© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 043/19 Zur Verfassungsmäßigkeit der Neufassung von § 219a StGB Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 2 Zur Verfassungsmäßigkeit der Neufassung von § 219a StGB Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 043/19 Abschluss der Arbeit: 27. Februar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 3 1. Fragestellung § 219a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ unter Strafe: „(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Die Norm umfasst unter dem Tatbestandsmerkmal des „Anbietens“ auch die öffentliche Information durch Ärzte darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.1 Informationen im Rahmen individueller Beratungen fallen nicht unter das Gesetz.2 Im Februar 2019 haben die Bundesregierung sowie die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zwei gleichlautende Gesetzentwürfe vorgelegt.3 Nach den Entwürfen soll § 219a StGB folgender Absatz angefügt werden: „(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen 1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder 2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen."4 Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wurde am 21. Februar 2019 in namentlicher Abstimmung vom Deutschen Bundestag angenommen.5 1 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 219a Rn. 3, 8; Rahe, Strafbare Werbung bei Hinweis auf legalen Schwangerschaftsabbruch?, in: JR 2018, S. 232 (235) m.w.N. 2 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 219a Rn. 7. 3 BT-Drs. 19/7693 und BR-Drs. 71/19. 4 BT-Drs. 19/7693, S. 4; BR-Drs. 71/19, S. 1. 5 Plenarprotokoll 19/83, S. 9755. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 4 Es wird nach der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Gesetzentwürfe gefragt. Der Sachstand beschränkt sich auf die Beurteilung von § 219a StGB. Die ebenfalls vorgesehenen Änderungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes und des Sozialgesetzbuchs dürften verfassungsrechtlich unproblematisch sein. 2. Verfassungsrechtliche Beurteilung von § 219a StGB aufgrund der Gesetzentwürfe 2.1. § 219a Abs. 4 StGB-E Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Neufassung von § 219a StGB ergibt sich aus Art. 71 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht). Materiell beschränkt sich § 219a Abs. 4 StGB-E auf die Aufhebung der Strafandrohung in bestimmten Fällen. Mangels Grundrechtseingriffs dürfte diese Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken hervorrufen.6 Abgesehen von diesem Ausnahmetatbestand würde nach der Gesetzesänderung die Strafandrohung in § 219a Abs. 1 StGB beibehalten werden. Im Folgenden wird daher dargestellt, wie § 219a Abs. 1 StGB7 bisher verfassungsrechtlich beurteilt wurde und wie die Norm aufgrund der Gesetzesänderung zu beurteilen ist. 2.2. Bisherige verfassungsrechtliche Beurteilung von § 219a Abs. 1 StGB § 219a Abs. 1 StGB greift in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ein, indem er die Art und Weise der Berufsausübung von Ärzten und anderen durch den Tatbestand erfassten Berufsgruppen regelt.8 Solche Berufsausübungsregelungen lassen sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) „durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls“ rechtfertigen.9 § 219a StGB kann darüber hinaus auch jede Person betreffen, die „Mittel, Gegenstände oder Verfahren , die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt“. Insoweit greift die Norm auch in die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG ein. Dieser Eingriff muss gemäß Art. 5 Abs. 2 GG auf Grundlage eines formellen Gesetzes erfolgen. Insoweit die Tathandlung keinen 6 Vgl. Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 18. Februar 2019, S. 1, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/593848/4939049a0f9a7239bd1ccf3ce73299c9/merkel-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019), der die „schiere Begrenzung der Strafbarkeit nach Absatz 1 für ohne weiteres zulässig“ hält. 7 § 219a Abs. 2 und 3 StGB sind hingegen wie der geplante Abs. 4 Ausnahmetatbestände und daher verfassungsrechtlich unproblematisch. 8 Die Ausführungen dieses Abschnitts entstammen zum Teil dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Verfassungsmäßigkeit von § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft ), WD 3 - 3000 - 252/17. 9 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 12 Rn. 335 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 5 Meinungsbezug mehr hat, sondern eine reine Tatsachenmitteilung ist,10 unterfällt sie der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Rechtsprechung des BVerfG zu § 219a Abs. 1 StGB existiert – soweit ersichtlich – nicht. Einzelne Strafgerichte haben sich mit der Verfassungsmäßigkeit der Norm befasst und diese bejaht. Das Landgericht (LG) Bayreuth führte hierzu aus:11 „Diese Auslegung des § 219a Abs. 1 Satz 1 StGB verstößt auch nicht gegen Artikel 12 GG. Zwar hat ein Arzt grundsätzlich das Recht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche Leistungen in seiner Praxis erbracht werden. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG darf die Ausübung des Berufes aber durch Gesetz geregelt werden. Dies ist in § 219a StGB geschehen. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift ist nicht veranlasst. Denn das Recht auf Berufsausübung tangiert im vorliegenden Fall das Recht des ungeborenen Lebens. Aus Artikel 1 Abs. 1 GG ergibt sich die Pflicht des Staates, dieses zu schützen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass für die gesamte Dauer der Schwangerschaft die Abtreibung grundsätzlich Unrecht ist, da auch dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukommt (BVerfGE, 88/203 ff.). § 218a Abs. 1 StGB stellt den Schwangerschaftsabbruch unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich ausnahmsweise straflos. Das Verbot, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, wurde in § 219a StGB deshalb ausgesprochen und unter Strafe gestellt, um zu verhindern, dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas normales dargestellt und kommerzialisiert wird (Tröndle/Fischer,, StGB, 53. Auflage, § 219a, Rdnr. i). Mit dieser Vorschrift kommt der Staat seiner Verpflichtung nach, ungeborenes Leben zu schützen. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, dass sachliche Informationen eines Arztes über seine Bereitschaft zum Schwangerschaftsabbruch erlaubt sind, scheitert am eindeutigen Wortlaut des § 219a Abs. 1 StGB und dem Willen des Gesetzgebers. Wie sich aus § 219a Abs. 2 StGB ergibt, ist es dessen Wille, dass Frauen, die abtreiben und sich darüber kundig machen wollen, welche Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, über die anerkannten Beratungsstellen oder andere Ärzte, nicht aber über die Öffentlichkeit informiert werden.“ Das LG Gießen bestätigte 2018 die Verurteilung einer Ärztin wegen Verstoßes gegen § 219a Abs. 1 StGB und äußerte zur Verfassungsmäßigkeit der Norm:12 „§ 219a StGB verstößt nicht gegen die Artikel 5 und 12 des Grundgesetzes. Soweit der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG nach dessen Absatz 2 eingeschränkt ist, sind nur die Normadressaten betroffen [...]. Die Schwangeren selbst können sich ungehindert bei ihren Frauenärzten, den Beratungsstellen, Gesundheitsämtern und Ärztekammern über Methoden der Schwangerschaftsunterbrechung und Anschriften abtreibungsbereiter Ärztinnen und Ärzte informieren. Die Behandlungsmethoden erläutern allgemein zugängliche Quellen der medizinischen Literatur. Ein Anspruch darauf, dass Ärzte außerhalb eines Behandlungsvertrages von 10 Zur Abgrenzung siehe Schemmer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 39. Edition, Stand: 15. November 2017, Art. 5 Rn. 5 ff. 11 LG Bayreuth, Urteil vom 13. Januar 2006, 2 Ns 118 Js 12007/04, juris Rn. 14. 12 LG Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018, 3 Ns 406 Js 15031/15, juris Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 6 sich aus informierend an die Öffentlichkeit gehen, besteht für Schwangere ohnehin nicht. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dagegen ist nicht im Kernbereich der Berufswahl und Arbeitsplatzfreiheit betroffen. Die Berufsausübung kann gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch einfaches Gesetz oder aufgrund eines solchen Gesetzes wie hier durch § 219a StGB geregelt werden. Die Kammer verkennt hierbei nicht die zahlreichen Zielkonflikte. Das ungeborene Leben soll geschützt, der Schwangeren in Not ein würdiges Leben ermöglicht, erlaubte Schwangerschaftsabbrüche durch fachgerechte ärztliche Leistungen gesichert und die Banalisierung und Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindert werden. Ohne Abstriche auch bei den Rechten der Ärzte kann hier kein Ausgleich geschaffen werden. Die Kammer kann dabei nicht feststellen, dass die Regelung des § 219a StGB zur Erreichung der Regelungszwecke völlig ungeeignet ist, des Weiteren wenigstens einen übermäßigen Eingriff darstellte und zuletzt die betroffenen Grundrechte von Ärzten außer Verhältnis zum verteidigten Recht des ungeborenen Lebens beschränkte, womit die betroffenen Grundrechte im Kern verletzt sein könnten.“ Auch die wohl herrschende Meinung in der Literatur ging bisher von der Verfassungsmäßigkeit des § 219a Abs. 1 StGB aus.13 Bedenken wurden teilweise in Bezug auf die Berufsfreiheit geäußert. So wurde die Anwendung der Norm auf Ärzte, die sachlich über die Tatsache, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, von einigen Kritikern als unverhältnismäßig angesehen.14 Kritisiert wurde zudem die Verortung des Verbots im Strafgesetzbuch, da das Strafrecht nur die ultima ratio sein dürfe und daher nur eingesetzt werden könne, wenn ein milderes Mittel die gebotene Schutzfunktion nicht gleichermaßen erfüllen könne.15 Das Verbot könne auch als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet werden. Gegen diese Auffassung wurde die Bedeutung des zumindest mittelbar geschützten Rechtsgutes, nämlich des ungeborenen Lebens, vorgebracht, die eine Verankerung der Norm im Strafrecht erfordere.16 Teilweise wurde auch eine Verortung im ärztlichen Berufsrecht als milderes Mittel vorgeschlagen.17 Dagegen wurde eingewandt, dass das 13 So etwa Hillenkamp, Ist § 219a ein Fall für den Gesetzgeber, in: Hessisches Ärzteblatt 2018, S. 92 (93); Kubiciel, Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts?, in: ZRP 2018, S. 13 (14 f.); Schweiger, Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – Das nächste rechtspolitische Pulverfass?, in: ZRP 2018, S. 98 (99 f.); Jansen, Werbung für Schwangerschaftsabbruch auf ärztlicher Homepage, in: jurisPR-StrafR 7/2018 Anm. 2. 14 Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 27. Juni 2018, S. 3 ff., abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/561798/6f95f886b06018ab273eeef86c6d7400/merkel-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019); Deutscher Juristinnenbund e.V., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 27. Juni 2018, S. 11, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/561796/424295eac3f0e125e1aeda 4dcaf99e6c/lembke_djb-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019); Rahe, Strafbare Werbung bei Hinweis auf legalen Schwangerschaftsabbruch, in: JR 2018, S. 232 (238 f.), der allerdings von der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung ausging. 15 Merkel (Fn. 14), S. 8; Deutscher Juristinnenbund e.V. (Fn. 14), S. 9. 16 Kubiciel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 27. Juni 2018, S. 7, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/561768/2234e29fca608385096707a1e7c830c3/kubiciel-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019); Hillenkamp (Fn. 12), S. 93. 17 Deutscher Juristinnenbund e.V. (Fn. 14), S. 9 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 7 ärztliche Berufsrecht Landesrecht sei, während das Schutzkonzept der §§ 218 ff. StGB eine bundeseinheitliche Regelung erfordere.18 Zudem sei das Berufsrecht schwieriger durchzusetzen als das Strafrecht.19 Ebenso wurde kritisiert, dass § 219a Abs. 1 StGB auch die Werbung für rechtmäßige oder straflose Schwangerschaftsabbrüche umfasse und somit Vorbereitungshandlungen zu einem nicht strafbaren Handeln pönalisiere.20 Dagegen wurde eingewandt, dass nach § 217 StGB auch die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stehe, obwohl die Selbsttötung straflos sei.21 2.3. Beurteilung von § 219a Abs. 1 StGB aufgrund von § 219a Abs. 4 StGB-E 2.3.1. Beurteilung durch die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 19. Februar 2019 Durch die Einführung von § 219a Abs. 4 StGB-E würde die sachliche Information von Ärzten über die Tatsache, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nicht länger unter Strafe stehen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich auf diese Strafandrohung beziehen, würden folglich zerstreut werden. In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 18. Februar 2019 wurde allerdings von einigen Sachverständigen vorgebracht, dass durch die vorgesehenen Änderungen andere verfassungsrechtliche Mängel von § 219a Abs. 1 StGB nicht beseitigt würden. So wurde vertreten, dass die Strafandrohung in § 219a Abs. 1 StGB nicht erforderlich sei, da mildere Mittel zur Verfügung stünden. Erneut wurde eine Verankerung des Werbeverbots im Ordnungswidrigkeitenrecht vorgeschlagen.22 Alternativ wurde als milderes Mittel die Möglichkeit genannt, nur grob anstößige Werbung und Werbung für verbotene Schwangerschaftsabbrüche in § 219a Abs. 1 StGB unter Strafe zu stellen.23 Kritisiert wurde die Tatsache, dass Ärzte auch nach der Einführung von § 219a Abs. 4 StGB-E nicht selbst über Behandlungsmethoden und Rahmenbedingungen informieren, sondern nur auf 18 Rahe (Fn. 1), S. 237. 19 Kubiciel (Fn. 16), S. 7. 20 Merkel (Fn. 14), S. 1. 21 Hillenkamp (Fn. 13), S. 93; Kubiciel (Fn. 16), S. 6. 22 Hoven, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 18. Februar 2019, S. 5, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/594128/07edb4eba12ad59cf0df810e37f18fa9/hoven-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019); Deutscher Juristinnenbund e.V., Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 18. Februar 2019, S. 2, abrufbar unter https://www.bundestag .de/blob/593914/dc400da11112f91625e67a75220eab90/lembke_djb-data.pdf (Stand. 20. Februar 2019). Zur Gegenansicht siehe Fn. 15. 23 Hoven (Fn. 22), S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 8 entsprechende Informationen anderer Stellen verweisen dürften. Eine Bestrafung solcher Handlungen sei mangels kriminellen Unrechts unzulässig.24 Die Bestrafung sachlicher Informationen über zulässige Schwangerschaftsabbrüche sei zum Schutz des ungeborenen Lebens weder geeignet noch erforderlich.25 Des Weiteren wurde vorgebracht, dass auch nach der Neureglung das Recht schwangerer Frauen auf Informationsfreiheit und freie Arztwahl unzumutbar eingeschränkt wäre.26 Den betroffenen Frauen werde das Recht vorenthalten, über medizinische Eingriffe frei und informiert zu entscheiden , was eine entsprechende ärztliche Aufklärung über Behandlungsoptionen, Rahmenbedingungen und Kosten voraussetze. Von der Gegenseite wurde darauf hingewiesen, dass das fortbestehende Werbe- und Informationsverbot die Berufsausübungsfreiheit nur in sehr geringem Maße einschränke.27 Berufsausübungsregelungen seien schon aus vernünftigen Gemeinwohlerwägungen zulässig, worunter die Verhinderung der Kommerzialisierung und Normalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ohne Weiteres fielen. Dem Gesetzgeber stehe bei Berufsausübungsregelungen ein außerordentlich weiter Ermessensspielraum zu. Dies erlaube ihm auch eine „mikropolitische“ Steuerung, die bestimmte Formen der Information verbiete und andere zulasse. 2.3.2. Stellungnahme Wie oben ausgeführt greift § 219a Abs. 1 StGB in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG der Normadressaten – insbesondere der Ärzte – ein. Hinsichtlich schwangerer Frauen dürfte es schon an einem Grundrechtseingriff fehlen, da sie sich bei Beratungsstellen, Gesundheitsämtern und Ärztekammern sowie im individuellen Gespräch auch bei Ihren Ärzten über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs informieren können und diese auch in der allgemein zugänglichen medizinischen Literatur beschrieben sind.28 Folglich stellt sich die Frage, ob der Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die spezifischen Rechtfertigungsvoraussetzungen der genannten Grundrechte sind erfüllt, z. B. ist § 219a StGB ein „allgemeines Gesetz“ im Sinn von Art. 5 Abs. 2 GG. Zu prüfen bleibt daher, 24 Merkel (Fn. 6), S. 3 f.; ähnlich auch Hoven (Fn. 22), S. 3. 25 Hoven (Fn. 22), S. 3. 26 Deutscher Juristinnenbund e.V. (Fn. 22), S. 3. 27 Kubiciel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 18. Februar 2019, S. 6, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/593464/222dab5c86e958a13b2115f3629d087b/kubiciel-data.pdf (Stand: 20. Februar 2019). 28 Vgl. LG Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018, 3 Ns 406 Js 15031/15, juris Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 9 ob der Eingriff verhältnismäßig ist. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff einem legitimen Zweck dient und zum Erreichen dieses Zwecks geeignet, erforderlich sowie angemessen ist.29 § 219a Abs. 1 StGB soll verhindern, dass Schwangerschaftsabbrüche als kommerzialisierbare Dienstleistung dargestellt und von der Allgemeinheit als normales Verhalten eingeschätzt werden.30 Dabei dürfte es sich um legitime gesetzgeberische Ziele handeln.31 Im Rahmen einer Berufsausübungsregelung muss es sich bei dem legitimen Zweck der Norm zudem um vernünftige Regelungen des Gemeinwohls handeln. Auch dies dürfte ohne Zweifel der Fall sein.32 Eine strafrechtliche Norm muss zudem dem Schutz eines Rechtsgutes dienen.33 Als Schutzgut des § 219a Abs. 1 StGB wird nach ganz herrschender Meinung das ungeborene Leben angesehen, dessen Schutz die Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt dient.34 § 219a Abs. 1 StGB müsste geeignet sein, den legitimen Zweck zu erreichen. Geeignet ist eine Maßnahme bereits dann, wenn sie den Zweck fördert.35 Das in § 219a Abs. 1 StGB verankerte Verbot, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben, dürfte geeignet sein, einer Kommerzialisierung und Normalisierung von Abtreibungen entgegenzuwirken. Schwieriger zu begründen ist die Geeignetheit hinsichtlich des auch nach der Neufassung geltenden Verbots für Ärzte, öffentlich über von ihnen für Schwangerschaftsabbrüche verwendete Behandlungsmethoden zu informieren. Durch die Regelung wird allerdings erreicht, dass öffentliche Informationen über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs nur durch Stellen erfolgen, die kein finanzielles Interesse an der Durchführung eines Abbruchs haben. Dadurch wird verhindert, dass etwa bestimmte Methoden als besonders empfehlenswert oder kostengünstig dargestellt werden. Die Regelung dürfte somit wohl geeignet sein, einer Kommerzialisierung und Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegenzuwirken . Damit dürfte § 219a StGB auch geeignet sein, dem Schutz des ungeborenen Lebens zu dienen, da eine Kommerzialisierung und Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen den 29 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 20 VII Rn. 110. 30 BT-Drs. 7/1981 (neu); Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 219a Rn. 1; Eschelbach, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 40. Edition Stand: 1. November 2018, § 219a Rn. 1. 31 Vgl. LG Bayreuth, Urteil vom 13. Januar 2006, 2 Ns 118 Js 12007/04, juris Rn. 14. 32 So auch Kubiciel (Fn. 28), S. 6. 33 Vgl. Freund, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 153 ff. 34 Gropp, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 219a Rn. 1; Eschelbach, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 40. Edition Stand: 1. November 2018, § 219a Rn. 1; Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 219a Rn. 1; Hillenkamp (Fn. 13), S. 92 f.; dagegen Merkel, in: Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 2 ff., der davon ausgeht, dass die Norm nur einem moralischen „Klimaschutz“ diene. 35 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 20 VII Rn. 112. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 10 Entschluss zu einem Abbruch fördern könnte.36 Letztlich steht dem Gesetzgeber hinsichtlich der Geeignetheit ohnehin ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu.37 § 219a Abs. 1 StGB müsste zudem erforderlich sein. Eine Maßnahme ist dann erforderlich, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das in gleicher Weise geeignet ist, den legitimen Zweck zu erreichen.38 Als milderes Mittel wird etwa eine Verankerung der Norm im Ordnungswidrigkeitenrecht oder im ärztlichen Berufsrecht statt im Strafrecht vorgeschlagen. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass der Rang des Schutzgutes, nämlich des ungeborenen Lebens, eine Verortung unterhalb des Strafrechts nicht zulässt.39 Zudem dürften auch systematische Erwägungen dafür sprechen, alle Regelungen, die den Schwangerschaftsabbruch betreffen, in einem einheitlichen Schutzkonzept zusammenzufassen.40 Auch an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass Ärzte weiterhin nicht über die von ihnen angewandten Methoden des Schwangerschaftsabbruchs informieren dürfen, sondern nur auf Informationen öffentlicher Stellen verweisen dürfen, erforderlich ist. Auch hier lässt sich aber das Argument heranziehen, dass nur solche Stellen informieren sollen, die an der Durchführung eines Abbruchs kein finanzielles Interesse haben. Die Sicherstellung von neutralen Informationen, die zudem einer staatlichen Qualitätssicherung unterliegen, kann durchaus als das mildeste Mittel betrachtet werden, einer Kommerzialisierung und Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegenzuwirken. Zudem lässt das BVerfG dem Gesetzgeber bei der Festlegung des Bereichs strafbaren Handelns einen weiten Entscheidungsspielraum.41 § 219a StGB dürfte somit auch erforderlich sein. Schließlich müsste sich § 219a Abs. 1 StGB nach Abwägung der gegenüberstehenden Interessen als angemessen erweisen. Auf der einen Seite sind die Berufsfreiheit der Ärzte sowie die Meinungsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit zu berücksichtigen. Ärzte dürfen nach der Neufassung der Norm darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Verboten sind weiterhin die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche sowie die Information über Behandlungsmethoden und deren Kosten. Dies betrifft aber nur die öffentliche Information, während Ärzte im persönlichen Beratungsgespräch ohne Weiteres entsprechende Informationen zur Verfügung stellen können. Zudem ist es Ärzten möglich, öffentlich auf die entsprechenden Informationen der zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder 36 Kubiciel (Fn. 16), S. 6. 37 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 39. Edition Stand: 15. November 2018, Art. 20 Rn. 195. 38 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 20 VII Rn. 113. 39 Kubiciel (Fn. 16), S. 7, Hillenkamp (Fn. 13), S. 93. 40 Vgl. Kubiciel, (Fn. 16), S. 7; für eine Verortung im Strafrecht auch Berghäuser, Die Strafbarkeit des ärztlichen Anerbietens zum Schwangerschaftsabbruch im Internet nach § 219a StGB – eine Strafvorschrift im Kampf gegen die Normalität, in: JZ 2018, S. 497 (502); Weigend, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am 27. Juni 2018, S. 5, abrufbar unter https://www.bundestag .de/blob/561572/138bab0d151ce4d07c25061179974066/weigend-data.pdf (Stand: 22. Februar 2019). 41 Von Heintschel-Heinegg, in: ders. (Hrsg.), BeckOK StGB, 40. Edition Stand: 1. November 2018, § 1 Rn. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 043/19 Seite 11 einer Ärztekammer hinzuweisen. In Bezug auf Werbung sind Ärzte ohnehin durch die Berufsordnungen der Landesärztekammern, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb42 und das Heilmittelwerbegesetz43 eingeschränkt. Der zusätzliche Grundrechtseingriff durch § 219a StGB ist somit wohl als eher gering zu bewerten. Dem gegenüber steht die Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz des ungeborenen Lebens nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.44 Dabei handelt es sich um ein Rechtsgut von so überragender Bedeutung, dass schützende Eingriffe in erheblichem Umfang hinzunehmen sind. Die Interessenabwägung wird somit wohl ergeben, dass die Grundrechte der Ärzte und übrigen Adressaten von § 219a Abs. 1 StGB hinter den Schutz des ungeborenen Lebens zurücktreten müssen. Somit dürfte § 219a Abs. 1 StGB auch angemessen sein. *** 42 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. März 2010 (BGBl. I S. 254), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 233). 43 Heilmittelwerbegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3068), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3048). 44 Siehe vertiefend zu dieser Schutzpflicht Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 44.