Deutscher Bundestag Auskunftspflicht zur Wirtschaftlichkeitsberechnung für „Stuttgart 21“ Reichweite des parlamentarischen Fragerechts bei privatisierten öffentlichen Unternehmen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 027/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 2 Auskunftspflicht zur Wirtschaftlichkeitsberechnung für „Stuttgart 21“ Reichweite des parlamentarischen Fragerechts bei privatisierten öffentlichen Unternehmen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 027/11 Abschluss der Arbeit: 2. März 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Hintergrund und Fragestellung 5 3. Grundsätzliches zur Reichweite des Parlamentarischen Fragerechts 6 3.1. Verantwortungsbereich der Regierung 6 3.2. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand 6 4. Reichweite des Fragerechts bei (teil-)privatisierten Unternehmen 7 5. Verantwortung für „Stuttgart 21“ 9 5.1. Vorhaben des Bedarfsplans? 9 5.2. Finanzierungsverantwortung des Bundes 11 6. Ergebnis 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 4 1. Zusammenfassung Das parlamentarische Fragerecht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Umstände, die in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen. Hierzu zählt auch die wirtschaftliche Betätigung des Bundes, da diese das Budgetrecht des Parlaments betreffen kann. Hinsichtlich der Reichweite des Fragerechts kommt es jedoch auf die konkrete Ausgestaltung der Unternehmensbeteiligung an. Im Falle einer rein finanziellen Beteiligung des Bundes reicht das Fragerecht weniger weit als im Falle einer strategischen Beherrschung eines Unternehmens durch die Bundesregierung . Eine Sonderrolle kommt den privatisierten Eisenbahnen des Bundes und den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost zu. Sie verfügen nach dem Grundgesetz (GG) über einen umfassenden Autonomiebereich unternehmerischen Handelns, auf den der Staat keinen Einfluss nehmen darf. Demgegenüber weist das GG dem Staat für die Bereiche Bahn, Post und Telekommunikation eine näher umschriebene Gewährleistungsverantwortung zu. Aus der Zuweisung verschiedener Verantwortungsbereiche folgt, dass das parlamentarische Fragerecht sich nicht auf die unternehmerischen Entscheidungen der (teil-)privatisierten Unternehmen erstreckt. Das Projekt „Stuttgart 21“ ist kein Vorhaben des Bedarfsplans für Schienenwege. Die Planung und Realisierung des Projekts „Stuttgart 21“ fällt daher in den Verantwortungsbereich der DB AG. Hierzu zählt auch die Einschätzung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit dieses Vorhabens. In den Bereich der staatlichen Verantwortung fällt hingegen die finanzielle Beteiligung an der Umsetzung von „Stuttgart 21“. Dementsprechend wäre die Bundesregierung zur Auskunft über mögliche Kostensteigerungen, die den Bund träfen, verpflichtet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 5 2. Hintergrund und Fragestellung Die Bundesregierung hat es mehrfach abgelehnt, dem Deutschen Bundestag im Detail über die Wirtschaftlichkeitsberechnungen des Projekts „Stuttgart 21“ Auskunft zu geben.1 Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen: 1. Erstreckt sich der Verantwortungsbereich der Bundesregierung auch auf juristische Personen des Privatrechts, die zu 100 % dem Bund gehören – wie die DB AG – oder muss zum Alleineigentum die Kontrolle über strategische Entscheidungen hinzukommen? Ist bei solchen juristischen Personen des Privatrechts für die Auskunftspflicht zwischen staatlicher und unternehmerischer Verantwortung zu unterscheiden? Wie wirkt sich der – in einem anderen Zusammenhang ergangene – Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1998 aus, in dem festgestellt wird: „Das wirtschaftliche Engagement der öffentlichen Hand unterliegt der Kontrolle des Parlaments . Ihm gegenüber ist die Regierung auch hinsichtlich der Betätigung in privatrechtlichen Unternehmen zur Rechnungslegung verpflichtet und hat sich der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung zu unterziehen.“2 2. Macht es für die Verantwortung der Bundesregierung einen Unterschied, wenn es sich dabei um ein privatisiertes Unternehmen handelt? 3. Nach Berechnung des Bundesrechnungshofes (BRH) aus dem Jahr 2008 trägt der Bund die Hauptlast der Finanzierung des Projekts „Stuttgart 21“.3 In dem Finanzierungsvertrag zu „Stuttgart 21“ und in der „Gemeinsamen Erklärung zur Realisierung der Projekte Stuttgart 21 und Neubaustrecke Wendlingen – Ulm“ werden zudem Beiträge des Bundes ausdrücklich als Mittel nach § 8 Abs. 1 Bundesschienenwegeausbaugesetz ausgewiesen. Trifft es dennoch zu, dass es sich bei Stuttgart 21 „nicht um ein Projekt des Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, sondern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG“ handelt, wie die Bundesregierung behauptet ? Wenn ja, was bedeutet dies für die Verantwortung der Bundesregierung? Der BRH ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass für „Stuttgart 21“ der Nachweis des ordnungsgemäßen, wirtschaftlichen und sparsamen Mitteleinsatzes notwendig sei und dass das Ministerium insbesondere die Wirtschaftlichkeit des Projekts nachweisen müsse. Um dem Haushaltsgesetzgeber alle für das Projekt wesentlichen Entscheidungskriterien darzustellen, sollten Finanzierungsquellen und - beträge bei dem entsprechenden Titel im Bundeshaushalt ausgewiesen werden.4 4. Welche Auswirkungen haben in diesem Zusammenhang die Gemeinwohlverpflichtung nach Art. 87 e Abs. 4 GG und das Budgetrecht des Parlamentes gemäß Art. 110 GG? 5. Hat die Bundesregierung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsrechnung zu „Stuttgart 21“ eine Antwortpflicht? 1 Vgl. BT-Drs. 17/4008. 2 BVerfGE 98, 145. 3 Haushaltsausschuss, 16. WP, Drs. 5062. 4 Haushaltsausschuss, 16. WP, Drs. 5062. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 6 3. Grundsätzliches zur Reichweite des Parlamentarischen Fragerechts Das parlamentarische Fragerecht ist ein notwendiger Bestandteil des parlamentarischen Regierungssystems . Erst durch die Verantwortlichkeit gegenüber dem unmittelbar gewählten Deutschen Bundestag ist die Regierung demokratisch legitimiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) folgt das parlamentarische Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG; in der GO-BT wird es näher ausgestaltet. Reichweite und Grenzen des Fragerechts hat das BVerfG in diversen Entscheidungen konkretisiert. Die Bundesregierung ist von Verfassungs wegen grundsätzlich verpflichtet, Fragen der Abgeordneten zu beantworten.5 Diese Pflicht erstreckt sich auf alle Informationen, die der Bundesregierung vorliegen bzw. die sie mit vertretbarem Aufwand beschaffen kann.6 Hierzu zählen bspw. statistische Angaben, Gutachten sowie eigene Erkenntnisse der Regierung und ihrer Behörden. Die Antwortpflicht der Regierung umfasst alle Informationen, die das Parlament für eine wirksame Kontrolle und sachverständige Beurteilung des Regierungshandelns benötigt.7 Das Fragerecht dient insoweit dazu, die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Regierung und Parlament im Einzelfall zu verkleinern. 3.1. Verantwortungsbereich der Regierung Inhaltlich erstreckt sich das Fragerecht auf alle Angelegenheiten, die in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen.8 Erfasst werden alle Aufgabenbereiche, für die die Regierung unmittelbar oder mittelbar einzustehen hat, die also von ihr selbst wahrgenommen werden oder sonst zu verantworten sind, § 105 GO-BT i.V.m Anlage 4 GO-BT Nr. 2 Abs. 19. Der parlamentarischen Kontrolle unterliegt dabei nicht nur das hoheitliche Handeln der Regierung, sondern ihre gesamte Amtsführung. Die Regierung soll sich nicht durch Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform der Verantwortung ziehen können. Eine derartige „Flucht aus dem Verfassungsrecht in das Privatrecht“ ist unzulässig.10 3.2. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand Wie das BVerfG in seiner Entscheidung zur Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Tätigkeit in einem von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen festgestellt hat, unterliegt 5 BVerfGE 13, 123, 125; 67, 100, 129; 105, 279, 306. 6 BVerfGE 105, 279, 306. 7 BVerfGE 70, 324, 355. 8 Lennartz, Jürgen/Kiefer, Günther, Parlamentarische Anfragen im Spannungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen, DÖV 2006, 185, 187. 9 BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1, 5; 67, 100, 129; vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BT-Drs. 13/6149. 10 Gusy, Privatisierung und parlamentarische Kontrolle, in: Privatisierung und parlamentarische Rechte (hrsg. vom Präsidenten des Landtags Rheinland-Pfalz), 1998, S. 61. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 7 auch das wirtschaftliche Engagement der öffentlichen Hand der parlamentarischen Kontrolle. Die Regierung hat sich auch insoweit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung zu unterziehen.11 Auch für Unternehmen des Bundes gilt danach im Grundsatz, dass diese der parlamentarischen Kontrolle unterfallen. Diese Kontrolle erlischt, wenn ein Unternehmen von der Bundesregierung in vollem Umfang rechtlich, personell und finanziell unabhängig wird.12 Mit möglichen Grenzen der parlamentarischen Kontrolle bei wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand hat das BVerfG sich in der o.g. Entscheidung nicht näher auseinandergesetzt, da dies für die Entscheidung nicht erforderlich war.13 Eine Grenze ergibt sich allerdings bereits daraus, dass sich das Fragerecht nur auf Umstände beziehen kann, die die Bundesregierung zu verantworten hat. Je nach Ausgestaltung der Unternehmensbeteiligung des Bundes kann dies durchaus unterschiedlich sein. Wenn sich der Bund bspw. „nur“ finanziell an einem Unternehmen beteiligt, dieses aber nicht strategisch beherrscht, kann das Fragerecht sich nicht auf einzelne unternehmerische Entscheidungen erstrecken, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss hat. Gefragt werden könnte aber durchaus, warum eine Bundesbeteiligung an einem defizitären Unternehmen beibehalten wird oder Unternehmensanteile veräußert werden sollen. Diese auf die finanzielle Beteiligung an Unternehmen beschränkten Kontrolle folgt aus dem Budgetrecht des Parlaments. Das Fragerecht reicht hingegen weiter, wenn die Bundesregierung ein Unternehmen derart beherrscht , dass auch einzelne unternehmerische Entscheidungen ihrem Verwantwortungsbereich zuzuordnen sind. Als Grundsatz kann danach festgehalten werden, dass für die Frage der Reichweite des parlamentarischen Fragerechts eine Prüfung des Verantwortungsbereichs der Bundesregierung im jeweiligen Einzelfall erforderlich ist. 4. Reichweite des Fragerechts bei (teil-)privatisierten Unternehmen Eine Sonderrolle kommt jedoch den auf Grundlage der Art. 87 e und 87 f GG (teil-)privatisierten Unternehmen Deutsche Bahn AG und den Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost zu. Bei diesen wird hinsichtlich der Reichweite des parlamentarischen Fragerechts zwischen der unternehmerischen Eigenverantwortung des jeweiligen Unternehmens und der staatlichen Verantwortung unterschieden.14 Diese Unterscheidung findet ihre Grundlage in der Verfassung. Dort wird für die Eisenbahnen des Bundes angeordnet, dass sie als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu füh- 11 BVerfGE 98, 145, 160 f. 12 Magiera, Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Unternehmen, unveröffentlichtes Gutachten, 2003, S. 13. 13 BVerfGE 98, 145. 14 BT-Drs. 13/6149 (Fn. 9); Magiera (Fn. 12), S. 14 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 8 ren sind, Art. 87 e Abs. 3 S. 1. GG. Dem Bund wird demgegenüber die Gewährleistung der Allgemeinwohlorientierung beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes zugewiesen, Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG. Aus dieser Zuweisung unterschiedlicher Verantwortungsbereiche wird ein umfassender Autonomiebereich der privat-rechtlich organisierten Eisenbahnen des Bundes gefolgert.15 Die Bundesregierung kann danach nur im Rahmen des Aktiengesetzes, d.h. über die Hauptversammlung bzw. durch die Kapitalvertreter im Aufsichtsrat im Rahmen der dem Aufsichtsrat zustehenden Rechte Einfluss nehmen.16 Eine darüber hinaus gehende Einflussnahme des Bundes auf unternehmerische Entscheidungen ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen.17 Insoweit unterscheiden sich die Eisenbahnen des Bundes maßgeblich von sonstigen öffentlichen Unternehmen, bei denen der staatliche Einfluss sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann.18 Die Unterscheidung zwischen staatlicher Gewährleistungsverantwortung und unternehmerischer Verantwortung der privatisierten Eisenbahnen des Bundes bildet die Grundlage für die Kriterienkataloge der Auslegungsentscheidung zu §§ 105 und 108 GO-BT19, die Anhaltspunkte für die Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Fragen an die Bundesregierung darstellen. In den Verantwortungsbereich des Bundes fallen danach regelmäßig folgende Punkte: Gesetzgebung Eisenbahnverkehrsverwaltung Gewährleistung der Gemeinwohlverpflichtung - Aufstellung des Bedarfsplans für den Ausbau des Schienennetzes - Finanzierung der Investitionsmaßnahmen des Bedarfsplans in die Schienenwege des Bundes einschließlich Finanzierungsverantwortung - Verwaltung der Beteiligung des Bundes an der DB AG im Rahmen der Kompetenzen des Aufsichtsrates bzw. der Hauptversammlung sowie die Verhaltensweisen der Aufsichtsratsmitglieder des Bundes - Auferlegung oder Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Leistungen - Planfeststellungen - Technische und Bauaufsicht über Betriebsanlagen - Betriebsgenehmigungen für Eisenbahnen des Bundes - Finanzierungsvereinbarungen nach dem Schienenwegeausbaugesetz zwischen Bund und DB AG - Unfalluntersuchungen 15 Gersdorf in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 3, 6. Auflage 2010, Art. 87 e Rdnr. 52 m.w.N. 16 Jochum, Die Grundrechtsbindung der Deutschen Bahn, NVwZ 2005, 779, 781. 17 Gersdorf (Fn. 15), Art. 87 f Rdnr. 59. 18 Gersdorf (Fn. 15). 19 BT-Drs. 13/6149, S. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 9 - hoheitliche Aufsichts- und Mitwirkungsrechte, Wahrnehmung der Aufgaben der Gewerbeaufsicht - Entscheidung über Stilllegungsanträge der DB AG - Entscheidung der Streitfälle zum Zugang zur Infrastruktur durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) - Fragen hinsichtlich der Verwaltung der der DB AG zugewiesenen Beamten - Einzelheiten der finanziellen Sanierung von DB/DR wie Entschuldung, Altlastenübernahme und -abwicklung In den Bereich der unternehmerischen Verantwortung der DB AG sollen demgegenüber in der Regel folgende Punkte fallen: - Bemessung der Entgelte für die Nutzung des Fahrwegs - Festlegung der Tarife - Gestaltung des Angebotes im einzelnen, Modernisierung der Anlagen, Pünktlichkeit - Unternehmenspolitik in den einzelnen Geschäftsbereichen - Organisation des Unternehmens - Investitionsplanung im Unternehmen - Bau von Trassen, sowie deren Unterhaltung, Erstellung von Signal- und Kommunikationstechnik - Personalfragen - Streckenübernahme durch Dritte - Vermietung, Verpachtung, Veräußerung bahneigener Grundstücke 5. Verantwortung für „Stuttgart 21“ Die Bundesregierung hat sich mehrfach geweigert, Auskunft über die Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu „Stuttgart 21“ zu geben, da es sich hierbei um ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG handele. Nach den oben unter 4. aufgelisteten Kriterien trägt der Bund die Verantwortung für die Finanzierung von Investitionsmaßnahmen des Bedarfsplans für den Ausbau des Schienennetzes . Andererseits sollen der Bau von Trassen und deren Unterhaltung in die unternehmerische Verantwortung der DB AG fallen. 5.1. Vorhaben des Bedarfsplans? Eine Zuordnung in den Bereich der staatlichen Verantwortung setzt voraus, dass es sich bei „Stuttgart 21“ um ein Vorhaben des Bedarfsplans für Schienenwege handelt. Dieser Bedarfsplan ist als Anlage dem Schienenwegeausbaugesetz (BSWAG) beigefügt.20 Mit Aufnahme eines Vorhabens in den Bedarfsplan konkretisiert der Bund das öffentliche Interesse an diesem Projekt.21 20 Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 309 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407). 21 Begründung des Gesetzentwurfs zum BSWAG, Drs. 12/3500, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 10 Das Vorhaben „Stuttgart 21“ bezeichnet den geplanten Umbau des Eisenbahnknotens Stuttgart. Im Zentrum der Stadt Stuttgart soll anstelle des bisherigen Kopfbahnhofs der Neubau eines achtgleisigen Durchgangsbahnhofs in Tieflage errichtet werden. Dieser soll nordseitig unterirdisch an die Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart angeschlossen werden. Südseitig soll der Bahnhof unterirdisch unter anderem über einen 9,5 km langen Tunnel („Fildertunnel“) an den Flughafen Stuttgart-Echterdingen und schließlich an die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke Stuttgart- Ulm angeschlossen werden.22 Als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs ist die Ausbau- bzw. Neubaustrecke (ABS/NBS) Stuttgart – Ulm – Augsburg im Bedarfsplan aufgenommen. Hieraus folgert Kirchhof in seinem Gutachten zu einem möglichen Ausstieg aus „Stuttgart 21“, dass die ABS/NBS Stuttgart-Ulm auch den Umbau des Eisenbahnknotens Stuttgart umfasse.23 Allerdings spricht der Wortlaut des Bedarfsplans gegen diese Auffassung. Anders als die Knoten Berlin, Dresden, Erfurt, Halle/Leipzig und Magdeburg ist der Knoten Stuttgart gerade nicht im Bedarfsplan aufgeführt. Hätte der Bundesgesetzgeber den Aus- oder Umbau des Knotens Stuttgart in den Bedarfsplan aufnehmen wollen, wäre der Knoten ausdrücklich aufgeführt worden.24 Ein Eisenbahnknoten ist auch nicht notwendiger Bestandteil einer Neubau- oder Ausbaustrecke. So sind neben der ABS/NBS Nürnberg-Erfurt und der NBS/ABS Erfurt-Leipzig/Halle als „Ausbau von Knoten“ Erfurt und Halle/Leipzig gesondert ausgewiesen. Der Umbau des Eisenbahnknotens Stuttgart dürfte demnach nicht von dem Vorhaben ABS/NBS Stuttgart-Ulm-Augsburg umfasst sein.25 Damit fällt das Projekt „Stuttgart 21“ nicht in den Verantwortungsbereich des Bundes, sondern ist als eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG ihrer unternehmerischen Verantwortung zuzuordnen. 22 § 1 des Finanzierungsvertrags vom 2. April 2009, LT BW-Drs. 14/4382, Anlage 1. 23 Kirchhof, Gutachtliche Stellungnahme zum Antrag der SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg für eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, Oktober 2010, S. 34; abrufbar unter www.baden-wuerttemberg.de/fm7/2028/101005_Anlage_Kirchhof_Gutachten.pdf; a.A. Hermes/Wieland, Rechtliche Möglichkeiten des Landes Baden-Württemberg, die aus dem Finanzierungsvertrag „Stuttgart 21“ folgenden Verpflichtungen durch Kündigung oder gesetzliche Aufhebung auf der Grundlage eines Volksentscheides zu beseitigen, Oktober 2010, S. 16 ff.; abrufbar unter http://www.spd.landtag-bw.de/cgisub /fetch.php?id=521 24 Zu dieser Einschätzung tendiert auch der VGH BW in seiner Entscheidung vom 6. April 2006, Az. 5 S 596/05, Rdnr. 40: „Zweifelhaft und wohl zu verneinen ist dies, weil der Neubau bzw. Ausbau des Eisenbahnknotens Stuttgart in Abschnitt 1a […] bei den in Nr. 27 näher bezeichneten Knoten nicht aufgeführt ist […]. Dass Abschnitt 1a Nr. 20 des Bedarfsplans nicht auch den Knoten Stuttgart umfasst, legt auch die in dem […] Bundesverkehrswegeplan enthaltene Beschreibung des entsprechenden Maßnahmenumfangs nahe […].“ Ebenso: VGH BW, Urteil vom 8. Februar 2007, Az. 5 S 2257/05, Rz. 62. 25 , Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste „Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“, WD 3 427/10, S. 16f. Die Bundesregierung vertritt zudem die Auffassung, dass die Realisierung des Projekts „Stuttgart 21“ keine notwendige Bedingung für die Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sei; Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Frage 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 027/11 Seite 11 5.2. Finanzierungsverantwortung des Bundes Eindeutig in den Bereich der staatlichen Verantwortung fällt hingegen die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten für den Bau von „Stuttgart 21“. In der Finanzierungsvereinbarung26 werden die Gesamtkosten des Projektes einschließlich einer unterstellten allgemeinen Kostensteigerung auf 3 076 Mio. Euro festgelegt. Der Bund beteiligt sich hieran mit insgesamt 1 165,6 Mio Euro.27 Die Finanzierungsvereinbarung trifft ferner Regelungen über die Verteilung von mögliche Kostensteigerungen i.H.v. 1 450 Mio Euro. Hiervon ist der Bund allerdings ausgenommen. Die Vereinbarung enthält jedoch keine Regelung über den Umgang mit weiteren Kostensteigerungen. Sollten sich derartige Steigerungen abzeichnen, wäre die Bundesregierung zur Auskunft über eine mögliche finanzielle Beteiligung des Bundes verpflichtet. 6. Ergebnis Das Projekt „Stuttgart 21“ ist kein Vorhaben des Bedarfsplans für den Schienenwegeausbau. Daher fällt die Entscheidung über die Realisierung des Projekts „Stuttgart 21“ in den Verantwortungsbereich der Deutschen Bahn AG. Über die Wirtschaftlichkeit dieses Projekts muss die Bundesregierung keine Auskunft geben. Sie ist hingegen zur Auskunft über den Finanzierungsbeitrag des Bundes verpflichtet, bspw. hinsichtlich einer zu erwartenden Erhöhung dieses Beitrags aufgrund einer Kostensteigerung. 26 (Fn. 22) 27 Davon sollen 500 Mio Euro auf Grundlage des § 8 Abs. 1 BSWAG geleistet werden, obwohl es sich bei „Stuttgart 21“ nicht um ein Vorhaben aus dem Bedarfsplan für Schienenwege handelt. Die Bundesregierung hat die finanzielle Beteiligung nach § 8 Abs. 1 BSWAG damit gerechtfertigt, dass diese den „Sowieso-Kosten“ entspräche, die für die Anbindung der NBS Wendlingen-Ulm an den Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung des Projekts „Stuttgart 21“ anfielen. Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, BT-Drs. 17/2723, Frage 16.