7 So die Auskunft der Bundesregierung in BT-Drs. 18/5564, 72 f. 8 Zur Verfahrensweise der Bundespolizei nach Auskunft der Bundesregierung vgl. BT-Drs. 17/7433, 3 und BT-Drs. 18/5564, 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 5 Maßnahmen in diesem Sinne sind nach § 49 Abs. 6 S. 1 AufenthG u.a. „(…) Messungen und ähnliche Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters vorgenommen werden, wenn kein Nachteil für die Gesundheit des Ausländers zu befürchten ist“.9 Die Zulässigkeit solcher Maßnahmen beschränkt sich allerdings auf Ausländer, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, § 49 Abs. 6 S. 2 AufenthG. Die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung wird in § 49 Abs. 3, 6 AufenthG nicht einer bestimmten Behörde zugewiesen. Vielmehr können diejenigen Behörden eine ärztliche Untersuchung nach § 49 Abs. 3, 6 AufenthG veranlassen, die Zweifel am Lebensalter des Ausländers haben und die Maßnahmen nach § 49 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 AufenthG vornehmen wollen. Für die Altersfeststellung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme nach § 42f Abs. 2 SGB VIII besteht eine Zuständigkeit der Jugendämter. Die Jugendämter haben das Alter des Ausländers zunächst durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen, § 42f Abs. 1 SGB VIII. Nach § 42f Abs. 2 S. 1 SGB VIII hat das Jugendamt in Zweifelsfällen „auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen (…) eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen“. 2.3. Auswahl der ärztlichen Untersuchungsmethoden Zu den Methoden der Altersfeststellung zählen neben der Inaugenscheinnahme und Anhörung des Betroffenen, der Auswertung von Dokumenten etc. auch ärztliche Untersuchungen. Bei den ärztlichen Untersuchungen wiederum werden verschiedene Methoden angewendet, insbesondere allgemein körperliche Untersuchungen (z.B. visuelle Begutachtung des Gebisses, Beurteilung der körperlichen Reife) und/oder verschiedene radiologische Untersuchungen (Zähne, Handwurzelknochen , Schlüsselbeine).10 Zur Auswahl und zur Veranlassung bestimmter ärztlicher Untersuchungen enthalten die Vorschriften des § 49 AufenthG und des § 42f SGB VIII keine speziellen Vorgaben. Man könnte daher meinen, ein pauschaler Verweis auf eine ärztliche Untersuchung würde ausreichen. Aus der Grundrechtsrelevanz der ärztlichen Maßnahmen folgt aber, dass bei der Auswahl der Maßnahmen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist.11 Die einzelnen Untersuchungsmethoden müssen 9 Ähnlich formuliert ist die Rechtsgrundlage für körperliche Untersuchen bei Beschuldigten nach § 81a Abs. 1 S. 2 StPO: „Zu diesem Zweck sind (…) und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.“ 10 Siehe auch Britting-Reimer, Altersbestimmung in Deutschland und im Europäischen Vergleich, in: Jugendhilfe 2015, 88 ff. 11 Vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung zu § 42f Abs. 2 SGB VIII, BT-Drs. 18/6392: „Die ärztliche Untersuchung ist mit den schonendsten und soweit möglich zuverlässigsten Methoden von qualifizierten medizinischen Fachkräften durchzuführen. Dies schließt Genitaluntersuchungen aus.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 6 also geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zur Altersbestimmung darstellen. Unabhängig davon, dass die Verhältnismäßigkeit bestimmter Untersuchungsmethoden, z.B. von Genitaluntersuchungen und Röntgenmaßnahmen, im Einzelnen umstritten ist,12 obliegt es der veranlassenden Behörde, verhältnismäßige Untersuchungsmethoden auszuwählen und anzuordnen. Die Behörde kann es nicht in das Ermessen der Ärzte stellen, beliebige Untersuchungen zur Altersbestimmung vorzunehmen.13 In diesem Sinne veranlasst die für die Inobhutnahme zuständige Behörde in Hamburg ärztliche Untersuchungen in einer abgestuften Reihenfolge. Danach soll zunächst eine körperliche Untersuchung und Anamnese durch einen rechtsmedizinisch erfahrenen Arzt im Hinblick auf allgemeine körperliche Reifezeichen und mögliche Entwicklungsverzögerungen erfolgen. Ist dies nicht ausreichend, sind – wiederum in eine Stufenfolge – verschiedene radiologische Untersuchungen vorgesehen.14 In einem konkreten Fall in Hamburg wurde die ärztliche Untersuchung wie folgt angeordnet: „a) Untersuchung und Anamnese durch einen rechtsmedizinisch erfahrenen Arzt im Hinblick auf allgemeine körperliche Reifezeichen sowie Hinweise auf mögliche Entwicklungsverzögerungen ; b) wenn notwendig, zusätzlich eine zahnärztliche Untersuchung zur Feststellung der Wurzelentwicklung der Weisheitszähne; c) wenn notwendig, zusätzlich eine radiologische Untersuchung des Kiefers (Panoramaschichtaufnahme u.a. zur Feststellung möglicher Gründe einer Entwicklungsverzögerung); d) wenn notwendig, zusätzlich eine radiologische Untersuchung der Schlüsselbeine. Die Durchführung dieser Untersuchungskette ist im Ermessen der durchführenden Ärzte zu beenden, sobald für die Erstellung eines Altersgutachtens hinreichend gesicherte Erkenntnisse gewonnen wurden.“15 Das Oberverwaltungsgericht Hamburg sieht hierin eine zulässige Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . Konkret führt es dazu aus: 12 Siehe dazu nur Hörich, in: Kluth/Heusch, Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: September 2014), Rn. 36 f. zu § 49 AufenthG. Vor dem Bundesverfassungsgericht ist eine Verfassungsbeschwerde gegen die ärztlichen Untersuchungen (Röntgen- und Genitaluntersuchungen) anhängig, vgl. beck-aktuell v. 01.10.2015, becklink 2001225. 13 Für ärztliche Untersuchungen nach § 81a StPO führt Ritzert, in: Beck`scher Online-Kommentar StPO (Stand: November 2015) m.w.N. aus: „Nur die technische Ausführung, nicht aber die Art der Maßnahme darf dem Arzt überlassen werden.“ 14 Ausführlich dazu Landesbetrieb Erziehung und Beratung Hamburg, Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge – Inobhutnahme und Erstversorgung im Landesbetrieb Erziehung und Beratung (Stand: Januar 2016), 4 ff., abrufbar unter: http://www.hamburg.de/contentblob/2672526/data/doku-2010.pdf. 15 So die streitgegenständliche Anordnung in dem Verfahren OVG Hamburg, Beschluss v. 09.02.2011, Az.: 4 Bs. 9/11, Rn. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 7 „Die Untersuchung gemäß Buchstabe a bis d der Aufforderung (…) ist weiter hinsichtlich aller Untersuchungsmaßnahmen erforderlich. Die Antragsgegnerin hat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen, indem sie ein Prüfprogramm festgelegt hat, das mit einer allgemeinen körperlichen, erforderlichenfalls auch zahnärztlichen Untersuchung beginnt, und Art und Umfang einer radiologischen Untersuchung davon anhängig gemacht hat, ob und inwieweit dies für eine gutachterliche Aussage aus ärztlicher Sicht noch notwendig ist. Damit steht jede weitere Untersuchungsmaßnahme unter dem Vorbehalt, dass weniger einschneidende Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und sich aus fachärztlicher Sicht als unergiebig erwiesen haben.“16 Darüber hinaus sieht die Neuregelung der behördlichen Altersbestimmung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme eine Pflicht der Jugendämter vor, die Betroffenen umfassend über die ärztlichen Untersuchungsmethode(n) aufzuklären, § 42f Abs. 2 S. 1 SGB VIII. 3. Maßgebliches Recht für den Eintritt der Volljährigkeit Die Volljährigkeit tritt nach § 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Mit der Volljährigkeit besteht zugleich die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit (soweit keine Geschäftsunfähigkeit nach § 104 BGB vorliegt) und die Prozessfähigkeit (§ 52 Zivilprozessordnung , § 62 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung). In Fällen mit Auslandsbezug ist jeweils anhand des konkreten Einzelfalls zu klären, ob und inwieweit bezüglich der Geschäftsfähigkeit des betroffenen Ausländers auf sein Heimatrecht abzustellen ist. Insoweit kommen die Normen des Internationalen Privatrechts zur Anwendung, soweit das deutsche Recht keine besonderen Regelungen vorsieht.17 Das Asyl- und Aufenthaltsgesetz enthalten besondere Bestimmungen zur Annahme der Voll- bzw. Minderjährigkeit sowie zur Berücksichtigung des Heimatrechts. Maßgeblich für den Eintritt der Volljährigkeit im Sinne des Asylgesetzes und des Aufenthaltsgesetzes ist das deutsche Recht. In § 12 Abs. 2 S. 1 AsylG und – übereinstimmend – in § 80 Abs. 3 S. 1 AufenthG heißt es: „Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist.“ Daraus folgt, dass bei Bezugnahmen auf die Voll- oder Minderjährigkeit in den jeweiligen Gesetzen auf den Eintritt der Volljährigkeit nach § 2 BGB abzustellen ist. Die Vorschriften des § 12 Abs. 2 S. 2 AsylG und des – wiederum übereinstimmenden – § 80 Abs. 3 S. 2 AufenthG nehmen jedoch eine Einschränkung bezüglich der Geschäftsfähigkeit und der sonstigen Handlungsfähigkeit vor, indem sie festlegen, dass 16 OVG Hamburg (Fn. 15), Rn. 67 (Hervorhebungen nicht im Original). 17 Zur Prüfung der Prozessfähigkeit eines 15-Jährigen vgl. die ausführliche Prüfung des OVG Hamburg (Fn. 15), Rn. 21 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 044/16 Seite 8 „die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers (…) davon unberührt [bleiben]“. Diese Einschränkung kann leicht dahingehend missverstanden werden, dass im Rahmen des Asylund Aufenthaltsgesetzes von der Volljährigkeit auszugehen ist, wenn das Heimatrecht des Ausländers den Eintritt der Volljährigkeit vorsieht. Der Vorrang des Heimatrechts bezieht sich aber nicht auf die Annahme der Minder- oder Volljährigkeit als solche, sondern allein auf die Geschäftsund Handlungsfähigkeit im Übrigen.18 So würde beispielsweise ein nach Heimatrecht volljähriger 17-Jähriger zwar unter den Minderjährigenschutz bei der Abschiebung nach § 58 Abs. 1a AufenthG19 fallen, doch wäre er ohne Erreichen der Volljährigkeit nach deutschem Recht im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes handlungsfähig, d.h. fähig, Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Denn seiner nach Heimatrecht bestehenden Volljährigkeit kommt nach § 80 Abs. 3 S. 2 AufenthG Vorrang vor der in § 80 Abs. 1 AufenthG geregelten Handlungsfähigkeit nach deutschem Recht zu.20 Die genannten Regelungen des § 12 AsylG und § 80 AufenthG bestimmen für ihren Anwendungsbereich abschließend, wann von Voll- bzw. Minderjährigkeit auszugehen ist. Ein weiterer behördlicher Ermessensspielraum ist nicht vorgesehen. Es obliegt damit nicht den Behörden, also auch nicht dem BAMF oder den Jugendämtern, über das anwendbare Recht und damit über den Eintritt der Volljährigkeit zu entscheiden. Ende der Bearbeitung 18 Vgl. Samel, in: Renner/Berkgmann/Dienelt, Ausländerrecht (10. Aufl., 2013), Ziff. 80.3 und Rn. 4 zu § 80 AufenthG und Bruns, in: Hofmann (Fn. 2), Rn. 9 zu § 12 AsylG, der die Berücksichtigung des Heimatrechts bei unter 18-Jährigen in Asylverfahren allerdings für unionsrechtswidrig hält. 19 § 58 Abs. 1a AufenthG lautet: „Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.“ 20 Vgl. dazu OVG Hamburg, NVwZ-RR 1996, 708, das zu der seinerzeit geltenden entsprechenden Regelung in § 68 Abs. 3 Ausländergesetz ausführte: „Nach § 68 III 1 AuslG sind bei der Anwendung des Ausländergesetzes zwar die Vorschriften des BGB dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist, ob ihm also z.B. ein Recht zum Kindernachzug gem. § 20 AuslG zusteht. Davon unberührt bleibt indes gem. § 68 III 2 AuslG die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollen, dass ein nach dem Recht seines Heimatlandes volljähriger Ausländer (auch) bei der Anwendung des Ausländergesetzes als geschäftsund handlungsfähig anzusehen ist (…).“