WISSENSCHAFTLICHE DIENSTE DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES AUSARBEITUNG THEMA: Die Vereinbarkeit einer allgemeinen Dienstpflicht mit Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz Fachbereich III Verfassung und Verwaltung (Tel.: ) Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 15. April 2002 Reg.-Nr.: WF III - 039/02 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. 2 Inhaltsverzeichnis Seite 1. Die verfassungsrechtliche Ausgangslage 3 2. Eine allgemeine Dienstpflicht am Beispiel eines sozialen und/oder ökologischen Jahres 4 3. Auswirkungen einer allgemeinen Dienstpflicht 5 4. Abschließende Bemerkungen 5 .S• 3 1. Die verfassungsrechtliche Ausgangslage Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine allgemeine Dienstpflicht zulässig ist, bemisst sich nach Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Nach dieser Verfassungsbestimmung darf niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts') ergibt sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte von Art. 12 Abs. 2 GG, dass die unter dem NS-Regime übliche Zwangsarbeit, insbesondere in Konzentrationslagern, im Hinblick auf die Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit ausgeschlossen sein sollte. 2) Allerdings besteht verfassungsrechtlich eine Ausnahme dann, wenn es sich, wie ausgeführt, um eine herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstpflicht handelt. Nach dem erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. November 1967 ging es dem Parlamentarischen Rat bei der Erarbeitung des Grundgesetzes (1948/1949) im Wesentlichen darum, die Hand- und Spanndienste in einer Gemeinde, die Pflicht zur Deichhilfe und die Pflicht, Dienst in der Feuerwehr zu leisten, als überkommene Pflichten anzusehen und diese zuzulassen, da sie der Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben durch zeitweilige Heranziehung zu Naturalleistungen dienen. 3 ) Bei den genannten Aufgaben handelt es sich um öffentliche Dienstleistungspflichten, die als „herkömmliche allgemeine" im Sinn von Art. 12 Abs. 2 GG anzusehen sind und somit Ausnahmefälle darstellen. Bereits 1955 hatte das Bundesverwaltungsgericht 4) betont, das sich der Begriff der „Herkömmlichkeit" nach den jeweils vorhandenen, sich möglicherweise im Laufe der Zeit ändernden soziologischen Verhältnissen richtet. 1) Beschluss vom 29. November 1967, BVerfGE 22, 380 [383] 2) BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1987, BVerfGE 74, 102 [115 ff.] (Arbeitsleitstung als Erziehungsmaßregeln nach dem Jugendgerichtsgesetz), dazu: Sachs, JuS 1988, Seite 482 ff. 3) Schriftlicher Bericht des Hauptausschusses zum Entwurf des Grundgesetzes, Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 6. Mai 1949, Seite 11; BVerfGE 22, 380 [383]; vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. November 1990, BVerfGE 83, 119 [125 ff.) (zur Auferlegung gemeinnütziger Leistungen nach § 56 b. Abs. 2 Nr. 3 StGB), dazu Sachs, JuS 1991, Seite 770 ff.; BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1995, BVerfGE 92, 91 [109 ff.] (zur Feuerwehrdienstpflicht), dazu: Sachs, JuS 1995, Seite 736 ff. 4) Urteil vom 9. November 1955, BVerwGE 2, 313 [314] -4 Auf die angeführten „Hand- und Spanndienste" bezogen bedeutet das, dass diese nur dann und solange in einer Gemeinde als herkömmliche Dienste angesehen werden können, als die Mehrzahl der erwerbstätigen Personen im landwirtschaftlichen Bereich tätig ist. Die Hand- und Spanndienste wären unter veränderten technischen Entwicklungen nur dann weiter zulässig, wenn sie dem gleichen Zweck wie ihre Vorläufer dienen. Als nicht zulässig sind z. B. Dienstpflichten zu betrachten wie die Jugenddienstpflicht, wie sie in der NS-Zeit Angehörige der Hitlerjugend zu verrichten hatten, oder die Arbeitspflicht im Reichsarbeitsdienst. 5) Hinsichtlich der Einführung einer „allgemeinen Dienstpflicht" ist ergänzend anzumerken, dass die grundsätzlich bestehende Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht entgegen stehen könnte. Es ist zumindest zu fragen, ob diese nicht als spezieller Fall des Arbeitszwanges zu bewerten ist, bei dem die gesamte Arbeitskraft des Betroffenen über einen erheblichen Zeitraum zur Verfügung stehen muss. Zu bedenken wäre auch, ob durch eine allgemeine Dienstpflicht nicht das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der körperlichen Unversehrtheit tangiert wäre, ferner das Recht, streiken zu dürfen. Nicht zur allgemeinen Dienstpflicht zählen ein freiwillig eingegangener Dienst im Zivilund Katastrophenschutz und jede ehrenamtliche Tätigkeit, da sie nicht unter die in Art. 12 Abs. 2 GG angeführten Dienstleistungspflichten fallen. 6) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es allerdings rechtlich unbedenklich, eine Ausgleichsabgabe an Stelle der Naturalleistungen zu erbringen.7) 2. Eine allgemeine Dienstpflicht am Beispiel eines sozialen und/oder ökologischen Jahres In der Vergangenheit, teilweise auch in der Gegenwart ist diskutiert worden, ob nicht eine allgemeine Dienstpflicht in Form eines sozialen und/oder ökologischen Jahres eingeführt werden sollte bzw. das freiwillige ökologische Jahr in eine allgemeine Dienstpflicht , überführt werden könnte. Wie oben bereits erwähnt, verbietet Art. 12 Abs. 2 GG Dienstpflichten, die nach Art und Umfang den Einsatz der vollen Arbeitskraft verlangen. Eine allgemeine Dienstpflicht in Gestalt eines sozialen und/oder ökologischen Jahres erfordert jedoch die volle 5) Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG—Kommentar, Band 1, 4. neubearbeitete Auflage, München 1992, Rn.78 zu Art. 12 6) Scholz, in: Maunz-Dürig-Herzog, GG-Kommentar, Art. 12, Rn. 481 (Stand: 19. Lieferung Sep. 1981) 7) BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1961, BVerfGE 13, 167 [170] -5 Arbeitskraft und wäre somit im Ergebnis eine Art Zwangsarbeit, die auch nicht dadurch gerechtfertigt werden könnte, dass sie bereits seit längerem Bestandteil der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist. 3. Auswirkungen einer allgemeinen Dienstpflicht Mit einer zwangsweise Verpflichtung zu bestimmten Arbeitsleistungen, für die die Betroffenen in der Regel nicht ausgebildet sind, fallen volkswirtschaftlich mehr Kosten an als sie dem Staat Gewinn bringen. Dem Gewinn „billiger" Arbeitskräfte steht ein Verlust am Steueraufkommen entgegen, das von den Dienstpflichtigen in dem festgesetzten Zeitraum nicht erbracht werden kann. Von den Beführwortern einer allgemeinen Dienstpflicht wird vorgebracht, Jugendlichen könne mit ihrer Hilfe verstärkt die Möglichkeit geboten werden, soziale Kompetenz zu erwerben. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, die allgemeine Dienstpflicht sei der Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung der Bürger für das Gemeinwesen. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass gerade Zwangsdienste nicht Ausprägung der persönlichen Mitverantwortung sind. Verantwortlichkeit und Kompetenz lassen sich nur durch Freiwilligkeit erreichen. 4. Abschließende Bemerkungen Unabhängig von der dargestellten verfassungsrechtlichen Lage wäre die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, die im übrigen nur durch ein verfassungsänderndes Gesetz möglich wäre, mit erheblichen Kosten infolge des dann notwendig werdenden Verwaltungsaufwandes verbunden. Angesichts der äußerst angespannten Lage der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden wäre ein derartiger Aufwand weiten Teilen der Öffentlichkeit nicht verständlich zu machen. Er würde auch dem angestrebten Ziel, u. a. die staatliche Verwaltung abzubauen („schlanker Staat") und dadurch Kosten einzusparen, entgegen stehen. Schließlich würde eine allgemeine Dienstpflicht dem freiheitlichen Staatsverständnis der Bundesrepublik Deutschland nicht entsprechen. Der Staat will den Bürgern nur die Lasten, und diese nur in dem Umfang auferlegen, wie dies unabweisbar notwendig ist.