© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 042/18 Verfassungsrechtliche Fragen zur Strafbarkeit der Verunglimpfung israelischer Flaggen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 2 Verfassungsrechtliche Fragen zur Strafbarkeit der Verunglimpfung israelischer Flaggen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 042/18 Abschluss der Arbeit: 05.03.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Der Deutsche Bundestag hat am 18.01.2018 den Antrag mit dem Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ angenommen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, unter anderem das Strafrecht darauf zu überprüfen, ob es den Strafverfolgungsbehörden ausreichende Mittel an die Hand gibt, um entschieden und wirksam gegen das öffentliche Verbrennen der israelischen Flagge oder anderer Symbole des israelischen Staates im Rahmen von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen vorzugehen.1 Die Ausarbeitung thematisiert verfassungsrechtliche Fragen zur Zulässigkeit eines entsprechenden Straftatbestandes. 2. Strafbarkeit nach derzeit geltender Rechtslage Wer die Flagge eines ausländischen2 Staates verunglimpft, macht sich nach derzeit geltender Rechtslage nur unter bestimmten Voraussetzungen strafbar. Nach § 104 Abs. 1 Alt. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt. Eine Flagge wird in diesem Sinne „öffentlich gezeigt“, wenn sie an einem der Allgemeinheit zugänglichen Ort sichtbar ist.3 Diese Alternative erfasst auch solche Flaggen, die von Privatpersonen öffentlich gezeigt werden.4 Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die ausländische Flagge von einer (inländischen) staatlichen Stelle oder einer anerkannten Vertretung dieses Staates stammt.5 Indes fehlt es regelmäßig an der Voraussetzung, dass die Flagge „auf Grund von Rechtsvorschriften “ oder „nach anerkanntem Brauch“ öffentlich gezeigt wird.6 Das Verbrennen einer (privat mitgeführten) ausländischen Flagge – beispielsweise während einer Versammlung oder einer Demonstration – wird man darunter regelmäßig nicht subsumieren können. 1 BT-Drs. 19/444, S. 3. 2 Vgl. die entsprechende – aber tatbestandlich weiter gefasste – Vorschrift für inländische Flaggen: § 90a StGB. 3 Kreß, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Aufl. 2017, § 104 Rn. 6. 4 Vgl. nur Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 65. Aufl. 2018, § 104 Rn. 1. 5 Vgl. § 104 Abs. 1 Alt. 2 StGB („Hoheitszeichen […], das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist“) im Umkehrschluss. 6 Vgl. dazu im Einzelnen Kreß, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Aufl. 2017, § 104 Rn. 7 ff. § 90a (insbes. Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 Alt. 1) StGB, der die Verunglimpfung der Flagge der Bundesrepublik Deutschland unter Strafe stellt, ist tatbestandlich weiter gefasst. § 90a StGB schützt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts indes nicht die „Staatsehre“, sondern den Bestand der Bundesrepublik Deutschland in ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, vgl. BVerfG, NJW 2012, 1273 (1274); ausf. zum geschützten Rechtsgut Vorbaum, GA 2016, 609 (610 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 4 Auch eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB scheidet in der Regel aus, da diese einen Inlandsbezug voraussetzt.7 Der Schutz bestimmter Staaten bzw. deren Staatsymbole und Flaggen wird tatbestandlich nicht erfasst.8 3. Verfassungsrechtliche Fragen Ein gesonderter Straftatbestand, der speziell das Verbrennen der israelischen Flagge unter Strafe stellt, müsste sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen. Zu prüfen ist dabei insbesondere die Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie mit der Meinungsfreiheit nach Art 5 Abs. 1 GG. 3.1. Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.9 Dem Gesetzgeber bleibt aber ein weiter „Ermessens -“10 bzw. „Gestaltungspielraum“11. Er kann im Rahmen seines Ausgestaltungsspielraumes darüber entscheiden, „ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit Mitteln des Strafrechts verteidigen möchte und dabei auch über die konkrete rechtliche Ausgestaltung entscheiden“.12 Im materiellen Strafrecht kommt dem allgemeinen Gleichheitssatz zudem nur eine untergeordnete Rolle zu.13 Insbesondere könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber nicht entgegengehalten werden, dass eine andere Regelung möglicherweise zweckmäßiger oder gerechter wäre. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege nur dann vor, wenn sich für eine tatbestandliche Differenzierung kein sachlich einleuchtender Grund finden lasse.14 Im Übrigen sei es Sache des Gesetzgebers, mit welcher Ausgestaltung des Tatbestandes einer Strafnorm er die von ihm verfolgten Zwecke durchzusetzen sucht. Durch Art. 3 Abs. 1 GG sei er 7 Vgl. zum Tatbestand der Volksverhetzung auch den Aktuellen Begriff Nr. 78/09 v. 02.10.2009, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/190798/a52bed78fd61296f7a3ea11e84e7c12e/volksverhetzung-data.pdf (zuletzt abgerufen am 22.02.2018); Schäfer, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Aufl. 2017, § 130 Rn. 28. 8 Vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 65. Aufl. 2018, § 130 Rn. 4; Schäfer, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Aufl. 2017, § 130 Rn. 28. 9 Siehe nur BVerfGE 129, 208 (261), ständige Rechtsprechung. 10 BVerfGE 4, 352 (357). 11 BVerfGE 50, 142 (162). 12 BVerfGE 50, 142 (162). 13 Vgl. dazu Heger, ZIS 2011, 402 (402, Fußnote 9). 14 BVerfGE 71, 206 (221). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 5 dabei nur insoweit gebunden, als die gewählte Tatbestandsfassung durch sachliche Erwägungen hinreichend begründet sein müsse.15 Die neue Strafvorschrift müsste demnach zum einen dem Schutz eines anerkannten Rechtsguts dienen und zum anderen durch sachliche Erwägungen in der Weise hinreichend begründet sein, dass sie zumindest nicht willkürlich erscheint. Vor diesem Hintergrund könnte eine Regelung im materiellen Strafrecht, die allein das Verunglimpfen der israelischen Flagge unter Strafe stellte, durchaus mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sein. Dem Gesetzgeber steht es eingedenk seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich frei, Antisemitismus – auch soweit er sich vordergründig gegen den Staat Israel richtet – mit Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Daneben käme – ähnlich wie bei § 104 StGB – als Schutzzweck die Integrität und Würde des Staates Israel bzw. seiner Vertreter sowie zum anderen das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an guten und ungestörten Beziehungen zu Israel in Betracht. Im Lichte einer „fortwirkende[n], besondere[n], geschichtlich begründete[n] Verantwortung“16 erscheint es nicht willkürlich, den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, in besonderer Weise zu schützen. 3.2. Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 3.2.1. Schutzbereich und Eingriff Ein möglicher Straftatbestand könnte in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG eingreifen. Für die Eröffnung des Schutzbereichs kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dabei grundsätzlich nicht auf den Inhalt der Äußerung an. Von Art. 5 Abs. 1 GG sind auch Meinungen geschützt, „die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind“.17 Das Grundgesetz vertraue auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien .18 Das Bundesverfassungsgericht verneint damit die Möglichkeit einer Einschränkung bereits auf der Ebene des Schutzbereichs. Dementsprechend fiele beispielsweise auch eine antisemitische Meinung, die mit der Verunglimpfung einer israelischen Flagge einherginge, nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus. Auch auf die Form der Meinungsäußerung kommt es grundsätzlich nicht an. Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in „Wort, Schrift und Bild“ frei zu äußern. Die Aufzählung ist beispielhaft und nicht abschließend.19 Daher kann auch das Verbrennen von Flaggen 15 BVerfGE 71, 206 (222). 16 BVerfGE 124, 300 (337). 17 BVerfGE 124, 300 (320); vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss v. 24.01.2018 – 1 BvR 2465/13 -, juris, Rn. 17 und 24. 18 BVerfGE 124, 300 (320). 19 Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 6 als besondere Form der Meinungsäußerung in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen.20 Umgekehrt muss mit einer solchen Handlung nicht notwendigerweise auch eine Meinungsäußerung einhergehen. 3.2.2. Rechtfertigung Der Eingriff in die Meinungsfreiheit müsste gerechtfertigt sein. 3.2.2.1. Allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Alt. 1 GG Nach Art. 5 Abs. 2 Alt. 1 GG findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter versteht das Bundesverfassungsgericht Gesetze, „die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen“.21 An der Allgemeinheit eines Gesetzes fehle es hingegen , wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst sei und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richte.22 Das Erfordernis der Allgemeinheit des Gesetzes trage damit auch dem Verbot der Benachteiligung oder Bevorzugung wegen politischer Anschauungen Rechnung und verbürge für Eingriffe in die Meinungsfreiheit ein spezifisches und striktes Diskriminierungsverbot gegenüber bestimmten Meinungen.23 Die Abgrenzung könne dabei „nicht schematisch“ erfolgen, vielmehr komme es auf eine „Gesamtsicht“ an.24 Damit wäre zu prüfen, ob ein entsprechender Straftatbestand an den Inhalt einer Meinung anknüpft oder als allgemeines Gesetz angesehen werden kann.25 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung einzelne Straftatbestände in Bezug auf Art. 5 Abs. 2 GG stets als allgemeine Gesetze eingeordnet. Beispielsweise sei die Bestimmung des § 90a Abs. 1 StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Denn die Norm richte sich nicht gegen eine bestimmte Meinung, sondern stelle „jeden unter Strafe, der – unabhängig von einer politischen Überzeugung – öffentlich die Bundesrepublik Deutschland oder ihre verfassungsmäßige Ordnung herabwürdigt“.26 Für die §§ 86, 86a StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen; Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), die das Bundesverfassungsgericht gleichfalls als 20 Siehe etwa Grabenwarter, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 68. EL – Januar 2013, Art. 5 Rn. 82. 21 BVerfGE 124, 300 (322) mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 22 BVerfGE 124, 300 (323). 23 BVerfGE 124, 300 (324). 24 BVerfGE 124, 300 (322). 25 Vgl. BVerfGE 124, 300 (322). 26 BVerfGE 47, 198 (232). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 7 allgemeine Gesetze beurteilt halt, gelte nichts anderes. In diesem Sinne betonte das Bundesverfassungsgericht auch in anderen Entscheidungen, dass das Rechtsgut allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein muss, ob es durch Meinungsäußerung oder auf andere Weise verletzt werden kann. Solange das Rechtsgut also auch auf „andere Weise“, das heißt nicht durch die Äußerung einer Meinung verletzt werden kann, liegt es nahe, von einem „allgemeinen Gesetz“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG auszugehen. Nach diesen Grundsätzen könnte es sich bei einem Gesetz, das allein die Verunglimpfung der israelischen Flagge unter Strafe stellt, ebenfalls um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handeln. Zwar würde der israelischen Flagge ein strafrechtlich herausgehobener Schutz zukommen. Dieser muss aber nicht zwingend als ein Sonderrecht eingestuft werden. Denn es erscheint – bei entsprechender Ausgestaltung des Tatbestands – vertretbar, dass ein solches Gesetz, ebenso wie die §§ 86, 86a StGB, lediglich einen sachlich beschränkten Strafanspruch erhebt. Es würde – vergleichbar mit § 90a StGB – nicht eine bestimmte Meinung, sondern objektiv jeden unter Strafe stellen, der die israelische Flagge verunglimpft. Solange der Tatbestand nicht zugleich an eine bestimmte politische Anschauung oder Meinung anknüpft, könnte er als allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG angesehen werden. Ordnet man die gesetzliche Regelung als allgemeines Gesetz ein, müsste sich diese zudem als verhältnismäßig erweisen, folglich in geeigneter Weise einem legitimen Zweck dienen und erforderlich und angemessen sein. 3.2.2.2. Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts Würde man einen entsprechenden Tatbestand nicht mehr als allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG einordnen, könnte sich eine mögliche Rechtfertigung in Anlehnung an die sog. Wunsiedel -Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergeben.27 In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze, konkret in Bezug auf § 130 Abs. 4 StGB, anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus: „Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.“28 Das menschenverachtende Regime dieser Zeit habe für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig 27 BVerfGE 124, 300. 28 BVerfGE 124, 300 (327 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 8 sei und allein auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht eingefangen werden könne.29 Die propagandistische Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewaltund Willkürherrschaft mit all dem schrecklichen tatsächlich Geschehenen, das sie zu verantworten habe, entfalte Wirkungen, die über die allgemeinen Spannungslagen des öffentlichen Meinungskampfes weit hinausgingen.30 Die Befürwortung dieser Herrschaft sei in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potential und sei insofern mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar und könne nicht zuletzt auch im Ausland tiefgreifende Beunruhigung auslösen.31 Es bedürfte grundsätzlich einigen Argumentationsaufwandes, die Grundsätze der Wunsiedel-Entscheidung auch auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen. Das Bundesverfassungsgericht selbst wollte die Übertragbarkeit seiner Erwägungen zudem bereits einschränken. Es betonte, dass die Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze auf der „Einzigartigkeit “ der Verbrechen der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft beruhe und insoweit auf „andere Konflikte nicht übertragbar“ sei. Die historische Verantwortung erlaube dem Gesetzgeber lediglich, für Meinungsäußerungen, die eine positive Bewertung des nationalsozialistischen Regimes in ihrer geschichtlichen Realität zum Gegenstand haben, gesonderte Bestimmungen zu erlassen, die an die spezifischen Wirkungen gerade solcher Äußerungen anknüpfen und ihnen Rechnung tragen.32 Auch ein Teil der staatsrechtlichen Literatur lehnt es ab, die grundrechtsimmanente Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts auf andere Sachverhalte zu übertragen. Dabei wird ebenfalls die Singularität der Entscheidung betont.33 Der Beschluss erlaube in seiner Einzigartigkeit keine Nachahmung.34 Die Ausnahme sei erkennbar als vom Bundesverfassungsgericht abschließend gedacht, so dass für die Anerkennung weiterer Ausnahmen kein Raum sei.35 In der Literatur wird jedoch auch vertreten, dass die Entscheidung in ihrer Begründung durchaus verallgemeinerbar sei.36 Denn diese erschöpfe sich eben nicht nur in der Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen, sondern beziehe deren genuine Bedeutung für die deutsche 29 BVerfGE 124, 300 (328). 30 BVerfGE 124, 300 (329). 31 BVerfGE 124, 300 (329). 32 BVerfGE 124, 300 (331). 33 Vgl. insbes. Frenzel, in: Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, 3. Aufl. 2017, S. 868 f. 34 Frenzel, in: Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, 3. Aufl. 2017, S. 870. 35 Hong, DVBl 2010, 1267 (1272). 36 Vgl. z. B. Handschell, BayVBl 2011, 745 (751). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 042/18 Seite 9 Verfassungsordnung, die als „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“37 konzipiert wird, mit ein.38 Ob und inwieweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daher zur Rechtfertigung eines entsprechenden Straftatbestandes herangezogen werden kann, lässt sich nicht abschließend beantworten. Ein entsprechender Tatbestand müsste sich an den Wertungen der Entscheidung orientieren. Letztlich wäre dann im Rahmen einer umfassenden Abwägung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzgeberischen Ausgestaltung zu entscheiden, ob diese als Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts Bestand haben könnte. Eine solche Ausnahme wäre jedoch wie dargestellt nur dann erforderlich, wenn sich die gesetzliche Regelung nicht ohnehin bereits als allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG einordnen ließe. 3.3. Verbot der Benachteiligung wegen politischer Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) Weiterhin kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG in Betracht (Verbot der Benachteiligung wegen politischer Anschauungen). Dieses Grundrecht schützt vor Eingriffen, die schon an das bloße „Haben“ einer politischen Anschauung anknüpfen.39 Die Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen , die hingegen an die Äußerungen und Betätigung solcher Anschauungen anknüpfen, richte sich hingegen grundsätzlich nach den jeweiligen Freiheitsgrundrechten. Soweit also das eingangs beschriebe Strafgesetz mit der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar wäre (vgl. 3.2.), käme auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nicht in Betracht. 4. Ergebnis Ein Straftatbestand, der die Verunglimpfung allein der israelischen Flagge unter Strafe stellt, könnte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein. Dem Gesetzgeber steht grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Im Lichte der fortwirkenden, besonderen , geschichtlich begründeten Verantwortung Deutschlands, erschiene es nicht willkürlich, die israelische Flagge in besonderer Weise zu schützen. Ein solcher Straftatbestand griffe aber regelmäßig in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein. Solange dieser jedoch nicht an eine bestimmte Meinung als solche anknüpft , sondern sich sachlich – auf den Schutz der israelischen Flagge – beschränkt, spricht einiges dafür, eine solche Regelung als „allgemeines Gesetz“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG anzusehen . Soweit der Gesetzgeber den Tatbestand hingegen im Sinne eines nicht-allgemeinen Sondergesetzes ausgestaltet, käme möglicherweise eine an die Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angelehnte Rechtfertigung in Betracht. *** 37 BVerfGE 124, 300 (328). 38 Hanschmann, KJ 46 (2013), 307 (313). 39 BVerfGE 124, 300 (338); vgl. zum Merkmal „politische Anschauung“ nur Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Rn. 70 f.