© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 030/14 Online-Wahlen Erfahrungen in anderen Staaten und (verfassungs-)rechtliche Voraussetzungen für eine Einführung in Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Online-Wahlen Erfahrungen in anderen Staaten und (verfassungs-)rechtliche Voraussetzungen für eine Einführung in Deutschland Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 030/14 Abschluss der Arbeit: 3. März 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 1. Einleitung Parlamentswahlen als eine Form der indirekten, repräsentativen Partizipation1, gestützt durch elektronische Systeme, sind in vielen Staaten weltweit bereits versuchsweise durchgeführt worden. Die Versuchsmodelle sind vielfältig und reichen von der Einsetzung von Scannern für die Papierwahlscheine, über die Nutzung von Wahlcomputern bis hin zur Internetwahl mit PIN-Nummern oder Identifikationskarten mithilfe von Computern in Wahllokalen, Computern an ausgewählten Standorten (z. B. Postfilialen, Einkaufszentren, sog. Kiosk-System) oder allgemein internetverbundenen Eingabegeräten.2 Auch Wahlen via Textnachrichten, Telefon, und interaktiver Fernsehdienste wurden bereits getestet, jedoch nicht weiterverfolgt (z. B. in Großbritannien ).3 Bisher hat in Europa nur Estland landesweit die Wahl via Internet als Alternative zur Wahl mit dem Stimmzettel in Papierform durchgesetzt. Global betrachtet ist der Einsatz von Wahlcomputern verbreiteter als Internetwahlen.4 In Abgrenzung zu Computern mit Netzanschluss sind Wahlcomputer rechnergesteuerte Geräte, die für die elektronische oder mechanische Stimmabgabe und -zählung konstruiert sind.5 Die nachfolgende Ausarbeitung beschränkt sich auf parlamentarische Internet- oder Online- Wahlen. Bei Online-Wahlen kann der Wahlberechtigte über ein elektronisches Eingabegerät wählen, über das seine Wählerstimme und sonstige Daten über das Internet an eine öffentliche Wahlstelle geleitet werden.6 Das Eingabegerät muss internetfähig sein, ist aber nicht zwangsläufig ortsgebunden (PC, Laptop, Tablet, Smartphone, etc.). Im Folgenden werden weltweit ausgewählte Beispiele für bereits durchgeführte Online-Wahlen aufgeführt (2.). Zunächst wird dabei auf das estnische Modell eingegangen; im Anschluss werden laufende europäische Versuchsprojekte (Frankreich, Norwegen, Schweiz) und Beispiele außerhalb Europas (Australien, USA) vorgestellt. Parlamentarische Online-Wahlen könnten u. U. auch in Deutschland eine mögliche Alternative oder Ergänzung zur traditionellen Wahl mit Stimmzetteln an der Wahlurne oder per Briefwahl darstellen. Einen entsprechenden Vorstoß für Bayern machte im Januar 2014 der bayerische Finanzminister Markus Söder, CSU, der für die Digitalisierung Bayerns zuständig ist. Er kündigte an, bei einer Weiterentwicklung der Signaturen-Gesetzgebung schon 2018 die elektronische 1 Karpen, Elektronische Wahlen?, 1. Aufl. 2005, S. 11. 2 „ONLINE VOTING“, Parliamentary Office of Science and Technology, 2001, S. 2, http://www.parliament.uk/business/publications/research/briefing-papers/POST-PN-155/online-voting-may-2001 [Stand: 17. Februar 2014]. 3 „Evolution not Revolution, Electronic Voting Status Report 2“, Victorian Electoral Commission, S. 4 ff., https://www.vec.vic.gov.au/publications/publications-papers.html?print [Stand: 12. Februar 2014]; Hall, Thad, „Electronic voting“, in: Kersting, Norbert, „Electronic Democracy“, 2012 (153), 163 f; Holmes, Brenton, „E-voting: the promise and the practice“, Parliament of Australia, Department of Parliamentary Services, 2012, S. 12 f., mit weiteren Nachweisen. 4 Beispiele für Staaten mit Wahlcomputern auf landesweiter Ebene: Belgien, Brasilien, Venezuela, Indien, Philippinen. 5 Karpen (Fn. 1), S. 34. 6 Karpen (Fn. 1), S. 11. Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Briefwahl einführen zu wollen.7 Es ist nachfolgend zu klären, welche verfassungsrechtlichen Grenzen für Online-Wahlen bestehen und welche Voraussetzungen ggf. für eine Einführung in Deutschland geschaffen werden müssten (3.). Die informationstechnischen Erfordernisse können an dieser Stelle fachlich nicht geklärt werden. 2. Staaten mit Online-Wahlmöglichkeit 2.1. Estland In Estland wurden Online-Wahlen (sog. I-Voting oder E-Voting) bisher sechs Mal bei kommunalen, nationalen und Europaparlamentswahlen durchgeführt (2005-2013).8 I-Voting bedeutet, dass der Wahlberechtigte in Estland seine Stimme auch im Internet abgeben kann, und dies über eine Software auf dem eigenen PC erfolgt. Die Identifizierung erfolgt dann per „ID-Card“, per „digital- ID“ oder per „mobile-ID“.9 Das neueste Verfahren per „mobile-ID“ wurde 2011 eingeführt. Es erfordert neben der mobile-ID SIM-Card mit PIN ein Mobiltelefon und einen PC mit Internetverbindung und ist nicht nur zur Abstimmung einsetzbar, sondern umfasst ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel das Online-Banking, eine Vielzahl behördlicher Vorgänge, Daten der Gesundheitsversorgung sowie die Abgabe elektronischer Signaturen.10 Weiterführende Hinweise zur Durchführung von I-Voting in Estland enthalten die als Anlage 1 beigefügten Informationstexte des Estnischen Nationalen Wahlausschusses (Vabriigi Valimiskomisjon ) (nur englischsprachige Fassung erhältlich). In einem Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR)11 zur estnischen Parlamentswahl 2011 wird unter anderem die Durchführung der Internetwahl analysiert und der Prozess der Einführung der Internetwahl in seinen verschiedenen Phasen beschrieben.12 Ein Problem von Internetwahlen sei die Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens eines Wählers durch äußere Einwirkung. Die estnische Lösung ermögliche dem Wahlberechtigten, seine Stimme bis zum Wahltag beliebig oft im Internet abzugeben, wobei immer die zeitlich letzte Stimmabgabe zähle.13 7 „Online-Wahl auszuschließen, ist anachronistisch“, Die Welt vom 11. Januar 2014. 8 http://vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/ [Stand: 11. Februar 2014]. 9 http://id.ee/index.php?id=31010 [Stand: 10. Februar 2014]. 10 http://vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/#I-voting_by_means_of_digital_ID [Stand: 11. Februar 2014]; http://mobile.id.ee/ [Stand: 10. Februar 2014]. 11 „Was ist das ODIHR?“ http://www.osce.org/odihr/43595 [Stand 10. Februar 2014]. 12 OSCE/ODIHR Election Assessment Mission Report in the 2011 parliamentary elections in Estonia, 2011, S. 8, VI. Internet Voting, A. Overview, http://vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports-about-internet-voting-inestonia / [Stand: 14. Februar 2014]. 13 OSCE/ODIHR Election Report Estonia (Fn. 12), S. 9 f., VI. Internet Voting, B. The Internet Voting Electoral Process, http://vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports-about-internet-voting-in-estonia/, [Stand: 10. Februar 2014]. Wissenschaftliche Dienste Seite 5 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Der Anteil der sog. I-Voters an den teilnehmenden Wahlberechtigten stieg von erstmals 1,9% (kommunale Wahlen 2005) auf 21,2% (kommunale Wahlen 2013). Von der Gesamtzahl der Wahlberechtigten, die innerhalb eines festgelegten Zeitraums noch vor dem eigentlichen Wahltag ihre Stimme abgaben (sog. advance voters oder early voters), waren 50,5% I-Voters.14 2.2. Weitere Beispiele aus Europa Frankreich ließ 2003 Auslandsfranzosen über das Internet einen Rat wählen, der seinerseits 12 Senatoren des Senats wählte.15 2012 wurden 11 Mitglieder der Nationalversammlung direkt durch die Auslandsfranzosen über das Internet gewählt.16 Norwegen führte 2011 und zuletzt 2013 Versuche zu Internetwahlen nach estnischem Vorbild durch. 2013 wurde 250 000 Wahlberechtigten die Internetabstimmung ermöglicht. Zusätzlich zur Internetabstimmung wurden in vielen Kommunen Scanner für die Wahlscheine aufgestellt.17 Die Schweiz führt seit 2000 sowohl auf kommunaler und kantonaler Ebene als auch im Bund Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe per Internet (sog. vote électronique) durch.18 Elektronisch wählen durfte in diesen Versuchen eine begrenzte, jedoch schrittweise angehobene Anzahl von Inlands- und Auslandsschweizern. Aktuellstes Beispiel der „vote électronique“ ist die eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014, bei der zwölf Kantone Versuche mit der Internetabstimmung durchführten.19 Das nächste Ziel soll die Nationalratswahl 2015 sein, zu der ein Großteil der Auslandsschweizer die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe erhalten wird.20 2.3. Beispiele außerhalb Europas In Australien wurden seit 2000 erste Versuche mit Wahlcomputern und Internetwahlen auf Ebene der Bundesstaaten und Territorien durchgeführt, um die wahlpflichtigen australischen Bürger auch dann zu erreichen, wenn sie sich in der Antarktis oder in anderen entfernten Gebieten aufhielten oder eine körperliche Einschränkung aufwiesen.21 In New South Wales wurde zuletzt 14 http://vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/statistics [Stand: 10. Februar 2014]. 15 http://www.telegraph.co.uk/expat/expatnews/4185380/Breakthrough-in-expatriate-voting.html [Stand: 13. Februar 2014]. 16 http://www.ambafrance-de.org/Parlamentswahlen-Auslandsfranzosen [Stand: 13. Februar 2014]. 17 OSCE/ODIHR Election Assessment Mission Final Report in the 2013 parliamentary elections in Norway, 2013, S. 7 f., VI. New Voting Technologies, A. Organization of Internet Voting, http://www.osce.org/odihr/elections/109503 [Stand: 13. Februar 2014]. 18 http://www.bk.admin.ch/themen/pore/evoting/08004/index.html?lang=de [Stand: 13. Februar 2014]. 19 http://www.bk.admin.ch/themen/pore/evoting/00773/index.html?lang=de [Stand: 13. Februar 2014]. 20 http://www.bk.admin.ch/themen/pore/evoting/00774/index.html?lang=de [Stand: 13. Februar 2014]. 21 Holmes (Fn. 3), S. 3 ff. Wissenschaftliche Dienste Seite 6 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 2011 einer eng begrenzten Gruppe von Wahlberechtigten (u.a. Blinde) eine Wahl via Telefon oder Internet ermöglicht.22 In den USA werden seit 1996 bei einigen Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen (Primaries) Internetabstimmungen angeboten.23 Insbesondere die Democratic Party bietet Internetwahlen an und erteilt ihren registrierten Mitgliedern eine PIN für die Online-Wahl. Daneben wurde für im Ausland stationierte Mitglieder des US-Militärs ein Versuchsprojekt für Online-Abstimmungen gestartet („SERVE“), das jedoch 2004 noch vor der Präsidentschaftswahl wieder eingestellt wurde.24 Allerdings kann diese Personengruppe in vielen Bundesstaaten online wählen.25 Auf Bundesstaatsebene wird teilweise per Wahlcomputer und/oder Scangeräten gewählt.26 3. Einführung von Online-Wahlen in Deutschland Auch in Deutschland wird diskutiert, welche Möglichkeiten und Vorteile27 das Internet zur Durchführung politischer Wahlen eröffnet. Wegen der steigenden Vernetzung der Bevölkerung und der sinkenden Wahlbeteiligung gibt es seit einigen Jahren Überlegungen zur schrittweisen Einführung von Online-Wahlen.28 Ob solche Wahlen auch in Deutschland rechtlich möglich sind, hängt maßgeblich davon ab, ob die Vorgaben des Grundgesetzes (GG),29 und hier insbesondere die Wahlrechtsgrundsätze eingehalten werden können. Im Folgenden werden diese verfassungsrechtlichen Anforderungen erläutert (3.1.) sowie die bisherige Bewertung der Online-Wahl (3.3.) dargestellt. 22 Holmes (Fn. 3), S. 8 ff. 23 Holmes (Fn. 3), S. 17 f., mit weiteren Nachweisen. 24 Hall (Fn. 3), 153 (165 f.). 25 „Internet Voting“, Verified Voting Foundation, dls.virginia.gov/commission/materials/internetvoting.pdf [Stand: 13. Februar 2014]; zum Hack des Pilotprojekts zur Onlinewahl in Washington durch Forscher der Universität Michigan: http://www.eecs.umich.edu/eecs/about/articles/2012/voting_hack_published.html [Stand: 13. Februar 2014]. 26 Am Beispiel des Bundesstaats Virginia: https://www.sbe.virginia.gov/FAQVoter.html [Stand: 12. Februar 2014] und https://www.sbe.virginia.gov/VotingSystems.html [Stand: 12. Februar 2014]. 27 Beispielhafte Nutzenanalyse in: Bremke, Internetwahlen - Eine Analyse einer Wahlverfahrensänderung für das 21. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung rechtlicher Anforderungen, LKV 2004, 102 (103 f.). 28 Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Wahlen, BT-Drs. 14/6318 vom 20. Juni 2001; Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, e-Demokratie: Online-Wahlen und weitere Partizipationspotenziale der Neuen Medien nutzen, BT-Drs. 14/8098 vom 29. Januar 2002, S. 2; Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, 1) zu dem Antrag der Fraktion der SPD sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, e-Demokratie: Online-Wahlen und weitere Partizipationspotenziale der Neuen Medien nutzen, 2) zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Wahlen, BT-Drs. 14/8466, vom 11. März 2002; kritisch: Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Tätigkeitsbericht 2001 und 2002 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, BT-Drs. 15/0888 vom 7. Mai 2003, S. 48; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD, Reformperspektiven der sozialen Selbstverwaltung und der Sozialversicherungswahlen, BT-Drs. 17/14779, vom 20. September 2013, S. 5 und 14; Ankündigung von Markus Söder, Bayerischer Finanzminister, in: Die Welt vom 11. Januar 2014: „Online-Wahl auszuschließen, ist anachronistisch“. 29 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndG (Artikel 93) vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478). Wissenschaftliche Dienste Seite 7 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 3.1. Wahlrechtsgrundsätze Jedes Wahlverfahren muss den Wahlrechtsgrundsätzen entsprechen. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG lautet: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ Neben diesen geschriebenen Grundsätzen sind ungeschriebene Wahlgrundsätze, wie der Grundsatz der Öffentlichkeit, zu beachten. 3.1.1. Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Die allgemeine Wahl beinhaltet, dass alle Staatsbürger im wahlfähigen Alter wählen dürfen und ein unberechtigter Ausschluss verboten ist.30 Online-Wahlen könnten im Sinne einer allgemeinen Wahl den Wählerkreis erweitern und die Möglichkeit der Stimmabgabe erleichtern. Jedoch bestehen jedenfalls bei obligatorischen Internetwahlen ohne die Alternative einer Wahl mit Stimmzettel Bedenken hinsichtlich des flächendeckenden Internetzugangs der Bevölkerung und darüber hinaus ausreichender technischer Kenntnisse aller Bevölkerungsschichten. Laut Statistischem Bundesamt waren 2012 81% der Haushalte in Deutschland mit Computern ausgestattet und 79% hatten einen Internetzugang. Bei einem monatlichen Haushaltseinkommen unter 1300 € lag der Anteil der Haushalte mit Internetzugang bei 61%; bei einem Einkommen von über 3200 € waren es 97%.31 Zumindest bei einer ausschließlichen Wahl über das Internet würden Teile der Bevölkerung ausgeschlossen und somit würde wohl gegen das Prinzip der allgemeinen Wahl verstoßen.32 Auch die Systemstabilität des Internets und der Wahlsoftware müsste gewährleistet sein. Der Grundsatz der Allgemeinheit erfasst insofern auch die Vorbereitung auf mögliche Systemstörungen oder -abstürze, die die Durchführung der Wahl aufhalten oder gar verhindern könnten.33 Wird die Online-Wahlmöglichkeit nur als Alternative angeboten, könnte ein offline betriebenes „Back-Up- System“, das in den öffentlichen Wahllokalen vorgehalten wird und bei Zusammenbruch des Online -Systems die Durchführung der Wahl gewährleistet,34 eine Lösung für dieses Problem bieten. Die Unmittelbarkeit der Wahl ist durch die Einführung einer Internetwahl nicht gefährdet, da direkt gewählt werden soll, also ohne zwischengeschaltete Wahlmänner.35 Die geheime Wahl soll die Freiheit der Wahlentscheidung sichern. Geheim kann eine Wahl nur dann sein, wenn sichergestellt ist, dass niemand außer dem Wähler die tatsächliche individuelle Wahlentscheidung erfährt.36 Technisch muss gewährleistet werden, dass die Stimmabgabe auch 30 Klein, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 38, Rn. 88. 31 „Private Haushalte in der Informationsgesellschaft (IKT)“, Fachserie 15, Reihe 4, 2012, S. 7, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/EinkommenKonsumLebensbedingungen/PrivateHaushalte/P rivateHaushalteIKT2150400127004.html [Stand: 19. Februar 2014]. 32 Hanßmann, Möglichkeiten und Grenzen von Internetwahlen, 2004, S. 235. 33 Hanßmann (Fn. 32), S. 235. 34 Karpen (Fn. 1), S. 58. 35 Karpen (Fn. 1), S. 22. 36 Büchner/Büllesbach, E-Government - Staatliches Handeln in der Informationsgesellschaft, 2003, S. 179. Wissenschaftliche Dienste Seite 8 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 bei einer Internetwahl nicht ausgespäht werden kann und dass die Stimmen bei der Übermittlung und beim Empfang im Ziel- und Speichermedium geheim bleiben. Kann dies nicht sichergestellt werden, ist auch die Freiheit der Wahl gefährdet, da diese entscheidend vom Vertrauen des Wählers in das Wahlsystem abhängt.37 Auch eine Zuordnung des Wählers zu seiner abgegebenen Stimme darf zu keinem Zeitpunkt möglich sein.38 Es gibt Vorschläge zur Sicherstellung der geheimen Wahl durch Einsatz der eID-Funktion des 2010 eingeführten elektronischen Personalausweises . Siehe hierzu im Einzelnen den als Anlage 2 beigefügten Beitrag: Bräunlich/Grimm u.a., Der neue Personalausweis zur Authentifizierung von Wählern bei Onlinewahlen, Verbesserungsvorschlag zur sicheren Geheimhaltung der Wahl, in: Arbeitsberichte aus dem Fachbereich Informatik / FB 4, Informatik, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz; 2011. Weiter ist aber bei der Geheimhaltung in Bezug auf Online-Wahlen zu berücksichtigen: Außerhalb des Wahllokals ist der Bürger für die Geheimhaltung verantwortlich. Bei einer Internetwahl wäre es dem Bürger überlassen, Dritte auf die Geheimhaltung aufmerksam zu machen und den Wahlvorgang allein und unbeobachtet vorzunehmen. Problematisch kann das nicht nur für die Wahl von zu Hause aus sein, sondern insbesondere von einem Computer in einem Internetcafé oder einem sonstigen öffentlichen Ort aus. Nimmt der Bürger keine Vorkehrungen zur Geheimhaltung vor, könnte sich die verfassungsrechtlich zwingend geheime Stimmabgabe dann hin zu einer faktisch freiwilligen Geheimhaltung entwickeln.39 Dieses Problem der Geheimhaltung wurde bereits bei der Briefwahl gesehen. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Briefwahl in ihrer Ausformung im Bund und einer Reihe von Ländern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das Geheimhaltungsprinzip dürfe in begrenztem Umfang zugunsten der Briefwahloption beschränkt werden, um gemäß dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl möglichst weiten Teile der Bevölkerung den Zugang zur Wahl zu ermöglichen.40 Auch die Online-Wahl könnte weite Teile der Bevölkerung erreichen. Dagegen wird teilweise angeführt, dass für diese Beschränkung der Geheimhaltung der Wahl zugunsten der Allgemeinheit der Wahl kein Bedürfnis existiere, denn eine ausreichende Erweiterung des Wählerkreises würde bereits durch die Briefwahl erreicht.41 Ein Bedürfnis könnte sich aber in Zeiten schwindender Wahlbeteiligung daraus ergeben, auch Politikverdrossene und Jungwähler für politische Wahlen begeistern zu wollen und zur Wahl zu bewegen. Ob die Online-Wahl aber tatsächlich die Wahlbeteiligung in diesen Wählergruppen und damit die Allgemeinheit der Wahl fördern würde, mit der sich eine Einschränkung der geheimen Wahl rechtfertigen ließe, wird zum Teil als wissenschaftlich nicht belegt zurückgewiesen.42 37 Büchner/Büllesbach (Fn. 36), S. 179. 38 Will, Internetwahlen - Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, 2002, S. 157. 39 Hahlen, in: Schreiber, Bundeswahlgesetz (BWahlG) Kommentar, 9. Auflage 2013, § 35, Rn. 15. 40 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 15. Februar 1967 (2 BvC 2/66), NJW 1967, 924; BVerfG, Beschluss vom 24. November 1981 (2 BvC 1/81), NJW 1982, 869; BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3, 4/07), NVwZ 2009, 708 (711); BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2013 (2 BvC 7/10), NVwZ 2013, 1272. 41 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG (Fn. 39), § 35, Rn. 15. 42 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG (Fn. 39), § 35, Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Seite 9 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Die Freiheit der Wahl, also die Abstimmung ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung 43, gebietet, dass dem Online-Wähler auch die Möglichkeit der ungültigen Stimmabgabe gewährt werden muss, da dies ebenfalls eine Willensäußerung des Wählers im Rahmen seiner demokratischen Rechte darstellt.44 Es wird daher vorgeschlagen, die Online-Wahl technisch so auszugestalten , dass es dem Wähler möglich bleibt, ungültig wählen zu können und er ggf. einen Hinweis bekommt, dass seine Wahl ungültig ist. Er hat dann die freie Entscheidung, ob er bei dieser Stimmabgabe bleibt oder, etwa weil ihm versehentlich ein Fehler unterlaufen ist, seine Wahlentscheidung korrigiert.45 Die Wahl muss gleich sein, das heißt, dass eine Stimme grundsätzlich nicht mehr Einfluss auf das Wahlergebnis haben darf als eine andere.46 Das bedeutet gleichen Zählwert, grundsätzlich gleichen Erfolgswert, aber auch gleiche Chancen der um die Wählerstimmen Konkurrierenden. Das (elektronische) Abfangen und Verändern einer Stimme, die doppelte Stimmabgabe und die Manipulation bei der Auszählung oder Speicherung der Wahlergebnisse gefährden die Gleichheit und müssten durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden. Beim Wahlakt selbst wird weiter gefordert, dass der Stimmzettel im Internet grafisch keinen Unterschied zu dem im Wahllokal aufweisen dürfe, um eine Ungleichbehandlung von Parteikandidaten zu vermeiden, die weiter unten auf der Stimmliste stehen und nur durch Scrollen auf dem Bildschirm sichtbar würden.47 Außerdem wird zur Gewährleistung der Wahlrechtsgleichheit und Vermeidung doppelter Stimmabgabe – im Falle der Ausgestaltung der Online-Wahl als zusätzliche Alternative zu einer weiter möglichen Stimmabgabe im Wahllokal – vorgeschlagen, ein Online-Wählerverzeichnis vorzuhalten mit Vernetzung aller Wahllokale. Wenn der Antrag, zur Online-Wahl zugelassen zu werden, akzeptiert worden sei, werde der Wähler im Wählerverzeichnis gesperrt.48 3.1.2. Ungeschriebene Wahlrechtsgrundsätze Zu den ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen zählen die Gleichzeitigkeit der Wahl, die Verständlichkeit, Einfachheit und Verlässlichkeit des Wahlvorganges, die Kostenfreiheit und die Öffentlichkeit der Wahl.49 Bezogen auf die Online-Wahl könnte die Einfachheit und Verständlichkeit der Wahl problematisch sein, wie bereits im Wahlgrundsatz der Allgemeinheit erörtert, da derzeit noch nicht von flächendeckenden Internetanschlüssen und vor allem ausreichenden IT-Kenntnissen der gesamten Bevölkerung ausgegangen werden kann. Wenn es aber weiter die Alternative der analogen zur digitalen Wahl gibt, dürfte dies unproblematisch sein. 43 BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1957 (2 BvR 9/56), NJW 1957, 1313. 44 Will (Fn. 38), S. 130. 45 Karpen (Fn. 1), S. 26. 46 Karpen (Fn. 1), S. 25. 47 Karpen (Fn. 1), S. 26. 48 Karpen (Fn. 1), S. 26. 49 Karpen (Fn. 1), S. 31. Wissenschaftliche Dienste Seite 10 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Die Verlässlichkeit eines Wahlverfahrens im Internet kann aufgrund der Störanfälligkeit des Internets bezweifelt werden, daher muss ein entsprechendes System besondere Sicherheitsvorkehrungen dazu enthalten, um Vertrauen zu schaffen. Über das Internet kann, im Gegensatz zum Briefwahlverfahren, am gleichen (Wahl-)Tag gewählt werden (Gleichzeitigkeit der Wahl). Bleibt die Internetwahl eine Alternative zur Präsenzwahl oder Briefwahl, fallen für den Staat insofern keine Kosten für die weitere Digitalisierung an. Nur bei Alternativlosigkeit der Internetfernwahl müsste der Zugang zu Computern gewährt werden.50 Den Grundsatz der Öffentlichkeit mit der Nachvollziehbarkeit der Wahlhandlung identifiziert das Bundesverfassungsgericht in seinem Wahlcomputer-Urteil als Kernproblem.51 Das Gericht hatte über Wahlprüfungsbeschwerden betreffend die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag 2005 zu entscheiden , bei der ca. 2 Mio. Wahlberechtigte ihre Stimme über rechnergesteuerte Wahlgeräte abgegeben haben. Diese Stimmen wurden ausschließlich elektronisch gespeichert und ausgezählt. Das Bundesverfassungsgericht stellte in der zitierten Entscheidung fest, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, der sich aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG ableite, gebiete, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterlägen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigten .52 Die Öffentlichkeit der Wahl solle nicht nur die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge gewährleisten. Auch das Vertrauen der Bürger auf den ordnungsgemäßen Ablauf des Wahlvorgangs werde durch das Öffentlichkeitsprinzip begründet. Dieses Vertrauen stelle für die repräsentative Demokratie eine Voraussetzung für ihre Funktionsfähigkeit dar. Konkret müssten dafür die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.53 Allerdings sei es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers die Ausgestaltung eines nachvollziehbaren Wahlverfahrens vorzunehmen und insbesondere die Entscheidung zu treffen, ob dafür Wahlgeräte einzusetzen seien.54 Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit seien laut Gericht nur möglich, um insbesondere die geschriebenen Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 GG einzuhalten. Die Einschränkung der öffentlichen Kontrolle von Wahlhandlung und Ergebnisermittlung bei der Briefwahl sei gerechtfertigt , um eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen. Dagegen sei die weitreichende Einschränkung der öffentlichen Kontrolle bei rechnergesteuerten Wahlgeräten nicht gerechtfertigt . Weder die Gleichheit noch die Geheimhaltung und auch nicht das Ziel in kurzer Zeit eine handlungsfähige Volksvertretung bilden zu können, rechtfertigten die weitreichenden Einschränkungen . Online-Wahlen könnten ebenfalls zu weitreichenden Einschränkungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit führen. Problematisch ist vor allem die elektronische Verarbeitung der Stimmdaten, die 50 Karpen (Fn. 1), S. 33. 51 BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07 u. 2 BvC 4/07), NVwZ 2009, 708. 52 BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07 u. 2 BvC 4/07), NVwZ 2009, 708 (709). 53 BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07 u. 2 BvC 4/07), NVwZ 2009, 708 (710). 54 Hervorhebungen in Zitaten von Verfasserinnen vorgenommen. Wissenschaftliche Dienste Seite 11 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 derzeit keine Möglichkeit für den Normalbürger bietet, eine Kontrolle des Wahlvorgangs vorzunehmen . Die Öffentlichkeit könnte weder die elektronische Stimmabgabe noch den Eingang und das Speichern der Stimmen oder den Auszählungsvorgang beaufsichtigen oder nachvollziehen. Eine Kontrolle, ob die eigene Stimme unverändert in das Wahlergebnis geflossen ist, wäre nicht möglich. Ein Online-Wahlsystem, das dem Grundsatz der Öffentlichkeit entspricht, müsste den Wahlvorgang transparent und nachvollziehbar machen, trotz der elektronischen Verarbeitung der Daten.55 Das Gericht schlug bei der Abstimmung per Wahlcomputer als nachvollziehbares Wahlverfahren vor, ein Papierprotokoll der abgegebenen Stimme ausdrucken zu lassen. Jedoch genüge eine bloße Abbildung des gesamten Wahlergebnisses nicht, da insbesondere Programmierfehler oder -manipulationen in der Software unerkannt blieben. Das individuelle Wahlprotokoll aus Papier solle deshalb noch vor endgültiger Bestätigung der Stimmabgabe eine Kontrolle ermöglichen und zur Nachprüfung gesammelt werden. Zentral sei, dass eine von der Stimmerfassung unabhängige Kontrolle möglich bleibe.56 Unter Entwicklung entsprechender Technik könnten u. U. die Eigenschaften des Internets für die Nachvollziehbarkeit des Wahlvorgangs bei Online-Wahlen genutzt werden. So wird z. B. als Lösung eine Verifizierungssoftware angeführt, mit der der Bürger das Einfließen seiner Stimme ins Wahlergebnis selbstständig und sofort überprüfen könnte. Insofern ließe sich sogar eine verbesserte Nachvollziehbarkeit als bei der Briefwahl erzielen, denn bei letzterer kann der Wähler nicht ohne Weiteres (sofort) einsehen, was mit seiner Stimme geschieht.57 3.2. Bisherige Bewertung und Schlussfolgerungen Noch im Schlussbericht der Enquetekommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ 1998 wurde empfohlen, ein Internetwahlverfahren auch für die Bundestagswahl einzuführen58 und aus einer Unterrichtung durch die Bundesregierung aus dem Jahr 1999 geht hervor, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie das Projekt „Wahlen im Internet“ im Rahmen eines Aktionsprogramms der Bundesregierung mit damalig über 1,3 Mio. DM förderte.59 In jüngerer Zeit sind auch kritische Bewertungen auszumachen60: So befasste sich die vom Deutschen Bundestag im Jahr 2010 eingesetzte Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“61 mit dem Thema 55 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel, Sichere Internetwahlen, 1. Aufl. 2013, S. 35. 56 BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07 u. 2 BvC 4/07), NVwZ 2009, 708 (711). 57 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55), S. 35. 58 Schlussbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft zum Thema Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, BT-Drs. 13/11004, vom 22. Juni 1998, S. 81. 59 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Aktionsprogramm der Bundesregierung: Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts, BT-Drs. 14/1776, vom 29. September 1999 , S. 60. 60 So auch die Einschätzung von Hahlen, in: Schreiber, BWahlG (Fn. 39), § 35, Rn. 15. 61 Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Einsetzung einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, BT-Drs. 17/950, vom 3. März 2010. Wissenschaftliche Dienste Seite 12 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 „Online-Wahlen“ unter Bezugnahme auf das Wahlcomputer-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 62 und kam zu dem Schluss, dass verfassungskonforme Wahlen über das Internet derzeit nicht möglich seien. Das Wahlergebnis müsse für jeden Wähler „demokratisch, legitim und nachvollziehbar sein“, und auch Online-Wahlen müssten „frei, gleich und überprüfbar sowie geheim“ sein. Die Durchführung von Online-Wahlen sei technisch hochkomplex und undurchsichtig und könne daher vom Durchschnittswähler nicht nachvollzogen werden. Der Einführung elektronischer Wahlen stünden Probleme bei der „Transparenz, Sicherheit, Verlässlichkeit, Korrektheit, Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit sowie (den) Kosten“63 entgegen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts müssten sich (auch) für Online-Wahlen in gesetzlichen Regelungen wiederfinden, die es derzeit noch nicht gäbe.64 Auch die technischen Systeme genügten noch nicht den Anforderungen, die das Gericht formulierte. Daher lehnte die Enquetekommission einen Einsatz von Online-Wahlen wie auch Wahlen mit Wahlcomputern für rechtsverbindliche Abstimmungen ab.65 Zu diesem Ergebnis gelangt auch der Bundeswahlleiter mit ähnlicher Begründung:66 Das Internet habe die Kommunikation revolutioniert; gegen die Möglichkeit, bei Bundestags- oder Europawahlen die Stimme online abzugeben, sprächen derzeit jedoch gravierende wahlrechtliche und wahlpraktische Gründe. Maßgeblich sei zu berücksichtigen, dass sich – zumindest derzeit – die von der Verfassung vorgegebenen Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, freien und geheimen Wahl bei einer Internet-Wahl noch nicht hinreichend gewährleisten ließen. Insbesondere die Geheimhaltung einer Online-Stimmabgabe, die zwar informationstechnisch möglich erscheine, würde einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern und schließe die Nutzung privater PCs nach dem Stand der heutigen Technik aus. Auch würden Stimmabgabe und Ermittlung des Wahlergebnisses in einem Umfang intransparent und der öffentlichen Kontrolle durch die Wahlberechtigten entzogen, der das Vertrauen der Wählerschaft in die Ordnungsmäßigkeit des Wahlaktes untergräbt. Für die Wahlberechtigten verständliche und nachvollziehbare Kontrollmechanismen – vergleichbar der Augenscheinnahme bei der Beobachtung der Stimmenauszählung im Wahllokal – seien bei Internet- Prozessen zur Zeit nicht in Sicht. Weiter stellt der Bundeswahlleiter aber auch klar, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Wahlcomputerurteil von 2009 Internetwahlen aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen habe. Eines der Hauptprobleme der technischen Umsetzung scheint neben zufällig auftretenden Fehlern, die sichere, also geheime, und unverfälschte Übermittlung und Speicherung der einzelnen Stimmen zu sein.67 Hierbei fällt ins Gewicht, dass bei politischen Wahlen und insbesondere bei der Bundestagswahl die Motivation, manipulativ das Wahlergebnis im Sinne der eigenen Interessen zu 62 BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07 u. 2 BvC 4/07), NVwZ 2009, 708. 63 Klammern in Zitaten von Verfasserinnen eingefügt. 64 Die wahlrechtlichen Regelungen finden sich unter http://bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/rechtsgrundlagen/ [Stand: 24. Februar 2014]. 65 Siebter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ - Demokratie und Staat, BT- Drs. 17/12290, vom 6. Februar 2013, S. 101. 66 http://www.bundeswahlleiter.de/de/glossar/texte/Online_Wahlen.html [Stand: 24. Februar 2014]. 67 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG (Fn. 39), § 35, Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Seite 13 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 verändern, aufgrund der breiten Entscheidungsbefugnisse des Parlaments höher sein kann als bei anderen Wahlen.68 Wie einfach eine Manipulation von Wahlgeräten auch ohne Internetzugang ist, zeigte etwa eine Sendung im niederländischen Fernsehen. Bei dieser Vorführung hackte der Chaos Computer Club gemeinsam mit einer niederländischen Initiative Wahlcomputer, die fast baugleich mit denen der Bundestagswahl 2005 waren, innerhalb kürzester Zeit und spurlos. Die abgegebenen Stimmen wurden ausschließlich in ihrer manipulierten Form abgespeichert.69 Die Manipulation von einzelnen Wahlcomputern durch den Einbau eines Zusatzprogramms wäre bei einer Wahl über das Internet nicht nötig – ein Eingriff könnte von jedem beliebigen Ort auf der Welt erfolgen. Im Ergebnis entscheidend für die rechtliche Zulässigkeit von Online-Wahlen dürfte sein, ob eine informationstechnische Umsetzung gemäß den dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Online-Wahl gelingt. Im Vordergrund stehen dabei wohl praktische Fragen der Manipulationssicherheit und Nachvollziehbarkeit. An informationstechnischen Lösungen wird schon seit einiger Zeit geforscht.70 Exemplarisch seien hier zwei zwischen 2009 und 2013 durchgeführte, von der DFG geförderte interdisziplinäre universitäre Forschungsprojekte zum Thema „Juristisch-informatorische Modellierung von Internetwahlen“ (ModIWa I und II) aufgeführt.71 Ziel von ModIWa I war es, die juristischen Vorgaben mit den technischen Möglichkeiten zu verbinden. Die Wissenschaftler nennen dies „Methode zur Konkretisierung rechtlicher Anforderungen“ (KORA).72 Die KORA-Methode zielt darauf ab, Sicherheitsanforderungen und Gestaltungsvorschläge rechtskonform zu bestimmen.73 Dabei wurden die Common Criteria74, ein internationaler Kriterienkatalog zur Bewertung von IT-Systemen, in das Projekt einbezogen.75 Die Common Criteria sollen die technische Sicherheit eines IT-Systems gewährleisten, indem durch Schutzprofile (produktunabhängig) und Security Targets (produktabhängig) die Sicherheitsanforderungen an ein bestimmtes IT-Produkt formuliert werden. Solche Common Criteria wurden bereits für elektronische Wahlsysteme entwickelt.76 Die Verknüpfung der KORA mit den Common Criteria wurde in einem Modell festgehalten.77 Ziel von ModIWa II war es, rechtliche und technische Maßnahmen zur Realisierung der in ModIWa I erarbeiteten Anforderungen an Internetwahlverfahren zu finden. In interdisziplinärer 68 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55), S. 152 f. 69 Schiedermair, Gefährden Wahlcomputer die Demokratie?, JZ 2007, 162 (163). 70 Beispiele früherer Projekte zu Internetwahlen in: Bremke (Fn. 27), LKV 2004, 102 (103). 71 ModIWa I: 2009-2011 und ModIWa II: 2011-2013; Forschungsergebnisse zu ModIWa I bei: Bräunlich/Grimm/ Richter/Roßnagel (Fn. 55). 72 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55), S. 5 f. 73 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55), S. 139. 74 Siehe. auch: Neumann/Volkamer/Buchmann, Tauglichkeit von Common Criteria-Schutzprofilen für Internetwahlen in Deutschland, DuD, 2014, 98. 75 Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55), S. 137. 76 Neumann/Volkamer/Buchmann (Fn. 55), DuD, 2014, 98, 100. 77 Zu den Einzelheiten und Ergebnissen des Projekts ModIWa I: Bräunlich/Grimm/Richter/Roßnagel (Fn. 55). Wissenschaftliche Dienste Seite 14 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 030/14 Zusammenarbeit von praktischer und theoretischer Informatik mit der Rechtswissenschaft sollten dabei konkrete technische Lösungen gefunden werden, die die Gestaltungsvorschläge, die im Ausgangsprojekt ModIWa I mit Hilfe der Methode KORA erarbeitet und anschließend in einem IT-Sicherheitsmodell formal modelliert wurden, umgesetzt werden.78 Allerdings konzentrierte sich das Fortsetzungsprojekt ModIWa II vornehmlich auf die Sozialwahlen und andere Wahlformen wie Hochschul- oder Betriebsratswahlen konzentriert, da die Anforderungen geringer sind als bei parlamentarischen Wahlen.79 Nach Abschluss dieser Studien wurde festgestellt, dass durch diese jedenfalls das interdisziplinäre Verständnis und die Anforderungen an Internetwahlen einen deutlichen Schub bekommen hätten.80 Es bestehe auf technischer Seite aber weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Entwicklung geeigneter Wahltechniken.81 Die existierenden Produkte am Markt bzw. in der Forschung befindlichen Teillösungen könnten die Anforderungen an parlamentarische Wahlen noch nicht in befriedigender Weise erfüllen.82 Daher wird etwa empfohlen, Internetwahlen zunächst in Pilotprojekten in Anwendungsszenarien mit geringeren Anforderungen zu erproben und die gewonnen Erfahrungen sowie die Ergebnisse der fortlaufenden Forschung für eine Verbesserung zu nutzen. Mögliche Anwendungsszenarien wären z. B. Sozialwahlen, aber auch ähnlich dem Schweizer Modell eine prozentuale Beschränkung der Internetwahl, so dass mögliche Manipulationen u.U. keinen nennenswerten Einfluss auf das Wahlergebnis hätten.83 ( ) ( ) 78 Informationen der Universität Koblenz-Landau, Institut für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik, abzurufen unter: http://www.uni-koblenz-landau.de/koblenz/fb4/iwvi/aggrimm/projekte/modiwaII [Stand: 27. Februar 2014]. Zu ModIWa II existieren noch keine öffentlich zugänglichen Studienergebnisse. 79 Auskunft des Instituts für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik der Universität Koblenz-Landau, Frau Bräunlich , Wissenschaftliche Mitarbeiterin, per E-Mail vom 2. März 2013. 80 Bräunlich/Grimm/Vokamer, Schwerpunkt: Internetwahlen - Praxis von Internetwahlen, Editorial, DuD, 2014, 69. 81 Bräunlich/Grimm/Vokamer, (Fn. 80), DuD, 2014, 69. 82 Auskunft des Instituts für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik der Universität Koblenz-Landau, Frau Bräunlich , Wissenschaftliche Mitarbeiterin, per E-Mail vom 2. März 2013. 83 Auskunft des Instituts für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik der Universität Koblenz-Landau, Frau Bräunlich , Wissenschaftliche Mitarbeiterin, per E-Mail vom 2. März 2013.