© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 027/16 Fragen zur Neueinteilung von Bundestagswahlkreisen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 2 Fragen zur Neueinteilung von Bundestagswahlkreisen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 027/16 Abschluss der Arbeit: 4. Februar 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 3 1. Einleitung Aus dem Bericht der Wahlkreiskommission (WKK) für die 18. Wahlperiode des Bundestages aus 2015 ging hervor, dass nach dem Stand der deutschen Bevölkerung vom 31. Dezember 2013 bei einer Verteilung der 299 Wahlkreise auf die 16 Länder Hessen einen Wahlkreis verlieren, während Bayern einen weiteren Wahlkreis erhalten würde.1 Weiter führte die WKK aus, dass sich jedoch bei Betrachtung der Entwicklung in der Zeit von Ende 2011 bis 2013 auf Basis der neuen Zensuszahlen abzeichne, dass in absehbarer Zeit nicht Hessen, sondern Thüringen einen Wahlkreise werde abgeben müssen. Die WKK sei jedoch mehrheitlich der Auffassung, dass ihre Vorschläge auf Grundlage der derzeit aktuellen Zahlensituation zu erstellen seien. Im Oktober 2015 ersuchte das Bundesministerium des Innern (BMI) die WKK um einen ergänzenden Bericht zur Wahlkreiseinteilung in den Ländern Thüringen und Hessen, dem die letzten verfügbaren amtlichen Zahlen zur Bevölkerungsverteilung innerhalb dieser Länder zugrunde gelegt werden sollten.2 Nach den Bevölkerungszahlen zum Stand 31. Dezember 2014 sei der sich nach dem Bericht der WKK abzeichnende Verlust eines Wahlkreises in Thüringen statt in Hessen zwar nach der vorzunehmenden Berechnung noch nicht eingetreten, jedoch sei nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes vom 30. September 2015 damit zu rechnen, dass sich eine derart veränderte Verteilung der Wahlkreise auf die Länder aufgrund der amtlichen Bevölkerungszahlen zum Stand 31. Juli 2015 ergebe, die aber erst im Februar 2016 vorliegen würden. Im Januar 2016 hat die WKK den entsprechenden ergänzenden Bericht zur Wahlkreiseinteilung vorgelegt.3 Hierin schreibt die Kommission, dass inzwischen auf der Grundlage der amtlichen Bevölkerungszahlen zum 31. Dezember 2014 Bevölkerungsvorausberechnungen bis zum 31. August 2015 vorliegen würden, nach denen sich die Annahme verfestige, dass voraussichtlich mit Bevölkerungszahlen zum 31. Juli 2015 der Wahlkreisverlust für Thüringen eintreten dürfte.4 Für diesen Fall enthält der Kommissionsbericht Vorschläge zur Neueinteilung der Wahlkreise in Thüringen. Die Kommission weist jedoch darauf hin, dass amtliche Zahlen zur deutschen Bevölkerung mit dem Stand 31. Juli 2015 voraussichtlich erst Ende Februar 2016 vorliegen würden. Vor diesem Hintergrund bittet der Fragensteller um eine Auskunft dazu, ob eine mögliche Wahlkreisneueinteilung nur auf Basis des vorliegenden statistischen Materials erfolgen kann oder ob eine prognostische Annahme einer zukünftigen Bevölkerungsentwicklung für die Wahlkreiseinteilung maßgeblich ist. Ferner soll auf die Anforderungen, die an einen Gesetzentwurf für eine Neueinteilung der Bundestagswahlkreise zu stellen sind, und die Zuständigkeit des Bundestages für eine solche Neueinteilung eingegangen werden. Schließlich wird nach den Zuständigkeiten für etwaige Klagen gegen eine Neueinteilung gefragt. 1 BT-Drucks. 18/3980, S. 8. 2 BT-Drucks. 18/7350, S. 3. 3 BT-Drucks. 18/7350. 4 BT-Drucks. 18/7350, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 4 2. Grundsätze der Wahlkreiseinteilung Gemäß § 2 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG) ergibt sich die Wahlkreiseinteilung zur Bundestagswahl aus der Anlage zum BWahlG. Diese ist dabei Bestandteil des Gesetzes, so dass die Änderungen der Wahlkreiseinteilung abgesehen von den Fällen des § 3 Abs. 5 BWahlG eines Bundesgesetzes bedürfen.5 Der Gesetzgeber verfügt in diesem Zusammenhang über einen gewissen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum,6 ist bei der Wahlkreiseinteilung jedoch an den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit gebunden.7 Den Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber selbst in § 3 Abs. 1 BWahlG in grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässiger Weise konkretisiert.8 Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BWahlG sind bei der Wahlkreiseinteilung für die Bundestagswahl die Landesgrenzen zwingend zu beachten.9 Die Zahl der Wahlkreise in den Ländern muss deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG). Grundlage der Ermittlung des Bevölkerungsanteils ist in diesem Zusammenhang die Bevölkerungszahl.10 Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15 vom Hundert nach oben oder unten abweichen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BWahlG). Bei der Ermittlung der Bevölkerungszahlen bleiben gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 BWahlG Ausländer unberücksichtigt. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist überdies der Anteil der (nicht wahlberechtigten und damit gegebenenfalls proporzverzerrend wirkenden) Minderjährigen in den Bundesländern bei der Wahlkreiseinteilung zu berücksichtigen .11 3. Berichte der WKK Ein der gesetzlichen Wahlkreiseinteilung vorgelagerter Vorgang ist der nach § 3 Abs. 3 BWahlG zu erstellende Bericht der WKK, der dem BMI gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 BWahlG innerhalb von 15 Monaten nach Beginn der Wahlperiode des Bundestages zu erstatten ist. In diesem hat die WKK insbesondere über Änderungen der Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet zu berichten und darzulegen , ob und welche Änderungen der Wahlkreiseinteilung sie im Hinblick darauf für erforderlich hält (§ 3 Abs. 3 Satz 1 BWahlG). Die Vorschläge der WKK haben allerdings keine bindende Wirkung und können zwar vom Bundestag übernommen werden, müssen es aber nicht.12 Vielmehr dient der Bericht vor allem als Grundlage für die parlamentarischen Beratungen zur Wahlkreis- 5 Hahlen, Johann, in: Schreiber, Wolfgang (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 1, 10. 6 BVerfGE 95, 335 (364); 130, 212 (228); BVerfG, NVwZ 2002, 71 (72); siehe Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 3, 10. 7 BVerfGE 130, 212 (228); BVerfG, NVwZ 2002, 71 (72); Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 2 ff. 8 BVerfG, NVwZ 2002, 71 (72); Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 10, vgl. Rn. 3, siehe aber auch die Ausführungen in Rn. 14. 9 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 15. 10 Vgl. Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 16. 11 BVerfGE 130, 212 (230 ff., insbes. 236 f.). 12 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 5 einteilung und mögliche Gesetzesinitiativen.13 Die WKK wird insoweit nur als „unabhängiges Hilfsorgan der Exekutive“14 tätig. Des Öfteren wurden bei der Wahlkreisneueinteilung in der Vergangenheit daher Empfehlungen und Vorschläge nicht übernommen oder abgeändert.15 Schon wegen der normierten Frist für den Bericht basiert er auf Daten, die zum Zeitpunkt der eigentlichen Wahl nicht aktuell sind. Zusätzlich zu diesem Bericht hat die WKK gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 BWahlG auf Ersuchen des BMI einen ergänzenden Bericht zu erstatten. 4. Wahlkreiseinteilung auf Basis der Bevölkerungszahl Die gesetzliche Regelung des § 3 BWahlG sieht zwar eine Wahlkreiseinteilung unter anderem auf Basis des Bevölkerungsanteils der Länder und der Bevölkerungszahl – ohne Ausländer – vor, bestimmt aber nicht, wie die Bevölkerungszahl genau zu ermitteln ist.16 Insbesondere finden sich keine ausdrücklichen Vorgaben darüber, ob Prognosen über voraussichtliche Bevölkerungsentwicklungen Berücksichtigung finden dürfen. In der juristischen Literatur wird im Rahmen der Kommentierung zu § 3 BWahlG ausgeführt, dass für die Ermittlung der Bevölkerungszahlen auf die „für jedes Jahr statistisch ermittelte […] Zahl der im Wahlgebiet wohnenden deutschen Staatsbürger“ abzustellen sei.17 Auch wird darauf hingewiesen, dass wegen der 15-monatigen Frist zur Erstattung des Berichts der WKK danach für eine Gesetzesinitiative „auf der Grundlage aktueller Zahlen“ noch „hinreichend Zeit“ verbleibe.18 Das zeigt, dass insoweit von der Zulässigkeit der Verwertung aktuellerer Zahlen als derjenigen, die dem Bericht der WKK zugrunde gelegt wurden, ausgegangen wird. Allgemein zur Aktualität der Bemessungsgrundlage wird festgehalten, dass „[e]ine möglichst proportionale Verteilung der Wahlkreise auf die Länder aufgrund der Bevölkerungsanteile […] bei relevanter Änderung der Bevölkerungszahlen regelmäßig der Verfassung näher [sei] als die Beibehaltung des Status quo.“19 In der weiteren Literatur finden sich zu diesen Fragestellungen keine ergiebigen Ausführungen.20 13 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 35; Seifert, Karl-Heinz, Bundeswahlrecht, Kommentar, 3. Aufl. 1976, § 3 BWG Rn. 1. 14 Seifert (Fn. 13), § 3 BWG Rn. 1; siehe auch Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 35. 15 Siehe nur die kurze Darstellung in Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 43. 16 Auch die Bundeswahlordnung enthält diesbezüglich keine Bestimmung. 17 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 32. 18 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 40. 19 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 19. 20 Überprüft wurden neben der zitierten Literatur insbesondere Brauner, Herbert, Wahlkreiseinteilung und Wahlrechtsgleichheit , 1970; Masing, Johannes, Wahlkreiseinteilung und kommunale Gebietsgrenzen, 2001; Schild, Hans-Hermann, Die Größe der Wahlkreise unter dem Grundsatz der gleichen Wahl, NVwZ 1983, 597 ff.; Schreiber , Wolfgang, Die Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag – verfassungswidrig ? ZRP 1997, 105 ff.; Schreiber, Wolfgang: Novellierungen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag – Das 15. und 16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. 4. 2001, NVwZ 2002, 1 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 6 Aus den Gesetzesmaterialien zum BWahlG ergeben sich keine Hinweise zur Bestimmung der Bevölkerungszahl und der Möglichkeit der Berücksichtigung von entsprechenden prognostischen Einschätzungen. Eine der aktuellen Vorschrift ähnliche Norm wurde bereits mit dem BWahlG vom 7. Mai 1956 eingeführt.21 Im Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahren sind jedoch keine entsprechenden Erwägungen zu finden. In seiner Entscheidung zu Minderjährigenanteilen in Wahlkreisen betont das BVerfG, dass dem Gesetzgeber bei der Einteilung eines Wahlgebietes in gleich große Wahlkreise ein gewisser Gestaltungs - und Beurteilungsspielraum zustehe.22 Der Gesetzgeber besitze bei der Einschätzung der die Grundlage der Gestaltungsentscheidungen bildenden tatsächlichen Gegebenheiten einen Spielraum bereits deshalb, weil sich der Grundsatz der Wahlgleichheit bei der Wahlkreiseinteilung nur näherungsweise verwirklichen lasse. Auch weist das Gericht darauf hin, dass die Bevölkerungsverteilung einem steten Wandel unterworfen sei.23 Eine aus Gründen der Wahlorganisation erforderliche Stichtagsregelung nehme daher den unvermeidlichen Umstand in Kauf, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse bis zum Wahltag wieder verändern würden. Der Gesetzgeber sei auch nicht gehalten, bei seiner Gestaltungsentscheidung tatsächliche Gegebenheiten bereits dann zu berücksichtigen, wenn diese ihrer Natur oder ihrem Umfang nach nur unerheblich oder von vorübergehender Dauer seien. Der Gesetzgeber dürfe vielmehr darauf abstellen, ob sich eine beobachtete Entwicklung in der Tendenz verfestige.24 Auch wenn das BVerfG die dargestellten Ausführungen im Zusammenhang mit der Frage der Berücksichtigung der Zahl der minderjährigen Deutschen bei der Wahlkreiseinteilung und nicht ausdrücklich in Hinblick auf die Möglichkeit der Berücksichtigung prognostischer Einschätzungen der Bevölkerungszahlen gemacht hat, legen diese nahe, dass der Gesetzgeber bei der Wahlkreiseinteilung auch in Bezug auf die Bevölkerungszahlen nicht nur tatsächlich feststehende Zahlen verwenden darf, sondern auch entsprechende Tendenzen berücksichtigen darf, die auf Prognosen beruhen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass aufgrund des zeitlichen Vorlaufs der Wahlkreiseinteilung vor der Bundestagswahl und der ständigen Änderungen der regionalen Bevölkerungsgrößen auch bei Zugrundelegung von feststehendem statistischen Material sich die Abstimmung der Wahlkreisgröße auf die durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten nur unvollkommen verwirklichen lässt.25 Der aus Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) folgende Grundsatz der Wahlgleichheit kann bei der Wahlkreisabgrenzung ohnehin nicht mit mathematischer Exaktheit, sondern immer nur annähernd verwirklicht werden. Entscheidend dürfte damit die (letztlich mathematische) Frage sein, ob davon ausgegangen werden kann, dass die Zugrundelegung von prognostischen Einschätzungen statt bereits vorliegendem statistischen Material zu 21 BGBl. I vom 9. Mai 1956, S. 383. 22 BVerfGE 130, 212 (228), dort zum Folgenden. 23 Vgl. auch BVerfGE 16, 130 (141). 24 Vgl. auch BVerfGE 16, 130 (141 f.). 25 Vgl. Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 7 realistischeren Berechnungen der Bevölkerungszahl zum Zeitpunkt der Bundestagswahl führt. Zu betonen ist jedoch der dem Gesetzgeber insoweit zustehende Beurteilungsspielraum. 5. Anforderungen an einen Gesetzentwurf für die Neueinteilung von Bundestagswahlkreisen 5.1. Allgemeine Regelungen über das Gesetzgebungsverfahren Das Bundesgesetz, mittels dessen Bundestagswahlkreise festgelegt werden, unterliegt den allgemeinen Regelungen über das Gesetzgebungsverfahren, wie sie sich aus Art. 76 ff. GG und §§ 75 ff. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) ergeben. Nach Art. 76 Abs. 1 GG werden Gesetzesvorlagen beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.26 Handelt es sich um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, ist dieser grundsätzlich vor Einbringung in den Bundestag nach Art. 76 Abs. 2 GG zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bundesrat kann grundsätzlich innerhalb von sechs Wochen zu der Regierungsvorlage Stellung nehmen . Auf besonderes Verlangen des Bundesrats beträgt die Frist neun Wochen, etwa wenn die Regierungsvorlage besonders umfangreich ist. Die Bundesregierung kann eine Vorlage, die sie bei der Zuleitung an den Bundesrat ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, nach drei Wochen oder, wenn der Bundesrat ein Verlangen nach einer Fristverlängerung geäußert hat, nach sechs Wochen dem Bundestag zuleiten, auch wenn die Stellungnahme des Bundesrates noch nicht bei ihr eingegangen ist. In diesem Fall hat die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates unverzüglich nach Eingang dem Bundestag nachzureichen. Gesetzentwürfe des Bundesrats müssen zunächst der Bundesregierung zugeleitet werden. Nach Art. 76 Abs. 3 GG ist die Bundesregierung verpflichtet, die Initiative des Bundesrats innerhalb von sechs Wochen unter Darlegung der Regierungsauffassung an den Bundestag weiterzuleiten. Die Bundesregierung kann aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang einer Vorlage, eine Verlängerung der Frist auf neun Wochen verlangen. Wenn der Bundesrat eine Vorlage ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, beträgt die Frist drei Wochen oder, wenn die Bundesregierung ein Verlangen nach einer Fristverlängerung geäußert hat, sechs Wochen. Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages können unmittelbar beim Bundestag eingebracht werden. Gemäß § 76 GOBT müssen diese Vorlagen von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet sein. Die Gesetzesinitiative erfolgt durch Einbringung eines ausformulierten Gesetzentwurfs.27 Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Begründung von Gesetzen besteht nicht, jedoch ergeben sich 26 Sofern es sich um eine Vorlage der Bundesregierung handelt, finden zudem die Regelungen in §§ 40 ff. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Anwendung. 27 Pieper, Stefan, in: Morlok, Martin/Schliesky, Utz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 40 Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 8 Begründungspflichten für Gesetzesvorlagen aus den Geschäftsordnungen von Bundestag und den Bundesministerien.28 Gemäß § 78 Abs. 1 GOBT werden Gesetzentwürfe im Bundestag in drei Beratungen behandelt. Soweit die Geschäftsordnung nichts anderes vorschreibt oder zulässt, beginnen die Beratungen der Vorlagen frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksachen, § 78 Abs. 5 GOBT. 5.2. Verhältnis zur Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle auch auf die Regelung in § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG hinzuweisen, nach der im Rahmen der Aufstellung von Parteibewerbern Wahlen für Vertreterversammlungen frühestens 29 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Bundestages stattfinden dürfen. Das Land Thüringen hat im Rahmen seiner Stellungnahme zu den Vorschlägen der WKK zur Abgrenzung der Wahlkreise in den Ländern Thüringen und Hessen vorgetragen , dass seiner Auffassung nach das Gesetzgebungsverfahren zur Neueinteilung der Wahlkreise zum frühestmöglichen Termin zur Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen (d.h. dem 23. März 2016) bereits abgeschlossen sein sollte.29 Hierzu führt die Landesregierung von Thüringen aus: „Von Verfassungswegen sei es aus Gründen der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlkreisbewerber sowie aus allgemeinen Gründen der Rechtssicherheit notwendig, dass zum Zeitpunkt des frühestmöglichen gesetzlich festgelegten Beginns der Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen die Einteilung und Größe der Wahlkreise vom Deutschen Bundestag festgelegt seien. Würde die Wahlkreiseinteilung erst nach diesem Zeitpunkt wirksam, läge darin ein Eingriff des Gesetzgebers in die laufende innerparteiliche, demokratische Willensbildung .“30 Eine ähnliche Argumentation ist in der juristischen Literatur im Zusammenhang mit der Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 BWahlG zu finden, die eine automatische Berücksichtigung neuer Ländergrenzen nur bis zum Ablauf des 32. Monats nach Beginn der Wahlperiode vorsieht. Diesbezüglich wird ausgeführt, dass die Regelung „im Hinblick darauf, dass Wahlkreisgrenzen vor der Aufstellung der Wahlbewerber feststehen müssen und an Mitgliederversammlungen nur im Wahlkreis wahlberechtigte Mitglieder der Partei teilnehmen können […] sinnvoll [sei].“31 Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Wahlkreiseinteilung bis zu diesem Zeitpunkt von 32 Monaten nach Beginn der Wahlperiode wird dabei jedoch nicht festgestellt. So heißt es an späterer Stelle 28 Kersten, Jens, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 61. EL 2011, Art. 76 Rn. 22. 29 BT-Drucks. 18/7350, S. 7. 30 BT-Drucks. 18/7350, S. 7. 31 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 9 auch nur, dass eine Wahlkreisbewerberaufstellung „kaum rechtens erfolgen“ könne, bevor die endgültige Wahlkreiseinteilung nicht festliege.32 Kein verfassungsrechtliches Problem sieht dahinter – zumindest bei einem zeitnahen Erlass nach der Frist zu Wahlen für die Vertreterversammlungen – wohl Schreiber, der in Bezug auf die Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum 14. Bundestag auf genau eine solche Konstellation eingeht,33 bei der die Wahlkreisneueinteilung erst mehr als einen Monat nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt zur Wahl von Vertreterversammlungen erfolgte. Auch er weist insofern nur darauf hin, dass dies zu einer Zurückweisung der auf Grundlage der alten Wahlkreiseinteilung gemachten Wahlvorschläge führen könne, ohne auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Wahlkreisneueinteilung einzugehen.34 Eine ähnliche Konstellation beschreibt er noch einmal in Bezug auf das 16. Gesetz zur Änderung des BWahlG.35 6. Beteiligte bei der Einteilung der Bundestagswahlkreise Die Einteilung der Bundestagswahlkreise erfolgt durch Bundesgesetz (siehe § 2 Abs. 2 BWahlG i.V.m. der Anlage zum BWahlG) und fällt damit in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, also in die von Bundestag und Bunderat.36 Aufgrund der Bedeutung der Wahlkreiseinteilung muss der Bundesgesetzgeber diese zwingend durch Gesetz selbst vornehmen und darf sie nicht der Bundesregierung oder einem Bundesminister überlassen.37 Die (endgültige) Entscheidung über die Einteilung der Wahlkreise ist daher von ihm vorzunehmen. Eine – gesetzlich verankerte – automatische Änderung der Wahlkreise ist nur in § 3 Abs. 5 BWahlG für den Fall der Änderung von Landesgrenzen vorgesehen. Ein Gesetzentwurf für die Neueinteilung der Bundestagswahlkreise kann – wie bereits oben dargestellt – nicht nur aus der Mitte des Bundestages, sondern auch vom Bundesrat oder der Bundesregierung vorgelegt und eingebracht werden.38 Laut der Darstellung in der Literatur sei es bis zur Bundestagswahl 2002 gängige Praxis gewesen, dass der Bundestag nach Kenntnisnahme und 32 Hahlen (Fn. 5), § 21 Rn. 31. 33 Schreiber (Fn. 20), ZRP 1997, 105 (105 f.). 34 Schreiber (Fn. 20), ZRP 1997, 105 (106). 35 Schreiber (Fn. 20), NVwZ 2002, 1 (2). Dort führt er vor aus: „Es [das 16. Gesetz zur Änderung des BWahlG] ist am 5. 5. 2001 in Kraft getreten. Im Hinblick auf die noch für die nächste Bundestagswahl geltende 23-Monatefrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 BWahlG für die Wahlen der Vertreterversammlungen […], die eine gesetzliche Festlegung der Wahlkreisgrenzen für die anstehende Wahl zur rechtmäßigen Aufstellung der Wahlkreisbewerber voraussetzt, ist die Neuregelung zu spät erfolgt; rechtlich dürfte dies jedoch ohne Belang sein, zumal der Bundeswahlleiter die politischen Parteien mit Schreiben vom 25. 9. 2000 auf die Rechtslage hingewiesen hat. Die Wahlen zur Aufstellung der Wahlkreisbewerber für die Wahl zum 15. Bundestag dürfen ab dem 27. 6. 2001 stattfinden.“ 36 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 1, 10. 37 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 1, 10. 38 Vgl. auch Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 10 Diskussion des WKK-Berichts im Innenausschuss einen Grundsatzbeschluss zur Wahlkreiseinteilung gefasst und die Bundesregierung um die Vorlage eines diese Entscheidung konkretisierenden Gesetzentwurfs ersucht habe.39 Die Bundesregierung habe sich dabei grundsätzlich an den entsprechenden Grundsatzbeschluss gehalten. Der Gesetzentwurf selbst sei dann jedoch zumeist von den Regierungsfraktionen, also aus der Mitte des Bundestages eingebracht worden. Daneben ist als Beteiligte am Verfahren der Wahlkreisneueinteilung auf Bundesebene insbesondere die WKK zu nennen, deren Berichte als Grundlage für die parlamentarische Diskussion dienen .40 Von besonderer Bedeutung sind auch die Vorarbeiten und Entwürfe zur Wahlkreiseinteilung durch das BMI als zuständigem Ressort für die Bundestagswahlen sowie die Unterlagen des Statistischen Bundesamtes.41 Schließlich ist zu erwähnen, dass nach Art. 2 des 20. Gesetzes zur Änderung des BWahlG42 das BMI dazu ermächtigt ist, in der Anlage zu § 2 Abs. 2 BWahlG die Abgrenzung von Wahlkreisen aufgrund kommunaler Gebiets- oder Namensänderungen neu zu beschreiben und im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Nach dieser Norm darf das BMI jedoch die Abgrenzung der Wahlkreise nur neu beschreiben und keine Veränderungen an den Abgrenzungen vornehmen.43 7. Zuständigkeit für Klagen gegen die Einteilung der Bundestagswahlkreise Nach der Darstellung in der Literatur kommen gegen eine Wahlkreiseinteilung grundsätzlich insgesamt vier Rechtsbehelfe in Betracht, nämlich die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), das Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 BVerfGG, die Gesetzesverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG und die Wahlprüfungsbeschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 3, 48 BVerfGG.44 Die Rechtsbehelfe der abstrakten Normenkontrolle, des Organstreitverfahrens und der Gesetzesverfassungsbeschwerde können dabei unabhängig von einer konkret durchgeführten Wahl eingelegt werden und sind unmittelbar vor dem BVerfG zu erheben. Ein Ausschluss dieser Rechtsbehelfe im vorliegenden Fall durch die Regelung des § 49 BWahlG, nach der Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den im BWahlG und der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können, wird von der Literatur nicht erörtert. Es ist davon auszugehen, dass 39 Dazu und zum Folgenden Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 40. 40 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 35. 41 Siehe Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 40. 42 BGBl. I v. 12. April 2012, S. 518. 43 Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 1. 44 Dazu und zum Folgenden Hahlen (Fn. 5), § 3 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 027/16 Seite 11 die Wahlkreiseinteilung nicht als Entscheidung oder Maßnahme mit unmittelbarem Bezug zur Vorbereitung und Durchführung des Wahlverfahrens angesehen wird.45 Möglich ist darüber hinaus das Vorgehen gegen die Wahlkreiseinteilung im Rahmen der Wahlprüfung nach Art. 41 GG im Nachgang zu einer durchgeführten Wahl. Das Verfahren der Wahlprüfung ist zweiaktig ausgestaltet:46 Zuerst ist die Einlegung eines Einspruchs nach Art. 41 Abs. 1 GG gegen die Gültigkeit einer Wahl oder wegen einer Verletzung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG unter den weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des Wahlprüfungsgesetzes (WahlPrG) vorgesehen. Über diesen entscheidet der Bundestag (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG), bei dem der Einspruch gegen die Wahl auch einzureichen ist (§ 2 Abs. 3 WahlPrG). Einspruchsberechtigt sind gemäß § 2 Abs. 2 WahlPrG jeder Wahlberechtigte , jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Präsident des Bundestages. Vorbereitet wird die Entscheidung des Bundestages durch den Wahlprüfungsausschuss (§ 3 Abs. 1 WahlPrG, siehe dazu auch insbesondere §§ 9 ff. WahlPrG). Gegen die Entscheidung des Bundestages kann wiederum die Wahlprüfungsbeschwerde vor dem BVerfG nach Art. 41 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 3, 48 BVerfGG erhoben werden , deren Streitgegenstand die Sachentscheidung des Bundestages ist.47 Inhalt des Wahlprüfungsverfahrens vor dem Bundestag war dabei (bisher) immer nur die Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung des Bundestagswahlrechts.48 Stets vom Bundestag als materieller Prüfungspunkt abgelehnt wurde demgegenüber die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des BWahlG selbst.49 Diese wird jedoch gegebenenfalls vom BVerfG im Rahmen der Wahlprüfungsbeschwerde geprüft.50 In diesem Zusammenhang kann auch die gesetzlich erfolgte Wahlkreiseinteilung – vor allem aus Gründen der Wahlrechtsgleichheit – auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin untersucht werden.51 Ende der Bearbeitung 45 Vgl. Klein, Hans Hugo, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung : 68. EL 2013, Art. 41 Rn. 54 f.; vgl. Hahlen (Fn. 5), § 49 Rn. 1. 46 Klein (Fn. 45), Art. 41 Rn. 8; vgl. Schmidt-Bleibtreu, Bruno, in: Maunz, Theodor/Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Bethge, Herbert (Begr./Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 25. EL 2006, § 48 Rn. 1. 47 Schmidt-Bleibtreu (Fn. 46), § 48 Rn. 39a. 48 Schmidt-Bleibtreu (Fn. 46), § 48 Rn. 18. 49 Siehe nur die Ausführungen in BVerfGE 16, 130 (135); 89, 291 (300). 50 BVerfGE 16, 130 (135 f.); 130, 212 (224 f.) 51 Siehe bspw. BVerfGE 130, 212 ff.