© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 034/15 Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 034/15 Seite 2 Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 034/15 Abschluss der Arbeit: 18.02.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 034/15 Seite 3 1. Fragestellung Gegenstand der vorliegenden Fragestellung ist die Weiterentwicklung der in Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG geregelten Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“. Eine solche Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgaben wurde im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. November 2013 vereinbart.1 Dabei wirft der eher unspezifische Begriff der Weiterentwicklung die Frage auf, in welchem Rahmen das Konzept der ländlichen Entwicklung als Gemeinschaftsaufgabe verwirklicht werden soll – aufgrund der bestehenden Rechtsgrundlagen oder durch einfachgesetzliche und/oder Verfassungsänderungen. Auch sind die mit der geplanten Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ konkret verfolgten Ziele noch nicht im Einzelnen definiert; in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu den beabsichtigten neuen Fördermaßnahmen im Rahmen der Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgaben heißt es dazu „nur“: „Durch den im Auftrag [erg. aus dem Koalitionsvertrag] enthaltenen Hinweis auf die umfassende Nutzung der Fördermöglichkeiten des ELER-Fonds wird der inhaltliche Kern der Weiterentwicklung konkretisiert.“2 Der ELER-Fonds bezeichnet den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Die zu verwirklichende Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ steht damit im unionsrechtlichen Kontext. 2. Unionsrechtlicher Kontext Die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums hat sich zur zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) entwickelt.3 Die zur Umsetzung dieser Politik erlassenen Verordnungen enthalten die konkreten Ziele sowie die Bestimmungen zur Finanzierung der Fördermaßnahmen durch den ELER.4 Zu den unionsrechtlichen Prioritäten für die Entwicklung des ländlichen Raums gehören nach Art. 5 VO 1305/2013/EU u.a. die „Verbesserung der Lebensfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe…“ (Nr. 2), die „Wiederherstellung, Erhaltung und Verbesserung der mit der Land- und Forstwirtschaft verbundenen Ökosysteme“ (Nr. 4) und die „Förderung der sozialen Inklusion, der Armutsbekämpfung und der wirtschaftlichen Entwicklung …“ (Nr. 6), u.a. mit dem Schwerpunkt der „Förderung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), ihres Einsatzes und ihrer Qualität in ländlichen Gebieten“ (Nr. 6 c)). Die innerstaatliche Umsetzung der Fördermaßnahmen erfolgt im Rahmen einer zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten abgestimmten Strategie- und Programmplanung.5 Ein zentrales Umsetzungsinstrument für die Umsetzung der ELER-Maßnahmen in Deutschland sind 1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27.11.2013, abrufbar unter: https://www.cdu.de/sites/ default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, S. 85. 2 BT-Drs. 18/1733, 2. 3 Norer/Blick, Agrarrecht, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (Loseblatt-Slg., Stand: 2014), Rn. 156. 4 Vgl. VO 1598/2005/EG, nunmehr ersetzt durch die VO 1305/2013/EU. 5 Norer/Blick (Fn. 3), Rn. 163 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 034/15 Seite 4 die GAK-Fördermaßnahmen nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG.6 In diesem Zusammenhang soll die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes “ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ dazu dienen, die im Rahmen des ELER bereitgestellten Fördermöglichkeiten umfassend nutzen zu können.7 3. „Ländliche Entwicklung“ als Gemeinschaftsaufgabe 3.1. nach geltender Rechtslage Nach Art. 91a Abs. 1 GG wirkt der Bund bei der Erfüllung von Länderaufgaben mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Eine solche Mitwirkung des Bundes ist beschränkt auf die Gebiete der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG) und die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschützes (Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG). Die Konkretisierung der begrifflich sehr weit gefassten Gemeinschaftsaufgaben erfolgt nach Art. 91a Abs. 2 GG durch Bundesgesetz, was für die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG durch das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes “ (GAKG) erfolgt ist. Nach § 1 Abs. 1 GAKG fallen unter die Gemeinschaftsaufgaben u.a. „Maßnahmen zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft“ (Nr. 1), „Maßnahmen zur Neuordnung des ländlichen Grundbesitzes…“ (Nr. 2) und „wasserwirtschaftliche und kulturbautechnische Maßnahmen“ (Nr. 4). Die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben soll nach § 2 Abs. 1 S. 2 GAKG dazu dienen, „eine leistungsfähige, auf künftige Anforderungen ausgerichtete Land- und Forstwirtschaft zu gewährleisten und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Gemeinsamen Markt der Europäischen Union zu ermöglichen sowie den Küstenschutz zu verbessern“. Das unionsrechtliche Konzept zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums weist Überschneidungen mit den von Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 1 f. GAKG umfassten Gemeinschaftsaufgaben auf. So könnten etwa ELER-Maßnahmen zur „Verbesserung der Lebensfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe…“ (Art. 5 Nr. 2 VO 1305/2013/EU) als GAK-Maßnahmen zur „Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GAKG) umgesetzt werden. Die Möglichkeit zur Umsetzung von ELER-Maßnahmen durch GAK-Maßnahmen besteht aber nur, soweit sich ELER-Maßnahmen und Gemeinschaftsaufgaben decken. Nach geltender Rechtslage können also diejenigen ELER-Maßnahmen, die nicht unter die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 1 f. GAKG fallen, nicht als Gemeinschaftsaufgaben umgesetzt , d.h. gefördert und finanziert werden. Die nationale Strategie- und Programmplanung im Rahmen der ELER-Förderung muss also berücksichtigen, ob und inwieweit die geplanten Fördermaßnahmen als Gemeinschaftsaufgaben umsetzbar sind. Angesichts des sehr weiten unionsrechtlichen Konzepts der Förderung der ländlichen Entwicklung, das über den Bezug zur Land- und Forstwirtschaft und des Küstenschutzes hinausgeht und z.B. auch die „Förderung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), (…) in ländlichen Gebieten“ (Art. 5 Nr. 6 c) 6 Vgl. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 2014-2017, S. 10, abrufbar unter: http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Landwirtschaft/Foerderung /Rahmenplan2014-2017.pdf?__blob=publicationFile. 7 Koalitionsvertrag (Fn. 1), S. 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 034/15 Seite 5 VO 1305/2013/EU) umfasst, dürften zahlreiche ELER-Maßnahmen nicht als Gemeinschaftsaufgaben umsetzbar sein. 3.2. durch Änderung der Rechtsgrundlagen Die Übereinstimmungen zwischen ELER- und GAK-Maßnahmen könnten aber durch eine Änderung der Rechtsgrundlagen erhöht werden. Je nachdem, inwieweit eine Annäherung oder Übereinstimmung zwischen dem unionsrechtlichen Konzept zur Förderung der ländlichen Entwicklung und den Gemeinschaftsaufgaben angestrebt wird, ist eine Änderung des GAKG oder eine Änderung des Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG in Betracht zu ziehen. Denkbar wäre zunächst, § 1 GAKG um Maßnahmen zu ergänzen, die Teil des unionsrechtlichen Konzepts zur Förderung der ländlichen Entwicklung sind, bisher aber nicht als Gemeinschaftsaufgaben im Sinne des § 1 GAKG geregelt sind. Voraussetzung für eine solche „einfachgesetzliche Weiterentwicklung“ der Gemeinschaftsaufgaben ist aber, dass die ergänzten Maßnahmen die verfassungsrechtlich in Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG vorgesehenen Sachbereiche der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes nicht überschreiten. Zur Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur “ im Sinne des Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG gehören Strukturmaßnahmen, die der Verbesserung der landwirtschaftlichen Erzeugungs-, Arbeits- und Absatzbedingungen dienen, einschließlich der Forst- und Fischwirtschaft.8 Die Gemeinschaftsaufgabe „Küstenschutz“ im Sinne des Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG umfasst Maßnahmen zum Schutz der deutschen Nord- und Ostseeküste sowie an den fließenden oberirdischen Gewässern und in Tidegebieten gegen Sturmfluten (z.B. Deichbau).9 Maßnahmen zur allgemeinen Attraktivitätssteigerung des ländlichen Raums, wie beispielsweise die Förderung des allgemeinen Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien (Art. 5 Nr. 6 c) VO 1305/2013/EU), dürften die verfassungsrechtlichen Sachbereiche der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes überschreiten und könnten demzufolge nicht als Gemeinschaftsaufgabe in § 1 GAKG verankert werden.10 Lässt sich die gewünschte Übereinstimmung zwischen unionsrechtlichem Konzept zur Förderung der ländlichen Entwicklung und Gemeinschaftsaufgaben einfachgesetzlich nicht herstellen, könnte erwogen werden, Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG selbst zu ändern und um den Sachbereich der „ländlichen Entwicklung“ zu ergänzen. Bei einer solchen „verfassungsrechtlichen Weiterentwicklung“ der Gemeinschaftsaufgaben wäre zu beachten, dass die nach Art. 91a Abs. 2 GG vorzunehmende Konkretisierung der Gemeinschaftsaufgaben durch Bundesgesetz auch den ergänzten Bereich der ländlichen Entwicklung aufnehmen müsste.11 Mit einer Verfassungsänderung wäre also eine Änderung des GAKG zu verbinden, die den Begriff der ländlichen Entwicklung näher bestimmt. 8 Sieckmann, in: Sachs, GG (7. Aufl. 2014), Rn. 27 zu Art. 91a. 9 Sieckmann (Fn. 8), Rn. 27 zu Art. 91a. 10 Vgl. Sieckmann (Fn. 8), Rn. 27 zu Art. 91a, der Maßnahmen „zur allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse auf dem Lande, wie die Dorferneuerung, und reine Natur- und Landschaftspflege“ nicht von den Gemeinschaftsaufgaben zur Verbesserung der Agrarstruktur oder des Küstenschutzes im Sinne des Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG umfasst sieht. 11 Zum Regelungsauftrag aus Art. 91a Abs. 2 GG siehe Sieckmann (Fn. 8), Rn. 31 zu Art. 91a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 034/15 Seite 6 Ein darüber hinausgehender Änderungsbedarf der Rechtsgrundlagen ist nicht auszuschließen. Er hängt davon ab, wie die Förderung der ländlichen Entwicklung als Gemeinschaftsaufgabe im Einzelnen ausgestaltet werden soll. 4. Verfassungsrechtliche Auswirkungen Soweit Maßnahmen zur Förderung der ländlichen Entwicklung im Rahmen des geltenden Rechts oder nach einer Änderung der Rechtsgrundlagen als Gemeinschaftsaufgaben durchgeführt werden können, wirkt der Bund bei der Erfüllung der betroffenen Länderaufgaben durch Koordinierung und Finanzierung mit. Die Einzelheiten der Koordinierung (z.B. Erstellung des Rahmenplans) ergeben sich aus dem GAKG. Der Beitrag des Bundes zur Finanzierung (Mischfinanzierung12) folgt aus Art. 91a Abs. 3 S. 2 GG und beträgt mindestens die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. 12 Zur Grundsatzkritik an der Mischfinanzierung im Rahmen von Gemeinschaftsaufgaben Sieckmann (Fn. 8), Rn. 6 zu Art. 91a.