© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 037/18 Neue Formen demokratischer Beteiligung von Bürgern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 2 Neue Formen demokratischer Beteiligung von Bürgern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 037/18 Abschluss der Arbeit: 21. Februar 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Ausgangssituation 4 2.1. Definition „demokratische Beteiligung“ 4 2.2. Bisherige Praxis in Deutschland 5 3. Überblick: Neue Formen der Beteiligung 6 4. Information der Bürger über anstehende Entscheidungen 7 4.1. Information der Ministerien und Behörden zu Regelungsvorhaben 7 4.2. Zentrale Transparenzportale 8 5. Beratung künftiger Entscheidungen mit Bürgern 8 5.1. Zusammenkünfte von Bürgern 8 5.1.1. Bürgerforum 8 5.1.2. Arbeitsgruppe für Gesetzentwürfe 11 5.1.3. Bürgerwerkstatt 11 5.1.4. Bürgerhaushalt 11 5.1.5. Bürgerdialog 12 5.2. Befragungen 12 5.2.1. Aktivierende Befragung 12 5.2.2. Bürgerpanel 13 5.3. Vorschläge von Bürgern 13 5.3.1. Kommentierung von Regelungsentwürfen im Netz 13 5.3.2. Online-Sprechstunde 14 5.3.3. Online-Vorschläge 14 5.3.4. Begründungspflicht staatlicher Stellen 14 5.4. Mischformen 14 6. Mitentscheidung der Bürger 15 6.1. Bürgerhaushalt 15 6.2. Loskammern 15 7. Ressort für Bürgerbeteiligung 16 8. Verfassungsrechtliche Aspekte 16 8.1. Information und Beratung 16 8.2. Mitentscheidung 17 8.3. Sonderfall Loskammern 17 8.3.1. Art. 20 Grundgesetz 17 8.3.2. Grundgesetzänderung? 18 9. Vor- und Nachteile neuer Beteiligungsformen 20 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 4 1. Zusammenfassung Das Recht des Bundes und der Länder sieht bereits etablierte Möglichkeiten vor, wie sich Bürger an politischen Entscheidungen beteiligen können. Hierzu gehören z. B. Petitionen, Bürger- und Volksentscheide oder Anhörungen bei der Bauplanung. Bei neuen Formen der Beteiligung geht es vor allem darum, dass Bürger staatliche Stellen beraten. Einige Formate kommen eher für kommunale Kontexte in Betracht (Bürgerhaushalt, Nachbarschaftsgespräche ). Für eine landes- und bundesweite Beteiligung bestehen vor allem Erfahrungen mit Bürgerforen. Zwischen 2008 und 2011 haben an bundesweiten Foren bis zu 10.000 Bürger teilgenommen. Zu diesem Format gibt es auch im Ausland Erfahrungen (z. B. Irland, Kanada). Die lediglich beratende Beteiligung von Bürgern lässt das Kompetenzgefüge des Grundgesetzes unberührt. Bei einigen Formen der Beteiligung steht nur eine begrenzte Zahl von Plätzen zur Verfügung (z. B. Bürgerforum). Die Rechtsprechung hat jedoch bereits in anderen Zusammenhängen die Auswahl per Losverfahren als zulässig anerkannt. Ist eine (verbindliche) Mitentscheidung vorgesehen, muss die Teilnahme hieran allen Bürgern gleichermaßen offenstehen. Die Auswahl staatlicher Entscheidungsträger durch Losverfahren ist verfassungsrechtliches Neuland. In begrenztem Umfang ließe sich dieses Auswahlverfahren wohl mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang bringen. Eine Tabelle am Ende dieser Ausarbeitung gibt einen Überblick über die wesentlichen Vor- und Nachteile der verschiedenen neuen Beteiligungsformen. 2. Ausgangssituation 2.1. Definition „demokratische Beteiligung“ Demokratische Beteiligung (auch „demokratische“ oder „politische“ „Mitwirkung“ oder „Partizipation “) lässt sich definieren als Teilhabe der Bürger „am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess“1 oder als Möglichkeit von Bürgern, „auf hoheitliche Sachentscheidungen Einfluss zu nehmen“.2 Für eine solche Mitwirkung von Bürgern unterscheidet die OECD die folgenden drei Stufen staatlicher Entscheidungsfindung:3 - Information der Bürger über anstehende Entscheidungen und deren Grundlagen; - Beratung anstehender Entscheidungen mit Bürgern; - Mitentscheidung der Bürger. 1 Lenz/Ruchlak, Kleines Politiklexikon, 2001, S. 166 (Stichwort „Partizipation“). 2 Hartmann, MMR 2017, 383. 3 OECD, Citizens as Partners: Information, Consultation and Public Participation in Policy Making, 2001, S. 28, www.oecd.org/gov/digital-government/2536857.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 5 2.2. Bisherige Praxis in Deutschland In Deutschland ist eine Beteiligung auf all diesen drei Stufen bereits allgemein vorgesehen. Zu den geläufigen Beispielen gehören die folgenden: Information der Bürger über anstehende Entscheidungen: – Öffentlichkeit des Bundestages und der Länderparlamente (Veröffentlichung von Drucksachen und Protokollen, Parlamentsfernsehen, öffentlicher Stand der Petitionsverfahren, Weblogs, etc.);4 – Auslegung von Planentwürfen (§ 3 Baugesetzbuch); – Informationsfreiheit: Möglichkeit der Bürger, sich über den bisherigen Sachstand bei Behörden zu informieren. Beratung künftiger Entscheidungen mit Bürgern: – Planungsverfahren (§ 3 Baugesetzbuch); – Anhörung von Verbänden im Gesetzgebungsverfahren durch Regierung und Parlament (z. B. § 47 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien; § 70 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages); – Kommunikation zwischen Bürgern und Abgeordneten (Art. 47 Grundgesetz – GG); – Petitionen (Art. 17 GG); – Umfragen. Mitentscheidung der Bürger: – Wahlen (Art. 38 GG); – Volksgesetzgebung (Referenden) und kommunale Bürgerbegehren: Die Verfassungen aller Bundesländer sehen die Volksgesetzgebung5 vor; ebenso alle Gemeindeordnungen im 4 Siehe hierzu auch BT-Drs. 18/13689, Online-Bürgerbeteiligung an der Parlamentsarbeit. 5 https://www.mehr-demokratie.de/themen/volksbegehren-in-den-laendern/verfahrensregelungen/; zum europäischen Ausland siehe: Hölscheidt/Menzenbach, Referenden in Deutschland und Europa, DÖV 2009, 777; WD 3 - 3000 - 012/16, Referenden und andere Formen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, https://www.bundestag.de/blob/424106/6a88ab4fcfb9f641cb6d33a95cb8df56/wd-3-012-16-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 6 Hinblick auf kommunale Bürgerbegehren.6 Auf Bundesebene gibt es bislang keine Volksgesetzgebung (Ausnahme: Art. 29, 118 f. GG – Neugliederung des Bundesgebiets).7 3. Überblick: Neue Formen der Beteiligung Die folgenden Formen demokratischer Beteiligung lassen sich als neu bezeichnen: Sie finden in Deutschland erst seit wenigen Jahren oder noch nicht flächendeckend Anwendung. Information der Bürger über anstehende Entscheidungen: – Zentrale Transparenzportale: Eine Netzseite bündelt und vereinfacht den Zugang zu allen Informationen öffentlicher Stellen, z. B. in einem Bundesland. Beratung künftiger Entscheidungen mit Bürgern: – Zusammenkünfte von Bürgern o Bürgerforen: Bürgerforen sind Kommissionen, deren Mitglieder der Staat nach dem Zufallsprinzip auswählt. Die Ergebnisse des Beratungsprozesses fasst ein neutraler Durchführungsträger in einem Bürgergutachten oder -programm zusammen. Das Bürgergutachten dient dem Staat als Entscheidungshilfe. o Bürgerwerkstatt: Bürger beteiligen sich bereits bei der Entwicklung von Ideen, insbesondere zur kommunalen Bauplanung. Die Bürgerwerkstatt setzt weitaus früher an, als es nach dem Baugesetzbuch verpflichtend vorgesehen ist (Vorlage fertiger Pläne). Die Teilnahme basiert nicht auf einer Zufallsauswahl, sondern auf dem Interesse der Bürger. o Nachbarschaftsgespräche: Vertreter staatlicher Institutionen diskutieren mit einer Gruppe zufällig ausgewählter Bürger. Dabei geht es um das bisherige und künftige Zusammenleben im kommunalen Umfeld. Bei Nachbarschaftsgesprächen geht es um einen Austausch, während ein Bürgerforum auf ein formales Abschlussprodukt hinarbeitet (z. B. ein Bürgerprogramm). – Umfragen o Aktivierende Befragung: Der Staat befragt Bürger, insbesondere zu wohnortsbezogenen Themen. Die Befragung soll Bürger anregen, für ihre Interessen einzutreten und zu kommunalen Problemen Lösungen zu entwickeln. 6 Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2016, S. 6, https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin /pdf/2016-06-16_BB-Bericht2016.pdf. 7 Siehe hierzu insbesondere: WD 3 - 3000 - 099/13, Referenden zu europapolitischen Themen in der Bundesrepublik Deutschland – Rechtliche Voraussetzungen der Einführung von mehr direkter Demokratie, https://www.bundestag.de/blob/416460/1309a573fdaa9deac5ea135f7cd3de23/wd-3-099-13-pdf-data.pdf; WD 3 - 3000 - 005/14, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene, Verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf die föderale Struktur Deutschlands und Rechtslage in Österreich und der Schweiz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 7 o Bürgerpanel: Der Staat befragt in regelmäßigen Abständen eine bestimmte, möglichst große Gruppe repräsentativ ausgewählter Bürger. Meist geht es um Kommunalpolitik. Ziel ist es, abzubilden, wie sich die Meinung der Bürger über mehrere Jahre hinweg verändert. – Vorschläge von Bürgern o Kommentierung von Regelungsentwürfen im Netz: Behörden veröffentlichen Gesetzentwürfe oder Raumordnungspläne auf ihrer Netzseite. Bürger können offen oder anonym Kommentare oder Vorschläge hinterlassen, die andere Bürger einsehen können. o Online-Sprechstunde: Bürger können vorab und während der Sprechstunde über soziale Medien Fragen stellen. Ein Politiker beantwortet die Fragen, während Bürger Videoaufnahmen der Sprechstunde zeitgleich oder später im Netz verfolgen können. o Online-Abgabe von Vorschlägen zur Deregulierung oder Verwaltungsvereinfachung .8 o Begründungspflicht staatlicher Stellen: Falls die Verwaltung Bürgervorschläge nicht verwirklicht, muss sie dies fachlich und öffentlich begründen. Mitentscheidung der Bürger: – Bürgerhaushalt: Die Verwaltung einer Gemeinde bemüht sich um mehr Haushaltstransparenz und lässt die Bürger mindestens über einen Teil der frei verwendbaren Haushaltsmittel beratend oder verbindlich mitwirken. Bei allen vorgenannten Formen der Beteiligung spielt die digitale Vernetzung unter dem Stichwort „e-Partizipation“ eine zunehmende Rolle. Sie ist keine bestimmte Form der Beteiligung, sondern lediglich eine besondere Form der Kommunikation zwischen Bürgern und Staat (über das Netz). 4. Information der Bürger über anstehende Entscheidungen 4.1. Information der Ministerien und Behörden zu Regelungsvorhaben Ein Beispiel ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Es veröffentlicht auf seiner Netzseite seine laufenden Regelungsvorhaben.9 Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit veröffentlicht zusätzlich die Stellungnahmen der Verbände 8 Beauftragter der Landesregierung NRW für Informationstechnik, Netzseite „Normenscreening“, https://www.egovg.nrw.de/egovg/de/home/beteiligen. 9 http://www.bmjv.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Gesetzgebungsverfahrensuche_Formular.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 8 zu Gesetzentwürfen.10 Ein weiteres Beispiel ist das Portal „Bauleitplanung Online-Beteiligung für Schleswig-Holstein“.11 Es informiert Bürger im Netz über Bebauungspläne in Schleswig-Holstein. 4.2. Zentrale Transparenzportale Als Beispiel lässt sich die Transparenz-Plattform des Landes Rheinland-Pfalz nennen. Sie beruht auf dem am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Landestransparenzgesetz. Das Gesetz gewährleistet die aktive Veröffentlichung von amtlichen Informationen durch die rheinland-pfälzische Verwaltung . Die Transparenz-Plattform ermöglicht hierbei einen einfachen Zugriff auf Daten und Informationen der Verwaltung mithilfe einer Suchfunktion. Die Nutzung ist kostenfrei. Bürger brauchen Informationen nicht mehr individuell bei staatlichen Stellen erfragen (Informationsfreiheitsgesetze ). 5. Beratung künftiger Entscheidungen mit Bürgern 5.1. Zusammenkünfte von Bürgern 5.1.1. Bürgerforum Bislang fanden drei bundesweite Bürgerforen statt (Soziale Marktwirtschaft – 2008, Europa – 2009,12 Gesellschaftlicher Zusammenhalt – 2011). Das jüngste und größte „BürgerForum 2011 – Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ soll im Folgenden der Anschauung dienen. Das BürgerForum 2011 ging zurück auf eine Initiative des Bundespräsidenten und dauerte von März bis Mai 2011.13 Insgesamt beteiligten sich an dem „BürgerForum“ 10.000 Bürger aus ganz Deutschland. In 25 ausgewählten Städten und Landkreisen erarbeiteten gleichzeitig jeweils 400 Bürger konkrete Ideen, wie sich der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken lässt. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgte durch ein Zufallsverfahren. Somit trafen beim „BürgerForum“ Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen aufeinander. Das BürgerForum war wie folgt organisiert: – Die Organisatoren luden im Herbst 2010 alle Landkreise in Deutschland und alle Städte mit mehr als 80.000 Einwohnern zur Mitwirkung ein. Aus den mehr als 160 Bewerbungen wählten sie per Losverfahren 25 Städte und Landkreise aus. 10 https://www.bmub.bund.de/ministerium/uebersicht-der-gesetzesvorhaben-der-18-legislaturperiode/. 11 https://www.bob-sh.de/informationen. 12 Siehe hierzu: WD 3 - 3000 - 264/09, Bürgerforen in Deutschland, https://www.bundestag .de/blob/412886/869bc1c4662fa943c179c139f2a4426e/wd-3-264-09-pdf-data.pdf. 13 Die Informationen in diesem Abschnitte beruhen im Wesentlichen auf der „Info-Broschüre BürgerForum 2011“, http://www.kreis-paderborn.de/kreis_paderborn-wAssets/docs/presse/2011/Info-Broschuere-BuergerForum-2011.pdf, sowie der Publikation „Das Bürgerforum 2011 stellt sich vor“, http://www.sellnow.de/docs/Buergerforum.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 9 – Für diese 25 ausgewählten Regionen zogen die Organisatoren eine zufällige Stichprobe aus dem Telefonregister. Sie sprachen solange Personen per Telefon auf die (freiwillige) Teilnahme an, bis sich insgesamt 400 Teilnehmer bereit erklärt hatten. – Bei der Auftaktveranstaltung lernten sich die 400 Teilnehmer der 25 regionalen BürgerForen vor Ort persönlich kennen. In sechs thematischen Ausschüssen legten die Teilnehmer jeweils eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung fest. – Ein Großteil der inhaltlichen Arbeit fand online statt. Dies ermöglichte eine inhaltliche Diskussion mit breiter Beteiligung. – Speziell geschulte Moderatoren – zumeist Teilnehmer früherer BürgerForen – sorgten dafür, dass der Austausch von Argumenten fair und für jeden mit gleichen Chancen verlief. Die Moderatoren blieben neutral und nahmen keinen inhaltlichen Einfluss auf die Diskussion. – Jedes der regionalen BürgerForen war in sechs thematische Ausschüsse unterteilt; somit arbeiteten pro Themenfeld jeweils etwa 60 bis 70 Teilnehmer gemeinsam an Lösungsvorschlägen . – In jedem Ausschuss übernahm ein Teilnehmer die Rolle des „BürgerRedakteurs“, der die Ideen, Anmerkungen und Kommentare der übrigen Mitglieder für das „BürgerProgramm“ ausformulierte. – Am Tag des BürgerForums kamen die Teilnehmer in den Regionen erneut persönlich zusammen. Sie stellten die Ergebnisse des regionalen BürgerProgramms der Öffentlichkeit vor und diskutierten das Programm mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft. – Die Teilnehmer arbeiteten nun – überwiegend online – in bundesweiten Ausschüssen zusammen. Sie wählten jeweils einen der Lösungsvorschläge aus den regionalen BürgerProgrammen aus. Zur Wahl standen dabei für jeden Ausschuss die zwölf Vorschläge, die in der letzten Abstimmung der regionalen Foren die beste Bewertung erhalten haben. Die ausgewählten Lösungsvorschläge bildeten das bundesweite BürgerProgramm. – Zum Abschluss des BürgerForums 2011 fand in Bonn ein Tag der Demokratie statt, zu dem ausgewählte Teilnehmer eingeladen waren. Im ehemaligen Bundestag stellten Teilnehmer dem Bundespräsidenten und der Öffentlichkeit die Ergebnisse des BürgerForums vor. Ein Beispiel auf Ebene der Länder ist das „Bürgerforum zur Altersversorgung der Abgeordneten“ in Baden-Württemberg (November 2017 bis Januar 2018).14 Das Bürgerforum bestand aus zwischen 14 Dieser Abschnitt basiert im Wesentlichen auf folgender Pressemitteilung: https://www.landtag-bw.de/home/aktuelles /pressemitteilungen/2018/januar/12018-1.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 10 20 und 25 zufällig15 ausgewählten Bürgern. Das Bürgerforum arbeitete der „Unabhängigen Kommission zur Altersversorgung der Abgeordneten“ des Landtags zu. Am 13. Januar 2018 legte es der Kommission seine Empfehlungen vor. Der Landtag veröffentlichte die Empfehlungen. Am 5. Februar 2018 begründeten Teilnehmer des Bürgerforums der Kommission in öffentlicher Sitzung ihre Empfehlungen. Die Kommission hat angekündigt, die Vorschläge des Forums zu berücksichtigen. Ende März 2018 soll dem Landtag der Kommissionsbericht vorliegen. Ein Handbuch „Bürgerforum“ fasst die Erfahrungen aus den 2008 bis 2011 in Deutschland durchgeführten Bürgerforen zusammen und gibt eine Handreichung für künftige Foren.16 Beispiele für Bürgerforen finden sind auch auf kommunaler Ebene oder in Bezug auf bestimmte Behörden.17 Auch in anderen Ländern gibt es Erfahrungen mit Bürgerforen (z. B. Irland,18 Kanada).19 Seit 2012 befassen sich in Irland zufällig ausgewählte Bürger mit Themen wie „Legalisierung der Abtreibung “ oder „Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare“. Die Ergebnisse der Bürgerforen hat die irische Regierung wiederholt zum Gegenstand von Referenden gemacht.20 Das Bürgerforum in der kanadischen Provinz British Columbia bestand aus 160 zufällig ausgewählten Bürgern. Die Regierung von British Columbia stellte den Vorschlag des Bürgerforums per Volksentscheid zweimal zur Abstimmung (2005 und 2008).21 15 Zur Auswahlmethode siehe: Bürgerforum zur Altersversorgung der Abgeordneten des Landtags von Baden- Württemberg, Dokumentation der Vorgehensweise bei der Rekrutierung von Interessenten durch das Bamberger Centrum für Empirische Studien (BACES), https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente /ausschuesse/B%C3%BCrgerforum/Dokumentation_Rekrutierung_LTBW17.pdf. 16 Bertelsmann Stiftung/Heinz Nixdorf Stiftung, BürgerForum, Informationen zur Planung und Durchführung des Beteiligungsformats, http://www.buerger-forum.info/download/Handbuch-Buergerforum.pdf. 17 Siehe hierzu: WD 3 - 3000 - 264/09, Bürgerforen in Deutschland, https://www.bundestag .de/blob/412886/869bc1c4662fa943c179c139f2a4426e/wd-3-264-09-pdf-data.pdf. 18 ZEIT 04/2017, Zur Wahl steht: Die Demokratie, http://www.zeit.de/2017/04/rechtspopulismus-demokratie-wahlen -buergerversammlungen-politisches-system-griechenland/komplettansicht. 19 Participedia, British Columbia – Bürgerversammlung zur Wahlrechtsreform, 2013/2017, https://participedia .net/de/faelle/british-columbia-b-rgerversammlung-zur-wahlrechtsreform. 20 Das Referendum ergab eine Mehrheit für die Einführung der „Homo-Ehe“, ZEIT 04/2017, Zur Wahl steht: Die Demokratie, http://www.zeit.de/2017/04/rechtspopulismus-demokratie-wahlen-buergerversammlungen-politisches -system-griechenland/komplettansicht; das Referendum über die Legalisierung der Abtreibung soll 2018 erfolgen, ZEIT ONLINE, 26. September 2017, Irland hält Referendum über Abtreibung ab, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-09/dublin-irland-abtreibung-referendum. 21 Der Vorschlag erhielt beide Male keine Mehrheit: Participedia, British Columbia – Bürgerversammlung zur Wahlrechtsreform, 2013/2017, https://participedia.net/de/faelle/british-columbia-b-rgerversammlung-zur-wahlrechtsreform . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 11 5.1.2. Arbeitsgruppe für Gesetzentwürfe Einer solchen Arbeitsgruppe hat sich zum Beispiel die Landesregierung Baden-Württembergs bedient.22 Bereits im Vorfeld des formellen Gesetzgebungsverfahrens zum Psychisch-Kranken- Hilfe-Gesetz hat die Landesregierung einen umfassenden Dialog mit unterschiedlichen Beteiligten eingeleitet. Hierzu hat sich unter Moderation des Sozialministeriums eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Medizin, Wissenschaft, der kommunalen Ebene und der Leistungsträger, aber auch der Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen, der Bürgerhilfe und der Sozialverbände zusammengefunden . Insgesamt haben sich rund 100 Personen daran beteiligt, Erfahrungen zu dem Regelungsbereich auszutauschen und Eckpunkte für den Gesetzentwurf zu erarbeiten. Im Unterschied zum Bürgerforum nehmen bei einer Arbeitsgruppe für Gesetzentwürfe nicht zufällig ausgewählte Bürger teil, sondern solche, die als Fachleute, Praktiker oder Interessenvertreter gelten. 5.1.3. Bürgerwerkstatt Bei der Bürgerwerkstatt nehmen ebenfalls nicht zufällig ausgewählte Bürger teil, sondern solche, die an einem Thema Interesse haben. Die Teilnehmer der Bürgerwerkstatt tragen meist Ideen zur Gestaltung eines Stadtbereiches zusammen, bevor es zu einer formalen Planung kommt. Die verbindliche Entscheidung liegt jedoch bei dem zuständigen kommunalen Gremium. Die Bürgerwerkstatt zum Bahnhofsbereich Bonn ist ein Beispiel. Die Stadt Bonn startete die Bürgerwerkstatt im Oktober 2005 mit der Eröffnung eines InfoCenters. Bürger konnten im InfoCenter, über das Netz oder per e-Post Vorschläge einreichen. Vertreter aller Interessenbereiche kamen zu Veranstaltungen persönlich zusammen und diskutierten die Vorschläge. Auf einer Abschlussveranstaltung präsentierten Bürger ihre Vorschläge und die Stadtverwaltung erstellte ein Meinungsbild . Der Abschlussbericht ist im Netz zugänglich23 und war Grundlage für die weitere Diskussion in den Entscheidungsgremien der Stadt Bonn. 5.1.4. Bürgerhaushalt Ein Bürgerhaushalt gleicht einem Bürgerforum, bei dem es um die Verwendung kommunaler Gelder geht. Eine Vielzahl an Kommunen setzt dieses Instrument ein. Auf Landes- oder Bundesebene gibt es bisher keinen Bürgerhaushalt.24 Die Kernphasen jedes Bürgerhaushaltes sind: – Information – Öffentlichkeitsarbeit informiert die Bürger über den Haushalt und mobilisiert sie für den Bürgerhaushalt. 22 Bertelsmann Stiftung u.a., Materialband Partizipative Gesetzgebungsverfahren, 2016, S. 5, https://www.bertelsmann -stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/161107_Materialband_Partizipative_Gesetzgebung_final_mb.pdf. 23 Bürgerwerkstatt Bahnhofsbereich Bonn, Abschlussbericht, Mai 2006, http://web399.kunden.xantronkunden 3.de/doc/Gesamtdoku.pdf. 24 Bundeszentrale für politische Bildung, Informationsseite „Bürgerhaushalt“, https://www.buergerhaushalt .org/de/faq_bhh#n63. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 12 – Beteiligung – Bürger können ihre eigenen Ideen und Prioritäten einbringen. Zum Teil hat die Bürgerbeteiligung nicht nur „beratende“ Funktion, sondern ist nach der Gemeindesatzung (als kommunaler Bürgerentscheid) auch bindend (siehe hierzu unten Punkt 6). – Rechenschaft – Die Verfahrensorganisatoren begründen, warum sie bestimmte Ideen der Bürger umgesetzt haben. 5.1.5. Bürgerdialog Die Bundeskanzlerin hat im Jahr 2015 auf vier Veranstaltungen mit Bürgergruppen „über Lebensqualität in Deutschland“ diskutiert. An jeder der vier „Bürgerdialoge“ in verschiedenen Regionen Deutschlands nahmen bis zu rund 60 Bürger teil.25 Ein weiteres Beispiel sind die von der Landesregierung in Baden-Württemberg im Jahr 2017 initiierten „Nachbarschaftsgespräche: Zusammenleben – aber wie?“. In verschiedenen Pforzheimer Stadtteilen haben jeweils 10 bis 15 zufällig ausgewählte Bewohner mit einem Behördenvertreter das bisherige und künftige Zusammenleben in ihrem Stadtteil diskutiert. Das „Beteiligungsportal “ der Landesregierung hat die wesentlichen Ergebnisse veröffentlicht.26 5.2. Befragungen 5.2.1. Aktivierende Befragung Der Staat befragt Bürger, insbesondere zu wohnortbezogenen Themen. Im Unterschied zur üblichen Umfrage geht die Befragung darüber hinaus, ein bloßes Meinungsbild zu erstellen. Die Methode der Befragung soll Bürger aktivieren, für ihre Interessen einzutreten und daran mitzuwirken, Lösungen zu entwickeln.27 In Deutschland haben verschiedene Kommunen bereits aktivierende Befragungen eingesetzt.28 25 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Netzseite „Bundesregierung“, https://www.bundesregierung .de/Content/DE/Artikel/2015/10/2015-10-26-gut-leben-buergerdialog.html. 26 https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/informieren/beteiligungsprojekte-der-landesregierung /nachbarschaftsgespraeche/. 27 Dieser Abschnitt beruht im Wesentlichen auf Informationen von folgenden Netzseiten: https://www.buergergesellschaft .de/praxishilfen/aktivierende-befragung/; http://www.partizipation.at/aktivierende-befr.html. 28 Stiftung Mitarbeit, Netzseite „Bürgergesellschaft“, https://www.buergergesellschaft.de/praxishilfen/aktivierende -befragung/praxisbeispiele/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 13 5.2.2. Bürgerpanel Der Staat befragt in regelmäßigen Abständen eine bestimmte, möglichst große Gruppe repräsentativ bzw. nach Zufallskriterien ausgewählter Bürger.29 Meist geht es um Kommunalpolitik. Ziel ist es abzubilden, wie sich die Meinung der Bürger über mehrere Jahre hinweg verändert. Somit informieren Bürgerpanels Entscheidungsträger des Staates, wie sich ein Meinungsbild im Zeitablauf entwickelt. Das Bürgerpanel hat ferner ein ähnliches Anliegen wie die aktivierende Befragung: Es soll bislang eher politisch passive Bürger motivieren, sich an der staatlichen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Soweit ersichtlich setzen staatliche Stellen in Deutschland bislang keine Bürgerpanels ein. In einer Reihe von Ländern (etwa in Großbritannien und den Niederlanden) sind Bürgerpanels jedoch schon etabliert. 5.3. Vorschläge von Bürgern 5.3.1. Kommentierung von Regelungsentwürfen im Netz Auf Bundesebene hat das Bundesministerium des Innern erstmals 2008 eine „E-Konsultation“ zu einem Gesetzentwurf durchgeführt. Auf einer Netzplattform konnten Interessierte alle Basisinformationen zu dem Gesetzentwurf abrufen und formulieren, welchen Anforderungen das Gesetz genügen sollte.30 Als ein aktuelles Beispiel lässt sich das Beteiligungsportal von Baden-Württemberg nennen. Es veröffentlicht Gesetzentwürfe nicht nur, sondern ermöglicht es Bürgern, offen oder anonym Kommentare oder Vorschläge zu hinterlassen. Andere Bürger können diese einsehen. Das Beteiligungsportal nennt eine Frist, bis zu der Bürger Kommentare hinterlassen können.31 Ferner besteht die Möglichkeit, über bestimmte Eckpunkte ausgewählter Gesetze im Wege einer Meinungsumfrage abzustimmen.32 Im Bereich der Bebauungspläne lässt sich das Portal „Bauleitplanung Online-Beteiligung für Schleswig-Holstein“33 als Beispiel anführen. Bürger können über das Portal zu Bebauungsplänen in Schleswig-Holstein Stellung nehmen. 29 Dieser Abschnitt beruht im Wesentlichen auf Informationen aus den folgenden Ressourcen: Stiftung Mitarbeit, Das Bürgerpanel, https://www.buergergesellschaft.de/mitentscheiden/methoden-verfahren/meinungen-einholen -buergerinnen-und-buerger-aktivieren/das-buergerpanel/; Bertelsmann Stiftung/Beteiligungskompass, Bürgerpanel , http://www.beteiligungskompass.org/article/show/131; Berlin Institut für Partizipation, Bürgerpanel, http://www.bipar.de/buergerpanel/. 30 OECD, Bessere Rechtsetzung in Europa: Deutschland, 2010, S. 74; https://www.egovernment-computing.de/online -konsultation-zum-buergerportalgesetz-a-155253/. 31 Siehe z. B. https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/mitmachen/lp-16/bundesteilhabegesetz/. 32 Bertelsmann Stiftung u.a., Materialband Partizipative Gesetzgebungsverfahren, 2016, S. 4, https://www.bertelsmann -stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/161107_Materialband_Partizipative_Gesetzgebung_final_mb.pdf. 33 https://www.bob-sh.de/informationen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 14 5.3.2. Online-Sprechstunde Bürger können vorab und während der Sprechstunde über soziale Medien Fragen stellen. Ein Politiker beantwortet die Fragen, während Bürger Videoaufnahmen der Sprechstunde zeitgleich im Netz verfolgen können.34 Solche Sprechstunden erreichen eine Vielzahl an Bürgern, allerdings um den Preis des fehlenden persönlichen Kontakts. 5.3.3. Online-Vorschläge Als ein Beispiel lässt sich das „Normenscreening NRW“ nennen, das bis Ende 2017 stattfand. Bürger konnten auf einer zentralen Netzplattform Vorschläge zur Deregulierung oder Verwaltungsvereinfachung abgeben.35 Die Vorschläge sind weiterhin öffentlich einsehbar.36 5.3.4. Begründungspflicht staatlicher Stellen Bürger erfahren oftmals nicht, ob die Verwaltung ihre Vorschläge überhaupt zur Kenntnis genommen und bedacht hat. Die Landesregierung Baden-Württemberg hat die Verwaltung daher im Wege einer Verwaltungsvorschrift37 verpflichtet, es fachlich und öffentlich zu begründen, wenn sie Bürgervorschläge nicht verwirklicht. 5.4. Mischformen In der Praxis bestehen zahlreiche Kombinationen verschiedener Beteiligungsformen. Ein Beispiel ist das „partizipative Gesetzgebungsverfahren“ in Baden-Württemberg zum „Gesetz zur Einrichtung des Nationalparks Schwarzwald“. Die Landesregierung beteiligte Bürger u.a. wie folgt:38 – Schreiben der Landesregierung an 120.000 Haushalte im Umfeld des Nationalparks; – Info-Veranstaltungen; – Angebot geführter Wanderungen; 34 Siehe z. B. in Baden-Württemberg: https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/informieren/service /pressemitteilung/pid/von-stuttgart-bis-jamaika-online-sprechstunde-mit-ministerpraesident-kretschmann/. 35 Beauftragter der Landesregierung NRW für Informationstechnik, Netzseite „Normenscreening“, https://www.egovg.nrw.de/egovg/de/home/beteiligen. 36 Siehe vorige Fn. 37 Nr. 8.5 Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Intensivierung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungsund Zulassungsverfahren (VwV Öffentlichkeitsbeteiligung), vom 17. Dezember 2013 (GABl. Nr. 2, 2014, S. 22), https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/beteiligungsportal/StM/131217_VwV- Oeffentlichkeitsbeteiligung.pdf. 38 Bertelsmann Stiftung u.a., Materialband Partizipative Gesetzgebungsverfahren, 2016, S. 7-8, https://www.bertelsmann -stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/161107_Materialband_Partizipative_Gesetzgebung_final _mb.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 15 – Freischaltung eines „InfoTelefons“; – Einrichtung regionaler Arbeitskreise; – Möglichkeit von Fragen, Anregungen und Stellungnahmen zu den (Zwischen-)Ergebnissen aus den Arbeitskreisen per Briefpost, e-Post und Netz; – Erstellen eines Lastenhefts auf Basis von 2.000 Anregungen und Stellungnahmen; – Möglichkeit der Bevölkerung, die einzelnen Protokolle und Ergebnisse der Arbeitskreise über eine Internet-Plattform zu kommentieren; – öffentliches Vorstellen eines unabhängigen Gutachtens; – Erstellen eines konkreten Gesetzesvorschlags mit der erneuten Möglichkeit der Kommentierung auf der Beteiligungsplattform der Landesregierung; – Erarbeiten eines Gesetzentwurfs unter Berücksichtigung der Vorschläge von Bürgern. Letztlich sind viele Beteiligungsformen eine Kombination aus persönlichem Austausch und elektronischer Kommunikation (so z. B. die Bürgerwerkstatt – siehe oben 5.1.3 – oder die Online- Sprechstunde – siehe oben 5.3.2). 6. Mitentscheidung der Bürger 6.1. Bürgerhaushalt In einzelnen Gemeinden ist der oben unter 5.1.4 beschriebene Bürgerhaushalt für den kommunalen Rat bindend. Gemeinden erlassen hierzu eine Satzung über das Verfahren zum Bürgerhaushalt.39 Die Satzung stützt sich auf Vorschriften zum Bürgerentscheid in der Kommunalverfassung40 des betreffenden Bundeslandes. 6.2. Loskammern In der Politikwissenschaft findet sich die Diskussion, ob sich das Parlament – zumindest für bestimmte Entscheidungen – aus zufällig ausgewählten Bürgern zusammensetzen sollte (sogenannte Loskammer). Befürworter verweisen auf gute Erfahrungen mit diesem Modell im antiken Griechenland (etwa ab 4. Jahrhundert vor Christus). Aus einem Reservoir von rund 20.000 Bürgern 39 Z. B. Satzung zum Bürgerhaushalt der Stadt Eberswalde, veröffentlicht im Amtsblatt für die Stadt Eberswalde, Jahrgang 20, Nr. 7, 16. Juli 2012, https://eberswalde.de/fileadmin/bereich-eberswalde/global/satzungen/20/Satzung _Buergerhaushalt_06_2017.pdf. 40 Z. B. § 15 (Bürgerbegehren, Bürgerentscheid) Kommunalverfassung des Landes Brandenburg, https://bravors .brandenburg.de/de/gesetze-212922#15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 16 ermittelte ein Losverfahren jährlich 1.100 Bürger für politische Ämter (den Rat, die Magistrate).41 Ähnliche Verfahren bestanden bis ins 18. Jahrhundert u. a. in den freien Städten der Niederlande und Norddeutschlands.42 Seither gibt es – soweit ersichtlich – in keinem Regierungssystem mehr Loskammern. 7. Ressort für Bürgerbeteiligung Die Regierung kann Bürgerbeteiligung als Angelegenheit aufwerten, indem sie ein Regierungsmitglied mit Reformen in diesem Bereich beauftragt. Seit 2011 gibt es im Staatsministerium Baden-Württemberg eine „Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“. Staatsräte sind „ehrenamtlich“ tätig. Sie sind „weitere Mitglieder der Regierung“ (Art. 45 Abs. 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg). Die zentrale Aufgabe dieser Staatsrätin ist es, die Bürgerbeteiligung im Land auszubauen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Ein „Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“43 unterstützt die Staatsrätin bei ihrer Arbeit. Er besteht aus Vertretern von Verbänden, Organisationen und Stiftungen der Bürgerbeteiligung, sowie Wissenschaft und Verwaltung . Die Staatsrätin hat als ihre wichtigsten bisherigen Errungenschaften den „Leitfaden für eine neue Planungskultur“44 und die damit verbundene „Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung “45 genannt, ferner die „Allianz für Beteiligung“46 als Netzwerk für die Zivilgesellschaft, sowie das Beteiligungsportal des Landes.47 8. Verfassungsrechtliche Aspekte 8.1. Information und Beratung Im Grundsatz dienen fast alle vorgenannten Formen der Bürgerbeteiligung entweder der Information der Bürger oder der (unverbindlichen) Beratung staatlicher Stellen. Beides lässt die grundsätzliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes unberührt, insbesondere den Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Beratende Einflüsse von Bürgern können zwar faktisch einen gewissen Einfluss auf staatliche Entscheidungsträger ausüben. In einer Demokratie ist der beratende Einfluss der Bürger aber systemimmanent (Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, etc.). 41 Zu den weiteren Einzelheiten siehe Buchstein, Losverfahren in der parlamentarischen Demokratie, ZParl 2013, 384 (386); kritisch hiergegen: Lhotta, Gehen Sie nicht über Los!, ZParl 2013, 404. 42 Buchstein, vorige Fn. 43 https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/informieren/die-staatsraetin/beirat-fuer-zivilgesellschaftund -buergerbeteiligung/. 44 Staatsministerium Baden-Württemberg, 2014, https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion /beteiligungsportal/StM/140717_Planungsleitfaden.pdf. 45 Siehe oben Fn. 37. 46 http://allianz-fuer-beteiligung.de/. 47 https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/de/startseite/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 17 Einzelne beratende Beteiligungsformen stehen nur einer begrenzten Zahl von Bürgern offen. Hierzu gehören Bürgerforen, Nachbarschaftsgespräche und Befragungen einer Auswahl von Bürgern. Die Rechtsprechung hat die zufällige Auswahl von Bürgern bei der Verteilung wichtiger Leistungen des Staates anerkannt (Verteilung von Schul- oder Studienplätzen,48 von Standplätzen auf Märkten49 und von Sitzplätzen im Gerichtssaal).50 Diese Rechtsprechung dürfte erst recht gelten, wo es nur um die unverbindliche Beratung staatlicher Stellen geht. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass nicht ausgewählten Bürgern weiterhin andere Wege offen stehen, auf staatliche Stellen Einfluss auszuüben (Petitionen, Kontakt zu Abgeordneten oder Behörden, etc.). 8.2. Mitentscheidung Die Teilnahme an verbindlichen Entscheidungen muss allen Bürgern gleichermaßen zugänglich sein. Vor diesem Hintergrund sind die Regeln über verbindliche Bürgerhaushalte zu sehen, wie z. B.: „Zur [öffentlichen] Abstimmung über die eingereichten Vorschläge im Rahmen des Bürgerhaushaltes sind alle anwesenden Einwohnerinnen und Einwohner […] berechtigt.“ 51 8.3. Sonderfall Loskammern 8.3.1. Art. 20 Grundgesetz Nach Art. 20 Abs. 2 GG übt das Volk die Staatsgewalt „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ aus. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet hieraus die Notwendigkeit einer „ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette“ zwischen Volk und staatlichen Entscheidungsträgern her.52 Wie verhält es sich, wenn nicht das Volk oder dessen gewählte Vertreter einen staatlichen Entscheidungsträger auswählen, sondern ein Losverfahren? Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist in diesem Fall die Legitimationskette unterbrochen, insoweit die Auswahl sich nicht zumindest überwiegend auf ein Element der Volkswahl stützt: Wird ein Amtsträger „von einem Gremium mit nur zum Teil personell legitimierten Amtsträgern bestellt, erfordert die volle demokratische Legitimation, dass die die Entscheidung tragende 48 VG Bremen, NVwZ-RR 2014, 100 (Schulplätze); BVerfG, NJW 1977, 569 (Studienplätze). 49 BVerwG, NVwZ-RR 2006, 786. 50 BVerfG, Beschluss vom 12. April 2013, 1 BvR 990/13, Rn. 27, https://www.bundesverfassungsgericht .de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rk20130412_1bvr099013.html; siehe auch das Losverfahren zur Auswahl von Vertretern in § 15 Abs. 2 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht und § 38 Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts. 51 § 6 Satzung zum Bürgerhaushalt der Stadt Eberswalde (Fn. 39). 52 BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002, 2 BvL 5/98, Rn. 156, http://www.bundesverfassungsgericht.de/Shared- Docs/Entscheidungen/DE/2002/12/ls20021205_2bvl000598.html,, unter Verweis auf BVerfGE 93, 37 (68). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 18 Mehrheit aus einer Mehrheit unbeschränkt demokratisch legitimierter Mitglieder des Kreationsorgans besteht […]“.53 Mit dieser Rechtsprechung könnte es sich in Einklang bringen lassen, wenn sich eine Minderheit der Volksvertreter durch Los bestimmt. Dies dürfte erst Recht gelten, wenn ihre Entscheidungsbefugnis begrenzt ist (z. B. Loskammern für bestimmte Entscheidungen wie Wahlrecht oder Abgeordnetenentschädigung ).54 8.3.2. Grundgesetzänderung? Für Entscheidungen durch mehrheitlich per Los bestimmte Volksvertreter wäre wohl eine Änderung von Art. 20 GG erforderlich. Denkbar wäre, dass der Verfassungsgesetzgeber in Art. 20 Abs. 2 GG das Losverfahren als weiteres Element der Legitimation staatlicher Gewalt einfügt. Allerdings ist der Spielraum des Verfassungsgesetzgebers im Bereich des Art. 20 GG begrenzt; er darf die darin „niedergelegten Grundsätze“ nicht „berühren“ (Art. 79 Abs. 3 GG). Unzulässig ist damit „eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grund-sätze“; zulässig ist es hingegen, „durch verfassungsänderndes Gesetz auch elementare Verfassungsgrundsätze systemimmanent zu modifizieren“.55 Damit stellt sich die Frage: Kennzeichnet sich Demokratie unabdingbar allein durch Wahlen und Abstimmungen, oder können auch per Los ausgewählte Volksvertreter Teil eines demokratischen Systems sein? Für die Unabdingbarkeit der Wahl von Abgeordneten spricht vor allem die Einbindung aller (wählenden) Bürger in die Legitimation. Ferner sind Abgeordnete gegenüber ihren Wählern verantwortlich: Bei der nächsten Wahl können sich Wähler für einen anderen Vertreter entscheiden . Zudem könnten – jedenfalls bei weitreichender Anwendung von Losverfahren – politische Parteien zunehmend entbehrlich werden. Diese faktische Aushöhlung von Art. 21 GG wirft ihrerseits die bislang kaum beantwortete Frage auf, ob die Mitwirkung von Parteien an der politischen Willensbildung zum Wesenskern der Demokratie gehört (Art. 79 Abs. 3 GG).56 Gegen die Unabdingbarkeit der Wahl von Volksvertretern spricht der Umstand, dass auch Abgeordnete rechtlich nicht an bestimmte Erwartungen ihrer Wähler gebunden sind (Art. 38 Abs. 1 GG). Ferner ließe sich argumentieren, dass Losverfahren die Bevölkerung und damit auch den Volkswillen statistisch spiegeln können. Man könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, dass per Losverfahren ausgewählte Bürger „volksnäher“57 sind als Abgeordnete. 53 BVerfG, vorige Fn., Rn. 158 (Hervorhebung durch Autor). 54 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl. 2016, Art. 20 Rn. 9 (je höher die Entscheidungsbefugnis, desto kürzer die Legitimationskette ). 55 BVerfGE 30, 1, Leitsatz 5. 56 Eher zurückhaltend Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 79, Rn. 139; weitergehender: Sannwald, in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 79 Rn. 60. 57 Zu diesem Begriff im Kontext der unveräußerlichen Demokratieprinzipien, Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz -Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 79, Rn. 127. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 19 Insgesamt betritt man mit dieser Thematik verfassungsrechtliches Neuland. Die juristische Literatur hat sich hierzu – soweit ersichtlich – bislang nicht geäußert.58 Rechtsprechung existiert mangels Praxisrelevanz nicht. 58 Auswertung der Datenbanken „beck-online“ und „juris“ auf Grundlage kombinierter Suchbegriffe wie insbesondere „Bundestag“, „Parlament“, „Los“, „Losverfahren“ und „Zufall“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 20 9. Vor- und Nachteile neuer Beteiligungsformen Dieser Punkt befasst sich nicht mit der grundsätzlichen Diskussion, ob die Beteiligung von Bürgern an staatlicher Entscheidungsfindung sinnvoll ist.59 Vielmehr beschreibt er die Vor- und Nachteile, die bei der Ausgestaltung neuer Beteiligungsformen zu bedenken sind. Um Wiederholungen zu vermeiden, fasst dieser Punkt die Vor- und Nachteile in diesem Überblick am Ende zusammen. Die Tabelle versucht, die wichtigsten Argumente und Gegenargumente aufzugreifen, auf die verschiedene Erfahrungsberichte hinweisen.60 Vorteil/Argument Nachteil/Gegenargument Eine nur beratende Funktion der Bürger erfordert in der Regel keine Gesetzes- oder Verfassungsänderung. Staatliche Stellen können auf die Vorschläge flexibel eingehen. Es besteht die Möglichkeit, einen beratenden Vorschlag mit einem verbindlichen Referendum oder Parlamentsbeschluss zu kombinieren. Beratende Positionen haben keine rechtliche Verbindlichkeit. Bürger können sich enttäuscht fühlen, falls staatliche Stellen dem Vorschlag nicht folgen. Mechanismen können dafür sorgen, dass sich die Vorschläge durchsetzen, die die meisten (beteiligten) Bürger für sinnvoll erachten. Es besteht die Gefahr, dass besonders gut organisierte Interessengruppen die Gerechtigkeit der Auswahlentscheidung verzerren, z. B. durch eine hohe Beteiligung an elektronischen Umfragen. Nicht alle Bürger sind politisch engagiert. Auswahlverfahren nach dem Zufallsprinzip stellen sicher, dass eine statistische Vielfalt an Meinungen aller Bürger vertreten ist und nicht nur die „üblichen“ Interessenvertreter. Damit sind die Ergebnisse unter Umständen weniger vorbestimmt. Aufgrund einer Zufallsauswahl fühlt sich die Gesamtheit der Bürger möglicherweise besser repräsentiert. Es bestehen Grenzen, die Bevölkerung statistisch zutreffend zu repräsentieren . Z. B. ist eine Vielfalt nach den Kriterien „Region“, „Geschlecht“ oder „Altersgruppe“ eher denkbar, als nach den Kriterien „Sprache“, „Herkunft“, „Religion“, „Bildungsgrad“ oder „sozial-ökonomische Stellung“ (öffentliche Register lassen eine Auswertung nach diesen Kriterien eher nicht zu). 59 Siehe hierzu u.a. WD 3 - 3000 - 020/09, Volksabstimmungen: pro und contra. 60 Siehe hierzu z. B.: Participedia, British Columbia – Bürgerversammlung zur Wahlrechtsreform, 2013/2017, https://participedia.net/de/faelle/british-columbia-b-rgerversammlung -zur-wahlrechtsreform; https://www.buergerhaushalt.org/de/faq_bhh#n57; Buchstein, Losverfahren in der parlamentarischen Demokratie, ZParl 2013, 384 (386); kritisch hiergegen: Lhotta, Gehen Sie nicht über Los!, ZParl 2013, 404. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 037/18 Seite 21 Vorteil/Argument Nachteil/Gegenargument Demokratische Beteiligung ist nicht verpflichtend (anders als z. B. das Schöffenamt). Damit entsteht für nicht interessierte Bürger keine Zusatzbelastung . Beteiligen sich Bürger nicht, ist das auch ein Votum (für die Delegation der Entscheidung an sich beteiligende Bürger oder an staatliche Stellen). Es besteht das Risiko, dass sich überproportional viele Bürger beteiligen, die eine bestimmte Reform bevorzugen. Damit ist die Beteiligung statistisch nicht repräsentativ. Dies ist vor allem dann denkbar, wenn das Anliegen eines Bürgerforums in eine bestimmte Richtung weist (z. B. „Einrichtung eines Nationalparks“). Je mehr Bürger der Staat persönlich beteiligt, desto mehr können sich Bürger eingebunden fühlen und desto höher ist die Vielfalt der Vorschläge . Das dabei bestehende Dilemma, am Ende nur einem Vorschlag folgen zu können, stellt sich für den Staat auch ohne Bürgerbeteiligung. Je mehr Bürger der Staat persönlich beteiligt, desto höher die Kosten. Ferner müssen die Bürger oder der Staat aus der Vielfalt der Vorschläge nach einem Ausschlussprinzip einen oder wenige Vorschläge auswählen. Dies kann die Komplexität des Themas zu sehr vereinfachen. Elektronische Plattformen vereinfachen den Zugang zu Daten, deren Auswertung , die Rückmeldung an staatliche Stellen sowie den Austausch mit einer Vielzahl von Bürgern. Ferner können elektronische Plattformen vor allem junge Bürger ansprechen und für Politik interessieren. Angesichts der bereits weit verbreiteten sozialen Medien entsteht kein relevantes Risiko, die Verbreitung von Falschinformationen zu unterstützen. Elektronische Plattformen schließen Teilnehmer aus, denen das Netz als Medium fremd ist (z. B. ältere Bürger). Es besteht die Möglichkeit, dass Bürger oder Interessenvertreter über die Plattform Falschinformationen verbreiten. Bürger haben bei bestimmten Themen keinen Interessenkonflikt, wie z. B. Abgeordnete bei der Entscheidung über ihre finanzielle Versorgung. Fehlen vollständige, ausgewogene und didaktisch aufbereitete Informationen, oder arbeiten die Moderatoren (z. B. eines Bürgerforums) parteiisch, verzerrt dies die Entscheidungsfindung von Bürgern. ***