Änderungen des Berlin/Bonn-Gesetzes und damit verbundener Maßnahmen Notwendige Schritte und verfassungsrechtliche Grenzen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 040/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Änderungen des Berlin/Bonn-Gesetz und damit verbundener Maßnahmen Notwendige Schritte und verfassungsrechtliche Grenzen Ausarbeitung WD 3 - 040/07 Abschluss der Arbeit: 06.03.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Für einen Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin müsste das Berlin/Bonn- Gesetz geändert werden. Zu einer entsprechenden Änderung ist der Gesetzgeber grundsätzlich befugt. Bindungen aufgrund von Koalitionsvereinbarungen, Erklärungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens oder sonstiger Stellungnahmen bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht; sie sind allein politischer Natur. Maßstab einer möglichen Änderung wäre allein das geltende Verfassungsrecht. Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund. In materieller Hinsicht begegnet eine Änderung keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit man davon ausgeht, dass die Region Bonn aufgrund der bisherigen Vereinbarungen Vertrauensschutz genießt, spricht dies nicht generell gegen einen Umzug. Denkbar ist nur, dass hieraus eine Pflicht resultiert, weitere Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn zu treffen. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Rechtliche und tatsächliche Situation 4 2.1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen 5 2.2. Grundsätzliches zur Notwendigkeit einer Gesetzesänderung 7 2.3. Generelle Zulässigkeit von Änderungen 9 2.3.1. Bindung durch Koalitionsvereinbarung 9 2.3.2. Bindung durch die Begründung zum Hauptstadtartikel, Art. 22 GG 10 2.3.3. Bindungswirkung durch „Selbstbindung des Gesetzgebers“ 11 2.4. Zwischenergebnis 12 3. Verfassungsrechtliche Beurteilung 12 3.1. Gesetzgebungskompetenz für eine Änderung 13 3.2. Rechtliche Position der Stadt Bonn 13 3.2.1. Kommunale Selbstverwaltung und Sonderbelastungsausgleich 13 3.2.2. Rechtsstaatsprinzip 13 3.2.3. Bundesstaatsprinzip 14 3.3. Rechtliche Position des Landes Berlin 15 3.4. Rechtspositionen von Mitarbeitern 15 3.4.1. Beamte 15 3.4.2. Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst 16 3.5. Anwendbarkeit des Dienstrechtlichen Begleitgesetzes 16 3.6. Sonstige Auswirkungen 17 4. Beteiligung des Bundesrates an möglichen Änderungen 17 5. Ergebnis 17 6. Literaturverzeichnis 18 7. Anlagenverzeichnis 19 - 4 - 1. Einleitung Untersucht wird im Folgenden, ob die im Zusammenhang mit dem so genannten Berlin /Bonn-Gesetz1 getroffenen Entscheidungen aufgehoben werden könnten, welche Schritte hierfür notwendig wären und ob eine Änderung des Gesetzes und damit verbundener Maßnahmen mit verfassungsrechtlichen Problemen verbunden wäre. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt dabei auf einem möglichen Komplettumzug der noch in Bonn verbliebenen Bundesministerien.2 Dabei werden zunächst die maßgeblichen Rechtsgrundlagen dargestellt. Sodann erfolgt eine Darstellung der Notwendigkeit einer Änderung und ob generelle Bedenken hinsichtlich einer Änderung bestehen.3 Im dritten Teil wird untersucht, welche verfassungsrechtlichen Grenzen bei einer Änderung zu beachten wären. Beleuchtet werden die Gesetzgebungskompetenz, allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen, die Rechtspositionen der Region Bonn und der Region Berlin 4 sowie die Rechtspositionen der von einem Umzug betroffenen Mitarbeiter. 2. Rechtliche und tatsächliche Situation Alle Bundesministerien haben zurzeit zwei Dienstsitze, vgl. § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Berlin /Bonn-Gesetz. Unterschieden wird zwischen dem ersten und dem zweiten Dienstsitz. Folgende sechs Ministerien haben ihren ersten Dienstsitz in Bonn: - Bundesministerium der Verteidigung - Bundesministerium für Gesundheit - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Bundesministerium für Bildung und Forschung - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 1 Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 26. April 1994, BGBl. I S. 918. 2 Vgl. den Antrag der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 16/3284 sowie ablehnende Beschlussempfehlung, BT-Drs. 16/4461; zu diversen Vorschlägen und deren Rezeption in der Presse siehe: „Teurer Hauptstadt -Shuttle“, Leipziger Volkszeitung vom 20.2.2007; „Berlin lädt zum Umzug ein“, Berliner Zeitung vom 19.2.2007; „Bonn-Gegner suchen Entscheidungskampf um Berlin“, Spiegel-Online vom 5.1.2007; „Zimmer mit Rheinblick“, Der Spiegel vom 11.12.2006; „Manchmal wahnsinnig“, Der Spiegel vom 16.1.2006. 3 Insgesamt ist zu beachten, dass die Aussagekraft von zitierten Entscheidungen aufgrund der Einmaligkeit der zu prüfenden Rechtsfrage geschwächt ist, siehe auch Heintzen, 2000, S. 48, Anlage 2. 4 Untechnisch formuliert, konkret geht es um die Stadt Bonn als Gemeinde i.S.d. Art. 28 Abs. 2 GG und die Rechte Berlins als Stadtstaat und damit als Stadt und Land gleichermaßen. - 5 - Folgende acht Ministerien haben ihren ersten Dienstsitz in Berlin: - Auswärtiges Amt - Bundesministerium des Innern - Bundesministerium der Finanzen - Bundesministerium der Justiz - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie - Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Diese Aufteilung ist die Folge einer Reihe von Entscheidungen des Bundestags und der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands. Um mögliche Schritte zur Änderung dieser Aufteilung herauszuarbeiten, ist es notwendig , die maßgeblichen Gesetze, Beschlüsse und sonstigen Maßnahmen darzustellen.5 2.1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen Grundlage der Hauptstadtentscheidung ist Art. 2 Abs. 1 des Vertrages über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag).6 Dort heißt es: „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden.“ Ausweislich einer Protokollnotiz zum Einigungsvertrag sollten die weiteren Entscheidungen zur Hauptstadt die Sache der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes sein.7 In der Sitzung vom 20. Juni 1991 nahm der Bundestag die Entschließung „Vollendung der Einheit Deutschlands“ an.8 Kernaussagen der Entschließung waren: 5 Überblick über wesentliche Daten bis zum Jahr 1999 finden sich in der Unterrichtung über die Bilanz der Maßnahmen zum Umzug der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1601, S. 11 f.; zur organisatorischen Seite siehe Beschlüsse der Bundesregierung vom 3. Juni 1992 und vom 12. Oktober 1993, vgl. BT-Drs. 14/1601, S. 11 sowie Busse, in: Hauptstadt Berlin, S. 93 ff. 6 http://www.jura.uni-sb.de/Vertraege/Einheit/ein1_a2.htm, Abruf am 26.2.2007. 7 Die Protokollnotiz wird zitiert in der BT-Drs. 12/6614, S. 10. 8 BT-Drs. 12/815; „Hauptstadtbeschluss“ Plenarprotokoll 14/34; abgedruckt auch in: Berlin-Bonn, Die Debatte, Alle Bundestagsreden vom 20. Juni 1991. - 6 - „Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin.“9 „Zwischen Bonn und Berlin soll eine faire Arbeitsteilung vereinbart werden, so daß Bonn auch nach dem Umzug des Parlaments nach Berlin Verwaltungszentrum der Bundesrepublik Deutschland bleibt (…).“10 „Für die Region Bonn, für ihre Bürger und für die Wirtschaft, muß ein angemessener Funktionsausgleich gefunden werden (…).“11 Außerdem wurde die Einrichtung einer Kommission angeregt, die Vorschläge zur Verteilung nationaler und internationaler Institutionen erarbeiten sollte.12 Die Vorschläge dieser Unabhängigen Föderalismuskommission (UFK) vom 27. Mai 199213 nahm der Bundestag am 26. Juni 1992 zustimmend zur Kenntnis.14 Zu beachten ist, dass nur die Verlagerung von Bundesinstitutionen in die Neuen Länder und nach Bonn angesprochen waren, die Verlagerung von Bundeseinrichtungen nach Berlin hingegen nicht. Neben der UFK gab es auf Beschluss des Ältestenrates drei Kommissionen15, die zur Vorbereitung der internen Willensbildung des Bundestags dienen sollten.16 Dabei hatte die Konzeptkommission den Auftrag, die grundsätzlichen Entscheidungen über den Vollzug des Hauptstadtbeschlusses vorzubereiten, Beratungen zu koordinieren und die Erstellung des Konzepts durch die Bundesregierung zu begleiten und zu gestalten.17 Durch das Berlin/Bonn-Gesetz wurden im Jahr 1994 die genannten Entscheidungen sowie der Beschluss des Bundestages zum dritten Zwischenbericht der Konzeptkommission des Ältestenrates18 gesetzlich verankert.19 Dann folgte die Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn vom 29. Juni 1994, die von 1995 bis 2004 ein Gesamtfördervolumen von 2,81 Mrd. 9 Ausführliche Begründung, auch mit historischen Bezügen, BT-Drs. 12/815, S. 4 ff. 10 BT-Drs. 12/815, S. 1. 11 BT-Drs. 12/815, S. 6. 12 So genannte „Unabhängige Föderalismuskommission“, BT-Drs. 12/815, S. 2. 13 BR-Drs. 450/92; siehe auch Beschlussprotokoll zu den Vorschlägen vom 27. Mai 1992, 9. Sitzung, Aktenmappe Nr. 17, Aktenzeichen 0131 (9) sowie das dazugehörige Stenografische Protokoll. 14 BT-Drs. 12/2853 (neu); Plenarprotokoll 12/100, S. 8520 (D). 15 Konzeptkommission, Baukommission, Personal- und Sozialkommission. 16 Zwischenbericht der Konzeptkommission vom 11. Dezember 1991, BT-Drs. 12/1832, S. 4. 17 BT-Drs. 12/1832, S. 4. 18 BT-Drs. 12/6615; Zum zweiten Zwischenbericht siehe BT-Drs. 12/2850. 19 Zum – mit Erlass des Gesetzes erledigten – Streit über die Notwendigkeit eines Gesetzes vgl. nur Repkewitz, ZParl 1990, S. 505, (511 ff.); weitere Nachweise bei Scholz, NVwZ 1995, S. 35, (36). - 7 - DM vorsah.20 Vertragspartner waren der Bund, die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz sowie die Region Bonn.21 Am 30. Juni 1994 schloss sich der Hauptstadtvertrag mit Berlin mit einem Volumen von 1,3 Mrd. DM an.22 Diese beiden Vereinbarungen bildeten im Wesentlichen die nähere Ausgestaltung der Maßnahmen im Sinne der § 5 Abs. 3 und § 6 Abs. 5 Berlin /Bonn-Gesetz. Insgesamt wurden aufgrund dieser Vereinbarungen 1,437 Mrd. Euro an Bonn und 1,378 Mrd. Euro an Berlin gezahlt.23 Mit Blick auf die Beamten der Bundeseinrichtungen, die im Zuge der Umsetzung des Hauptstadtbeschlusses ihren Sitz wechselten, beschloss der Bundestag 1996 das Dienstrechtliche Begleitgesetz24 (DBeglG), welches das geltende Dienstrecht ergänzte und modifizierte. Damit wurde § 8 Berlin/Bonn-Gesetz konkretisiert. Entsprechend einer Empfehlung des Ältestenrates hatte der Bundestag außerdem durch Beschluss bekräftigt , die Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten gleich zu behandeln.25 Für Arbeitnehmer des Bundes waren bereits Mitte 1996 entsprechende Tarifverträge ausgehandelt worden.26 2.2. Grundsätzliches zur Notwendigkeit einer Gesetzesänderung Wenn die Bundesregierung innerhalb ihrer verfassungsrechtlich geschützten Organisationsgewalt den Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin entscheiden könnte, bedürfte es keiner Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes. Maßgeblich ist hierfür § 4 Berlin/Bonn-Gesetz: „(1) Bundesministerien befinden sich in der Bundeshauptstadt Berlin und in der Bundesstadt Bonn. Der Bundeskanzler bestimmt die Geschäftsbereiche der Bundesminister und im Zusammenhang damit die Bundesministerien, die nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin ihren Sitz in der Bundesstadt Bonn behalten. 20 Abdruck einschließlich der Protokollnotizen bei Heintzen, 2000, S. 86 ff.; vgl. auch Bilanz der Ausgleichsmaßnahmen , Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen November 2004, http://www.bonn.de/imperia/md/content/ratundverwaltunbuergerdiensteonline/6.pdf., Abruf am 19.2.2007 sowie eine aktuelle Übersicht in BT-Drs. 16/1241, S. 4. 21 Vgl. Abdruck bei Heintzen, 2000, S. 86. 22 BT-Drs. 14/1601. 23 Antwort der Bundesregierung vom 8.2.2007 auf eine Kleine Anfrage zu den Bund-Länder- Finanzbeziehungen, BT-Drs. 16/4304, S. 10 f. 24 Dienstrechtliches Begleitgesetz im Zusammenhang mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 30. Juli 1996, BGBl. I 1996, S. 1183. 25 Battis, NVwZ 1996, S. 1090, (1091). 26 Lecheler, LKV 1998, S. 137, (138). - 8 - (2) Die in der Bundesstadt Bonn verbleibenden Bundesministerien sollen auch einen Dienstsitz in der Bundeshauptstadt Berlin erhalten. (3) Die ihren Sitz in der Bundeshauptstadt Berlin nehmenden Bundesministerien sollen auch einen Dienstsitz in der Bundesstadt Bonn behalten. Die zuständigen Bundesminister bestimmen die Teile ihres Bundesministeriums, die in der Bundesstadt Bonn verbleiben. (4) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 3 sollen so gestaltet werden, dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt.“ Das Berlin/Bonn Gesetz legt damit fest, dass sich Bundesministerien in Berlin und Bonn befinden sollen. Die Bundesministerien, die nach dem Umzug ihren Sitz in Bonn behalten sollten, sind aber nicht gesetzlich festgelegt. Geregelt wurde nur, dass bestimmte Politikbereiche in Bonn verbleiben sollen, § 1 Abs. 2 Nr. 3 Berlin/Bonn- Gesetz. Eine Aussage darüber, in welcher Form diese Politikbereiche in Bonn angesiedelt sein sollen, etwa als Ministerien oder auch als nachgeordnete Behörden, trifft das Gesetz aber nicht.27 Der Bundeskanzler kann jedenfalls im Rahmen seiner Organisationsgewalt die Entscheidung über den Sitz der von ihm zahlen- und ressortmäßig gebildeten Bundesministerien ändern.28 Eine gesetzliche Schranke errichtet § 4 Abs. 4 Berlin/Bonn-Gesetz, wonach die Sitzentscheidung so gestaltet sein „soll“, dass der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in Bonn verbleibt. Die Sollvorschrift schließt jedoch ebenso wenig eine unter dem Begriff „Bundesoberbehördenmodell“29 diskutierte Reform der Ministerialverwaltung aus, wie eine damit einhergehende weitere Verlagerung von Ministerien nach Berlin.30 Wenn die Bundesregierung allerdings durch schlichten Organisationserlass sämtliche Ministerien nach Berlin verlagern würde, verstieße dies gegen die eindeutige Regelung von § 4 Abs. 1 Satz 1 Berlin/Bonn-Gesetz: „Bundesministerien befinden sich in der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn.“ 27 Ausführlich dazu , S. 7 ff., Anlage 1. 28 Battis/Lühmann, LKV 1995, S. 28, (30); Scholz, NVwZ 1995, S. 35, (37), der einschränkend zu Recht auf Art. 65a GG hinweist; Siehe die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse vom 11. Dezember 1991 und 3. Juni 1992, Nachweis in BT-Drs. 12/6614, S. 10. 29 Dazu: „Zimmer mit Rheinblick“, Der Spiegel vom 11.12.2006, zur Umgestaltung im Bundesjustizministerium und das ab 1.1.2007 arbeitende Bundesamt für Justiz, http://www.bundesjustizamt.de. 30 Battis/Lühmann, LKV 1995, S. 28, (30). - 9 - Ist eine Organisationsmaßnahme durch Gesetz getroffen worden, kann sie wiederum nur durch Gesetz geändert oder aufgehoben werden; die Exekutive hat insoweit ihre Zuständigkeit endgültig verloren.31 Eine umfassende Verlagerung lässt sich demnach nur durch eine förmliche Änderung des Gesetzes herbeiführen. Somit besteht trotz sehr weiter Organisationsbefugnisse der Bundesregierung eine Bindung an das Berlin/Bonn-Gesetz, soweit es die hier zu untersuchende Frage eines Komplettumzugs der Bundesministerien nach Berlin betrifft.32 Zum gleichen Ergebnis führt auch die Analyse der Parlamentsmaterialien im Nachgang der Entscheidung zum Hauptstadtbeschluss. So stritten die Abgeordneten in der so genannten „Wort Halten“-Debatte33 aus den Jahren 1999/2000 zwar um die Notwendigkeit eines expliziten Bekenntnisses zum Berlin/Bonn-Gesetz.34 Eine grundsätzliche Bindung an die Vorschriften wurde jedoch fraktionsübergreifend bejaht.35 2.3. Generelle Zulässigkeit von Änderungen Weiterhin ist fraglich, ob es generelle Bedenken hinsichtlich der Änderbarkeit des Berlin /Bonn-Gesetzes gibt. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber frei in der Entscheidung, ob er ein Gesetz aufhebt, ändert oder weiterentwickelt. Dies ergibt sich aus dem demokratischen Mehrheitsprinzip, welches insoweit Ausdruck der inneren Souveränität des modernen Staates ist.36 2.3.1. Bindung durch Koalitionsvereinbarung Möglicherweise steht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD einer Änderbarkeit entgegen. Dort heißt es in der Anlage 2 unter Rn. 41: „Das Berlin-Bonn-Gesetz, die bis 2010 laufende Kulturförderung des Bundes für die Bundesstadt Bonn sowie der vom Bund in Bonn getragenen bzw. geförderten Kultureinrichtungen (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik 31 , S. 10, Anlage 1; Böckenförde, NJW 1999, S. 1235, (1236). 32 , S. 10, Anlage 1; Heintzen, 2000, S. 20 ff. und 30 ff.; Salz, S. 187. 33 Vgl. den Antrag BT-Drs. 14/1004; Ablehnung des Antrags am 6. Juli 2000, Plenarprotokoll 14/114, S. 10907 (A). 34 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 14/2699, S. 3; Plenarprotokoll 14/45, S. 3779 (A) – 3790 (C) sowie Plenarprotokoll 14/114, S. 10899 (B) – 10907 (A). 35 Zu den unterschiedlichen Auslegungen, vgl. Plenarprotokoll 14/45, S. 3779 (A) – 3790 (C) sowie Plenarprotokoll 14/114, S. 10899 (B) – 10907 (A); Siehe auch BT-Drs. 15/5548, S. 7: „Die Bundesregierung respektiert selbstverständlich den ‚Bonn-Berlin-Beschluss’ des Deutschen Bundestages. Der Bundeskanzler hat (…) bekräftigt, dass Bonn als Bundesstadt und als deutsche Sitzstadt der Vereinten Nationen auch in Zukunft politische Bedeutung behalten werde und ansonsten lediglich auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass organisatorische Umstrukturierungen in/von Bundesbehörden nicht für alle Ewigkeit ausgeschlossen werden können.“ 36 Heintzen, 2000, S. 46, Anlage 2. - 10 - Deutschland, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sowie Beethoven-Haus) bleiben unberührt.“ Grundsätzlich sind auch Koalitionsverträge verbindlich, unabhängig von ihrem rechtlichen Charakter.37 Dass sie allerdings auch rechtlich verbindlich im Sinne eines Vertrages sind, wird aber überwiegend abgelehnt.38 Diese Einschätzung resultiert vor allem daher, dass Koalitionsvereinbarungen gerichtlich nicht durchsetzbar, ihre Einhaltung also mit rechtlichen Mitteln nicht erzwungen werden kann. Einer Klage vor den Verwaltungsgerichten steht § 40 Abs. 1 VwGO entgegen, der eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art für die Eröffnung des entsprechenden Rechtswegs verlangt. Koalitionsvereinbarungen sind hingegen verfassungsrechtlicher Natur.39 Und die im Grundgesetz (GG) abschließend aufgeführten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sehen keinen Prozess über oder zur Durchsetzung von Koalitionsvereinbarungen vor.40 2.3.2. Bindung durch die Begründung zum Hauptstadtartikel, Art. 22 GG Möglicherweise ergibt sich aus der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes41 und der Stellungnahme der Bundesregierung eine Bindung . In der Begründung, die auch auf den Koalitionsvertrag (siehe oben 2.3.1) abstellt, heißt es: „Der neue Absatz 1 des Artikels 22 greift in seinem Satz 1 die Regelung in Artikel 2 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrags auf. Die Hauptstadtfunktion Berlins wird nunmehr auch verfassungsrechtlich festgeschrieben. In Satz 2 wird die bisher ungeschriebene Bundeszuständigkeit für die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ausdrücklich erwähnt und als Aufgabe des Bundes normiert. Satz 3 überlässt die Regelung des Näheren dem Bundesgesetzgeber , der die Materie in einem oder mehreren Bundesgesetzen regeln kann. Die Möglichkeit ergänzender Vereinbarungen bleibt unberührt.“ Zur Auslegung dieser Passage erläuterte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage hinsichtlich der Auswirkungen der Föderalismusreform auf das Berlin /Bonn-Gesetz und die Bundesstadt Bonn: 37 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 63, Rn. 10. 38 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 63, Rn. 11. 39 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 63, Rn. 11. 40 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 63, Rn. 12. 41 Föderalismusreform I, vgl. BT-Drs. 16/813. - 11 - „Wie jede Begründung einer Grundgesetzänderung ist auch die Begründung zu Artikel 22 GG ein Hilfsmittel der Verfassungsauslegung und erläutert die Motive der Verfassungsänderung. Der auch in der Gesetzesbegründung wiedergegebene Text der Koalitionsvereinbarung zum Berlin-Bonn-Gesetz stellt klar, dass die Ergänzung von Artikel 22 dieses Gesetz unberührt lässt.“ Im Ergebnis betont die Bundesregierung, dass sich die Föderalismusreform nicht unmittelbar auf das Berlin/Bonn-Gesetz auswirkt42 – ein Änderungsverbot wird jedoch auch nicht impliziert.43 2.3.3. Bindungswirkung durch „Selbstbindung des Gesetzgebers“ Fraglich ist, ob aus den zahlreichen Bekenntnissen für eine Aufgabenteilung zwischen Berlin und Bonn, den gesetzlichen Vorgaben und Begründungen, der Art des geschlossenen Kompromisses etc.44 Bindungswirkungen für den Gesetzgeber ergeben können. Zu denken wäre an eine Form der „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Der Begriff „Selbstbindung“ stammt aus dem Verwaltungsrecht. Normative Grundlage der „Selbstbindung der Verwaltung“ ist insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG.45 Ein Hinweis zur Selbstbindung des Gesetzgebers findet sich in der Entscheidung des BVerfG zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz.46 Konkretisierungen hat das Gericht nicht gemacht und eine Selbstbindung im konkreten Fall verneint.47 Im Ergebnis ist eine Selbstbindung auch für die vorliegende Frage abzulehnen; dies gilt schon aus dogmatischen Gründen. Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung konkretisiert rechtstaatliche Anforderungen an die Handlungen der Verwaltung. Die Selbstbindung der Verwaltung besteht aber immer nur innerhalb der gesetzlichen Vorgaben; Maßstab für das Verwaltungshandeln ist das Gesetz, Art. 20 Abs. 3 GG. Maßstab für das Handeln des Gesetzgebers ist hingegen die Verfassung. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber demnach frei in der Gestaltung und auch Änderung der Gesetze. Eine – wie auch immer geartete – Bindung an frühere Gesetze besteht nur, soweit dies 42 So auch Busse, DÖV 2006, S. 631, (639). 43 Busse, DÖV 2006, S. 631, (640); Heintzen, LKV 2007, S. 49, (51): „Art. 22 I 3 GG will feststellen, dass sich am unterverfassungsrechtlichen Status quo nichts ändern soll, auch nicht zu Lasten von Bonn.“ 44 Vgl. BT-Drs. 12/6614, S. 10 ff.; BT-Drs. 12/6615, S. 10: „Bestandkraft“ durch Gesetze und Verträge ; Plenarprotokoll 12/205, S. 17728 (A) und 12/216, S. 18610 (B), S. 18622 (A): „Planungssicherheit “ schaffen und „Rutschbahneffekt“ vermeiden; siehe auch Salz, S. 186: „(…) die politische Glaubwürdigkeit gebietet es, an der dauerhaften und fairen Arbeisteilung (…) keine Zweifel aufkommen zu lassen.“ 45 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40, Rn. 104. 46 BVerfGE 102, S. 254, (311). 47 BVerfGE 102, S. 254, (312). - 12 - das Grundgesetz ausdrücklich verlangt.48 Im Übrigen ist der Gesetzgeber „zu freier Gestaltung berufen“49. Eine Selbstbindung des Gesetzgebers über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinaus existiert nicht. 2.4. Zwischenergebnis Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, über ein Gesetz zu verfügen und dieses zu ändern; dies ergibt sich aus dem Demokratieprinzip und gilt auch für das Berlin/Bonn-Gesetz sowie damit verbundene Entscheidungen. Begrenzungen können sich dementsprechend nur aus der Verfassung selbst ergeben. 3. Verfassungsrechtliche Beurteilung Literatur zu möglichen verfassungsrechtlichen Problemen eines Komplettumzugs gibt es kaum, Rechtsprechung nicht.50 Die nachfolgenden Erkenntnisse stützen sich überwiegend auf eine Untersuchung des Berliner Universitätsprofessors Heintzen aus dem Jahr 2000, in dem dieser die verfassungsrechtliche Position der Bundesstadt Bonn ausführlich beleuchtet hat.51 Außerdem wurden die Materialien von Bundestag und Bundesrat zu den oben aufgezeigten Maßnahmen auf entsprechende Hinweise hin untersucht . Die – sehr umfangreichen – Dokumentationen zum Berlin/Bonn-Gesetz52 sowie zur Arbeit und den Ergebnissen der UFK53 enthalten keine weiterführenden Hinweise. Der Umzug der Behörden wurde allgemein als politisches und vor allem logistisches Problem erörtert.54 Verfassungsrechtliche Fragen spielten kaum eine Rolle. So enthält beispielsweise die Stellungnahme des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts nur praktische, historische und politische Argumente gegen zum Umzug des Gerichts von Berlin nach Leipzig.55 Ebenfalls mit der Funktionsfähigkeit argumentierte der Bundesjustizminister gegen Umzüge von obersten Gerichtshöfen.56 48 Zur Selbstbindung des Bundestages an die Geschäftsordnung, Repkewitz, ZParl 1990, S. 505, (510). 49 Sachs, GG, Art. 20, Rn. 99, m.w.N. 50 Der Beschluss des BVerfG vom 24.8.1992, LKV 1992, S. 375, mit dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Vereinbarungen der Bundesrepublik mit Berlin und Brandenburg abgelehnt wurde, enthält keine Hinweise für die hier zu entscheidenden Fragen. 51 Beigefügt als Anlage 2. 52 Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Gesetzesdokumentation, Signatur XII/328. 53 Materialien, insbesondere zu den Vorschlägen der UFK, BR-Drs. 450/92, Dokumentation im Bundesrat . 54 Busse, in: Hauptstadt Berlin, S. 93 ff.; Zeh, in: Berlin. Die Hauptstadt, S. 649 ff. 55 Franßen, Everhardt, Vermerk vom 3. März 1992, UFK Aktenmappe Nr. 26, Aktenzeichen 0137 (009); ders., Ansprache zum Pressegespräch am 14.2.1995, NVwZ 1995, S. 354, (355), mit dem zutreffenden Hinweis, dass für eine Verlagerung des Gerichts die Verwaltungsgerichtsordnung, mithin einfaches Gesetzesrecht, zu ändern wäre, vgl. § 2 VwGO in der aktuellen Fassung: „Gerichte der - 13 - 3.1. Gesetzgebungskompetenz für eine Änderung Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Frage der Standorte von Bundesministerien ergibt sich auch nach der Föderalismusreform aus der Natur der Sache.57 3.2. Rechtliche Position der Stadt Bonn 3.2.1. Kommunale Selbstverwaltung und Sonderbelastungsausgleich Die Untersuchung von Heintzen gelangt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber grundsätzlich frei sei, das Berlin/Bonn-Gesetz zu ändern.58 Aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 GG folge jedoch ein Anspruch der Stadt Bonn, sich auf gesicherter rechtlicher Grundlage aus der Funktion als Bundeshauptstadt zu lösen und neu zu orientieren. Dieser verfassungsrechtliche Schutz werde jedoch in dem Maße schwächer, wie sich die Stadt von ihrer früheren Funktion emanzipieren könne.59 Ein zeitlich unbegrenzter Schutz existiere nicht; es handele sich vielmehr um relativen Bestandsschutz .60 Aus kommunalfinanzverfassungsrechtlichen Vorgaben könne folgen, dass bei einer Änderung zu Lasten Bonns ein weiterer Ausgleichsanspruch entstünde, Art. 106 Abs. 8 GG.61 Dem ist zuzustimmen. 3.2.2. Rechtsstaatsprinzip Zum selben Ergebnis führt die Prüfung am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips. Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz der Rechtssicherheit, der wiederum unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz gebieten kann. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere der Fall, wenn Gesetze rückwirkend in Rechtspositionen des Bürgers eingreifen.62 Verwaltungsgerichtsbarkeit sind in den Ländern die Verwaltungsgerichte und je ein Oberverwaltungsgericht , im Bund das Bundesverwaltungsgericht mit Sitz in Leipzig.“ 56 Kinkel, Klaus, Stellungnahme zum Umzug von Bundesgerichten vom 7. April 1992, UFK Aktenmappe Nr. 26, Aktenzeichen 0137 (009). 57 Jarass/Pieroth, GG, Art. 70, Rn. 9. 58 Heintzen, 2000, S. 69, Anlage 2. 59 Heintzen, 2000, S. 70, Anlage 2. 60 Heintzen, 2000, S. 63, Anlage 2. 61 Heintzen, 2000, S. 56, Anlage 2. Art. 106 Abs. 8 GG bestimmt: „Veranlaßt der Bund in einzelnen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) besondere Einrichtungen, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) unmittelbar Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen ) verursachen, gewährt der Bund den erforderlichen Ausgleich, wenn und soweit den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) nicht zugemutet werden kann, die Sonderbelastungen zu tragen. Entschädigungsleistungen Dritter und finanzielle Vorteile, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) als Folge der Einrichtungen erwachsen, werden bei dem Ausgleich berücksichtigt.“ 62 Ob Fragen der Rückwirkung an Art. 20 Abs. 2, Abs. 3 GG festgemacht werden können oder in Grundrechten verankert, ist nur ein dogmatische Frage, die hier keiner Entscheidung bedarf. - 14 - Zu unterscheiden ist zwischen echter und unechter Rückwirkung.63 Bei der echten Rückwirkung wird in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen. Hier geht die herrschende Auffassung davon aus, dass dies grundsätzlich unzulässig ist.64 Bei der unechten Rückwirkung wird in bereits begonnene, aber noch nicht vollständig abgeschlossene Vorgänge mit Wirkung allein für die Zukunft eingewirkt. Dies ist grundsätzlich zulässig.65 Bei einer Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes, die einen Komplettumzug erlauben würde, handelte es sich um einen Fall unechter Rückwirkung, da nicht in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen würde. Vielmehr würde mit Wirkung für die Zukunft eine Änderung der Sitze der Bundesministerien herbeigeführt. Dies wäre grundsätzlich zulässig. Soweit sich aus den bisherigen Bekundungen für Bonn ein besonderer Vertrauenstatbestand ergeben hätte, führte dieser allein zur möglichen Pflicht weiterer Ausgleichsmaßnahmen , nicht jedoch zum gänzlichen Ausschluss des Umzugs (siehe oben 3.2.1). 3.2.3. Bundesstaatsprinzip In den Debatten um Parlaments- und Regierungssitz wurde immer wieder auch auf das Bundesstaatsprinzip abgestellt, Art. 20 Abs. 1 GG. So entspreche es dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik, auf eine dezentrale Verteilung der Bundes- sowie der europäischen und internationalen Behörden und Institutionen zu achten.66 Hieraus folgt jedoch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Bundesbehörden dezentral zu verteilen.67 Das Bundesstaatsprinzip dient grundsätzlich der Begrenzung politischer Macht und wird im Grundgesetz an verschiedenen Stellen konkretisiert.68 Der in Art. 30 GG genannte Grundsatz der Zuständigkeit der Länder wird an vielen Stellen durchbrochen und konkretisiert, etwa durch Regelungen über die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen, Art. 70 ff. GG. Das Bundesstaatsprinzip gebietet es, diese durch das Grundgesetz vorgesehene Verteilung von Zuständigkeiten zu beachten. Es 63 Bzw. zwischen Rückbewirkung von Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung. Das Bundesverfassungsgericht verwendet beide Begriffpaare, hinter denen sich inhaltlich dasselbe verbirgt. 64 Sachs, GG, Art. 20, Rn. 133, m.w.N. 65 Sachs, GG, Art. 20, Rn. 136, m.w.N. 66 Siehe Hämmerle, Gerlinde, Kurzbericht der Vorsitzenden der UFK vom 22.1.1992 für die gemeinsame Sitzung der Konzept-, Personal- und Sozialkommission des Ältestenrates, der Föderalismuskommission sowie des Arbeitsstabes Berlin/Bonn der Bundesregierung, UFK Aktenmappe 16, Aktenzeichen 0131, S. 1; Häberle, DÖV 1990, S. 989, (998 f.); Debatte zum Hauptstadtbeschluss, Plenarprotokoll 12/34, S. 2737 (C). 67 Im Ergebnis so auch Häberle, DÖV 1990, S. 989, (994). 68 Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 16. - 15 - gebietet aber nicht, bereits zugewiesene Kompetenzen erneut zwischen Bund und Ländern zu teilen. Ein Komplettumzug der Bundesministerien verstößt dementsprechend nicht gegen das Bundesstaatsprinzip, da dem Bund die Kompetenz für die Sitzbestimmung zusteht. 3.3. Rechtliche Position des Landes Berlin Rechtlich relevante Nachteile für das Land Berlin sind nicht ersichtlich. Wirtschaftlich und politisch würde sich der Komplettumzug wohl als „Zugewinn“ darstellen.69 Dies ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung aber unerheblich. Weiterhin ist der neue Art. 22 Abs. 1 GG zu beachten: „(1) Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Mit dieser Feststellung wird eine Finanzierungskompetenz des Bundes festgeschrieben 70, die bislang schon kraft Natur der Sache bestand und die der Bund durch besondere Hauptstadthilfen auch schon ausgeübt hat.71 Verfassungsrechtlich relevante Rechtspositionen sind mithin nicht betroffen. 3.4. Rechtspositionen von Mitarbeitern Ganz allgemein gilt für Beamte wie für Arbeitnehmer, dass keine generelle Verpflichtung des Bundes besteht, Arbeitsplätze aufrecht zu erhalten, für die kein dienstliches Bedürfnis besteht. 3.4.1. Beamte Hinsichtlich der Beamten in den Bundesministerien ist strittig, ob es sich bei einem Behördenumzug und einer entsprechenden Weisung, diesem Umzug zu folgen, um eine 69 Halsch, in: Baßeler/Heintzen/Kruschwitz, Berlin, S. 88; Wochenbericht des DIW Berlin vom 8.2.2006, S. 65 – 75; „Berlin lädt zum Umzug ein“, Berliner Zeitung vom 19.2.2007; Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit am 9.12.2004: „Selbstverständlich würden wir uns freuen, wenn alle Bundesministerien in Berlin nicht nur einen Sitz oder eine Repräsentanz nehmen, sondern gänzlich nach Berlin umziehen würden“, Plenarprotokoll, Abgeordnetenhaus von Berlin 15/61, S. 5085 (D), http://www.parlamentsspiegel.de/WWW/Webmaster/GB_I/I.4/Dokumentenarchiv/dokument .php?quelle=alle&wm=1&Id=EEP15/61%20%20%20%20%20&von=05085&bis=05085, Abruf am 22.2.2007. 70 Zu den Beratungen im Rahmen der Föderalismusreform siehe Bericht des Sprechers der Projektgruppe 7 (Hauptstadt), 7. Sitzung der AG 1 vom 30.4.2004, Protokollvermerk S. 27 – 29 sowie Punkt 3, Hauptstadt, S. 947 – 956, beides abrufbar bei Holtschneider/Schön, Zur Sache 1-2005 (CD- ROM); zur rechtlichen Einordnung Heintzen, LKV 2007, S. 49, (50). 71 Halsch, in: Baßeler/Heintzen/Kruschwitz, Berlin, S. 87. - 16 - Versetzung oder Umsetzung oder eine sonstige beamtenrechtliche Maßnahme handelt.72 Im Ergebnis herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass grundsätzlich eine – wie auch immer rechtlich einzuordnende – Folgepflicht der Beamten besteht.73 Grundlage sind die beamtenrechtlichen Vorschriften, für die sich Grenzen im Einzelfall aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 11 Abs. 1 GG ergeben können.74 3.4.2. Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst Für Arbeitnehmer ist die arbeitsrechtliche Ausgestaltung maßgeblich, also die Frage, was Arbeitsverträge, Tarifverträge etc. für Ortswechsel vorsehen75 und wie weit das Direktionsrecht des Arbeitgebers reicht.76 Diese Fragen betreffen jedoch nur einfachgesetzliche Aspekte. Grundrechte können auch hier Wirkung entfalten; im Ergebnis kommt es jedoch auf die konkrete Ausgestaltung aus.77 Soweit Vertrauensschutzaspekte hinsichtlich der genannten Entscheidungen bezüglich Berlin und Bonn angeführt werden, handelt es sich auch im Blick auf die Arbeitnehmer um eine unechte Rückwirkung (siehe oben 3.2.2). 3.5. Anwendbarkeit des Dienstrechtlichen Begleitgesetzes Fraglich ist, ob das (DBeglG) auch bei einem Komplettumzug der Bundesministerien Anwendung fände. § 1 DBeglG bestimmt, dass das Gesetz für alle personellen Maßnahmen gilt, die in Bezug stehen zu Verlegungen von Verfassungsorganen, obersten Bundesbehörden und sonstigen Einrichtungen des Bundes, die - im Zusammenhang mit der Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes von Bonn nach Berlin oder - als Ausgleich für die Region Bonn oder - entsprechend den Vorschlägen der Föderalismuskommission erfolgen. Voraussetzung ist demnach, dass ein eindeutiger Zusammenhang des Umzugs dieser Stellen mit der Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes besteht. Es kommt insoweit maßgeblich darauf an, ob man einen Komplettumzug noch in einem hinreichenden Zusammenhang mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 72 Ausführlich Tilp, S. 34 ff.; Schwidden, RiA 1995, S. 53f., die beide bei einer Verlegung der Behörde nicht von einer Versetzung ausgehen; anders VGH München, NVwZ-RR 1995, S. 683, (684). 73 Schwidden, RiA 1995, S. 53, (62); Tilp, S. 217 ff.; , S. 13 f., Anlage 1; VGH München, NVwZ-RR 1995, S. 683, (684). 74 Ausführlich und m.w.N., Tilp, S. 79 ff. 75 Schwidden, RiA 1995, S. 53, (62). 76 Ausführlich dazu bei Verlegung der Dienststelle, LAG Berlin, Urteil vom 14.12.1998, Aktenzeichen 9 Sa 95/98, BeckRS 1998, 30454412, (bei Beck Online). 77 Schwidden, RiA 1995, S. 53, (62). - 17 - zur Vollendung der Einheit Deutschlands und dem Berlin/Bonn-Gesetz ansieht.78 Dies dürfte bei einem Komplettumzug der Bundesministerien der Fall sein. In jedem Fall bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, im Zuge einer Änderung des Berlin/Bonn- Gesetzes das DBeglG in den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen anzupassen. 3.6. Sonstige Auswirkungen Möglicherweise erforderte ein Komplettumzug die Anpassung einfachgesetzlicher Normen, vgl. z.B. § 247 Baugesetzbuch.79 Dies ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung jedoch unbeachtlich. 4. Beteiligung des Bundesrates an möglichen Änderungen Das Berlin/Bonn-Gesetz selbst war ein Einspruchsgesetz.80 Ob mögliche Änderungen des Berlin/Bonn-Gesetzes die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen würden, hängt von den konkreten Änderungen ab und kann hier nicht abschließend beurteilt werden. 5. Ergebnis Das Kombinationsmodell81, wie es in den 90er Jahren beschlossen wurde, hat keinen Verfassungsrang. Daraus folgt, dass der Status Bonns als Bundesstadt ein einfachgesetzlicher , kein verfassungsrechtlicher Status ist.82 Dementsprechend kann der Gesetzgeber das Berlin/Bonn-Gesetzes ändern und den Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin beschließen. Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dieser Änderung grundsätzlich nicht entgegen, könnten den Gesetzgeber aber zu weiteren Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn verpflichten. Dies hängt unter anderem davon ab, in welchem Zeitraum ein Komplettumzug umgesetzt würde. 78 Ausführlich BVerwG, LKV 2001, S. 316 f. 79 Vgl. Kunig, LKV 1999, S. 337, (339). 80 Vgl. Protokoll der 667. Sitzung vom 18. März 1994, S. 79 und den Beschluss des Bundesrates vom 18.3.1994, BR-Drs. 191/94. 81 Zum Begriff vgl. BT-Drs. 12/6614, S. 10. 82 Heintzen, LKV 2007, S. 49, (50); Scholz, NVwZ 1995, S. 35, (36). - 18 - 6. Literaturverzeichnis - Battis, Ulrich; Lühmann, Hans, Der Interessenausgleich im Berlin/Bonn- Gesetz, LKV 1995, S. 28 – 30. (zit.: Battis/Lühmann, LKV 1995) - ders., Das Dienstrechtliche Begleitgesetz, NVwZ 1996, S. 1090 – 1091. (zit.: Battis, NVwZ 1996) - Busse, Volker, Die Umzugsplanung Berlin/Bonn aus staatsorganisatorischer Sicht, in: Süß, Werner (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Band 2, 1995, S. 93 – 115. (zit.: Busse, in: Hauptstadt Berlin) - ders., Hauptstadt Berlin und Bundesstadt Bonn: Modell oder Provisorium?, Die Öffentliche Verwaltung 2006, S. 631 – 640. (zit.: Busse, DÖV 2006) - Häberle, Peter, Die Hauptstadtfrage als Verfassungsproblem, Die Öffentliche Verwaltung 1990, S. 989 – 999. (zit.: Häberle, DÖV 1990) - Halsch, Volker, Berlin im Geflecht der Bund/Länder-Finanzbeziehungen, in: Baßeler, Ulrich; Heintzen, Markus; Kruschwitz, Lutz (Hrsg.), Berlin – Finanzierung und Organisation einer Metropole. S. 81 – 98. (zit.: Halsch, in: Baßeler /Heintzen/Kruschwitz, Berlin) - , Rechtsansprüche aus dem Berlin/Bonn-Gesetz, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WF III – 126/00, Juli 2000. - Heintzen, Markus, Der verfassungsrechtliche Status der Bundesstadt Bonn, 2000. (zit.: Heintzen, 2000) - ders., Die Hauptstadt Berlin im Bonner Grundgesetz – Anmerkungen zu Art. 22 I GG n.F., LKV 2007, S. 49 – 51. (zit.: Heintzen, LKV 2007) - Herzog, Roman, in: Maunz, Theodor; Dürig, Günter (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Band IV. (zit.: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG) - Holtschneider, Rainer; Schön, Walter (Hrsg.), Die Reform des Bundes Bundesstaates , Beiträge zur Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2003/2004 und bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens 2006, einschließlich Zur Sache 1-2005, Dokumentation der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung auf CD-ROM. (zit.: Holtschneider/Schön, Zur Sache 1-2005, CD-ROM) - Jarass, Hans D.; Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland , Kommentar, 8. Auflage 2006. (zit.: Jarass/Pieroth, GG) - Kunig, Philip, Berlin, Hauptstadt, LKV 1999, S. 337 – 340. (zit.: Kunig, LKV 1999) - Lecheler, Helmut, Das Dienstrechtliche Begleitgesetz zum Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20.6.1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands , LKV 1998, S. 137 – 138. (zit.: Lecheler, LKV 1998) - Repkewitz, Ulrich, Berlin: Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland eines vereinigten Deutschlands? Rechtliche Aspekte der Hauptstadtfrage, Zeitschrift für Parlamentsfragen 1990, S. 505 – 515. (zit.: Rpkewitz, ZParl 1990) - Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2003. (zit.: Sachs, GG) - 19 - - Salz, Andreas, Bonn – Berlin. Die Debatte um Parlaments- und Regierungssitz im Deutschen Bundestag und die Folgen, 2006. (zit.: Salz) - Scholz, Rupert, Das Berlin/Bonn-Gesetz, NVwZ 1995, S. 35 – 37. (zit.: Scholz, NVwZ 1995) - Schwidden, Frank, Zur Frage einer Folgepflicht für Beamte und Arbeitnehmer anlässlich der vorgesehenen Verlegung von Parlament und Regierung, Recht im Amt 1995, S. 53 – 63. (zit.: Schwidden, RiA 1995) - Stelkens, Paul; Bonk, Heinz Joachim; Sachs, Michael (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz , Kommentar, 6. Auflage 2001. (zit.: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG) - Tilp, Helmut, Beamtenrechtliche Auswirkungen der Regierungssitzverlegung, 1993. (zit.: Tilp) - Zeh, Wolfgang, Das Parlament in Berlin, in: Süß, Werner; Rytlewski, Ralf, Berlin. Die Hauptstadt, 1999. (zit.: Zeh, in: Berlin. Die Hauptstadt) 7. Anlagenverzeichnis - , Rechtsansprüche aus dem Berlin/Bonn-Gesetz, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WF III – 126/00, Juli 2000. - Anlage 1 - - Heintzen, Markus, Der verfassungsrechtliche Status der Bundesstadt Bonn, 2000, Auszug, S. 46 – 70. - Anlage 2 -