© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 033/17 Folgen einer fehlerhaften Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung der Landeslisten zur Wahl des Deutschen Bundestages Nachfrage zu WD 3 - 3000 - 023/17 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 033/17 Seite 2 Folgen einer fehlerhaften Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung der Landeslisten zur Wahl des Deutschen Bundestages Nachfrage zu WD 3 – 3000 – 023/17 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 033/17 Abschluss der Arbeit: 09.02.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 033/17 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand WD 3 - 3000 - 023/17 befasst sich mit Fehlern bei der Wahl der besonderen Vertreterversammlung und deren Folgen für die Zulassung der Landesliste durch den Landeswahlausschuss.1 Es wurde u.a. ausgeführt, dass Fehler bei der Kandidatenaufstellung die Zurückweisung der Landesliste durch den Landeswahlausschuss zur Folge haben können. Für die Entscheidung des Landeswahlausschusses kommt es dabei nicht in erster Linie darauf an, ob sich der Fehler bei der Kandidatenaufstellung auf die Zusammensetzung und Reihung der Landesliste ausgewirkt hat („Listenrelevanz“). Schwerwiegende Wahlfehler können auch ohne „Listenrelevanz“ zur Zurückweisung der gesamten Landesliste führen. Bei nicht schwerwiegenden Wahlfehlern ist hingegen die Zulassung der Landesliste unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen möglich, wenn der Fehler für die Zusammensetzung und Reihung der Liste nicht relevant war.2 Vor diesem Hintergrund wird anhand eines Beispielsfalls gefragt, ob die fehlerhafte Besetzung eines einzelnen Listenplatzes in Betracht kommt und ob insoweit eine Heilung durch ordnungsgemäße Neuwahl des betroffenen Listenplatzes möglich ist. 2. Fehlerhafte Besetzung eines einzelnen Listenplatzes Nach dem Beispielsfall ist von einem nicht näher beschriebenen Fehler bei der Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung auszugehen, der zur Teilnahme eines einzelnen nicht stimmberechtigten Delegierten geführt hat. Dessen Stimme soll sich – wenn überhaupt – nur auf die Einzelwahl von Platz 3 ausgewirkt haben können, da dieser Kandidat mit einer Stimme über dem notwendigen Quorum im ersten Wahlgang erfolgreich war. Die konkurrierenden Bewerber um Platz 3 seien hingegen mit mehr als 10 Stimmen unterhalb des Quorums weit abgeschlagen. Auf die übrigen Listenplätze habe sich die einzelne fehlerhafte Stimme zahlenmäßig von vornherein nicht auswirken können. Fraglich ist, ob der Fehler bei der Kandidatenaufstellung die gesamte Liste oder nur den Listenplatz 3 betrifft. Die fehlerhafte Zusammensetzung der besonderen Vertretersammlung führt zur Fehlerhaftigkeit aller ihrer Wahlhandlungen und somit zur Fehlerhaftigkeit der gesamten Landesliste. Eine Wiederholung derjenigen Wahlgänge, die sich auf die Listenplatzierung ausgewirkt haben könnten, „heilt“ die fehlerhafte Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung und die von ihr vorgenommenen Wahlhandlungen nicht. Für eine „Heilung“ wäre vielmehr die Wiederholung der gesamten Wahl durch eine ordnungsgemäß besetzte besondere Vertreterversammlung erforderlich. Eine andere Frage ist es aber, ob die Fehlerhaftigkeit einer Landesliste zugleich ihre Zulassung durch den Landeswahlausschuss ausschließt oder ob die Landesliste insgesamt oder teilweise zulassungsfähig bleibt. 1 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fehler bei der Wahl der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung von Listenkandidaten zur Bundestagswahl (WD 3 - 3000 - 023/17). 2 Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 033/17 Seite 4 3. Zulassungsfähigkeit der Landesliste? Bei einem schwerwiegenden Fehler bei der Kandidatenaufstellung ist die Landesliste – unabhängig von den Auswirkungen des Fehlers auf die Zusammensetzung oder Reihung der Liste – zurückzuweisen .3 Der Fehler, der im obigen Beispielsfall der fehlerhaften Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung zugrunde liegt, ist nicht benannt. Für den Fall, dass es sich nicht um einen schwerwiegenden Wahlfehler handelt, kommt eine Zulassung der Landesliste unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen in Betracht , wenn sich der Fehler auf die Zusammensetzung und Reihung der Liste nicht ausgewirkt haben kann. Im Beispielsfall ist nicht auszuschließen, dass sich die fehlerhafte Zusammensetzung der besonderen Delegiertenversammlung auf die Einzelwahl zu Listenplatz 3 ausgewirkt hat, da das notwendige Quorum im ersten Wahlgang schon mit dem Vorsprung einer einzigen Stimme erreicht wurde. Insoweit kann auch nicht auf den Vorsprung zu den konkurrierenden Kandidaten verwiesen werden. Selbst wenn der obsiegende Kandidat im ersten Wahlgang ein Ergebnis erzielte, welches weit vor denen seiner Mitbewerber lag, so kann daraus nicht gefolgert werden, dass er im zweiten Wahlgang erfolgreich gewesen wäre. Die Delegierten hätten ihre Wahlentscheidung zwischen den beiden Wahlgängen überdenken, neue Absprachen treffen oder gar Kandidaten zurückziehen können, so dass das Ergebnis eines weiteren Wahlgangs nicht feststand. Es ist somit nicht auszuschließen, dass die fehlerhafte Besetzung der Vertreterversammlung Auswirkungen auf die Wahl um Platz 3 gehabt hat. Darüber hinaus wird man eine Relevanz des Wahlfehlers auch für die dem Listenplatz 3 nachfolgenden Plätze nicht ausschließen können. Das Scheitern des Kandidaten auf Listenplatz 3 hätte zu seiner Kandidatur für die nachfolgenden Plätze führen können. Zu berücksichtigen ist auch, dass ein anderer Wahlausgang für Listenplatz 3 ggf. das Wahlverhalten der Delegierten in Bezug auf die nachfolgenden Listenplätze beeinflusst hätte. Wenn beispielsweise die ordnungsgemäße Wahl um Platz 3 dazu geführt hätte, dass der Kandidat eines andern Parteiflügels oder der Repräsentant einer anderen geografischen Region im Landesverband den Listenplatz erhalten hätte, wäre denkbar, dass die Delegierten versucht hätten, den unterlegenen Parteiflügel oder die unterlegene Region zum Ausgleich bei der Wahl des Kandidaten um Platz 4 zu berücksichtigen. Diese Erwägungen hätten auch alle folgenden Wahlgänge beeinflussen können. Demnach ist nicht auszuschließen, dass der Fehler Auswirkungen auf die Wahl der auf den dritten Listenplatz folgenden Plätze gehabt hat. Eine Ergebnisbeeinflussung der Wahlen zu Listenplatz 1 und 2 kann ausgeschlossen werden, wenn das Wahlergebnis bei diesen Wahlgängen so eindeutig war, dass es auf eine einzelne Stimme nicht ankam. Fraglich ist, ob bei einer Relevanz des Wahlfehlers für die Zusammensetzung und Reihung der Landesliste ab Platz 3 zumindest eine teilweise Zulassung der Landesliste in Bezug auf die Plätze 1 und 2 in Betracht kommt. Zwar sieht § 28 Abs. 1 S. 3 Bundeswahlgesetz (BWahlG) auch die Streichung nur einzelner Kandidaten von der Landesliste vor. Der Wortlaut der Vorschrift („Sind die Anforderungen nur hinsichtlich einzelner Bewerber nicht erfüllt […]“) deutet jedoch 3 Siehe dazu Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 033/17 Seite 5 darauf hin, dass die Zurückweisung einzelner Kandidaten und die Zulassung der Liste im Übrigen nur für Fälle vorgesehen ist, in denen in der Person des Kandidaten selbst ein Grund für die Fehlerhaftigkeit der Wahl liegt (z.B. mangelnde Wahlberechtigung des Kandidaten).4 Damit wäre die Landesliste insgesamt zurückzuweisen.5 4. Zulassungsfähigkeit durch Wiederholung von Einzelwahlen? Für den Beispielsfall könnte man noch erwägen, die Zulassungsfähigkeit der Landesliste dadurch zu ermöglichen, dass die Einzelwahlen zum Listenplatz 3 sowie zu den nachfolgenden Listenplätzen durch eine ordnungsgemäß zusammengesetzte besondere Vertreterversammlung wiederholt werden. Insoweit ist Folgendes zu beachten: Wenn der fehlerhaften Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung ein schwerwiegender Wahlfehler zugrunde liegt, z.B. durch einen bewussten Verstoß gegen das Bundeswahlgesetz, ist die gesamte Landesliste nicht zulassungsfähig. Eine zulassungsfähige Landesliste kann dann nur durch erneute fehlerfreie Wahl aller Listenplätze aufgestellt werden. Liegt der fehlerhaften Zusammensetzung der besonderen Vertreterversammlung kein schwerwiegender Fehler zugrunde, erscheint es nicht ausgeschlossen, durch eine ordnungsgemäße Neuwahl der Listenplätze ab Platz 3 eine zulassungsfähige Landesliste aufzustellen. Entsprechende Hinweise in der rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich zu einer solchen Konstellation allerdings nicht. Ebenso wenig finden sich weitere Hinweise zur Abgrenzung zwischen schwerwiegenden Wahlfehlern, die die Zulassung einer Landesliste ausschließen, und nicht schwerwiegenden Wahlfehlern, die Raum für die Zulassung einer Landesliste lassen. Die Gefahr einer Zurückweisung der Landesliste durch den Landeswahlausschuss dürfte daher nur durch eine erneute ordnungsgemäße Wahl aller Listenplätze sicher ausgeräumt werden können. *** 4 Vgl. Hahlen, in: Schreiber, BWahlG (9. Aufl., 2013), Rn. 4 zu § 28; Schweinoch/Simader, Bundeswahlgesetz Bundeswahlordnung (11. Aufl., 1986), Rn. 2 zu § 28 BWahlG. 5 Vorsichtig in die Richtung einer Teilzulassung auch bei Wahlfehlern, die nicht in der Person des Kandidaten liegen, Werner, Gesetzesrecht und Satzungsrecht bei der Kandidatenaufstellung politischer Parteien (2010), 262.