Deutscher Bundestag Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Bundespolizei und Bundeswehr bei der Pirateriebekämpfung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 035/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 2 Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Bundespolizei und Bundeswehr bei der Pirateriebekämpfung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 035/11 Abschluss der Arbeit: 17. Februar 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 3 1. Einleitung Nach Art. 100 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (SRÜ)1 arbeiten alle Staaten in größtmöglichem Maße zusammen, um die Seeräuberei auf Hoher See oder an jedem anderen Ort zu bekämpfen, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht. Art. 105 Satz 1 SRÜ ermächtigen jeden Staat dazu, ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch Seeräuberei erbeutetes und in der Gewalt von Seeräubern stehendes Schiff oder Luftfahrzeug aufzubringen, die Personen an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs festzunehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte zu beschlagnahmen. Die Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug aufgebracht hat, können nach Art. 105 Satz 2 SRÜ über die zu verhängenden Strafen entscheiden sowie die Maßnahmen festlegen, die hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte zu ergreifen sind, vorbehaltlich der Rechte gutgläubiger Dritter. Art. 100 ff. SRÜ ermächtigt alle Staaten, auf Hoher See gewaltsam gegen Piraten vorzugehen,2 ohne bestimmte staatsrechtliche (staatsbürgerliche) Beziehungen des aufbringenden Staates zu Tätern und Opfern als Ausfluss des völkerrechtlichen Personalitätsprinzips zu verlangen. Vielmehr normiert Art. 105 SRÜ für die Strafverfolgung von Seeräuberei das sogenannte Weltrechtsoder Universalitätsprinzip. Ein Anknüpfungspunkt im Sinne eines Inlandsbezugs ist aus völkerrechtlicher Sicht nicht erforderlich. Die Verfolgung von Piraterie außerhalb der Hoheitsgewässer eines Staates gilt insoweit als das klassische Beispiel einer echten, unbedingten Geltung des Universalitätsprinzips .3 Das verfassungsrechtliche Problem einer Anwendung von Art. 105 SRÜ liegt darin, dass es immer wieder Überschneidungen zwischen polizeilichen und militärischen Aspekten der Pirateriebekämpfung (und Mischmandate seitens der VN und der EU) gibt. Daher ist eine eindeutige und ausschließliche Zuordnung zum polizeilichen oder zum militärischen Bereich schwer möglich. Zum Teil wird die Bekämpfung der Piraterie „vorrangig“ als Polizeiaufgabe angesehen.4 Die Rechtsgrundlage für einen Einsatz der Bundespolizei bildet § 6 des Bundespolizeigesetzes (BPolG). Nach § 6 Satz 1 BPolG hat die Bundespolizei auf See außerhalb der deutschen Küstengewässer die Maßnahmen zu treffen, zu denen die Bundesrepublik Deutschland nach dem Völkerrecht berechtigt ist. Gemäß § 1 Nr. 3 lit. d des Seeaufgabengesetzes (SeeAufgG) obliegen dem Bund seewärts der Begrenzung des Küstenmeeres, wenn das Völkerrecht dies zulässt oder erfordert , die Aufgaben der Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten als Schifffahrtspolizei und zur Abwehr von Gefahren sowie zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in sonstigen Fällen, ferner die Aufgaben der Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung. Diese Aufgabenzuweisung gilt, soweit die Wahrnehmung der Aufgabe zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflich- 1 BGBl. 1994 II S. 1799. 2 Herdegen, Völkerrecht, 9. Auflage 2010, § 31 Rn. 10. 3 Shearer, Piracy, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online-Ausgabe, , Rn. 22; vgl. schon das Sondervotum des Richters Moore zur Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Frankreich ./. Türkei (The Lotus Case), PCJI Series A No 10, S. 70. 4 Fischer-Lescano/Tohidipur, Rechtsrahmen der Maßnahmen gegen die Seepiraterie, NJW 2009, S. 1243 (1246); Oshana, Blätter für deutsche und internationale Politik 2008, S. 20; Hader, Wissenschaft und Frieden 2006, S. 31. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 4 tungen der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe zwischenstaatlicher Abkommen erforderlich ist. Nach der Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See (ZustBV-See) sind die Beamten der Bundespolizei seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres zuständig zur Durchführung der Maßnahmen nach der Strafprozessordnung bei Taten, die auf Schiffen begangen worden sind, die berechtigt sind, die Bundesflagge zu führen (§ 1 Nr. 1 ZustBV-See), ferner bei Seeräuberei auf anderen als den in § 1 Nr. 1 ZustBV-See genannten Schiffen, die nicht völkerrechtliche Immunität im Sinne der Artikel 8 und 9 des Übereinkommens über die Hohe See vom 29. April 19585 genießen (§ 1 Nr. 2 lit. a ZustBV-See). Die Aufgabenzuweisung nach § 6 BPolG i.V.m. § 1 Nr. 3 lit. d SeeAufgG, § 1 Nr. 2 lit. a ZustBV-See erfolgt „unbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden oder der Streitkräfte“ (§ 6 Satz 1 BPolG). Aus dieser Regelung („unbeschadet “) ergibt sich, dass die Zuständigkeit der Bundespolizei nicht ausschließlich ist, sondern mit der Zuständigkeit der Bundeswehr konkurriert. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Einsatzes der Bundeswehr zur Bekämpfung der Piraterie folgt aus Art. 24 Abs. 2 GG, wenn es sich um die Unternehmung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit handelt und ein entsprechendes Mandat (etwa der VN) vorliegt. In diesem Fall ist von einer parallelen Zuständigkeit von Bundespolizei und Bundeswehr bei der Bekämpfung der Piraterie auszugehen. Die Bekämpfung der Piraterie durch die Bundeswehr außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist an Art. 87a Abs. 2 GG zu messen. 2. Involvierung deutscher Staatsangehöriger Die in der Einleitung vorgestellten Vorschriften, die für die Bekämpfung der Piraterie durch die Bundespolizei maßgeblich sind, differenzieren im Ergebnis nicht danach, ob deutsche Staatsangehörige involviert sind, sondern knüpfen an die völkerrechtliche Lage an, die, wie eingangs dargestellt , unter der Geltung des Weltrechtsprinzips keinen Inlandsbezug verlangt. Die Rechtsgrundlage für eine Verwendung der Bundespolizei zur Geiselbefreiung bietet § 8 Abs. 2 BPolG: “Die Bundespolizei kann (ferner) im Einzelfall zur Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben im Ausland verwendet werden. Die Verwendung ist nur für humanitäre Zwecke oder zur Wahrung dringender Interessen der Bundesrepublik Deutschland und im Einvernehmen mit dem Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Maßnahme durchgeführt werden soll, zulässig. Die Entscheidung trifft der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt.“ Bei der Rettung deutscher Staatsbürger aus den genannten Gefahrenlagen wird das dringende Interesse der Bundesrepublik Deutschland aus dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 GG hergeleitet. Da als Auslandsverwendungszweck aber auch humanitäre Zwecke und die Wahrung dringender Interessen der Bundesrepublik Deutschland insgesamt anerkannt sind, nimmt § 8 Abs. 2 BPolG eine Beschränkung auf deutsche Staatsbürger nicht vor.6 5 BGBl. 1972 II S. 1089. 6 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter, Bundespolizeigesetz, 3. Auflage 2006, § 8 Rn. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 5 3. Verfassungsrechtliche Grenzen einer operativen Kooperation zwischen Bundeswehr und Bundespolizei 3.1. Trennungsgebot Das Trennungsgebot beinhaltet die Garantie einer strikten Trennung zwischen äußerem (militärischem ) und innerem (polizeilichem) Gewaltmonopol bei innerstaatlichen Einsätzen.7 Es wird als verfassungsrechtliches Prinzip der Trennung von Polizei und Militär hergeleitet aus Art. 87a Abs. 2 GG, den Einzelnormen Art. 87a Abs. 3, Abs.4, 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, der weiteren Norm hinsichtlich des Inneren Notstands, Art. 91 GG, und den Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenzen , Art. 71 ff., sowie über die Verwaltungskompetenzen, Art. 83 ff.8 Teilweise wird in der Literatur9 das Trennungsgebot zwischen Polizei und Militär auch auf Einsätze außerhalb des deutschen Staatsgebiets erstreckt. Dabei wird auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz Bezug genommen. Die Stelle des Urteils vom 15. Februar 2006, auf die verwiesen wird,10 behandelt allerdings nur die Frage, welche Art von Waffen die Streitkräfte einsetzen dürfen, wenn sie nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG auf Anforderung eines Landes „zur Hilfe“ eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass zwar die Waffen verwendet werden dürfen, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsieht, dass militärische Kampfmittel dagegen nicht zum Einsatz gebracht werden dürfen. Zur Geltung des Trennungsgebots bei Einsätzen außerhalb des deutschen Staatsgebiets hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht geäußert. Auch die Literaturstellen , die belegen sollen, dass Art. 87a Abs. 2 GG „ein striktes Trennungsgebot zu entnehmen ist, das auch bei Außeneinsätzen gilt“,11 lassen eine solche Interpretation nur bedingt zu. Die Gegenauffassung hebt für die Frage, ob sich die Trennung von Polizei und Streitkräften für das Ausland oder außerhalb des Staatsgebietes anbietet, darauf ab, dass die unterschiedlichen Situationen bedacht werden müssen, die innerhalb und außerhalb des eigenen Staatsgebiets vorlie- 7 Hernekamp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Band 3, 5. Auflage 2003, Art. 87a Rn. 14. 8 Bähr, Die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, ZRP 1994, S. 97 (100); Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, 1981, Teil II Rn. 370; Hernekamp (Fn. 7), Art. 87a Rn. 14; Fiebig , Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 133 f. 9 Fischer-Lescano, Bundesmarine als Polizei der Weltmeere?, NordÖR 2009, S. 49 (54); Fischer-Lescano/Tohidipur (Fn. 4), S. 1246; Heinicke, Piratenjagd vor der Küste Somalias, Kritische Justiz 2009, S. 178 (192). 10 Fischer-Lescano/Tohidipur (Fn. 4) beziehen sich auf BVerfGE 115, 118 (147). 11 Fischer-Lescano/Tohidipur (Fn. 4), S. 1246 verweisen in Fn. 38 auf Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, 1991, S. 129. An dieser Stelle heißt es: „Auch hier (scil. bei Auslandseinsätzen von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz) ist eine strikte Trennung zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben vorzunehmen und bei der Aufgabenerfüllung darauf zu achten, dass sie von der jeweils zuständigen Institution wahrgenommen wird. Ob darüber hinaus ein paralleler Einsatz analog der nur im innerstaatlichen Bereich geltenden Ausnahmevorschriften zulässig ist, muss im Einzelfall geprüft werden.“ Der ebenfalls zitierte Aufsatz von Gusy, Gesetzliches Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, Die Verwaltung 1991, S. 469 behandelt die Trennung von Polizei und Militär nicht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 6 gen.12 Verneint wird die Geltung des Trennungsgebots bei Einsätzen im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit u.a. mit dem Argument, das Trennungsgebot werde über Art. 24 Abs. 2 GG „ausgehebelt“.13 Ferner wird darauf verwiesen, dass das Gebot der Trennung von Polizei und Streitkräften nicht verletzt sei, weil der Einsatz der Bundespolizei im Ausland nicht unter militärischem Kommando stehe und auf zivilpolizeiliche Aufgaben beschränkt sei.14 Aus dem GG lasse sich kein Trennungsgebot in dem Sinne ableiten, dass polizeiliche Maßnahmen auch im Ausland zwingend durch die Bundespolizei durchzuführen seien und die Tätigkeit der Streitkräfte auf militärische Maßnahmen beschränkt sei, selbst wenn man insofern auf den Schwerpunkt der ggf. polizeiliche und militärische Aspekte der Maßnahme abstellen wolle.15 Über das Zustimmungsgesetz zum SRÜ seien dessen Bestimmungen Bestandteil des Bundesrechts geworden. Die darin enthaltene Ermächtigung für Kriegsschiffe, Piratenschiffe aufzubringen (Art. 107, 105 SRÜ), begründe eine eigenständige gesetzliche Ermächtigung der Deutschen Marine, die von anderen gesetzlichen Grundlagen unberührt bleibe.16 3.2. Verfassungsvorbehalt Nach Art. 87a Abs. 2 GG dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Nach wie vor offen und ungeklärt ist die Frage, ob der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG lediglich für den Einsatz der Bundeswehr im Innern gilt oder auch auf Einsätze außerhalb des deutschen Staatsgebiets Anwendung findet.17 Das BVerfG hatte diese Frage in seinem out-of-area-Urteil vom 20. Juli 199418 und später offen gelassen und die Zulässigkeit der damaligen streitgegenständlichen Einsätze19 im Rahmen der kollektiven Sicherheitssysteme VN, NATO und WEU auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt. Auslandseinsätze der Streitkräfte außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit können nicht auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt werden und unterliegen dem Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG, wenn man die Auffassung vertritt, dass die Vorschrift nicht nur für Inlandseinsätze der Streitkräfte gilt. Zwar ist die Zulässigkeit der Bekämpfung von Piraterie völkergewohnheitsrechtlich anerkannt – sie bedarf keines Mandats des UN-Sicherheitsrats - und als 12 Klein, in: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestages, Wortprotokoll der 75. Sitzung vom 17. Dezember 2008 zum einzigen Tagesordnungspunkt „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und extraterritoriale Staatenpflichten“, S. 23, 25. 13 Heintschel von Heinegg, Warum die Bundeswehr Piraten jagen sollte, abzurufen unter: http://www.welt.de/vermischtes/article2517009/Warum-die-Bundeswehr-Piraten-jagen-sollte.html (Aufruf: 9. Februar 2011). 14 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter (Fn. 6), § 8 Rn. 13. 15 Epping, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 2009, Art. 87a Rn. 29.3. 16 Fastenrath, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 2008, S. 6. 17 Umfassende Darstellung des Meinungsstandes bei Wiefelspütz, Kein Parlamentsvorbehalt bei Inlandseinsätzen der Bundeswehr, NZWehrr 2010, S. 177 (184 f.). 18 BVerfGE 90, 286 (345 ff.). 19 Adria- (2 BvE 3/92), AWACS- (2 BvE 5/93, 7/93) und Somalia (2 BvE 8/93)-Verfahren. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 7 allgemeine Regel des Völkerrechts nach Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts20, doch stellen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts keine „ausdrückliche“ Zulassung des Einsatzes im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG dar. In dieser Konstellation kommt es daher entscheidend auf den Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG an. Die restriktivste Auffassung21 setzt den Verteidigungsbegriff in Art. 87 a Abs. 2 GG mit dem Verteidigungsfall in Art. 115 a Abs. 1 Satz 1 GG gleich. Letzterer ist (nur) dann gegeben, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem AWACS-Urteil vom 12. Juli 1994 mit der Bemerkung verworfen, die Feststellung des Verteidigungsfalles sei „nicht Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr.“22 Eine andere Deutung23 bezieht in den geographischen Bereich zulässiger Verteidigung die Abwehr eines Angriffs auf das Gebiet eines anderen NATO-Vertragsstaates gemäß Art. 6 des NATO-Vertrages ein. Ferner wird vertreten24, Verteidigung nach Art. 87a Abs.2 GG bedeute zwar stets Verteidigung der Bundesrepublik, dies jedoch nicht notwendigerweise in Gestalt der Abwehr eines bewaffneten Angriffs auf ihr Territorium. Auch der Schutz bestimmter staatlicher Außenpositionen wird hiernach erfasst, wobei eigene Staatsangehörige jedoch ausgeklammert bleiben. Vertreter des völkerrechtsakzessorischen Verteidigungsbegriffs legen Verteidigung im Lichte des Völkerrechts aus.25 Diese Auffassung wird zum Teil26 dahin konkretisiert, Verteidigung sei individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 SVN. Schließlich misst eine weitere Auffassung27, der auch die Bundesregierung zuzuneigen scheint, der Staatspraxis für die Auslegung des Verteidigungsbegriffs eine entscheidende Bedeutung bei und rekurriert bei der Einbeziehung der Befreiung deutscher Geiseln im Ausland auf die Evakuierung deutscher Staatsbürger und unter deutscher konsularischer Obhut befindlicher Staatsangehöriger anderer Nationen aus Albanien am 14. März 1997 (Operation „Libelle “).28 Die rechtliche Lage bei einem Seeräuberangriff mit Geiselnahme ist ähnlich zu beurteilen wie diejenige beim Albanien-Einsatz.29 Diese Auffassung sieht in der damaligen Rettungsaktion den Präzedenzfall einer sich seitdem entwickelnden Staatspraxis, derartige Befreiungsaktionen zum Schutz deutscher Staatsbürger durch die Bundeswehr und im Einverständnis mit dem 20 Daraus folgert Epping (Fn. 15), Art. 87a Rn. 29.3, dass die Deutsche Marine auch aus diesem Grunde gesetzlich zur Pirateriebekämpfung ermächtigt sei. 21 Arndt, Bundeswehreinsatz für die UNO, DÖV 1992, S. 618 f. 22 BVerfGE 90, 286 (386). 23 Wieland, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen für einen Einsatz der Bundeswehr, DVBl. 1991, S. 1178 f. 24 Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland – verfassungs- und völkerrechtliche Schranken, 1989, S. 174 f. 25 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht, 4. Auflage 2009, S. 385. 26 Geiger (Fn. 25), S. 385. 27 Kreß, Die Rettungsaktion der Bundeswehr in Albanien am 14. März 1997 aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht, ZaöRV 1997, S. 329 (352 ff.). 28 Zu Einzelheiten der Rettungsaktion vgl. Limpert, Auslandeseinsatz der Bundeswehr, 2002, S. 60 f.; zur Verfassungsmäßigkeit der Aktion vgl. Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 17; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 87a Rn. 24. 29 Affeld, Der aktuelle Fall: Seeraub und die seepolizeiliche Rolle der Deutschen Marine, HuV-I 2000, S. 95, 104. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 8 Aufenthaltsstaat, dessen Hoheitsrechte tangiert werden, als Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG anzusehen. Den Verfassungsorganen Bundesregierung und Bundestag soll dabei – im Rahmen des möglichen Wortsinnes – eine „Konkretisierungprärogative“ zukommen.30 Diese Auffassung zielt auf einen „offeneren, allgemein auf den Schutz deutscher Rechtspositionen abstellenden verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff“.31 Nach diesem weiten Verteidigungsbegriff sowie dem völkerrechtsakzessorischen Verteidigungsbegriff wäre eine Geiselbefreiung durch die Bundeswehr mit Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar. Das Tätigwerden der Bundeswehr bei der Geiselbefreiung wird auch vom Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) als zulässig vorausgesetzt, indem es in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages bei Einsätzen zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen ausreichen lässt, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. Die Zulässigkeit einer allgemeinen Bekämpfung der Piraterie lässt sich dem weiten Verteidigungsbegriff , wie ihn etwa die Bundesregierung vertritt, nicht entnehmen, möglicherweise aber dem völkerrechtsakzessorischen Verteidigungsbegriff. Überwiegend wird die Bekämpfung der Piraterie jedenfalls nicht unter Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG subsumiert. Art. 87a Abs. 2 GG gilt nicht für Einsätze der Bundespolizei zur Pirateriebekämpfung außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, da der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG auf die Bundespolizei nicht anwendbar ist. Rechtsgrundlage für einen konkreten Einsatz ist hier die Aufgabenzuweisung in Art. 32 Abs.1 GG32 i. V. m. § 6 Satz 1 BPolG. Unter Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, die nach Art. 32 Abs. 1 GG Sache des Bundes ist, hat man die Gesamtheit grenzüberschreitender Handlungszusammenhänge zu verstehen, die sich auf die Stellung der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt in der Staatengemeinschaft auswirken 33, also alle Maßnahmen, die im Bereich der auswärtigen Gewalt erforderlich werden34, auch die Pirateriebekämpfung. Auch wenn wegen Art. 87a Abs. 2 GG der Bundeswehr nach überwiegender Auffassung eine Pirateriebekämpfung außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit verfassungsrechtlich nicht möglich ist, kann die Bundeswehr sehr wohl im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 Abs.1 GG die Bundespolizei logistisch-technisch unterstützen. Die Unterstützungshandlung muss sich unterhalb der Einsatzschwelle im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG halten und darf keine exekutiv-hoheitlichen Züge tragen. Das Problem der mittelbar obrigkeitlichen Tätigkeit, wie es bei der Tätigkeit der Bundeswehr im Innern erörtert wird35, stellt sich bei der Pirateriebekämpfung nicht, da hier nach überwiegender Auffassung das Trennungsgebot nicht gilt. 30 Kreß (Fn. 27), S. 353. 31 Kreß (Fn. 27), S. 354; im Sinne dieses Ansatzes auch Blumenwitz, Der nach außen wirkende Einsatz deutscher Streitkräfte nach Staats- und Völkerrecht, NZWehrr 1988, S. 134 ff. 32 Wiefelspütz, Der Einsatz der Bundespolizei im Ausland, in: Möllers/van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2006/2007, S. 255 (260 f.). 33 Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 4./5. Auflage 2001, Art. 59 Rn. 10. 34 Wiefelspütz (Fn. 32), S. 260. 35 Vgl. Fiebig (Fn. 8), S. 205 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 9 3.3. Parlamentsvorbehalt Das Bundesverfassungsgericht verlangt seit seinem Somalia-Urteil im Verfahren der einstweiligen Anordnung vom 23. Juni 199336 für jeden konkreten Einsatz bewaffneter Streitkräfte eine konstitutive Beteiligung des Bundestages – unbeschadet der im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle. Das Bundesverfassungsgericht leitet die Notwendigkeit eines konstitutiven Parlamentsbeschlusses beim Auslandseinsatz der Bundeswehr aus der deutschen Verfassungstradition seit 1918 und einem der Wehrverfassung zugrundeliegenden Prinzip ab, nach dem der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Bundestages unterliege.37 Nur bei Gefahr im Verzug (§ 5 ParlBG) ist die Bundesregierung berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen und internationalen Organisationen mitzuwirken und diese zu vollziehen. Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt. Was den Parlamentsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen angeht, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden out-of-area-Entscheidung vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass nicht der Zustimmung des Bundestages bedarf „die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen ein bezogen sind.“38 Nach § 2 Abs. 1 ParlBG liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. Vorbereitende Maßnahmen und Planungen sind laut § 2 Abs. 2 ParlBG kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2008 zum Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen über der Türkei im Frühjahr 200339 ist der Begriff des Einbezogenseins in bewaffnete Unternehmungen nicht so zu verstehen, dass eine Parlamentsbeteiligung für den Streitkräfteeinsatz nur und erst dann erforderlich wird, wenn bewaffnete Gewalt tatsächlich angewandt wird. Denn dann könnte der Bundestag seinen rechtserheblichen Einfluss auf die Verwendung der Bundeswehr als „regelmäßig vorhergehende“40 parlamentarische Beteiligung nicht hinreichend wahrnehmen. Seine Mitentscheidung bezieht sich auf den 36 BVerfGE 89, 38 (46 f.). 37 BVerfGE 90, 286 (383 ff., 387); zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Parlamentsvorbehalts vgl. auch Limpert (Fn. 28), S. 46 f. 38 BVerfGE 90, 286 (388). 39 BVerfGE 121, 135. 40 BVerfGE 90, 286 (387). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 10 Zeitpunkt der Einsatzentscheidung und – außer bei Gefahr im Verzug - nicht auf einen der Entsendung nachgelagerten Zeitpunkt, in dem der Streitkräfteeinsatz mit allen damit verbundenen faktischen Handlungsnotwendigkeiten bereits begonnen hat. Für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt kommt es, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, „dabei nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich schon im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben. Entscheidend ist vielmehr, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist und deutsche Soldaten deshalb bereits in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind.“41 Das Bundesverfassungsgericht legt Wert darauf , bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt zu haben, dass für die Frage der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen im Einzelfall Einsatzzweck und Einsatzbefugnisse näher zu betrachten sind. Ist schon nach dem Einsatzzweck von vornherein geplant, dass deutsche Soldaten unabhängig von dem konkreten Einsatzverlauf militärische Gewalt anwenden, ist von einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte auszugehen. Bei Einsätzen auf der Basis von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sieht das Bundesverfassungsgericht angesichts der fließenden Übergänge zwischen den verschiedenen Einsatzformen und der möglichen Reichweite des Selbstverteidigungsrechts eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen stets als gegeben an. Auf der anderen Seite reicht die bloße Möglichkeit, dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, für die Annahme einer Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen nicht aus. Dies würde eine Verschiebung der Organkompetenzverteilung zwischen Bundesregierung und Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt bedeuten. Schließlich besteht die theoretische Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung dort immer, wo Streitkräfte operieren. Das Bundesverfassungsgericht verlangt vielmehr eine „spezifische Nähe“ zur Anwendung militärischer Gewalt und die „qualifizierte Erwartung“ einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen.42 Das Bundesverfassungsgericht nimmt die Unterscheidung von qualifizierter Erwartung der bloßen Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte, anhand von zwei Kriterien vor: „hinreichende greifbare tatsächliche Anhaltspunkte “ und „besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt“.43 Die hinreichenden greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden kann, beziehen sich auf den Zweck des Einsatzes, die konkreten politischen und militärischen Umstände des Einsatzes und auf die Einsatzbefugnisse. Die Umstände des Falles und die politische Gesamtlage müssen laut Bundesverfassungsgericht „eine konkrete militärische Gefahrenlage ergeben, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist. … Für die Beurteilung kommt es insofern auf die besonderen Umstände des konkreten Einsatzes und im Fall eines Einsatzes in einem System gegenseitiger kollek- 41 BVerfGE 121, 135 (164). 42 BVerfGE 121, 135 (162) 43 BVerfGE 121, 135 (165). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 11 tiver Sicherheit insbesondere auch auf die Operationsziele und die Reichweite der jeweiligen militärischen Befugnisse mit Blick auf eine potentielle militärische Auseinandersetzung an.“44 Militärtechnischen Sprachregelungen wie etwa „Bündnisroutine“ misst das BVerfG keine gesonderte Bedeutung zu. Sie hätten keinen eigenständigen normativen Gehalt und könnten deshalb das Ergebnis der erforderlichen Gesamtbetrachtung allenfalls kennzeichnen, nicht aber beeinflussen . Auch wenn der Einsatz ansonsten eher routinemäßig geprägt ist, will das BVerfG vor allem die verfassungsrechtliche Erheblichkeit einer aufgrund der konkreten Umstände in einem Einsatz angelegten Eskalationsgefahr berücksichtigt wissen.45 Die besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt als Element einer qualifizierten Erwartung der Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bedeutet für das Bundesverfassungsgericht, dass die Einbeziehung unmittelbar zu erwarten sein muss. Dies begründet bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung, die jedoch regelmäßig mit der Verdichtung tatsächlicher Umstände einhergehen wird, welche auf eine kommende militärische Auseinandersetzung hindeuten.46 Von Bedeutung können aber auch die Einsatzplanung und die Einsatzbefugnisse sein. Ist eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich und hängt sie praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf ab, ist ein In- Gang-Setzen solcher Mechanismen ohne Beteiligung des Bundestages nicht zulässig, etwa bei integrierten Bündnisabläufen, die vor der Anwendung von Waffengewalt praktisch kaum mehr reversibel oder jedenfalls politisch nicht mehr zu beeinflussen sind. In solchen Konstellationen kann der Bundestag auf die für die Gewaltanwendung entscheidenden tatsächlichen Geschehensabläufe nicht mehr reagieren, regelmäßig jedenfalls nicht, bevor diese eine militärische Reaktion nach sich ziehen.47 Für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen sieht es das Bundesverfassungsgericht als ein Indiz an, wenn sie Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Dies gilt nicht für eine Ermächtigung zur reinen Selbstverteidigung , wenn also der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat. Zeichnet den Einsatz aber ein eigentliches militärisches Gepräge aus, handelt es sich auch dann um eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung, wenn die am Einsatz beteiligten Soldaten der Bundeswehr zwar selbst unbewaffnet sind, aber als wesentlicher Teil des den bewaffneten Einsatz durchführenden integrierten militärischen Systems tätig werden. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „Wer im Rahmen einer bewaffneten Auseinandersetzung etwa für den Waffeneinsatz bedeutsame Informationen liefert, eine die bewaffnete Operation unmittelbar leitende Aufklärung betreibt oder sogar im Rahmen seiner militärischen Funktion Befehle zum Waffeneinsatz geben kann, ist in bewaffnete Unternehmungen einbezogen, ohne dass er selbst Waffen tragen müsste. Militärische Einsätze im Handlungsverbund integrierter Streitkräfte lassen sich verfas- 44 BVerfGE 121, 135 (165 f.). 45 BVerfGE 121, 135 (166). 46 BVerfGE 121, 135 (166). 47 BVerfGE 121, 135 (166 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 12 sungsrechtlich nicht angemessen erfassen, wenn man die Frage nach der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen für einzelne Systemkomponenten und personell getrennte Einsatzfunktionen voneinander getrennt betrachtet.“48 Danach endet mit der Anwendung militärischer Gewalt der ansonsten weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich. Funktion und Bedeutung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verbieten es, seine Reichweite restriktiv zu bestimmen. Vielmehr will ihn das Bundesverfassungsgericht in Zweifelsfällen parlamentsfreundlich ausgelegt wissen.49 Dies bedeutet, dass immer dann, wenn sich nicht eindeutig bestimmen lässt, ob es sich tatsächlich um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte handelt, der Parlamentsvorbehalt greift. Eine Grauzone geht „zu Lasten“ der Bundesregierung. Insbesondere wendet sich das Bundesverfassungsgericht dagegen, das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig zu machen.50 Insoweit billigt das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung keinen eigenverantwortlichen Entscheidungsraum zu. Den alleinigen Bezug auf eine exekutivische Eigenverantwortung hält es für ungeeignet, für eine restriktive Auslegung des Parlamentsvorbehalts oder gar für dessen grundsätzliche Ablehnung zu streiten.51 Wenn Soldatinnen und Soldaten nach diesen vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien bei der Bekämpfung der Piraterie (im Rahmen gegenseitiger kollektiver Sicherheitssysteme) in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung zu erwarten ist, gilt der Parlamentsvorbehalt. Es ist unbestritten, dass bei einem Einsatz der Bundespolizei im Ausland nach § 8 Abs. 1 oder 2 BPolG es keiner Zustimmung des Bundestages bedarf.52 Selbst von ansonsten kritischen Stimmen zu § 8 BPolG wird das fehlende Zustimmungsbedürfnis des Bundestages für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten, da die Bundespolizei Teil der inneren Staatsverwaltung und deshalb der Exekutive zuzuordnen ist.53 4. Differenzierungsgebote für Maßnahmen der Pirateriebekämpfung Hinsichtlich der völkerrechtlichen Befugnisse bei der Pirateriebekämpfung wird auf die Ausführungen in der Einleitung verwiesen. Durch das Zustimmungsgesetz zum SRÜ wurden sie in nationales Recht transformiert und bilden die gesetzliche Ermächtigung für die Durchführung der dortigen Maßnahmen, soweit verfassungsrechtlich zulässig. Besondere Differenzierungen zwischen präventiver Abwehr von Piratenangriffen, gewaltsamem Vorgehen zur Befreiung von Gei- 48 BVerfGE 121, 135 (168). 49 BVerfGE 121, 135 (162), vgl. zum entsprechenden Regel-Ausnahmeverhältnis auch Epping, AöR 1999, 423 (455 f.); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration, 2005, 166 f. 50 BVerfGE 121, 135 (163). 51 BVerfGE 121, 135 (163). 52 Blümel/Drewes/Malmberg/Walter (Fn. 6), § 8 Rn. 6. 53 Fischer-Lescano, Verfassungsrechtliche Fragen der Auslandsentsendung des BGS, AöR 2003, S. 52 (78 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 035/11 Seite 13 seln sowie zur Festnahme mutmaßlicher Piraten nach erfolgter Geiselnahme nimmt das SRÜ nicht vor. 5. Einrichtung eines Führungsstabes bei der Bundespolizei Die Einrichtung eines Führungsstabes bei der Bundespolizei zum Schutz vor Piraterie wäre nach den vorstehenden Ausführungen verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich gedeckt. Da das Trennungsgebot nach überwiegender Auffassung nicht gilt, dürften Mitglieder der Bundeswehr dauerhaft in einen solchen Führungsstab eingebunden werden, wobei ihre Tätigkeit bei der Pirateriebekämpfung außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit auf logistischtechnische Amtshilfe beschränkt wäre.