© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 032/19 Geschlechterparität bei Wahlen auf Bundesebene nach brandenburgischem Vorbild Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 2 Geschlechterparität bei Wahlen auf Bundesebene nach brandenburgischem Vorbild Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 032/19 Abschluss der Arbeit: 6. Februar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, ob Regelungen zur Geschlechterparität bei Wahlen auf Bundesebene nach brandenburgischen Vorbild mit dem Grundgesetz vereinbar wären. 2. Vorbemerkung Auf Ebene der Bundesländer existieren bereits seit einigen Jahren Soll-Vorschriften mit Appellcharakter zugunsten der Geschlechterparität für die Kommunalwahlen in Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.1 Am 31. Januar 2019 wurden nunmehr mit Wirkung zum 30. Juni 2020 erstmals auch zwingende Vorgaben zur Parität bei der Aufstellung von Landeslisten für die Landtagswahlen in Brandenburg erlassen.2 Darüber hinaus brachten im Januar 2019 auch die Fraktionen von SPD3 und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN4 unterschiedliche Gesetzentwürfe zur Einführung verbindlicher Paritätsbestimmungen für Wahlen in den bayerischen Landtag ein. Die Schaffung von Regelungen zur Geschlechterparität bei Wahlen wird derzeit auch in weiteren Bundesländern und auf Bundesebene diskutiert. Die grundsätzliche Trennung der Verfassungsräume von Bund und Ländern wird durch Art. 28 GG durchbrochen, wonach insbesondere das Demokratieprinzip und die Wahlrechtsgrundsätze auch in den Ländern gelten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ferner die Parteienfreiheit (Art. 21 GG) nicht nur im Bereich des Bundes, sondern auch auf Landesebene zu gewährleisten.5 Aus Art. 1 Abs. 3, Art. 31 GG folgt zudem, dass die Länder die aus Art. 1 bis 18 GG folgenden Grundrechte beachten müssen. Den Bund trifft gemäß Art. 28 Abs. 3 GG eine korrespondierende Pflicht sicherzustellen, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 des Art. 28 GG entspricht. Daher dürfte die verfassungsrechtliche Problematik der Parität bei Wahlen auf Bundes- und Landesebene im Wesentlichen vergleichbar sein. 3. Allgemeiner Überblick zum verfassungsrechtlichen Meinungsstand zur Geschlechterparität bei Wahlen Unter Geltung des Grundgesetzes (GG) in seiner aktuellen Fassung ist zum einen umstritten, ob und in welcher Intensität mögliche Wahlrechtsbestimmungen zur Geschlechterparität in die Wahlrechtsfreiheit und Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) bzw. die Parteienfreiheit 1 Vgl. den Überblick im Bericht der Landesregierung Brandenburg, Geschlechterparitätische Regelungen im Landtags - und Kommunalwahlrecht, Drs. 6/9699, S. 17 ff. m. w. N. 2 Vgl. Beschluss des Landtages Brandenburg vom 31. Januar 2019 zur Annahme des Gesetzesentwurfs für ein „Inklusives Parité-Gesetz - (Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes)“ in der vom Ausschuss für Inneres und Kommunales geänderten Fassung, Drs. 6/10466, Plenarprotokoll 6/72. 3 Vgl. Bayerischer Landtag, Drs. 18/51, abrufbar unter: http://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage _WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000000001/0000000060.pdf. 4 Vgl. Bayerischer Landtag, Drs. 18/206, abrufbar unter: http://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage _WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000000001/0000000215.pdf. 5 Vgl. BVerfGE 1, 208 (223 ff.) = NJW 1952, 657; BVerfGE 66, 107 (114). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 4 (Art. 21 GG) eingreifen. Zum anderen bestehen starke Kontroversen bezüglich der Frage, ob der verfolgte Zweck der Geschlechterparität speziell bei Wahlen bzw. bei der Zusammensetzung der Parlamente überhaupt aus dem Grundgesetz in seiner derzeitigen Fassung abgeleitet werden kann. Diskutiert wird eine Verankerung im Demokratieprinzip (Art. 20 Abs.1 und 2 GG), welches gemäß Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG auch als innerparteiliches Prinzip gilt, oder im besonderen Gleichstellungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG. Abhängig von der jeweiligen Positionierung zu den genannten Grundfragen werden unterschiedliche Ansichten bezüglich der Erforderlichkeit und Angemessenheit von Paritätsvorgaben und deren Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vertreten, die zusätzlich je nach konkreter Ausgestaltung der Paritätsbestimmungen und etwaigen Ausnahmeregelungen variieren. Die überwiegende Zahl der Autoren in der Literatur hält zwingende Bestimmungen zugunsten der Parität bei Wahlen für verfassungsrechtlich bedenklich bzw. sogar mit dem Grundgesetz in seiner jetzigen Fassung für unvereinbar. Eine Übersicht über den Meinungsstand und die dabei vertretenen wesentlichen Argumentationslinien enthält eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages .6 Ein neueres Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin7 kommt zu dem Ergebnis, dass „starre wahlgesetzliche Quotenregelungen wegen Verstoßes gegen die Parteifreiheit und die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze der gleichen und freien Wahl als unverhältnismäßig und verfassungswidrig anzusehen“ seien. Zu diesem Ergebnis kommen auch Morlok/Hobusch in ihrem jüngst erschienen Aufsatz.8 Im Rahmen des erst kürzlich abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des Wahlrechts in Brandenburg wurden weitere aktuelle Materialien und Stellungnahmen einbezogen (sh. dazu unter 4.). Die rechtswissenschaftliche Diskussion über die verfassungsrechtliche Verankerung des Interesses an einer Geschlechterparität bei Wahlen könnte grundsätzlich durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes rechtspolitisch durch den Gesetzgeber entschieden werden. Soweit ersichtlich, wird derzeit jedenfalls nicht vertreten, dass die Aufnahme einer Bestimmung zur Förderung der Parität bei Bundestagswahlen gegen den bei Verfassungsänderungen stets zu beachtende Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen würde.9 Die kollidierenden Verfassungsprinzipien müssten je- 6 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Geschlechterparität bei Wahlen nach französischem und tunesischem Vorbild, WD 3 - 3000 - 101/17, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/514844/e0cecb0d69da524b36c1e88ef25a9292/wd-3-101-17-pdf-data.pdf. 7 Wissenschaftlicher Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses von Berlin, Gutachten zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer gesetzlichen Regelung über den Frauenanteil im Abgeordnetenhaus von Berlin und in den Bezirksverordnetenversammlungen, 27. Juni 2018, abrufbar unter: https://www.parlament-berlin .de/C1257B55002B290D/vwContentByKey/W2B2BCQT808WEBSDE/$File/20180627_Frauenquote_Wahl_Abgeordnetenhaus _2018.pdf. 8 Morlok/Hobusch, Ade parité? – Zur Verfassungswidrigkeit verpflichtender Quotenregelungen bei Landeslisten, DÖV 2019, S. 14 ff. 9 So schon Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Möglichkeiten einer paritätischen Besetzung des Bundestages mit beiden Geschlechtern, WD 3 - 3000 - 008/08, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 5 doch auch nach einer solchen Verfassungsänderung bei der näheren einfachgesetzlichen Ausgestaltung des (Bundes- bzw. Landes-)Wahlrechts zu einem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrenden Ausgleich gebracht werden.10 4. Diskussion während des Gesetzgebungsverfahrens in Brandenburg Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN11 vom 21. Februar 2018 sah ursprünglich nicht nur für Landeslisten, sondern auch für die Aufstellung von Direktkandidaten zwingende Paritätsvorgaben vor. Verbindliche Paritätsregelungen seien auch laut eines im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg und der Landesbeauftragten für die Gleichstellung von Frauen und Männern erstellten Gutachtens12 effektiver als bloße Soll-Vorschriften und zudem verfassungskonform. Der Gesetzesentwurf wurde im Mai 2018 im Rahmen einer Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales gemeinsam mit dem mitberatenden Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erörtert.13 Dabei wurde insbesondere eine die Vereinbarkeit mit dem geltenden Verfassungsrecht befürwortende Stellungnahme von Wawzyniak14 sowie eine kritische Stellungnahme von Morlok/Hobusch15 einbezogen, nach der die Paritätsvorgaben weder in Bezug auf die Landeslisten noch bzgl. der Direktkandidatenaufstellung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind. Der Ausschuss für Inneres und Kommunales stellt die abschließende Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bis zum Vorliegen von Vorschlägen der Landesregierung für die Änderung der Brandenburger Wahlgesetze zurück. Der Bericht der brandenburgischen Landesregierung16 kam zu dem Ergebnis, dass „eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe im Rahmen der bestehenden Verfassungsnormen und mit Blick auf die bisherige 10 Vgl. auch Bericht der Landesregierung Brandenburg, Geschlechterparitätische Regelungen im Landtags- und Kommunalwahlrecht – Ein Problemaufriss mit Vorschlägen und Empfehlungen, Drs. 6/9699, S. 10 ff, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku /w6/drs/ab_9600/9699.pdf. 11 Vgl. Entwurf eines Inklusiven Parité-Gesetzes - (Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes ), Drs. 6/8210, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb /LBB/ELVIS/parladoku/w6/drs/ab_8200/8210.pdf. 12 Demir/Donau in: Koordinierungsbüro für Chancengleichheit/Zentrale Gleichstellungs-beauftragte der Universität Potsdam, Gutachten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für politische Parität im Land Brandenburg, 2018, abrufbar unter: https://masgf.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.549504.de. 13 Vgl. Ausschussprotokoll 6/45, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb /LBB/ELVIS/parladoku/w6/apr/AIK/45.pdf. 14 Wawzyniak, Anlage zum Ausschussprotokoll 6/45, S. 87 ff., abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation .brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/apr/AIK/45.pdf. 15 Morlok/Hobusch, Anlage zum Ausschussprotokoll 6/45, S. 116 ff., abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation .brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/apr/AIK/45.pdf. 16 Bericht der Landesregierung Brandenburg (Fn. 10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 6 Verfassungsrechtsprechung zu Parité-Regelungen und Artikel 3 GG nicht möglich“17 erscheine. Der Umstand, dass verbindliche Paritätsregelungen die bisher im Wahlrecht nicht vorgesehene Offenbarung der geschlechtlichen Identität der Bewerbenden erfordern, könne ferner zu Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (aller Bewerbenden) führen.18 Zwingende Paritätsvorgaben verstoßen auch nach Ansicht des Parlamentarischen Beratungsdiensts des brandenburgischen Landtags nicht nur bezüglich Landeslisten, sondern insbesondere auch bezüglich der Aufstellung von Direktmandaten gegen das Diskriminierungsverbot, die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Demokratieprinzip.19 Darüber hinaus bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, da der Entwurf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht nicht Rechnung trage.20 Zwar dürfte die Bedeutung der im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts zugunsten der Parität von Männern und Frauen ohne Ausnahmebestimmungen für Personen des dritten Geschlechts „sowohl hinsichtlich seiner Wirkung in der Öffentlichkeit als auch hinsichtlich der hieraus resultierenden Folgen für die Betroffenen […] sicherlich deutlich unterhalb der des Personenstandsrechts“21 anzusiedeln sein. Allerdings messe der Gesetzgeber dem Geschlecht auch über das Wahlvorschlagsrecht eine „erhebliche Bedeutung für die Beschreibung einer Person und ihrer Rechtsstellung bei“22.23 Die CDU-Fraktion hielt zwingende Paritätsregelungen auch unter Bezug auf das Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdiensts des brandenburgischen Landtags für verfassungsrechtlich unzulässig und brachte einen eigenen Gesetzesentwurf ein. Dieser sah lediglich eine Soll-Vorschrift zugunsten der Parität bei der Aufstellung der Landeslisten vor, ohne dass die Nichtbeachtung die Unzulässigkeit der Landesliste oder sonstige Sanktionen zur Folge gehabt hätte.24 Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz25 hat in der ebenfalls als Soll-Vorschrift ausgestalteten Paritätsbestimmung des § 15 Kommunalwahlgesetz Rheinland-Pfalz keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Kandidaten, denen eine Geschlechtsangabe unmöglich ist, 17 Vgl. Bericht der Landesregierung Brandenburg (Fn. 10), S. 24. 18 Vgl. Bericht der Landesregierung Brandenburg (Fn. 10), S. 15. 19 Vgl. Parlamentarischer Beratungsdienst des brandenburgischen Landtags, Geschlechterparität bei Landtagswahlen , abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku /w6/gu/48.pdf. 20 Vgl. Parlamentarischer Beratungsdienst des brandenburgischen Landtags, aaO (Fn. 19), S. 67. 21 Vgl. Parlamentarischer Beratungsdienst des brandenburgischen Landtags, aaO (Fn. 19), S. 67. 22 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017, Az.: 1 BvR 2019/16, juris Rz. 47. 23 Vgl. Parlamentarischer Beratungsdienst des brandenburgischen Landtags, aaO (Fn. 19), S. 67. 24 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Chancengerechtigkeit bei der politischen Teilhabe (Brandenburgisches Chancengerechtigkeitsgesetz – BbgChG), Drs. 6/10373, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg .de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/drs/ab_10300/10373.pdf. 25 VGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Juni 2014, Az.: VGH N 14/14 und VGH B 16/14, juris Rz. 85; ebenso Urteil vom 15. Dezember 2014, Az.: VGH O 22/14, juris Rz. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 7 bzw. des Diskriminierungsverbotes gesehen, da ein Verstoß nicht automatisch zur Ungültigkeit des Wahlvorschlags führe und insoweit Spielraum für die Berücksichtigung von Personen des dritten Geschlechts bestünden. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens brachten die Fraktionen SPD und DIE LINKE. einen Änderungsantrag zum Entwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein, der eine Wahlmöglichkeit für Personen des dritten Geschlechts vorsieht, ob sie auf der Liste der Bewerberinnen oder der Liste der Bewerber aufgestellt werden wollen. Gleichzeitig wurden die Vorgaben zugunsten der Parität für die Aufstellung von Direktkandidaten gestrichen. „In Abwägung zwischen allgemeinem Gleichstellungsauftrag gemäß Grundgesetz und Landesverfassung sowie den hohen Hürden für Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze erscheint diese Maßnahme verhältnismäßig .“26 Das Parité-Gesetz wurde in entsprechend geänderter Fassung am 31. Januar 2019 vom brandenburgischen Landtag beschlossen. Die Einräumung einer Wahlmöglichkeit für Bewerbende des dritten Geschlechts scheint grundsätzlich geeignet, um die Interessen dieser Personen angemessen zu berücksichtigen. Dennoch kann der Umstand, dass ihnen nach dem brandenburgischen Model nur die Möglichkeit verbleibt , sich auf einer eigentlich für Frauen bzw. Männer ausgewiesenen Liste aufstellen zu lassen, aufgrund der Öffentlichkeitswirkung27 der Offenbarung der geschlechtlichen Identität bzw. einer ggf. unzutreffenden Zuschreibung einen weiteren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen. Letzterem könnte ggf. durch ein weiteres Wahl- und Mitspracherecht der Personen des dritten Geschlechts bei der konkreten Gestaltung des Eintrags in eine der beiden Listen begegnet werden. Morlok/Hobusch sehen jedoch in der Eröffnung der Möglichkeit für Personen des dritten Geschlechts , sich auf alle der ansonsten für Frauen oder Männer reservierten Listenplätze zu bewerben , eine (weitere) offensichtliche Verletzung der Wahlrechtsgleichheit der Bewerbenden.28 Die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung zur Frage der Berücksichtigung von Personen des dritten Geschlechts bei Paritätsvorgaben für Wahlen befindet sich erst am Anfang. Weitere konkrete Vorschläge sind auch auf politischer Ebene derzeit noch nicht ersichtlich. Es bleibt insgesamt abzuwarten, ob die Paritätsbestimmung des Brandenburger Wahlrechts ggf. künftig Gegenstand einer Prüfung durch das Landesverfassungsgericht Brandenburg sein wird. 26 Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE. vom 24. Januar 2019 zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Inklusives Parité-Gesetz (Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes), Anlage 3 zu Drs. 6/10466 (S. 58 ff.), abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumentation .brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/drs/ab_10400/10466.pdf. 27 Vgl. zur besonderen Relevanz dieses Kriteriums bzgl. des Vorliegens und Gewichts eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017, Az.: 1 BvR 2019/16, juris Rn. 48 ff. 28 Vgl. Morlok/Hobusch, DÖV 2019, 14 (20). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 032/19 Seite 8 Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde planen derzeit insbesondere die Piratenpartei Brandenburg 29 sowie die Jungen Liberalen Brandenburg30. *** 29 Vgl. Pressemeldung vom 1. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.piratenbrandenburg.de/2019/02/einladung -zur-pressekonferenz-anlaesslich-der-geplanten-verfassungsbeschwerde-gegen-das-parite-gesetz/. 30 Vgl. Pressemitteilung vom 22. Januar 2019, abrufbar unter https://julis-brandenburg.de/2019/junge-liberale-kuendigen -verfassungsbeschwerde-gegen-paritaetsgesetz-an.