© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 027/18 Rechtsbereinigung des Bundesrechts Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 2 Rechtsbereinigung des Bundesrechts des Bundesrechts Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 027/18 Abschluss der Arbeit: 7. Februar 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 3 1. Einleitung Das Bundesrecht enthält eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die formal gelten, heute aber keine praktische Wirkung mehr entfalten, oder die Verwaltungsabläufe unnötig erschweren. Die Rechtsbereinigung entlastet von diesen Vorschriften, um dem Rechtsanwender einen leichteren Zugang zum Recht zu verschaffen. Sie dient damit der Qualitätssicherung der Rechtsordnung und steht in unmittelbarer Beziehung zum Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG.1 2. Verhältnis von Rechtsbereinigung und Deregulierung Die Rechtsbereinigung ist ein Instrument der Deregulierung2, ein (wirtschafts-)politisches Programm , das auf die Reduzierung staatlicher Eingriffe in private Tätigkeit gerichtet ist.3 Denn Deregulierung bildet den Oberbegriff für jegliche Maßnahmen, welche die Regulierung privater Tätigkeit sowie der öffentlichen Verwaltung durch Rechtsnormen und Verwaltungsvorschriften reduzieren , mit dem Ziel, Verwaltungsabläufe zu beschleunigen oder zu vereinfachen und private sowie unternehmerische Eigeninitiativen zu fördern.4 Deregulierung konkretisiert sich mithin auch im Abbau ineffizienter Normen und sachlich unbegründeter ordnungsrechtlicher Vorschriften und damit in Rechtsbereinigungsmaßnahmen. Unterschieden wird zwischen formaler Rechtsbereinigung (Rechtsbereinigung im engeren Sinne) und materieller Rechtsbereinigung (Rechtsbereinigung im weiteren Sinne). Im Rahmen einer Rechtsbereinigung im engeren Sinne werden gegenstandslos gewordene Rechtsvorschriften aufgehoben, die nur befristet galten oder aus anderen Gründen für heutige Sachverhalte keine Wirkung mehr entfalten. 5 Eine Änderung der Rechtslage tritt durch diese rein formale Form der Bereinigung nicht ein.6 Methoden sind die Aufhebung überholter Rechtsvorschriften und die Neuzusammenstellung. Die am meisten angewandte Methode ist nach Auskunft des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz die Aufhebung von Vorschriften. Rechtsbereinigung im weiteren Sinne umfasst demgegenüber auch materielle Rechtsvereinfachungsmaßnahmen , wie etwa das Auflockern von Genehmigungs- oder Formerfordernissen im 1 Bundesrechnungshof, Jahresbericht 2013, 7.1 (Bereinigung des Bundesrechts zeigt Erfolge). S. 20, unter: https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte /2013/inhalt/2013-bemerkungen-gesamtbericht-pdf. 2 Binder, Bruno, Trauner, Gudrun, Lehrbuch Öffentliches Recht – Grundlagen, 4. Auflage, 2017, Rdn. 998. 3 Vgl. Brockhaus, Deregulierung, in: https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/deregulierung (aufgerufen am 5. Februar 2018). 4 Creifelds, Carl, Rechtswörterbuch, 22. Auflage, 2017, S. 296. 5 Siehe auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Aktueller Begriff „Initiative Bürokratieabbau: Rechtsbereinigung “ vom 16. März 2006 (15/06). 6 Vgl. etwa unter http://www.bmjv.de/DE/Themen/RechtssetzungBuerokratieabbau/Rechtsbereinigung/Rechtsbereinigung _node.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 4 Verwaltungsverfahren.7 Hierunter fallen die Methoden der Neukodifizierung und Revision, die auch eine materielle Änderung der Gesetzeslage zur Folge haben. 3. Rechtsbereinigungsvorhaben der Bundesregierung Eine umfassende Rechtsbereinigung des Bundesrechts wurde durch die Initiative der Bundesregierung zum Bürokratieabbau eingeleitet, die im Jahre 2003 begann. 3.1. Rechtsbereinigung im engeren Sinne – „Initiative Bürokratieabbau“ Die bis heute fortgeführten Bürokratieabbauprogramme der Bundesregierung fanden ihren Anfang in der „Initiative Bürokratieabbau“8, mit der sich die Bundesregierung seit 2003 einer systematischen Bereinigung des geltenden Bundesrechtes annahm.9 Ziel des Projektes „Initiative Bürokratieabbau “ war damals eine Rechtsbereinigung im engeren Sinne: Die Aufhebung von Rechtsvorschriften , die einen überholten Tatbestand oder ein überholtes Rechtsverhältnis voraussetzten oder vollzogen waren.10 Im Rahmen dieses umfassenden Rechtsbereinigungsprojektes wurden unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) und des Bundesministeriums des Innern in den Jahren 2006 bis 2016 dreizehn Rechtsbereinigungsgesetze verabschiedet.11 Jedes Bundesministerium war aufgerufen, alle Rechtsvorschriften in seinem Zuständigkeitsbereich auf Möglichkeiten zur Rechtsbereinigung zu überprüfen und die festgestellten Vorschriften bei Gelegenheit anstehender Rechtsetzung oder in gesonderten Rechtsbereinigungsgesetzen aufzuheben oder anzupassen.12 Das BMJ ging mit der Rechtsbereinigung im eigenen Zuständigkeitsbereich voran, vermittelte den anderen Ressorts seine dabei gewonnenen Erfahrungen und gab konzeptionelle Hilfen und technische Unterstützung.13 7 Creifelds, Carl, ebenda, S. 1068. 8 Kabinettsbeschlüsse vom 26. Februar 2003 und vom 9. Juli 2003. 9 Vgl. Bericht des Bundesministeriums der Justiz zum Stand der Rechtsbereinigung, Programm der Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom 26. März 2009, S. 2. 10 Vgl. Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 3. November 2005, Begründung, A., III. (Gegenstand der Bereinigung), S. 35 (Drucksache 16/47); Bericht des Bundesministeriums der Justiz zum Stand der Rechtsbereinigung, Programm der Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom 26. März 2009, S. 2. 11 Eine Übersicht der ergangenen Rechtsbereinigungsgesetze findet sich unter: http://www.bmjv.de/DE/Themen /RechtssetzungBuerokratieabbau/Rechtsbereinigung/Rechtsbereinigung_node.html. 12 Vgl. Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 3. November 2005, B. (Lösung), S. 1 (Drucksache 16/47). 13 Vgl. Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 3. November 2005, Begründung, A., I.1 (Anlass), S. 33 (Drucksache 16/47). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 5 Drei ressortübergreifende Gesetze widmeten sich im Kern der Bereinigung des Besatzungsrechts sowie des vereinigungsbedingten Überleitungsrechts auf Bundesebene.14 Allein bis 2009 wurden 1040 Gesetze, Rechtsverordnungen und Rechtsvorschriften sowie im großen Umfang vereinigungsbedingtes Übergangsrecht gestrichen.15 Die übrigen Gesetze hatten im Schwerpunkt die Bereinigung von entbehrlich gewordenen Vorschriften in den Rechtsgebieten Arbeit und Soziales, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Gegenstand. Diese Rechtsbereinigungsinitiative hat mit dem Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8. Juli 201616 seinen Abschluss gefunden. Aus Sicht der Bundesregierung wurde das Bundesrecht hierdurch signifikant von überholten Rechtsvorschriften entlastet. Die Bundesregierung betont in ihren jährlichen Berichten zum Bürokratieabbau zugleich, dass das Ziel der Rechtsbereinigung dennoch nicht obsolet geworden sei, sondern eine stetig weiterzuführende Aufgabe bleibe.17 Den Fachressorts obliege es weiterhin, in den Rechtsgebieten, die in ihre Zuständigkeit fallen, kontinuierlich Rechtsbereinigungsbedarfe zu identifizieren und bei Gelegenheit eines anstehenden Rechtsetzungsvorhabens eine Bereinigung vorzunehmen. Ein aktuelles ressortübergreifendes Rechtsbereinigungsvorhaben gibt es aktuell nicht. 3.2. Rechtsbereinigung im weiteren Sinne - „Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung“ Eine Rechtsbereinigung im weiteren Sinne und damit eine umfassende, auch materielle Bereinigung des Bundesrechts findet seit 2006 im Rahmen des Regierungsprogramms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ statt.18 Erklärtes (Deregulierungs-)Ziel des Programms ist die Schaffung eines größeren Freiraums für die Wirtschaft und eine höhere Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger für staatliches Handeln.19 Das Ziel des Programms war zunächst auf die Senkung von Bürokratiekosten konzentriert. Das aktuelle Arbeitsprogramm „Bessere Rechtsetzung 2016“ formuliert das Ziel weiter: Recht einfach, verständlich und zielgenau ausgestalten sowie Belastungen , die durch rechtliche Regelungen entstehen, spürbar reduzieren.20 14 Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht, B. (Lösung), Drucksache 18/7989; Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Begründung, A:, II.1.1 (Schwerpunktsetzung), S. 21 (Drucksache 16/5051). 15 Bericht des Bundesministeriums der Justiz zum Stand der Rechtsbereinigung, Programm der Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom 26. März 2009, S. 2. 16 BGBl. I S. 1594. 17 Bericht des Bundesministeriums der Justiz zum Stand der Rechtsbereinigung, Programm der Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom 26. März 2009, S. 3; Bundesrechnungshof, Jahresbericht 2013, 7.0 (Bereinigung des Bundesrechts zeigt Erfolge), S.20 unter https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen /bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2013/inhalt/2013-bemerkungen-gesamtbericht-pdf. 18 Kabinettsbeschluss vom 25. April 2006, Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“, das auch die Rechtsbereinigung im engeren Sinne umfasst, S. 4, 5. Spiegelstrich. 19 Kabinettsbeschluss vom 25. April 2006, Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“, S. 1. 20 Kabinettsbeschluss vom 22. Juni 2016, Arbeitsprogramm „Bessere Rechtssetzung 2016“, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 6 Die Geschäftsstelle „Bürokratieabbau“ im Bundeskanzleramt koordiniert die Umsetzung des Programms und überwacht die Umsetzung der Abbauziele. Die Ministerien sind innerhalb ihrer fachlichen Zuständigkeit aufgerufen, kontinuierlich Vereinfachungspotentiale zu identifizieren, und konkrete Abbauziele zu benennen. In einem „Staatssekretärsausschuss Bürokratieabbau“ kommen die zuständigen beamteten Staatssekretäre der Ressorts unter Vorsitz des Staatsministers für „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ zur Abstimmung und Umsetzung der Maßnahmen zusammen. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Rahmen dieses Programms bereits 400 Gesetze und Verordnungen vereinfacht.21 Insgesamt 80 Maßnahmen des Arbeitsprogramms umfassen aktuelle Projekte in den Bereichen Digitalisierung der Verwaltung (z.B. E-Government-Gesetz), Entlastungen für Unternehmen (z.B. Mittelstandsentlastungsgesetz)22, Vereinfachungen im Bereich sozial- und familienpolitischer Leistungen, wie Elterngeld, Wohngeld und Einkommensteuererklärung .23 4. Mitwirkung des Normenkontrollrates Der Normenkontrollrat (NKR) wurde im Rahmen des Programms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ durch das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) vom 14. August 200624 als unabhängiges Kontroll- und Beratungsgremium („Bürokratie-TÜV“)25 geschaffen. Der aus acht Mitgliedern bestehende Normenkontrollrat hat die gesetzliche Aufgabe, die Bundesregierung bei der Reduzierung von Bürokratiekosten zu unterstützen (§ 1 Abs. 2 NKRG). Er ist nach § 45 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) frühzeitig in die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage einzubeziehen, um neue Gesetze auf damit verbundene Bürokratiekosten hin zu überprüfen und mit einem „Preisschild“26 zu versehen. Er verfasst eine nicht öffentliche Stellungnahme, die dem federführenden Bundesminister vorzulegen ist (§ 6 Abs. 1, Satz 1 NKRG). Das Ministerium prüft darauf hin, ob es seinerseits eine Stellungnahme 21 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/Buerokratieabbau/2016/Programm-Ueberblick .html?nn=392426. 22 Vgl. Bürokratieabbau-Bericht der Bundesregierung 2007 „Bürokratiekosten: Erkennen – Messen – Abbauen“, D.3.14 (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), S. 34. 23 Im Einzelnen zu konkreten Vorhaben Kabinettsbeschluss vom 22. Juni 2016, Arbeitsprogramm Bessere Rechtssetzung 2016, S. 1 ff., und Bericht der Bundesregierung 2016 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Normenkontrollrates von Mai 2017, „Bessere Rechtsetzung 2016: Mehr Zeit für das Wesentliche“ sowie insbesondere die Übersicht über den konkreten Umsetzungsstand der Vorhaben von Oktober 2017: https://www.bundesregierung .de/Content/DE/Artikel/Buerokratieabbau/Anlagen/2017-10-04-projektliste%202.pdf?__blob=publication File&v=6. 24 BGBl. I S. 1866, das durch Art. 1 des Gesetzes vom 16. März 2011 (BGBl. I S. 420) geändert worden ist. 25 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/Buerokratieabbau/2016/Programm-Ueberblick .html?nn=392426. 26 https://www.normenkontrollrat.bund.de/Webs/NKR/DE/UeberUns/Gesamtkonzept/_node.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/18 Seite 7 dazu abgibt (§ 45 Abs. 2 GGO). Die Stellungnahme des NKR wird der Gesetzesvorlage an den Bundestag beigefügt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 NKRG; § 42 Abs. 1 Satz 2 GGO). Über diese ex-ante Prüfung gesetzlicher Bürokratiefolgekosten hinaus sind dem NKR in den letzten Jahren im Rahmen von Projekten zum Bürokratieabbau weitere Aufgaben erwachsen, wie beispielsweise im Rahmen des Projekts „Einfacher zu…“, das auf eine Vereinfachung des Vollzugs von Bundesgesetzen durch ebenenübergreifende Kooperation abzielt.27 27 Eine Übersicht bietet der Jahresbericht des NKR, „Bürokratieabbau. Bessere Rechtsetzung. Digitalisierung“, unter : https://www.normenkontrollrat.bund.de/Webs/NKR/Content/DE/Publikationen/Jahresberichte/2017-07-12- nkr-jahresbericht-2017.pdf?__blob=publicationFile&v=5.