© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 032/18 Zur Wohnsitzverpflichtung innerhalb der Bundesländer Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 032/18 Seite 2 Zur Wohnsitzverpflichtung innerhalb der Bundesländer Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 032/18 Abschluss der Arbeit: 02.02.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 032/18 Seite 3 1. Einleitung Die Wohnsitzregelung in § 12a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) für Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte und für Ausländer mit bestimmten humanitären Aufenthaltstiteln unterscheidet zwischen der kraft Gesetzes geltenden Wohnsitzverpflichtung in einem bestimmten Bundesland (§ 12a Abs. 1 AufenthG) und der behördlich angeordneten Wohnsitzverpflichtung innerhalb der Bundesländer (§ 12a Abs. 2 – 4 AufenthG). Gefragt wird nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zu behördlichen Wohnsitzverpflichtungen innerhalb der Bundesländer gemäß § 12a Abs. 2 – 4 AufenthG. Die weitergehende Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der konkreten Verwaltungspraxis in den Ländern (Berufung der Kommunen auf „besonderen Belastungen z.B. an Grundschulen, Hochschulen, Kindertagesstätten“ oder beim „Bezug von ALG I und ALG II“) betrifft Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen der Länder, zu deren Prüfung die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nicht befugt sind.1 In diesem Zusammenhang soll jedoch auf einschlägige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte verwiesen werden. 2. Behördliche Wohnsitzverpflichtungen nach § 12a Abs. 2 - 4 AufenthG 2.1. Regelungssystem Die behördlichen Wohnsitzverpflichtungen innerhalb der Bundesländer gemäß § 12a Abs. 2 - 4 AufenthG dienen der Förderung der Integration. Konkret beziehen sie sich auf – die Zuweisung angemessenen Wohnraums außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung oder vorübergehenden Unterkunft (§ 12a Abs. 2 AufenthG), – die Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort, wenn dadurch eine angemessene Wohnraumversorgung , der Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert werden kann (§ 12a Abs. 3 AufenthG) sowie auf die – Untersagung des Zuzugs an einen bestimmten Ort zur „Vermeidung von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung“ (§ 12a Abs. 4 AufenthG, sog. Zuzugssperre). Nicht als Tatbestandsmerkmal ausgestaltet ist die in der Fragestellung erwähnte Geltendmachung „besonderer Belastungen“ durch die Kommunen. Voraussetzung für behördliche Wohnsitzzuweisungen nach § 12a Abs. 2 - 4 AufenthG ist vielmehr die Einschätzung der Integrationsbedingungen vor Ort. So kann beispielsweise gemäß § 12a Abs. 3 AufenthG eine Zuweisung an einen bestimmten Ort erfolgen, wenn dort bessere Integrationsbedingungen herrschen. Die behördlichen Wohnsitzverpflichtungen nach § 12a Abs. 2 - 4 AufenthG sind als Ermessensentscheidungen ausgestaltet („können“). Ermessensleitende Verwaltungsvorschriften dazu gibt es 1 Siehe Nr. 1.6. des Leitfadens für die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste (WD) vom 18. Februar 2016. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 032/18 Seite 4 beispielsweise in Baden-Württemberg.2 Ausweislich der vom Städtetag Baden-Württemberg veröffentlichten Vorläufigen Anwendungshinweise des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration zu § 12a AufenthG vom 5. September 2016, abrufbar unter: http://www.staedtetag -bw.de/media/custom/2295_79977_1.PDF?1473932418 Anlage 1 sollen grundsätzlich Wohnsitzauflagen gemäß § 12a Abs. 2 und 3 AufenthG angeordnet werden, und zwar auf Basis eines festen Verteilungsschlüssels (S. 3 f.). Zu beachten sind aber die Hinweise zur vorherigen Anhörung (S. 9), die die Berücksichtigung der Einzelfallumstände der Betroffenen ermöglichen. Abgesehen werden soll von Zuzugssperren nach § 12a Abs. 4 AufenthG (S. 9). Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hingegen hat im Rahmen eines Runderlasses zum Aufenthaltsrecht vom 9. Januar 2017, „Lageangepasste Wohnsitzregelung mit Evaluierungsklausel bei anerkannten und aufgenommenen Flüchtlingen nach § 12a Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)“, abrufbar unter: https://webcache.googleusercontent .com/search?q=cache:HNHMMMn2CEEJ:https://www.mi.niedersachsen.de/download /123386/2017_10_09_Aufenthaltsrecht_Lageangepasste_Wohnsitzregelung_mit_Evaluierungsklausel _bei_anerkannten_und_aufgenommenen_Fluechtlingen _nach_12a_Abs._4_Aufenthaltsgesetz_AufenthG_.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de Anlage 2 erklärt, dass die Voraussetzungen des § 12a Abs. 4 AufenthG für das Gebiet der Stadt Salzgitter vorliegen. Daher sollen im Regelfall, d.h. vorbehaltlich der zu berücksichtigenden Einzelfallumstände , die zu erteilenden Aufenthaltserlaubnisse mit der Auflage versehen werden, „dass die Wohnsitzaufnahme nur im Gebiet des Landes Niedersachsen mit Ausnahme der Stadt Salzgitter erlaubt ist“ (Zuzugssperre). In Bayern und in Nordrhein-Westfalen wiederum wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach Maßgabe des § 12a Abs. 9 AufenthG Näheres zur Durchführung der Wohnsitzregelung durch Rechtsverordnung der Landesregierung zu regeln.3 Dabei orientiert sich die Anordnung von Wohnsitzverpflichtungen an näher bestimmten Verteilungsschlüsseln. 2 Vgl. LT-Drs. 16/667, 4 (Baden-Württemberg). 3 Für Bayern siehe die Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes vom 16. August 2016, abrufbar unter: http://www.gesetze -bayern.de/Content/Document/BayDVAsyl/true, dort § 8 (Wohnsitzverfahren). Für Nordrhein-Westfalen siehe die Verordnung zur Regelung des Wohnsitzes für anerkannte Flüchtlinge und Inhaberinnen und Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz vom 15. November 2016, abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_id=15964&vd_back=N971&sg=0&menu=1. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 032/18 Seite 5 2.2. Verfassungsmäßigkeit Die Verfassungsmäßigkeit der behördlichen Wohnsitzverpflichtungen gemäß § 12a Abs. 2 - 4 AufenthG, insbesondere die Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Betroffenen, wurde anhand des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs in der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Die Wohnsitzregelung nach dem Entwurf des Integrationsgesetzes aus verfassungsrechtlicher Sicht (WD 3 - 3000 - 157/16) Anlage 3 ausführlich geprüft.4 Danach begegnen die Regelungen zu behördlichen Wohnsitzverpflichtungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.5 Ihre Verhältnismäßigkeit wird insbesondere durch weitreichende Ausnahme-, Abweichungs- und Härtefallregelungen gewahrt, die u.a. die Berücksichtigung von bestehenden Beschäftigungs-, Studien- und Ausbildungsbildungsverhältnissen sowie von engen familiären Bindungen und sonstigen Umständen des Einzelfalls ermöglichen. 3. Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte 3.1. Regelmäßige Anordnung von Wohnsitzverpflichtungen Im Zusammenhang mit der Anordnung einer Wohnsitzverpflichtung gemäß § 12a Abs. 3 AufenthG hat das Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 – 5 K 1559/17 –, juris Anlage 4 entschieden, dass keine „allgemeinen Bedenken gegen die regelmäßige Anordnung der Wohnsitzauflage “ in der Gemeinde, in der der Betroffene seinen Wohnsitz für die Durchführung des Asylverfahrens hatte, bestehen (Rn. 62 ff.). In Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12a Abs. 3 AufenthG könne davon ausgegangen werden, dass die „Integration (…) im Regelfall durch den Verbleib an dem Ort, in dem für die Durchführung des Asylverfahrens Aufenthalt genommen wurde und bereits erste Schritte in die Integration erfolgt sind, gefördert und der Verbleib an diesem Ort als integrationserleichternd (…) angesehen werden kann“.6 4 Die im Gesetzgebungsverfahren erfolgten Änderungen (vgl. BT-Drs. 18/9090, 4) wirken sich auf die hier fragliche Einschätzung der Verfassungsmäßigkeit nicht aus. 5 So auch – z.T. unter Berufung auf die genannte Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste (hier Anlage 3) – VG Aachen, Beschluss vom 14. November 2017 – 8 L 989/17 –, juris, Rn. 8 ff. (hier Anlage 5); VG Köln, Urteil vom 14. November 2017 – 5 K 2256/17 –, juris, Rn. 18 ff. (hier Anlage 6); OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2017 – 8 ME 90/17 –, juris, Rn. 39 ff.; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 – 5 K 1559/17 –, juris, Rn. 25 ff. (hier Anlage 4). 6 So auch VG Köln, Urteil vom 14. November 2017 – 5 K 2256/17 –, juris, Rn. 51 ff. (hier Anlage 6). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 032/18 Seite 6 Zum selben Ergebnis, allerdings mit anderer Begründung, kommt das Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 14. November 2017 – 8 L 989/17 –, juris Anlage 5. Die Tatbestandsvoraussetzungen in § 12a Abs. 3 AufenthG seien nicht in der Art zwingend, dass „es auf einen infrastrukturbezogenen Vergleich des intendierten Zuweisungsortes mit anderen Orten bezüglich der Integrationsumstände des betroffenen Ausländers ankäme“ (Rn. 79). Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass „nur eine landesweite Koordinierung anhand eines integrationspolitisch gebildeten Verteilungsschlüssels dazu führen kann, dass die steuernde Wirkung der Wohnsitzregelung die Integrationschancen (Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt) in der Gesamtschau - d.h. landesweit - verbessert und dies insgesamt auch den einzelnen Ausländerinnen und Ausländern zugutekommt“ (Rn. 88). 3.2. Einzelfallprüfung Die Verwaltungsgerichte betonen aber auch, dass im Rahmen der behördlichen Wohnsitzverpflichtungen den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist. So weist das Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 14. November 2017 – 5 K 2256/17 –, juris, Anlage 6 auf die angemessene Berücksichtigung der „im Einzelfall vorgetragenen oder sonst ersichtlichen humanitären Gründe oder gewichtigen integrationsrelevanten Umständen bei der Zuweisung“ hin.7 Diese Berücksichtigungspflicht setze zwingend eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass einer Wohnsitzverpflichtung voraus (Rn. 60). *** 7 So auch VG Köln, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 – 5 K 1559/17 –, juris, Rn. 75. (hier Anlage 4).