© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 032/21 Beobachtung politischer Parteien durch Inlandsnachrichtendienste in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 2 Beobachtung politischer Parteien durch Inlandsnachrichtendienste in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 032/21 Abschluss der Arbeit: 27. April 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit der Beobachtung politischer Parteien durch Inlandsnachrichtendienste in Frankreich, Italien, Österreich, Polen, Schweden, Spanien und Ungarn. Es wird auf die Befugnisse und Informationspflichten der Inlandsnachrichtendienste sowie die Praxis in den einzelnen Staaten eingegangen, soweit dazu Informationen aus den angefragten Staaten ermittelt werden konnten. 2. Die Beobachtung politischer Parteien durch die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland Für die Zulässigkeit der Beobachtung politischer Parteien gibt es keine besonderen Vorschriften. Es gelten daher grundsätzlich die allgemeinen Regeln; insbesondere das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)1. Bei der Beobachtung von Parteien muss das Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien und ihren aus Art. 21 Grundgesetz (GG) resultierenden Rechten einerseits und den durch den Verfassungsschutz zu schützenden Rechtsgütern andererseits berücksichtigt werden. Der Ausgleich der Verfassungsgüter muss insbesondere bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Geltung kommen. Zudem verankert Art. 21 Abs. 2, Abs. 4 GG das sog. Parteienprivileg, wonach die rechtsverbindliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit sowie das Verbot einer Partei dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist.2 Der verfassungsrechtliche Schutz von Parteien besteht unabhängig davon, ob eine Partei in einem Parlament vertreten ist oder nicht. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen und Tätigkeiten, § 3 Abs. 1 BVerfSchG. Die Beobachtung bezweckt in erster Linie, bereits im Vorfeld möglicher Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu gewinnen und zu sammeln.3 Voraussetzung für die Beobachtung ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen oder Tätigkeiten, § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG. Erforderlich ist ein aktives Vorgehen zur Realisierung der verfassungsfeindlichen Ziele. Dieses muss allerdings nicht notwendigerweise ein gewaltbereites, gewalttätiges, aktiv kämpferisches Vorgehen sein. Unerheblich ist auch, ob die betreffenden Verhaltensweisen legal oder illegal sind. Erforderlich sind tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht und in ausreichender Zahl. Bloß vereinzelte Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses genügen nicht.4 1 Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 448). 2 Dazu Ipsen/Koch, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 21 Rn. 148 f. 3 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BVerfSchG § 4 Rn. 87. 4 Zum Ganzen Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BVerfSchG § 4 Rn. 14 ff., 102. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 4 Der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten ist zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen gewonnen werden können oder dies zum Schutz der Verfassungsschutzämter gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist, § 9 Abs. 1 BVerfSchG. Ein dauerhafter Einsatz verdeckter Mitarbeiter ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten, § 9a Abs. 1 S. 2 BVerfSchG. Der Einsatz ist unzulässig, wenn die Informationsgewinnung auch auf weniger beeinträchtigende Weise erfolgen könnte. Ob und in welchem Umfang gegenwärtig verdeckte Mitarbeiter oder Vertrauensleute zu Beobachtungszwecken in politischen Parteien eingesetzt werden, wird zum Schutz der Arbeitsweise und Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden sowie der Beteiligten nicht öffentlich mitgeteilt. In der Vergangenheit wurde von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen und Tätigkeiten zu informieren, soweit hinreichende gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Zulässig ist auch eine Verdachtsberichterstattung , soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen und Tätigkeiten bestehen.5 Einer Strafbarkeit der Verhaltensweisen bedarf es dafür nicht.6 Der jährliche Verfassungsschutzbericht des Bundes fasst die Erkenntnisse des BfV und der Landesbehörden für Verfassungsschutz zusammen. Der Bericht unterrichtet über die wesentlichen während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung. Zudem enthält er Informationen zu ideologischen Hintergründen, Strukturdaten, Aktivitäten und Publikationen der wichtigsten Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes. Insbesondere werden Daten zu politisch motivierter Gewalt übermittelt. Dabei erfolgt eine detaillierte Auflistung der verschiedenen Verdachts- und Beobachtungsobjekte unter Einbeziehung ihrer ideologischen Ausrichtung (z. B. Rechtsextremismus, Linksextremismus). In dem zuletzt erschienenen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2019 werden drei Parteien dem rechtsextremistischen und drei Parteien dem linksextremistischen Parteienspektrum zugeordnet. Diese Parteien sind in keinem deutschen Parlament vertreten. Daneben listet der Bericht rechtsextremistische Verdachtsfälle innerhalb einer Partei auf, die im Deutschen Bundestag vertreten ist. Zudem wird über linksextremistische Strukturen innerhalb einer weiteren Partei, die im Deutschen Bundestag vertreten ist, berichtet.7 5 Mallmann, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BVerfSchG § 16 Rn. 2b. 6 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, BVerfSchG § 4 Rn. 18. 7 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Verfassungsschutzbericht 2019, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb-2019-gesamt .pdf?__blob=publicationFile&v=10 (letzter Abruf 26. April 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 5 3. Die Beobachtung politischer Parteien durch Inlandsnachrichtendienste in anderen europäischen Staaten der EU 3.1. Frankreich Art. 4 der Französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958 garantiert die pluralistische Meinungsäußerung und die gleichberechtigte Teilnahme der politischen Parteien und Gruppierungen am demokratischen Leben der Nation. Die Auflösung von Parteien erfolgt per Dekret des Präsidenten der Republik oder des Premierministers. Es wurde noch nie eine im Parlament vertretene politische Partei aufgelöst. In Frankreich ist die Generaldirektion für innere Sicherheit (DGSI), eine Abteilung der Kriminalpolizei , zuständig für die Erforschung, Zentralisierung und Verwertung von Informationen, die für die nationale Sicherheit oder für die grundlegenden Interessen der Nation von Bedeutung sind. Die DGSI kann verschiedene potentiell oder tatsächlich gewalttätige Gruppen überwachen und beobachten sowie potentielle Straftäter identifizieren, die insbesondere durch Äußerungen im Internet aufgefallen sind. Die DGSI kann Parteien überwachen, um Handlungen zu verhindern, die die staatliche Sicherheit, die territoriale Integrität oder die Dauerhaftigkeit von Institutionen untergraben. Sie kann auch Einzelpersonen und Gruppen mit radikaler Einstellung überwachen, die wahrscheinlich gewalttätig werden und die nationale Sicherheit gefährden. Dabei muss die Partei oder die Gruppe gewalttätige Handlungen oder Äußerungen erkennen lassen, die durch das Strafgesetzbuch sanktioniert sind. Die Möglichkeit der Überwachung besteht unabhängig davon, ob die Partei im Parlament vertreten ist. Der größte Teil der Arbeit der DGSI ist seit jeher auf die Überwachung von gewalttätigen Gruppen ausgerichtet. Die DGSI hat die Befugnis, die von ihr überwachten Gruppen durch ihre Mitarbeiter zu infiltrieren; von dieser Möglichkeit wurde in der Vergangenheit in Bezug auf links- und rechtsextreme Gruppen Gebrauch gemacht. Im Rahmen ihrer Arbeit veröffentlicht die DGSI weder einen Verfassungsschutzbericht, noch macht sie sonst zu den von ihr überwachten Gruppen und Parteien öffentliche Angaben. Die DGSI übermittelt ihre Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft sowie der Regierung, damit diese die Vereinigung per Dekret auflösen kann. Die Arbeit der DGSI wird durch die parlamentarische Delegation für Nachrichtendienste überwacht. Derzeit wird keine Partei als verfassungs- oder staatsfeindlich eingestuft. 3.2. Italien In Italien bestehen keine besonderen Bestimmungen über die Zulässigkeit der Überwachung von politischen Parteien. Es gelten die allgemeinen Regelungen. Jede Organisation, Vereinigung, Bewegung oder Gruppe, deren Zweck es ist, zu Diskriminierung oder Gewalt aus rassischen, ethnischen, nationalen oder religiösen Gründen anzustiften, ist verboten . Die Anordnung der Auflösung einer verbotenen Organisation durch den Innenminister setzt ein rechtskräftiges Urteil sowie einen Beschluss des Ministerrates voraus. Die Beteiligung an solchen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 6 Organisationen, Vereinigungen, Bewegungen oder Gruppen sowie deren Unterstützung ist eine Straftat. Eine Besonderheit für die Überwachung von politischen Parteien besteht mit Blick auf die Straffreiheit von Nachrichtendienstmitarbeitern, wenn diese bei der Durchführung der Operation strafbewehrte Handlungen begehen. Die gesetzlich geregelte grundsätzliche Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortung für diese Handlungen gilt nicht für Operationen in Büros von politischen Parteien, die im Parlament oder in einer Regionalversammlung vertreten sind. Jedes Jahr legt die Regierung dem Parlament einen schriftlichen Bericht über ihre Politik der Sicherheitsaufklärung und die im Vorjahr erzielten Ergebnisse vor, wobei auch extremistische Bewegungen und auch politische Parteien erwähnt werden können. Zuletzt wurde über eine politische Partei im Jahr 2009 berichtet. Dies führte zu Verhaftungen sowie zur Beschlagnahme von Waffen und Dokumenten durch die Justiz. 3.3. Österreich In Österreich ist das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) die zuständige Behörde. Diese ist eine Sicherheitsbehörde mit nachrichtendienstlichem Charakter, die organisationsrechtlich in der Sektion II, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, des Bundesministeriums für Inneres eingegliedert ist. Gemäß § 1 Abs. 2 Polizeiliches Staatsschutzgesetz dient der polizeiliche Staatsschutz „dem Schutz verfassungsmäßiger Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte nach Maßgabe völkerrechtlicher Verpflichtungen, kritischer Infrastruktur und der Bevölkerung vor terroristischer, ideologisch oder religiös motivierter Kriminalität , vor Gefährdungen durch Spionage, durch nachrichtendienstliche Tätigkeit und durch Proliferation sowie der Wahrnehmung zentraler Funktionen der internationalen Zusammenarbeit in diesen Bereichen.“ Für die Zuständigkeit der Beobachtung politischer Parteien gibt es keine besonderen Vorschriften, es gelten die allgemeinen Regelungen. Es gibt in Österreich kein Parteienprivileg, wie es im deutschen Grundgesetz (Art. 21 GG) vorgesehen ist. Für die Zulässigkeit der Beobachtung macht es keinen Unterschied, ob die Partei im Parlament vertreten ist oder nicht. Der gesetzliche Aufgabenbereich des BVT umfasst insbesondere die erweiterte Gefahrenerforschung und den Schutz vor verfassungsgefährdenden Angriffen (§ 6 Polizeiliches Staatsschutzgesetz ). Gemäß § 6 Abs. 1 Polizeiliches Staatsschutzgesetz hat das BVT die Befugnis zur Beobachtung von Gruppierungen, wenn im Hinblick auf deren bestehenden Strukturen und die gegenwärtige Entwicklung in dem Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu ideologisch oder religiös motivierter Gewalt, kommt. Jegliche extremistischen oder verfassungsschutzrelevanten Äußerungen können von den Staatsschutzbehörden im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse zur Kenntnis genommen werden und fließen in die Arbeit der Staatsschutzbehörden mit ein. Das BVT veröffentlicht jährlich einen Verfassungsschutzbericht, mit dem die Öffentlichkeit über aktuelle und mögliche staatsschutzrelevante Entwicklungen informiert wird, § 17 Abs. 1 Polizeiliches Staatsschutzgesetz. Der Verfassungsschutzbericht beinhaltet in der Regel ein allgemeines Lagebild sowie themenspezifische Fachbeiträge oder staatsschutzrelevante Schwerpunkte und ist Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 7 öffentlich im Internet abrufbar. Öffentliche Äußerungen der Staatsbehörden über Parteien sind hierüber hinaus grundsätzlich nicht vorgesehen. Derzeit wird keine Partei vom BVT als verfassungs- oder staatsfeindlich eingestuft. 3.4. Polen Gemäß Art. 13 der polnischen Verfassung von 1997 sind politische Parteien und andere Organisationen , die sich in ihrem Programm auf totalitäre Methoden und Praktiken des Nazismus, Faschismus und Kommunismus berufen sowie solche, deren Programm oder deren Tätigkeit Rassen- und Nationalitätenhass, Gewalt zum Zweck der Machtübernahme oder zur Einflussnahme auf die Politik des Staates voraussetzt oder die Geheimhaltung der Strukturen oder der Mitgliedschaft vorsehen, verboten. Über die Verfassungskonformität der Ziele und Aktivitäten einer Partei entscheidet der Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 188 Nr. 4 der polnischen Verfassung. In Polen gibt es keine spezifischen Bestimmungen über die Zulässigkeit der Überwachung politischer Parteien durch Inlandsgeheimdienste. Es gelten insoweit die allgemeinen Regelungen. Eine Ausnahme gibt es mit Blick auf die Reichweite der Ermittlungsbefugnisse der Agentur für Innere Sicherheit (ISA). Die ISA sammelt und analysiert nach dem Gesetz über die Agentur für Innere Sicherheit und den Auslandsnachrichtendienst vom 24. Mai 2002 Informationen, die für die Vorbeugung und Bekämpfung von Bedrohungen der inneren Sicherheit des Staates und seiner verfassungsmäßigen Ordnung von Bedeutung sein können. Dazu gehört die Aufgabe, Informationen im Bereich des politischen Extremismus zu sammeln. Dabei hat die ISA sowohl operative Befugnisse als auch Ermittlungsbefugnisse. Hinsichtlich der Ermittlungsbefugnisse hat die ISA die gleichen Befugnisse wie die Polizei nach der Strafprozessordnung. Die ISA darf bei der Erfüllung ihrer Aufgaben allerdings keine geheime und enge Zusammenarbeit mit Personen, die öffentliche Funktionen ausüben, durchführen. Von diesem Verbot sind auch Mitglieder des Parlaments und Mitglieder politischer Parteien erfasst, sodass die ISA keine Mitarbeiter zu Überwachungszwecken innerhalb politischer Parteien einsetzen darf. Bei strafrechtlich sanktionierbaren Äußerungen von Mitgliedern politischer Parteien nehmen die Inlandsnachrichtendienste ihre Pflichten und Aufgaben nach dem Gesetz wahr. Art. 13 der polnischen Verfassung listet eine Reihe von Merkmalen auf, die verboten sind und in diesem Zusammenhang nicht in politischen Äußerungen verwendet werden dürfen. Die ISA veröffentlicht jährlich Berichte, Analysen und Broschüren, die online verfügbar sind. Darüber hinaus ist die Agentur für Innere Sicherheit gesetzlich verpflichtet, den Behörden Berichte über ihre Tätigkeit vorzulegen. In Polen gibt es keine politischen Parteien, die als verfassungs- oder staatsfeindlich eingestuft werden, da sie nach der Verfassung generell verboten sind. Daher sind solche Parteien derzeit auch nicht im Parlament vertreten. 3.5. Schweden In Schweden werden politische Parteien traditionell als freiwillige, private und – soweit der Staat betroffen ist – unabhängige Vereinigungen angesehen. Es gibt keine Vorschriften für ihre Gründung, Organisation oder Aktivitäten. Die Vereinigungsfreiheit ist dem einzelnen Bürger gegenüber den Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 8 öffentlichen Institutionen garantiert. Sie darf nur in Bezug auf Organisationen eingeschränkt werden, deren Aktivitäten militärischer oder quasimilitärischer Natur sind oder die eine Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe beispielsweise aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder Hautfarbe anstreben. Eine Beschränkung der Vereinigungsfreiheit allein aus Gründen einer politischen, religiösen, kulturellen oder einer anderen Anschauung ist nicht zulässig. Auch ist es nicht möglich, eine bestimmte politische Partei zu verbieten oder aufzulösen. Es ist auch nicht möglich, eine politische Partei als verfassungs- oder staatsfeindlich einzustufen. Es wird derzeit diskutiert, eine gesetzliche Regelung einzuführen, die es ermöglicht, die Vereinigungsfreiheit in Bezug auf terroristische Vereinigungen einzuschränken. Der schwedische Sicherheitsdienst kann eine politische Partei beobachten, wenn sie als Teil einer extremistischen Bewegung angesehen wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die politische Partei im Parlament vertreten ist oder nicht. Die Befugnisse des schwedischen Sicherheitsdienstes sind in § 3 des schwedischen Polizeigesetzes und § 3 der schwedischen Verordnung mit Richtlinien für den Sicherheitsdienst festgelegt. Danach verhindert, ermittelt und untersucht der Sicherheitsdienst Straftaten gegen die nationale Sicherheit und den Terrorismus. Der Sicherheitsdienst ist nicht befugt, politische Parteien allein auf der Grundlage von politischen Meinungen zu überwachen. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten des Sicherheitsdienstes liegt auf der Überwachung von politisch motivierten Gruppen und Einzelpersonen , wie z. B. politischen und religiösen Extremisten, die schwerwiegende oder systematisch ausgeführte Straftaten begehen, um die Gesellschaft zu verändern. Voraussetzung für die Überwachung einer Partei ist, dass die politische Äußerung strafrechtlich sanktioniert ist. Der Sicherheitsdienst ist befugt, im Rahmen von Ermittlungen bei schweren Straftaten verdeckte Mitarbeiter einzusetzen. Im Jahrbuch des schwedischen Sicherheitsdienstes werden die wichtigsten Erkenntnisse und eine Bedrohungseinschätzung in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen des Sicherheitsdienstes zusammengefasst . Dabei kann sich der schwedische Sicherheitsdienst auch zu Organisationen und Gruppen äußern, die sich selbst als Partei definieren und an Wahlen teilnehmen. Zuletzt äußerte sich der schwedische Sicherheitsdienst in seinem Jahresbericht 2019 zu einer Organisation, die zu Wahlen angetreten ist. 3.6. Spanien Gemäß Art. 6 der spanischen Verfassung sind politische Parteien „Ausdruck des politischen Pluralismus ; sie tragen zur Bildung und zum Ausdruck des Volkswillens bei und sind ein grundlegendes Instrument der politischen Beteiligung. Ihre Gründung und die Ausübung ihrer Tätigkeit sind frei, soweit sie die Verfassung und die Gesetze achten. Ihr innerer Aufbau und ihre Arbeitsweise müssen demokratisch sein". Nach Art. 11.1 des Gesetzes 6/2002 können die Regierung und die Staatsanwaltschaft die Illegalität einer politischen Partei und deren Auflösung beantragen, wenn – Grundfreiheiten und -rechte systematisch verletzt werden, Angriffe auf das Leben oder die Unversehrtheit von Personen oder die Ausgrenzung oder Verfolgung von Personen aufgrund ihrer Ideologie, Religion oder Weltanschauung, Nationalität, Rasse, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung gefördert, gerechtfertigt oder entschuldigt werden; Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 9 – Gewalt als Methode zur Erreichung politischer Ziele oder zur Beseitigung der für die Ausübung von Demokratie, Pluralismus und politischen Freiheiten erforderlichen Bedingungen ermutigt, gefördert oder legitimiert wird; – die Tätigkeit terroristischer Organisationen zur Erreichung ihrer Ziele, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben oder den öffentlichen Frieden ernsthaft zu stören, politisch unterstützt wird. Für die Überwachung politischer Parteien bestehen keine besonderen Bestimmungen, es gelten die allgemein bestehenden Regeln. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob die politischen Parteien im Parlament vertreten sind oder nicht. In Spanien sind die Inlandsnachrichtendienste im Nationalen Nachrichtendienstzentrum (Centro Nacional de Inteligencia, CNI) zusammengefasst. Aufgabe des CNI ist es, den Regierungspräsidenten und die Regierung der Nation mit Informationen, Analysen, Studien oder Vorschlägen zu versorgen, um jegliche Gefahr, Bedrohung oder Aggression gegen die Unabhängigkeit oder territoriale Integrität Spaniens, die nationalen Interessen und die Stabilität des Rechtsstaates und seiner Institutionen zu verhindern und zu vermeiden. Die Befugnisse des CNI sind im Gesetz 11/2002 vom 6. Mai 2002 und im Organgesetz 2/2002 vom 6. Mai 2002 festgelegt. Eine Überwachung ist insbesondere zulässig, um Informationen zu beschaffen, um die politischen, wirtschaftlichen, industriellen, kommerziellen und strategischen Interessen Spaniens zu schützen und zu fördern oder um Aktivitäten ausländischer Dienste, Gruppen oder Einzelpersonen, die die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechte und Freiheiten der spanischen Bürger, die Souveränität, Integrität und Sicherheit des Staates, die Stabilität seiner Institutionen, die nationalen Wirtschaftsinteressen und das Wohlergehen der Bevölkerung gefährden, zu verhindern und aufzudecken. Das CNI ist befugt, Sicherheitsermittlungen gegen Personen oder Körperschaften durchzuführen. Das CNI erstellt Berichte, die an die zuständigen Behörden der verschiedenen Ministerien weitergeleitet werden. Gelegentlich berichtet das CNI auch an den Kongress, den Senat, regionale Behörden und politische Parteien. Die Berichte sind in der Regel Verschlusssachen. Derzeit wird keine Partei vom CNI als verfassungs- oder staatsfeindlich eingestuft. 3.7. Ungarn In Ungarn hat nur der Staatsanwalt das Recht, gegen eine Partei vorzugehen, wenn diese gegen das Gesetz verstoßen hat; eine politische Partei kann nur von einem Gericht aufgelöst werden (Abschnitt 2 des ungarischen Gesetzes XXXIII von 1989 über die Tätigkeit und Finanzverwaltung der politischen Parteien). In der ungarischen Rechtsordnung gibt es keine besonderen Bestimmungen über die Zulässigkeit der Überwachung politischer Parteien. Es gelten die allgemeinen Regelungen; dabei macht es keinen Unterschied, ob die politische Partei im Parlament vertreten ist oder nicht. Das Amt für Verfassungsschutz ist in Ungarn der zuständige nationale Sicherheitsdienst. Gemäß § 5 des ungarischen Gesetzes CXXV von 1995 über die nationalen Sicherheitsdienste soll die Behörde verdeckte Bestrebungen aufdecken und abwehren, die darauf abzielen, die rechtmäßige Ordnung Ungarns mit unzulässigen Mitteln zu verändern oder zu stören. Außerdem darf das Amt für Verfassungsschutz Informationen über die Gewalt gegen ein Mitglied einer nationalen, ethnischen, Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 032/21 Seite 10 rassischen oder religiösen Gruppe, den Missbrauch von Daten, die als streng geheim oder geheim eingestuft sind, Agitationen gegen eine Gemeinschaft, „Angstmacherei“ (fear mongering) sowie die Bedrohung mit öffentlicher Gefahr sammeln. Das Amt für Verfassungsschutz hat keine Möglichkeit, sich über politische Parteien öffentlich zu äußern oder diese als verfassungs- oder staatsfeindlich einzustufen. Es veröffentlicht keinen Verfassungsschutzbericht . ***