© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 039/20 Umgang mit nach Deutschland zurückkehrenden Unterstützern des sogenannten Islamischen Staats (IS) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 039/20 Seite 2 Umgang mit nach Deutschland zurückkehrenden Unterstützern des sogenannten Islamischen Staats (IS) Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 039/20 Abschluss der Arbeit: 23. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 039/20 Seite 3 1. Verlust der Staatsangehörigkeit bei IS-Unterstützern Der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit ist nach dem Grundgesetz verboten (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG). Eine verbotene Entziehung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einem Wegfall der Staatsangehörigkeit vor, den der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann.1 Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber ein Verlust der Staatsangehörigkeit erfolgen. Nach Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG darf ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur auf gesetzlicher Grundlage geschehen. Zu beachten ist zudem, dass nach Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG ein Verlust gegen den Willen des Betroffenen nur dann erfolgen kann, wenn dieser durch den Verlust nicht staatenlos wird. Ein solcher Verlust ist daher nur bei mehrfacher Staatsangehörigkeit möglich. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist in § 17 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) geregelt. Nach der alten Regelung sah § 17 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 28 StAG vor, dass die deutsche Staatsangehörigkeit „durch Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates“ verloren wird. Die Unterstützung des IS konnte nicht unter diese Norm gefasst werden, da der IS keinen ausländischen Staat darstellt. Aus diesem Grund wurden § 17 Abs. 1 Nr. 5 StAG und § 28 StAG im August 2019 geändert.2 Nach der Neuregelung wird die deutsche Staatsangehörigkeit unter anderem „durch konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ verloren. Da die Änderung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht rückwirkend erfolgte, kann die Neuregelung allerdings nur auf Personen angewandt werden, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung an solchen Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben.3 Anwendungsfälle liegen daher – soweit ersichtlich – noch nicht vor. 2. Rückführung von mutmaßlichen IS-Unterstützern und deren Angehörigen Grundsätzlich haben alle deutschen Staatsangehörigen das Recht auf eine Rückkehr nach Deutschland . Dies gilt folglich auch für Personen, die im Verdacht stehen, den IS unterstützt zu haben.4 Die Bundesregierung prüft alle Optionen hinsichtlich einer möglichen Rückführung deutscher Staatsangehöriger aus Syrien und dem Irak.5 Sie ist dabei auf die Unterstützung unterschiedlicher Beteiligter angewiesen. Hierzu zählen humanitäre Nichtregierungsorganisationen, aber auch lokale Akteure im Nordosten Syriens sowie die Regierungen der Nachbarstaaten Syriens. Mit diesen steht die Bundesregierung im Hinblick auf eine Rückführung aus humanitären Gründen, insbesondere eine Rückführung von Kindern, im engen Austausch. Bei der Ermittlung besonders schutzbedürftiger Personen geht das Auswärtige Amt über seine Auslandsvertretungen in der Region entsprechenden Hinweisen nach und versucht, diese unter Einschaltung von Partnerorganisationen und 1 Becker, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 16 Rn. 33. 2 Drittes Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 4. August 2019 (BGBl. I S. 1124). 3 BT-Drs. 19/9736, S. 7. 4 BT-Drs. 19/3909, S. 1. 5 BT-Drs. 19/13991, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 039/20 Seite 4 lokalen Autoritäten zu verifizieren und die Identität der Betroffenen zu klären.6 Waisenkinder und gesundheitlich beeinträchtigte Kinder gelten grundsätzlich als besonders gefährdet. 3. Zahl der zurückgekehrten mutmaßlichen IS-Unterstützer Mit Stand vom 15. November 2019 gab es zu 122 Personen, die aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrt sind, Erkenntnisse, dass sie zumindest zeitweise dem IS zugehörig waren.7 81 dieser Personen haben die deutsche Staatsangehörigkeit, wobei 24 Personen eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.8 Zu 67 der zurückgekehrten Personen mit IS-Bezug liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Der weit überwiegende Teil der Personen ist eigenständig nach Deutschland zurückgekehrt.9 In Einzelfällen wurden Frauen und Kinder zurückgeholt. Einzelne Personen wurden von der Türkei ausgewiesen. 4. Behandlung von zurückkehrenden mutmaßlichen IS-Unterstützern Maßnahmen zum Umgang mit Personen, die aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten nach Deutschland zurückkehren, werden bundesweit in Handlungskonzepten abgestimmt und fortlaufend überprüft und fortgeschrieben.10 Sobald Informationen über die Rückkehr einer Person aus diesen Gebieten vorliegen, bewerten die zuständigen Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes einzelfallbezogen die vorhandenen Erkenntnisse und stimmen das weitere Vorgehen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ab.11 Für jede Person wird dabei eine individuelle Gefahreneinschätzung vorgenommen.12 Wenn möglich, werden dabei auch Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration einbezogen. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind zudem bestrebt, mutmaßliche IS-Unterstützer ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, an der Wiedereinreise nach Deutschland zu hindern.13 6 BT-Drs. 19/12855, S. 8 f. 7 BT-Drs. 19/15446, S. 1. 8 BT-Drs. 19/15446 S. 2. 9 Vgl. BT-Drs. 19/12855, S. 1. 10 BT-Drs. 19/284, S. 13. 11 BT-Drs. 19/13991, S. 11. 12 BT-Drs. 19/3909, S. 2. 13 BT-Drs. 19/15446, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 039/20 Seite 5 5. Strafverfahren gegen zurückgekehrte mutmaßliche IS-Unterstützer Gemäß dem nach der Strafprozessordnung (StPO) geltenden Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) wird gegen jeden zurückkehrenden mutmaßlichen IS-Unterstützer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet , sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen.14 Gegen insgesamt 103 der 122 zurückgekehrten mutmaßlichen IS-Unterstützer wurde ein Ermittlungsverfahren durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof eingeleitet.15 Die Ermittlungsverfahren erfolgten unter anderem wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129a Abs. 5, 129b Strafgesetzbuch.16 In Bezug auf 54 Personen wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 142a Abs. 2 Nummer 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes an eine Landesstaatsanwaltschaft abgegeben.17 Gegen 33 Personen wurde Anklage durch den Generalbundesanwalt erhoben. Soweit ersichtlich, sind in diesen Fällen noch keine Urteile erfolgt. Weitere Ermittlungsverfahren wurden durch die Staatsanwaltschaften der Länder geführt. Hierzu können keine statistischen Angaben gemacht werden. In Einzelfällen wurden Unterstützer des IS zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. *** 14 BT-Drs. 19/15583, S. 14. 15 BT-Drs. 19/15716, S. 5. 16 BT-Drs. 19/15034, S. 5. 17 BT-Drs. 19/15716, S. 6.